Was man alles wissen muss …

Als er auf mich zugewackelt ist, wirkte er irgendwie ganz lustig. Ein sehr seltsamer Körperbau. Insgesamt sehr schlank, fast schon schlaksig. Sein Bauch jedoch glich eher einer Kugel. Mit der abstehenden Einsteinfrisur wirkte er ein wenig wie ein Trinkvogel. Seine Kleidung ließ auf kultivierte Mittelschicht schließen, in meinen Gedanken war er umgehend Lehrer, Oberstudienrat oder dergleichen. Er hatte ein Grinsen auf dem Gesicht, zeigte sich sehr nett und zuvorkommend und nannte eine sehr wichtige Ausfallstraße im Südosten Berlins als Ziel.

Na, holla die Waldfee!

Es war nicht die erste Tour über 20 Euro an dem Abend, aber man ist ja dann doch immer irgendwie froh. Ich platzierte an dieser Stelle einen meiner absoluten Standardsprüche:

„Na das kriegen wir hin.“

„Das will ich auch hoffen!“

kam es eher konsterniert aus dem Fond der heute ziemlich klapprigen 1925. Diesen Gesprächsverlauf hatte ich nun geschätzte 200 mal im Taxi, so wird kein Gespräch abgewürgt …

„Ich weiß, alles andere wäre ja auch ein bisschen traurig …“

Werft mir das ruhig vor, aber manipulative Gesprächsführung lernt man im Taxi ziemlich schnell. In dem Fall nehme ich ihm gleichermaßen die Sorgen, bin witzig und biete überdies die Option, das Gespräch auf gute oder schlechte Erfahrungen im Taxi zu lenken. Etwas, das zu guter Letzt wenigstens GNIT immer wieder zu Gute kommt.

„Ach, wenn sie wüssten …“

OK, also schlechte Erfahrungen.

„Was ich hier in Berlin schon erlebt habe …“

Ich kann’s mir denken, jetzt komm auf den Punkt!

„…gerade mit den, ich sag jetzt mal, anatolischen Chauffeuren.“

Ui. So PC, dass er nicht einmal „Türken“ sagen will. „Ich hab ja nix gegen Ausländer, aber …“ versucht jetzt also nochmal höhere Bildungsschichten zu erreichen …

Ich hab’s mir leider immer noch nicht angewöhnen können, da so hart zu sein, wie ich eigentlich sein will. Und nein, nicht, weil ich mich um die paar Euro Umsatz schere. Es wäre mir eine Freude, solche Fahrgäste an einen türkischen oder meinetwegen bulgarischen Fahrer weiterzureichen. Nein, ich hoffe immer wieder auf ein bisschen Einsicht beim ein oder anderen. Und ich kann schließlich von ein paar vorbildlichen Kollegen berichten, deren einziges Manko offenbar ist, dass ihre Hautfarbe nicht ganz dem Geschmack von Leuten trifft, die gerne Betttücher auf dem Kopf tragen und nebenbei Kreuze verbrennen. Man sollte meinen, solch eine Randgruppenmeinung würde irgendwann mal verschwinden.

Mein Fahrgast wollte sich denn auch nicht lange an der Herkunft der Taxifahrer aufhalten und warf schnell ein, dass es bedauerlich sei, wie manche einfach nur noch mit Navi zum Ziel finden. Hmm … vielleicht war er doch Journalist.

Witzig anzumerken ist an dieser Stelle, dass ich (Ich kann zumindest für die letzten drei Generationen meine deutsche Abstammung problemlos nachweisen!) nur deswegen auf das Navi verzichtet habe, weil ich durch die von ihm benannte Straße drei Stunden zuvor das erste Mal seit vielleicht sechs Monaten mal wieder durchgefahren bin.

Er jedenfalls war froh, dass ich mich auskannte. Gott sei Dank! Im Handumdrehen zählte er einen Haufen Straßennamen auf, die zu vergessen in seinen Augen offenbar unverzeihlich war. Ich hab, ganz ehrlich, nicht eine einzige davon im Kopf gehabt. Und da genau liegt das Problem: So ziemlich jeder von uns Fahrern hat Gebiete, in denen er sich besser auskennt als Einheimische. Wo man das Hostel im Hinterhof, den Döner in der Unterführung und den Zahnarzt im zehnten Stock kennt. Weil man da oft ist, weil man zumindest einmal da war. Weil man dort eine besonders beeindruckende Fahrt hin hatte, oder weil zufällig die eigene Mutter dort ums Eck wohnt. Und manches weiß man auch, weil man es mal gelernt hat, auf die Ortskundeprüfung. Aber das ist wohl der kleinste Teil.

Wir müssen unseren Job machen, und wir müssen ihn gut machen. Davon bin ich überzeugt. Immer noch und ohne Einschränkungen. Aber unser Job ist es, Menschen in einer Stadt mit 891 Quadratkilometern Grundfläche, zigtausenden Straßen und hunderttausenden „Objekten“ von A nach B zu bringen. Daran sollten wir im besten Falle nicht ein einziges Mal scheitern. Aber ob wir alles im Kopf haben, von einer Navi-Karte, aus dem Internet, über den Funk von Kollegen zugeflüstert oder (für die ganz mutigen) geraten – das ist am Ende unser Ding.

Das soll nicht so angepisst klingen, wie es vielleicht gerade rüberkommt. Aber macht ihr Euch Gedanken darüber, ob ich – oder die Journalisten eurer Tageszeitung – eine Rechtschreibkontrolle oder vielleicht sogar eine Stimmerkennungssoftware einsetzen, um einen Artikel zu schreiben?

Ich würd mich ja gerne fortbilden, aber ich schreibe nebenher. Und die Kollegen, die nicht schreiben, arbeiten diese Zeit komplett durch. Ich finde es wirklich ehrens- und bewundernswert, wenn Taxifahrer über jede Ecke noch eine Geschichte parat haben. Aber das kostet nunmal enorm viel Zeit.  Soviel unbezahlte Zusatzarbeit ist als Standard vielleicht ein wenig viel verlangt …

Meinen Kunden hab ich mit der Diskussion verschont. Man muss nun wirklich nicht zu jedem Ansatz jedes Argument hervorkramen. Finanziell war die Fahrt am Ende tadellos: Guter Umsatz, gutes Trinkgeld, ich hätte auch einen Lobartikel schreiben können. Auf meiner eigenen Skala landete er allenfalls im unteren Mittelfeld. Er war für mich vielleicht eher sowas wie ein anatolischer Fahrgast mit Navi …

Erste, äh … Schicht?

Nee nee, lieber Juni: Das, was da heute Nacht ablief, das vergessen wir beide schnell wieder und machen das ab sofort besser!

Es waren wirklich ein paar trostlose Stunden auf der Straße heute. Die erste verlief ganz ohne Kundschaft. Also hab ich die 1925 fleißig rausgeputzt. Während ich mit einem Kollegen ausgiebig die Unergiebigkeit der Schicht erörtert habe, kam wenigstens ein rettender Anruf. Jo, seines Zeichens langjährige Taxi- und Blogbegleiterscheinung, sowie angehender DJ, hat gefragt, ob ich ihn einmal mehr nach Hause fahren könnte. Na und ob!

Die Touren mit Jo sind immer gekennzeichnet durch nette Gespräche mit besonders filigran sortierter Situationskomik – die ich leider nicht einmal ansatzweise in schriftliche Form zu bringen in der Lage bin. Schlecht für GNIT, für mich aber so gut wie Pause.

In Prenzl’berg hab ich noch eine Kurzstrecke mitgenommen, um dann, nach längerem Gegurke, am Ostbahnhof festzustellen, dass die Schlange ungefähr doppelt so lang war, wie eine Stunde zuvor – wo ich ja bereits ewig gewartet hatte. Also drauf geschissen und gleich vor der Landung wieder durchgestartet gen Heimat.

Ein kurzer Hoffnungsschimmer kam am NH Hotel Alexanderplatz (das nicht am Alexanderplatz liegt) auf, als dort ein Mann winkte, der zum Alexanderplatz wollte. Kaum jedoch, dass er zu verstehen gab, er hätte eigentlich bestellt, kam auch schon ein Kollege ums Eck. Ich hab ihn gebeten, doch bitte bei selbigem einzusteigen, was mir leid tat, dem Kunden egal war und dem Kollegen eine unglaubliche Erleichterung ins Gesicht zauberte. Na wenigstens das mit der guten Tat hab ich noch hingekriegt.

An der Landsberger Allee, Ecke Petersburger, hatte ich dann wirklich noch einmal Glück. Glück im Unglück sozusagen. Denn die Kundin dort stiegt nur ein, weil die Bahnen dort aufgrund eines Unfalls ein paar Meter weiter liegengeblieben waren. Erstklassigerweise betraf das auch die Linie zu mir nach Hause. An der Unfallstelle waren sie jedoch bereits am Aufräumen und die Tour führte mich fast punktgenau zu meinem Abstellplatz. Also hab ich’s dann wirklich aufgegeben und kurz die 15 Minuten auf die Bahn gewartet.

Die große Umsatzparty ist also einmal mehr aufs Wochenende verlegt. Außerdem fährt mein Tagfahrer in den Urlaub. Ich werde das Auto also auch noch vor der Tür stehen haben. 🙂

Von Eseln und Betten

Halte durch, holde Leserschaft, Abhülfe nahet: Morgen werde ich mich wieder mit monetären Absichten auf die Straße schmeißen und Euch ein paar hoffentlich heitere Anekdoten mitbringen. Bis dahin muss ich meinen holden Lastenesel, die 1925, noch einmal privat für mich ackern lassen.

Einer der Gründe, weswegen ich meine Chefs so schätze, ist der, dass ich das Auto privat nutzen darf. Man kann zu Recht fragen, wie sie’s auch verhindern wollen würden – aber es ist für mich eine angenehme Sache, dass mir noch vor meiner Einstellung im Taxihaus (damals noch nicht unter diesem Namen) gesagt wurde, ich könne darüber nachdenken, ein eventuell vorhandenes Privatauto abzuschaffen, so es nur um allerlei Einkäufe geht. Denn es ist ein Unterschied, ob man was macht, „weil’s geht“ oder „weil das alle machen“ – oder ob man die ausdrückliche Erlaubnis hat. Ich brauche mir nicht nur bei meinen privaten Pausen zu Hause keine Sorgen machen, sondern kann auch wie heute einfach mal das Auto zum Einkaufen nehmen und es danach wieder abstellen. Kleiner Vermerk „privat“ auf dem Schichtzettel, und schon muss ich im Büro nicht erklären, wie ich es geschafft habe, 3 Stunden lang keinen Cent Umsatz zu machen.

Der heutige Ausflug wird mich einmal mehr zum IKEA führen, ich werde nämlich erstmals seit 2005 (vielleicht war es auch Anfang 2006) wieder ein Bett besitzen. Ein bisschen verschämt muss ich zugeben, dass das letzte zusammengebrochen ist, die Peinlichkeit wird aber wenigstens zum Teil dadurch ausgeglichen, dass ich damals nicht alleine in meinem Zimmer war. Das lässt immerhin Raum für einige Legenden und da mir ja stets daran gelegen ist, mein Publikum zu unterhalten, habe ich nie große Energie darauf verschwendet, selbige zu entkräften.

In den letzten Jahren jedenfalls hab ich nur eine Matratze mein Eigen genannt (Gut, rein statistisch gehören mir hier in der Bude drei) und bin damit gut klargekommen. Die psychische Erleichterung durch verminderte Fallhöhe wusste ich ebenso zu schätzen wie die Ablagefläche für meine Füße, die gemeinhin etwa 20 Zentimeter übers Ende meiner Schlafstatt hinaushängen. Ich habe es mir in nunmehr 14 Lebensjahren bei einer Größe von über 2,00 Meter nicht angewöhnt, auf irgendwas längerem zu schlafen.

Mit IKEA-Einkäufen hat die 1925 inzwischen einige Erfahrungen – und ganz so schlimm wie bei der grenzwertigsten Beladung wird es heute sicher nicht werden …

Das war es eigentlich schon, was ich mitteilen wollte. Jetzt weiß ich nicht, ob ich Euch einen schönen Einkauf oder einen erholsamen Schlaf wünschen soll. So oder so bin ich aber sicher, ihr kriegt das hin! 🙂

Neue Werbung

Hier im Internet hat man sich an Werbung gewöhnt, oder? Also mir persönlich geht es so und deswegen nutze ich die Möglichkeiten ja auch, um mir ein paar Cent dazu zu verdienen. Und wenn jemanden dieses eine kleine Banner stört, ist es mit gängigen Adblockern sehr leicht im Nirvana verschwunden. Dann kriegt man es allenfalls mal wieder mit, wenn ich wenig subtil mit Amazon-Link durch den Blogdschungel rufe: „Kauft endlich mein eBook!“ (Was in dieser Form jetzt aber auch eine Premiere war 😉 )

Offline passiert das mit der Werbung natürlich auch, da hat es schließlich angefangen. Und da dort immer noch mehr Geld zu verteilen ist, nutzen meine Chefs das auch. Auf den Türen, auf dem Dach – wo Werbung ranpasst, ist Werbung drauf. Und auch wenn unbeklebte Autos nochmal eine Nummer ästhetischer sind, finde ich das völlig ok. Nutzen wir doch die Zeit, bis irgendwem mal auffällt, dass keine Sau nach Zypern reisen wird, nur weil außen auf ein paar Taxis Bilder von Palmen angebracht sind. Für so eine doofe Folie bekommen meine Chefs so viel Geld, dass es einige Schichten weniger von mir braucht, um die zukünftigen Firmenfeiern zu bezahlen. Und mich schränkt’s kein Bisschen ein. Also abgesehen vom ein oder anderen schönen Foto, das ich jetzt nicht mehr machen kann …

Ansonsten sitze ich ja drinnen und seh’s nicht einmal.

Und nun:

"Was ist das?" – "Rosa." – "Dann mach's kaputt!" Quelle: Sash

„Was ist das?“ – „Rosa.“ – „Dann mach’s kaputt!“ Quelle: Sash

Nun haben wir also einmal mehr Werbung im Innenraum. Da bin ich ja wesentlich empfindlicher. Wir hatten sowas schon einmal, damals hab ich’s nach einem Tag versehentlich kaputt gemacht und dann in den Kofferraum geschmissen. Weil sich dadurch der Sitz nicht mehr umklappen ließ. Und wenn der Scheiß die Usability meines* Autos einschränkt, dann ist Schluss mit lustig!

Das jetzt ist allerdings noch nicht einmal so schlimm wie der schlimmste Außenwerbungsversuch und ich weiß ja auch, dass man sich daran gewöhnt. Inzwischen kommt mir die 1925 in einer Werbepause ja fast schon nackig vor

Abgesehen von der Farbe stört dieses Ding zumindest mich vorerst nicht. Auch die Kunden haben in der Regel besseres zu tun, als sich die ganze Zeit über eine Werbeanzeige aufzuregen. Insofern bin ich mal guter Dinge. Und es ist ja nicht auszuschließen, dass es kuriose Nebeneffekte gibt – wie damals bei der Dachwerbung.

*Kleiner Funfact: Hab meine Chefs vor ein paar Tagen gefragt, ob das gehen würde, eine nicht wieder entfernbare Handyhalterung im Auto anzubringen (Bin noch auf der Suche, wollte nur mal die Grenzen ausloten).
Zitat Andreas: „Selbstverständlich. Das ist dein Arbeitsgerät, warum fragst Du uns da?“

Außerhalb der 1925

Ich bin ja nicht der einzige Fahrer da draußen. Deswegen – und weil ich seit geraumer Zeit keine erwähnenswerten Kunden hattte – möchte ich mal ein paar Links loswerden:

Daniel traf beispielsweise jemanden wieder, der ihn schon einmal kotzen gesehen hat.

Klaus stellt einmal mehr fest, dass das mit dem Umsatz am Ende irgendwie immer dasselbe ist.

Reinhold aus München hat Probleme mit der Werbung seiner Funkzentrale.

Selbst Mia aus meiner alten Heimat Stuttgart hat mal wieder Fahrgastgeschichten

Und auch sonst haben fast alle außer mir in letzter Zeit mal wieder was interessantes zu erzählen. Wer die Blogroll in meiner Seitenleiste bislang mit Verachtung gestraft hat, sollte es sich vielleicht nochmal überlegen. 😉

 

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Temperamento germano

Als ich ins Licht trat, wollte ich meinen Augen kaum glauben:

„Eine Hauptstraße? Ehrlich? Was soll der Scheiß denn jetzt?“

Die Welt hatte sich eindeutig gegen mich verschworen, denn an dieser verfickten Stelle sollte der Bahnhof zum Umsteigen sein. Ich schwitzte, mein Reisegepäck hing mir schwer auf der Schulter und die Schmerzen in meinem Bein waren kurz vor der finalen Stufe „unerträglich“.
Bis vor fünf Minuten war die Sache noch einfach dumm gewesen, jetzt wuchs mir das alles über den Kopf. Fünf Tage zuvor war ich in Berlin aufgebrochen, das Ziel war zunächst ein Kaff im Rems-Murr-Kreis, danach ging es mit 20 Kids und 5 weiteren Betreuern nach Nordspanien. Eine Freizeit. Die Anreise kostete mich irgendwas um die 30 Stunden. Anstatt nun zwei Wochen Spiel und Spaß mit den Kindern zu genießen und eine schöne Zeit zu haben, hatte ich mich bereits am ersten Nachmittag am Strand verletzt.
Nachdem die ungefähr 105-jährige Ärztin am Campingplatz vor Ort mich aufgemuntert und via Behelfsdolmetscher (der gerne so ähnliche Worte wie Jacke und Hamsterkäfig verwechselte) eine Zerrung diagnostiziert hatte, wusste ich nun, ein paar Tage später, dass das Wadenbein durch war. Sauberer Bruch, soweit kein Problem – sagte zumindest der deutsche Arzt des Nachbarortes, nachdem er mich zweimal geröngt hatte:

„Wir müssen nochmal. Da hatte ich, hihi, wohl die Dosis zu niedrig eingestellt und sie sind ja schon etwas kräftiger gebaut …“

So sauber der Bruch auch war – und so angenehm die futuristisch anmutende verstellbare Schiene sein sollte: Ich hätte vielleicht voraussehen können, dass es sich mit einem gebrochenen Bein und zwanzig Kilogramm Gepäck nicht wirklich komfortabel durch die spanische Mittagshitze laufen lassen würde.

Da die Freizeit hauptsächlich aus sportlichen Aktivitäten bestand und ich zudem schon bei den rund 200 Metern zum nächsten Klo jedes Mal Höllenqualen litt, war mir ein frühzeitiger Heimflug organisiert worden. Am Tag des Barcelona-Ausfluges von ebendort. Nachdem ich mich von der Gruppe getrennt hatte, sollte ich laut Linienplan mit einmal Umsteigen zum Flughafen kommen. Zeit hatte ich ungefähr sieben Stunden, da war die Planung großzügig.

Und ja, da stand ich nun. Mitten in der Stadt auf irgendeinem Prachtboulevard, auf den ich gelangt war, nachdem ich versucht hatte, der spanischen Beschilderung zum Gleis der Flughafenlinie zu folgen. Meter um Meter bin ich einem endlosen Tunnel ins erlösende Licht gefolgt, nur um am Ende festzustellen, dass ich mich zwar tot fühlte, aber immer noch in Barcelona war. Und zwar offensichtlich weit entfernt von meinem Gleis. Wo ich stand, deutete nichts auch nur auf die Existenz eines schienengeführten Verkehrsmittels hin.

Also beschloss ich, mich an die straßengebundenen zu halten.

Ich winkte das nächstbeste Taxi heran und wurde mit einem unwahrscheinlich lauten und enthusiastischen Wortschwall auf Spanisch empfangen. Ich wollte eigentlich schnell einwerfen, dass ich nur deutsch und englisch spreche, aber ich musste mir den Monolog erst einmal anhören, bis ich unterbrechen konnte. Mein Gegenüber war eine zierliche kleine Frau mit langen schwarzen Locken, eher groben Gesichtszügen und einem geschätzten Alter von etwa 40 Jahren. Meinen Einwand, ich wäre leider nur ein Tourist aus Deutschland und könne allenfalls auf Englisch kommunizieren, beantwortete sie mit einem weiteren Monolog, der sich nach nur ungefähr anderthalb Minuten tatsächlich als etwas entpuppte, das sie für Englisch hielt. Aber was hätte ich erwarten sollen? Ich war ehrlich gesagt verdammt froh, dass sie mich überhaupt verstand. Meine Spanischkenntnisse waren zwar nach dem Studium des Linienplans zwar um 20% umfangreicher, was aber lediglich hieß, dass ich nun außer „dos cervezas por favor“ auch „aeropuerto“ sagen konnte. Wobei ersteres bei der Frau sicher auch lustig geworden wäre.

Gemeinsam haben wir mein Gepäck in den Kofferraum ihres runtergerockten 124er-Mercedes gewuchtet, danach hab ich auf einem leicht ins gräuliche abdriftenden Fellbezug auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Meine Fahrerin hat mir extra den Sitz weitestmöglich zurückgestellt, damit ich mit möglichst ausgestrecktem Bein sitzen konnte. Im Grunde konnte ich sowohl sitzen als auch stehen – geschmerzt hat vor allem das An- und Abwinkeln im jeweiligen Moment.
Ich erklärte ihr, warum und dass ich zum Flughafen wollte, was sie mit enthusiastischen Sätzen quittierte, die ich allenfalls zur Hälfte verstehen konnte.

Aber – und das muss man wirklich sagen – sie war nett und zuvorkommend. Aber eben auch sehr gesprächig.

Dass sie das „temperamento germano“ zu schätzen wüsste und deutsche Autofahrer bewunderte, war allenfalls halbironisch gemeint. Denn beim Fahrstil orientierte sie sich alsbald an deutschen Autobahndränglern der schlimmsten Sorte. Dass ich mehrere Stunden Zeit hatte, wusste sie – zumindest hatte sie vorgegeben, mich zu verstehen. An der Sache geändert hat das nichts. Hoffe ich zumindest. Denn sollte das, was mir in den folgenden 25 Minuten passiert ist, die harmlosere Variante sein, dann Hut ab vor allen, die den Normalbetrieb überlebt haben!
Dank des dichten Verkehrs war es kaum möglich, schneller als 100 km/h zu fahren, das jedoch tat sie konsequent. Ich hab, damals selbst auf dem Weg zum Taxifahrer, plötzlich einige erweiterte Kenntnisse über die Fahrphysik von Autos kennengelernt. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass sich Spurwechsel auch tätigen lassen, wenn die auf der zu erreichenden Spur vorhandenen Lücken zweifellos kleiner sind als das Auto, das man in sie hineinquetscht. Und bezüglich Multitaskingfähigkeit lag die Dame auch weit vorn, immerhin beherrschte sie es, gleichzeitig zu hupen, zu drängeln, währenddessen zu bremsen und mir eine Zigarette anzubieten.

Ich bin kein schreckhafter Beifahrer, aber während der vielleicht knapp zwanzigminütigen Fahrt hab ich das Bodenblech auf der Suche nach einer Bremse soweit durchgetreten, wie es nur ging. Was die gute Frau nicht davon abbrachte, mir nebenbei und den Blick von der Straße nehmend zu berichten, wie sehr sie an den Deutschen schätzen würde, dass die so zivilisiert fahren würden. Nee, is‘ klar!

Abgesehen von der ein oder anderen Nahtoderfahrung hab ich die Fahrt aber in guter Erinnerung. Die Fahrerin half mir, wo es nur ging, war nett und bemüht und die 19 €, die das alles kostete, schienen zumindest mal nicht allzu überteuert zu sein. Ob ich damit richtig liege, weiß ich ehrlich gesagt bis heute nicht, da ich ja nicht einmal weiß, wo ich sie rangewunken habe.

Auf den Flug musste ich wie eingangs erwähnt ewig warten, erschwert durch die Tatsache, dass ich – das wird sicher eigene Blödheit gewesen sein, das ist mir klar! – in all den Stunden keine Uhr gefunden habe. Dass ich meinen Sitzplatz wegen meines geschienten Beines wechseln musste, mutete irgendwie absurd an, im Gedächtnis behalten habe ich aber eher den phänomenalen Start von Barcelona aus: Der Blick auf Meer und Küste, wenn das Flugzeug die erste Schleife fliegt, ist unbezahlbar.

In Berlin landete ich kaum anderthalb Stunden später in Tegel. Von dort aus hab ich kein Taxi genommen, sondern den Bus. Wahrscheinlich, weil es mir sicherer vorkam. Ein gebrochenes Bein war schlimm, sterben wollte ich dennoch lieber erst später …


PS: Ich hab die Tage viel um die Ohren und arbeite ausnahmsweise trotz Wochenende nicht. Nicht ohne Grund hab ich jetzt eine Geschichte von 2008 geschrieben. Wird die Tage also etwas ruhiger. Aber keine Panik: Ich komme wieder! 🙂