Wo darf’s hingehen? #agh16 Probleme und Kontrollen

Die mangelnde Kontrolle des Berliner Taxigewerbes war in all den Jahren GNIT eines der größten Ärgernisse, im Grunde noch weit vor Leuten, die sich auf dem Rücksitz übergeben oder Bürgermeistern, die sich mit Uber-Brille fotografieren lassen. Zur Einordnung der nun folgenden Frage und der Antworten sei erwähnt, dass das gerade von den Noch-Regierungs-Parteien angesprochene „Hamburger Modell“ quasi zeitgleich wie GNIT im Taxigewerbe Einzug gehalten hätte haben sollen: Nämlich Anfang 2008! Obwohl da hinter den Kulissen inzwischen (letztes Jahr oder so) nachgebessert worden ist: All die Jahre war das ein sinnloser Papiertiger und genau das Gegenteil dessen, was damals wirklich in Hamburg gemacht wurde. Die haben nämlich einfach mal angefangen, Taxifahrer und Unternehmen zu kontrollieren anstatt immer nur zu quatschen. In Berlin fiel der Effekt „etwas“ kleiner aus, weil genau eines nicht gemacht wurde: Kontrolliert.

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Dass im Taxigewerbe dank unzureichender Kontrollen vielfältige Probleme wie z.B. die Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns für Angestellte, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit ein Problem sind, wird oft berichtet. Was planen Sie konkret zur Behebung der Probleme?

CDU:
Hinsichtlich dieser Probleme wollen wir uns am Hamburger Modell orientieren. Fiskaltaxameter werden in naher Zukunft Pflicht sein, um Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung bekämpfen zu können.

FDP:
Eine systematische Überprüfung der Abgabenehrlichkeit halten wir für ein wichtiges Element zur Erhaltung eines fairen Wettbewerbs. In Zukunft soll aus unserer Sicht die Qualität der Taxileistungen und die Einhaltung der vorgegebenen Regeln in Berlin stärker überprüft werden, um „Schwarze Schafe“ auszuschließen. Für die Einhaltung und Überprüfung der Qualitätsstandards sollten LABO, Taxi-Verbände und Taxi-Zentralen zusammenarbeiten.

SPD:
Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung verzerren den Wettbewerb, gefährden die Existenzen kleiner und mittlerer Betriebe und vernichten Arbeitsplätze. Illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit geht zu Lasten aller anständigen Unternehmerinnen und Unternehmer und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Schwarzarbeit belastet die sozialen Systeme und unsere Volkswirtschaft insgesamt.
Deshalb tritt die Berliner SPD für eine entschlossene Bekämpfung der Schwarzarbeit ein. Auf Bundesebene setzen wir uns dafür ein, dass die beim Zoll noch unbesetzten Stellen schnellstmöglich besetzt werden. Wir haben beim LABO mit fünf festen, unbefristeten Stellen das Personal im Bereich der Taxikontrolle aufgestockt.
Mit dem ab 1. Januar 2017 verpflichteten Fiskaltaxameter werden Fahrten und Arbeitszeiten erfasst, Schwarzarbeit oder das Unterlaufen des Mindestlohns wird dadurch deutlich erschwert.

Die LINKE:
Die aktuelle Situation des Taxigewerbes in Berlin ist immer noch davon geprägt, dass so genannte Schwarze Schafe unterwegs sind. Hier hat die SPD-CDU-Koalition in den letzten Jahren nicht viel bewegt. Die verbindliche Einführung eines geeichten Fiskaltaximeters für alle Taxen, einschließlich einer Unterstützung zum Austausch der alten und die Umsetzung des Hamburger Modells zu steuerrechtlichen Prüfung und Durchsetzung der sozialrechtlichen Vorgaben bei der Fahrerbeschäftigung würden hier Abhilfe schaffen. Die Bekämpfung von Schwarzarbeit nehmen wir branchenübergreifend sehr ernst. Die Umsetzung des Hamburger Modells wäre hierfür auch in Berlin hilfreich. Außerdem braucht es mehr Personal im LaBO, bei der Steuerprüfung durch die Finanzämter und bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zoll.

AfD:
Die AfD ist dagegen eine Branche unter Generalverdacht zu stellen. Die Überwachung des Taxigewerbes ist jetzt schon obszön. Und die billige Kampagne des Senats, die nur das Ziel hat, noch mehr Geld aus der Unternehmern, Angestelten und Kunden herauszupressen, lehnen wir ab. Es wird mit uns keine Ausweitung der Kontrollen geben.

Die PARTEI:
Ein Mindesttrinkgeld sollte die Nichteinhaltung des Mindestlohns mildern. Taxiunternehmen, die Steuern hinterziehen und schwarz arbeiten lassen sollen in Zukunft schwarz lackierte Kfz benutzen.


Mein Fazit: Dass nach der nicht ganz neutral gestellten Frage alle bereits in der Realpolitik angekommenen Parteien Besserung geloben oder sogar glauben, eigentlich schon was getan zu haben, überrascht wenig. Dass die Antwort der AfD so dermaßen betriebsblind ausfällt, ist allerdings bemerkenswert. Ich schätze aber mal, die überlegen sich das noch mal, wenn sie merken, dass viele Taxiunternehmer eine dunklere Hautfarbe haben als ich. Über die Einführung eines Mindesttrinkgeldes im Sinne der PARTEI muss man selbstverständlich reden können! 😉

Wo darf’s hingehen? #agh16 Taxi allgemein

Mal abgesehen davon, dass man sich als Taxifahrer in Berlin manchmal von der Politik etwas vergessen vorkommen kann, deutet meine Einstiegsfrage natürlich gleich an, dass ich nichts weiter als knallharte und präzise Fakten als Antworten gelten lasse. Oder so ähnlich zumindest. 😉

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Das Taxigewerbe ist Teil des öffentlichen Nahverkehrs mit mehr als 10.000 Beschäftigten und ist für viele Besucher der Stadt ein erster Kontakt- und Anlaufpunkt. Inwiefern spielt das Taxigewerbe für Ihre Partei eine Rolle in der Verkehrspolitik und haben Sie explizit taxispezifische Gestaltungsideen?

CDU:
Berlin bricht jedes Jahr Besucherrekorde. Schon allein deshalb ist das Taxigewerbe für die Mobilität in unserer Stadt eine wichtige Säule. Aber die Beförderung mit dem Taxi ist auch für die Berlinerinnen und Berliner eine nicht wegzudenken Alternative zu den anderen Verkehrsmitteln – ob eigenes Auto, Fahrrad, Bus oder Bahn. Wir sind mit den Vertretern des Taxigewerbes daher immer in engem Kontakt und versuchen bei auftretenden Problemen eine gemeinsame Lösung zu finden.

FDP:
Das Taxiangebot stellt einen wichtigen Baustein im urbanen Mobilitätsangebot dar. Es ist insofern Teil des öffentlichen Verkehrsangebots, als es in Zeiten und für Orte, die der übliche ÖPNV nicht abdeckt, ein allen zugängliches Angebot macht. Wir wollen eine Differenzierung des Taxiangebots ermöglichen, indem z.B. unterschiedliche Kategorien von Taxis mit unterschiedlichen festgelegten Qualitätsstandards definiert werden können. Wir wollen insgesamt die Verkehrsträger stärker miteinander vernetzen, u.a. auch Taxis mit dem ÖPNV. Auf bestimmten Verbindungen könnten in verkehrsschwachen Zeiten Taxis in stärkerem Maße fast leer fahrende Fahrzeuge des ÖPNV ersetzen. Auch eine digitale Vernetzung von ÖPNV- und Taxiangeboten halten wir für sinnvoll, um Kombinationen aus ÖPNV- und Taxifahrten besser anbieten zu können.

Die LINKE:
Taxis gehören zum unverzichtbaren Mobilitätsmix jeder Metropole. Berliner Taxifahrer und Taxifahrerinnen haben einen besonderen Ruf, der zu dem liebevollen Bild Berlins als Stadt mit Herz und Schnauze in eigener Weise beiträgt. Nach den gesetzlichen Bestimmungen gehört das Taxigewerbe zum ÖPNV, woraus sich die Beförderungs-, Betriebs-, und Tarifpflicht ergibt. Die Begrenzung der Konzessionen zum Taxibetrieb gewährleistet, dass kein ruinöser Wettbewerb zum Preisdumping führt. In Berlin sind die Maßnahmen zur Qualitätssicherung des Taxigewerbes zu forcieren. Das Taxigewerbe nimmt jedoch eine Sonderstellung zwischen MIV und ÖPNV ein.
Der liniengebundene ÖPNV wird zurecht mit erheblichen öffentlichen Mitteln als Infrastruktur der Daseinsvorsorge vorgehalten und gilt eben deshalb als Öffentlich. Seine Fahrpreise werden so kalkuliert, dass er möglichst allen Bevölkerungsschichten zugänglich ist. Wirtschaftlichkeit ist auch hier ein wichtiger Aspekt, aber nicht der Entscheidende. Das Taxigewerbe muss sich vollständig aus seinen Einnahmen finanzieren und ergänzt den ÖPNV. Die Möglichkeiten zur Integration von Taxiverkehren in das ÖPNV-System, z.B. zur Bereitstellung von Taxifahrten an Endhaltestellen sollten ausgeweitet werden, um das ÖPNV-Liniennetz mit den Tür – zu Haltestellen – Fahrten oder umgekehrt zu kombinieren.

SPD:
Das Taxi ist für eine wichtige Ergänzung zum ÖPNV und bildet zusammen mit ÖPNV, Fuß- und Radverkehr den Umweltverbund. Für uns ist der Umweltverbund der Kern des Mobilitätsnetzes, das einen gleichberechtigten und barrierefreien Zugang zu Mobilität gewährleistet. Der Schwerpunkt unserer Mobilitätspolitik liegt auf dem Ausbau des Umweltverbunds. Auch das Berliner Taxigewerbe profitiert vom Ausbau der Verkehrsinfrastruktur der Stadt. Wir wollen den Stadtverkehr effizienter gestalten, Taxen ermöglichen es vielen Berlinerinnen und Berliner, auf ein privates Fahrzeug zu verzichten.

AfD:
Taxis sind sogar auf unserem Wahlplakat zu sehen. Natürlich ist das Gewerbe wichtig. Wir treten für kleine und mittlere Unternehmen ein. Wir sind für eine weltoffene, touristenfreundliche Stadt. Wir sind gegen die Drangsalieung der Autofahrer und damit auch der Taxifahrer. Alles in allem sehen wir uns daher als Ansprechpartner für Taxifahrer.

Die PARTEI:
Wir als Politiker fahren gerne und oft Taxi. Gedanken über Taxispezifische Gestaltungsideen haben wir uns ehrlich gesagt noch nie gemacht. Taxis waren für uns immer wie der Himmel oder die Sterne: einfach da. Wir holen das aber nach, versprochen.

Mein Fazit: Ein bisschen Überraschung kann ich nicht verhehlen. SPD und CDU geben tapfer meine Einstiegsfrage in eigenen Worten wieder, aber schon die FDP fällt mit einem komplett neuen Konzept von mehreren Taxi-Arten auf. Die LINKE nimmt  bereits Antworten auf weitere Fragen vorweg (und stiftet erst einmal Verwirrung mit einer misinterpretierbaren Aussage  zu begrenzten Konzessionen) und die PARTEI erklärt sich immerhin verbindlich dazu bereit, über das Thema nachzudenken. Mit so viel Substanz bereits bei der ersten Nachfrage hatte ich, muss ich politikverdrossen anmerken, nicht einmal gerechnet. Und auch nicht damit, dass ich ausgerechnet der AfD ein Bienchen für besonderen Fleiß verleihen könnte – aber bei aller gesunden Verachtung: Auf die Frage mit „Taxis sind sogar auf unserem Wahlplakat zu sehen.“ zu antworten, war wirklich GANZ großes Kino!

Wo darf’s hingehen? #agh16 Einleitung

In Berlin wird am Sonntag gewählt. Was, das wird sich zeigen. Große Versprechen werden wie vor jeder Wahl von allen Parteien gemacht und das ist man als Wähler ja gewöhnt. Was aber ist mit den kleinen Themen, die im Wahlkampf eigentlich immer untergehen?

Heute fragt GNIT: „Wo darf’s bitte hingehen, sollte ich mich für Ihre Partei entscheiden?“

Ich hab für GNIT die Sprecher einiger fürs Berliner Abgeordnetenhaus kandidierenden Parteien angeschrieben und ihnen 10 Fragen gestellt, die im einfachsten Fall allgemeine Verkehrspolitik, in den schwierigeren Fällen aber sehr speziell das Taxigewerbe betreffen. Um mal zu sehen, ob überhaupt ein Interesse an der Branche besteht, ob Ahnung vorhanden ist und wie im Einzelnen konkrete Ideen aussehen, die vielleicht ja vorhanden sind, obwohl sie für die großen Wahlplakate zu unsexy waren.

Da die Rückmeldungen erfreulicherweise sehr umfangreich waren, werden die kommenden Einträge sich mit jeweils einer Fragestellung und den entsprechenden Antworten der Parteien beschäftigen.

Gleich vorweg: Ich habe nicht alle antretenden Parteien angeschrieben und von den Grünen z.B. leider keine Antworten erhalten. Und obwohl das hoffentlich auch offensichtlich ist: Es liegt mir selbstverständlich fern, aufgrund einer kleinen Zahl verkehrspolitischer Aussagen eine Wahlempfehlung abzugeben, ich sehe das lediglich als Ergänzung für Politikinteressierte.

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Darüber hinaus liegt es in der Natur der Sache, dass in den Antworten der Parteien Dinge gesagt werden, die ich mal für gut, mal für schlecht befinde. Das werde ich auch hier und da anmerken. Wer eine neutralere (und themenmäßig breitere) Aufarbeitung von parteilichen Stellungnahmen sucht, wird wie immer beim Wahl-o-Mat fündig.

Hier zu Beginn die Mail, die ich so an die mir bestmöglich erscheinenden Vertreter geschickt habe, zu den einzelnen Themenbeiträgen gelangt man durch Klick auf die Fragen-Links.

Sehr geehrte XXX, in Anbetracht der bevorstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus habe ich als in Berlin lebender Taxifahrer, Autor und Blogger einige Fragen bezüglich der Position ihrer Partei zu einigen, meist verkehrspolitischen Themen. Ich wäre über eine Antwort (oder eine Weiterleitung an die entsprechenden innerparteilichen Experten) dankbar.

Ich weise im Vorfeld darauf hin, dass ich die folgenden Fragen an mehrere zur Wahl antretenden Parteien sende und die Antworten auf meinem Blog www.gestern-nacht-im-taxi.de komplett oder in Auszügen vorstellen möchte. Sollten Sie daran kein Interesse haben, würde ich mich über eine kurze Begründung freuen.

  1. Das Taxigewerbe ist Teil des öffentlichen Nahverkehrs mit mehr als 10.000 Beschäftigten und ist für viele Besucher der Stadt ein erster Kontakt- und Anlaufpunkt. Inwiefern spielt das Taxigewerbe für Ihre Partei eine Rolle in der Verkehrspolitik und haben Sie explizit taxispezifische Gestaltungsideen?
  2. Dass im Taxigewerbe dank unzureichender Kontrollen vielfältige Probleme wie z.B. die Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns für Angestellte, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit ein Problem sind, wird oft berichtet. Was planen Sie konkret zur Behebung der Probleme?
  3. Internationale Unternehmen wie Uber fordern die Aufweichung der Mietwagenregelungen im PbefG, um im vielschichtigen Personenbeförderungsgewerbe die Einstiegshürden zu verringern. Wie ist Ihre Meinung dazu?
  4. Autonom fahrende Autos sind das Thema der Stunde. Hat Ihre Partei vor, in Berlin diesbezüglich Pilotprojekte zu fördern oder steht sie der Thematik eher skeptisch gegenüber?
  5. In vielen anderen Bundesländern existieren Taxiregelungen, die darauf ausgelegt sind, Frauen ein sicheres Heimkommen zu erleichtern. Haben Sie diesbezüglich Projekte in Planung?
  6. Berlin ist neben Hamburg die einzige Großstadt in Deutschland, die keine Begrenzung der Taxikonzessionen kennt. Hat Ihre Partei Pläne, daran etwas zu ändern?
  7. Viele meiner Kollegen haben in anderen Ländern Qualifikationen erworben, die hierzulande nicht anerkannt werden. Hat Ihre Partei vor, die Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen zu vereinfachen?
  8. Taxifahrer werden oft überfallen, ein Vorschlag zur Verbesserung der Lage ist Videoüberwachung in Taxis. Wie positioniert sich Ihre Partei dazu?
  9. Vielerorts sind durch Ausnahmeregelungen Taxis in verschiedenen Farben zu sehen. Bestehen Sie auf hellelfenbein oder haben Sie vor, auch in Berlin andersfarbige Taxis zuzulassen?
  10. Die Ausbildung von Taxifahrern besteht heute im Wesentlichen aus der Ortskunde. Hat Ihre Partei Interesse an einer vielschichtigeren Qualifikation der Fahrer (z.B. Fremdsprachen), oder halten Sie das reine Ortskundewissen weiterhin für ausreichend?

Über eine (auch teilweise) Antwort auf die oben gestellten Fragen würde ich mich freuen, aber ich gebe Ihnen gerne Gelegenheit, mir Ihre eigenen Ideen für Verkehrspolitik und Taxispezifisches zukommen zu lassen. Sollte es mehr oder weniger Taxihalteplätze geben, ist Tempo 30 als Standard in der Stadt angemessen, sollen Taxifahrer weiterhin Busspuren benutzen dürfen? Oder etwas ganz anderes zum Thema passendes? Wenn Sie Ideen haben, überraschen Sie mich! Ich würde mich freuen!

Mit besten Grüßen,
Sascha Bors

Nahezu zeitgleich werden jetzt in mehr als 10 Einzelartikeln die Stellungnahmen der Parteien hier bei GNIT erscheinen. Das politische Buffett für die Abgeordnetenhauswahl 2016 ist eröffnet! \o/

„Der hat’s durchgezogen, yes!“

Ja, ich geb’s zu: Ich hab in meiner spätpubertären Phase sehr über diesen Witz von Michael Mittermeier lachen müssen, in dem er erzählt, ihm sei von seinen Eltern erklärt worden, Onanieren mache blind – und dass er dann beim Anblick des ersten Blinden in seinem Leben „Der  hat’s durchgezogen, yes!“ gedacht hätte.

Inzwischen bin ich fast 35, Onanieren nimmt also inzwischen weniger als 30% meiner Freizeit ein, und ich denke inzwischen auch darüber nach, ob der Witz jetzt wirklich politisch korrekt ist, etc. pp. Man wird älter.

Noch älter als ich waren allerdings meine ersten Fahrgäste an diesem Abend und anstelle zum an diesem Wochenende fast allgegenwärtigen Lollapalooza-Festival ging’s für das Paar direkt vom Bahnhof in die Notaufnahme der Charité.

„Wahrscheinlich ein Bandscheibenvorfall.“

Ach, fuck! Sowas gönnt man ja niemandem!

Aber obwohl der ältere Herr wirklich kaum noch einen Fuß vor den anderen gekriegt hat, bedankten sich er und seine Frau nett für Kleinigkeiten wie Warten und das Zurückstellen des Beifahrersitzes. Eile redeten sie mir auch aus, denn angefangen hätte das ja eigentlich schon vor zwei Wochen fast. Am zweiten Tag in Italien. Aber der Urlaub!

Und jetzt auf der Busfahrt zurück hätten ja auch alle Mitreisenden nochmal ihre Schmerzmittelvorräte ausgepackt und geholfen, wo es nur ging.

So bedenklich das sicher aus pharmazeutischer Sicht ist, so beeindruckend fand ich das auf menschlicher Ebene. Scheiß auf Bandscheibenvorfall, der Urlaub wird durchgezogen! Ich hab mir selten so sehr gewünscht, dass so eine (selbstverständlich dumme) Entscheidung am Ende keinen Nachteil zur Folge haben wird. Ehrlich! Weil:

Der hat’s durchgezogen, yes!

Dringende Dates

Am Ostbahnhof nach ein paar Minuten einen Kunden kriegen, der wirklich zum völlig anderen Ende der Stadt will, ist ja schon mal schön. Der Nebenaspekt war leider:

„Machen Sie bitte so schnell wie möglich!“

Ich hab den potenziellen Zeithorizont abgefragt und „in time“ war keine Option. Das hinzugezogene Navi (Einkaufszentren in Spandau sind nicht wirklich mein Steckenpferd, ich geb’s ja zu!) vermeldete satte 20 Kilometer Anfahrt und die gewünschte Ankunftszeit lag nur 20 Minuten entfernt. Durch die im gesamten politischen Berlin stark vernachlässigten Autobahnpläne zwischen dem Ostbahnhof und Spandau sind 60 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit einfach immer utopisch, da kann man noch so guten Willen zeigen als aufgeschlossener und kundenorientierter Taxifahrer.

Nun muss ich aber gestehen, dass mein Fahrgast es zwar eilig hatte, mich aber keinesfalls irgendwie zu Regelverstößen angestachelt hat. Er war nett und lachte notgedrungen aber ehrlich über meine Anmerkungen zum stockenden Verkehrsfluss. Ich auf der anderen Seite hab an den Stellen, an denen es mir persönlich machbar erschien, durchaus erkennen lassen, dass im Falle eines Falles die StVO ohne Dehnungsstreifen nicht das wäre, was sie heute ist.

Warum das alles? Ich hatte lange keine Ahnung. Jemanden abholen. OK. Mit der Zeit wurde dann immer mehr bekannt. Es ging um eine Sie, sie hatte jetzt Feierabend, sie erwartete ihn eigentlich nicht und könnte einfach weg sein, wenn wir zu spät kämen. So ganz geschäftlich klang das jedenfalls nicht. 😉

Ich hatte seit Beginn der Fahrt gesagt, dass wir mindestens 10 Minuten zu spät kommen würden, später hab ich ihn dann darin bekräftigt, sie wenigstens zu erreichen zu versuchen.

Und dann wurde ich Zeuge eines Telefongesprächs, bei dem er in der Verwaltung eines Einkaufscenters anrief und bat, in Laden XY doch die Zeitarbeiterin aus Land ABC, deren Nachnamen er leider nicht so genau wisse, zu informieren, er würde sie abholen. Also so frisch in der Mache erlebt man Beziehungen dann ja auch selten. 😀

Ich habe die nur 10 Minuten Verspätung am Ende eingehalten. Trotz teilweise beschissenster Ampelphasen. Was für ein Opfer ich der StVO dafür beizeiten bringen werde, muss ich mal sehen. Ein unfreiwilliges habe ich wohl nicht zu vermelden, so gesehen ist alles absolut bestens gelaufen.

Stressig war’s trotzdem, ich halte mich ja aus dem Hektik-Business nicht ohne Grund gerne raus. Also hab ich mich nach der Tour erst einmal auf die hinterste Ecke des großflächigen Parkplatzes verzogen, mich über mehr als 35 € Umsatz gefreut und eine geraucht. Ich hatte dank der Tour binnen anderthalb Stunden einen Fuffi Umsatz gehabt, man muss ja auch mal wertschätzen, was man kriegt.

Nennt mich ruhig kitschig, aber wirklich zufrieden war ich erst, als ich die Rückfahrt in die Zivilisation angetreten habe und dabei kurz nach dem Start noch weit draußen in der Westberliner Prärie ein Pärchen überholt habe, das gemütlich palavernd den Weg entlanggeschlendert ist: Sie in großen Gesten erzählend, mein Fahrgast andächtig lauschend.

Der Zweck heiligt keinesfalls immer die Mittel. Aber wenn’s mal passt, lasse ich mir die Freude daran auch nicht nehmen!

„Dezent“ fehlgeleitete Kunden

Der Typ mit der Grüne-Knöpfchen-Schwäche war noch nicht einmal beim Türsteher des Puffs, da winkten gegenüber bereits zwei neue Fahrgäste für mich. Also welche, die offensichtlich aus genau jenem Laden gekommen waren. Und da ist man als Taxifahrer ja nicht wählerisch.

Ob ich sie zu ihrem Hostel in Mitte bringen könne? Na, sicher. Aber wenn sie schonmal bei mir im Auto säßen: Ob ich nicht vielleicht einen besseren Club kennen würde als diesen hier, der sei scheiße, sie wollen tanzen.

WTF?

„OK, guys, just to be sure here: You’re searching for a music club? Just party and dancing, not a night club with prostitutes to fuck with?“

Ich hätte es sicher auch netter ausdrücken können, aber wenn einem zwei junge Kerle in Muscle-Shirts im Auto sitzen, die sich über die schlechte Mucke in einem Flatrate-Puff beschweren, dann könnte ja alles passiert sein. Und ich hatte nicht Unrecht: Die beiden wollten tanzen gehen und irgendwer (womöglich Kollegen) haben das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal falsch interpretiert. Vor dem Flatrate-Puff waren sie nämlich im KitKat gelandet, das vielleicht nicht wirklich wie von ihnen vermutet zu 100% gay ist (wobei ich nicht weiß, was an dem Abend für eine Party dort war), aber zumindest mal bekannt für seine Fetisch-Parties, was trotz erkennbarer Toleranz der beiden jetzt halt auch nicht unbedingt das ist, was man erwarten würde, wenn man einfach mal zu guter Musik chillen will. Ich gebe ja zu, ich konnte mich in dem Moment nicht zwischen Mitleid und lautem Loslachen entscheiden. 😀

Ich hab sie am Ende für weniger als 10 € zum 40 Seconds gebracht. Keine Ahnung, was dort an dem Abend gespielt wurde, keine Ahnung, ob es nun wirklich noch eine richtig geile Partynacht geworden ist. Ich hab ihnen auch gesagt, dass ich ihnen keine Versprechen machen will, nur, dass ich ganz sicher den bisher besten Tipp an dem Abend gegeben habe. Aber da konnte ich nach dem Vorspiel auch nur schlecht was falsch machen! 😀

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Sash, 34, Knöpfchenexperte.

Eigentlich war mir nach vier Touren in Folge ja so langsam mal nach einer Pause. Nikotinentzug und so. Vom Ostbahnhof trennte mich kaum mehr ein Kilometer, es lief alles blendend. Dann eine Hand.

Der Typ war ein paar Jahre älter als ich, sah nach einer durchzechten Kneipennacht aus und äußerte ohne jegliche Begrüßungsfloskel nur den Namen eines bekannten Puffs in Schöneberg. Nette Tour eigentlich. Dann folgte allerdings sofort der Hinweis, er müsse noch zu einer Bank. So weit auch ok. Ich hab gar nicht wegen Kartenzahlung angefangen, denn dass der weitere Abendverlauf ebenso Geld kosten würde, war offensichtlich.

An der nächsten Kreuzung war gleich ein Automat, den mein Kunde auch begeistert empfing, er hatte beim Raustorkeln nicht einmal mehr die Kraft, die Autotüre hinter sich zu schließen. Aber gut, ich hatte dicht am Bordstein gehalten, so gesehen kein Problem. Tja, dann stand er da und drückte rum. Am Ende kam er wieder und meinte, es würde nicht gehen. Das ist nun nicht gerade was, was einem Freundentränen und Hoffnungsschimmer entlockt, aber der Weg war noch lang und ich war ehrlich gesagt so zufrieden mit dem Abend … selbst der Kilometerschnitt war gut genug, um die Fahrt in den Sand zu setzen, wirklich! Also nicht, dass ich das vorgehabt hätte, aber der Gedanke an eine unbezahlte Fahrt hat mich einfach nicht so beunruhigt, wie das sonst der Fall gewesen wäre.

Die nächsten zwei Banken hatten zu und dann wurde es auch so langsam eng. Mein Fahrgast war eh genervt, obwohl ich wirklich den absolut kürzesten Weg gefahren bin. Am Ende hab ich 300 Meter vor dem Puff an einer Taxihalte schnell eine Kollegin gefragt, ob sie einen Automaten in der Nähe kennen würde. So sehr ins Blaue fahr ich echt nur selten. Aber siehe da, sie kannte einen quasi direkt gegenüber des Zieletablissements. Also hab ich im Vorbeifahren die Uhr ausgemacht und mich darauf eingestellt, dass ich das jetzt eben würde regeln müssen. Im Zweifelsfall hätten die wahrscheinlich sogar im Puff selbst noch eine Option gehabt.

Nun aber eine Bank, von der ich nie gehört hatte, der Kunde vor dem Automaten und abermals die Meldung, dass es nicht gehen würde. Da wir uns ohnehin auf Englisch unterhalten haben, seine Muttersprache aber eher russisch oder so war, hab ich ihn gefragt, ob er das Menü auch in Englisch gewählt hätte. Da kam dann sogar Deutsch hinzu:

„Beide. English und Deutsche!“

„OK, show me!“

Datenschutz hin oder her, ich hab auch schon die PIN für Leute eingegeben. Natürlich nur auf Wunsch, aber beachtlich find ich’s eigentlich trotzdem.

Naja, da standen wir also und er folgte dem englischen Menü bis zur PIN-Eingabe. Er hackte ein paar Zahlen ein, wobei ich nachfragte, ob er sich mit denen auch sicher sei.

„Da! Yes, yes! Of Course!“

Und dann zuckte er mit den Achseln, während auf dem Bildschirm deutlich lesbar stand, dass er die grüne Taste zur Bestätigung drücken solle. Das hab dann nach 5 Sekunden Ratlosigkeit seinerseits ich übernommen. Und – o Wunder! – er durfte nun auswählen, welche Summe er abheben will!

Im Folgenden war das mit dem Abheben und der Bezahlung meiner Wenigkeit recht schnell und leider ziemlich trinkgeldlos erledigt, aber das störte mich ja nun auch kein Bisschen an dem Abend. Er versicherte sich nochmal, dass der Puff auch wirklich das Haus mit den roten Lichtern sei, wankte davon und musste fortan nur noch einmal von mir zurückbeordert werden.

„HEY, GUY, ONE LAST THING!“

„What?“

„Guess you’d like to have your backpack with you …“

Denn außer mit grünen Knöpfchen kenne ich mich halt auch mit dem Blick auf die Rückbank aus. 😉