Was man alles wissen muss …

Als er auf mich zugewackelt ist, wirkte er irgendwie ganz lustig. Ein sehr seltsamer Körperbau. Insgesamt sehr schlank, fast schon schlaksig. Sein Bauch jedoch glich eher einer Kugel. Mit der abstehenden Einsteinfrisur wirkte er ein wenig wie ein Trinkvogel. Seine Kleidung ließ auf kultivierte Mittelschicht schließen, in meinen Gedanken war er umgehend Lehrer, Oberstudienrat oder dergleichen. Er hatte ein Grinsen auf dem Gesicht, zeigte sich sehr nett und zuvorkommend und nannte eine sehr wichtige Ausfallstraße im Südosten Berlins als Ziel.

Na, holla die Waldfee!

Es war nicht die erste Tour über 20 Euro an dem Abend, aber man ist ja dann doch immer irgendwie froh. Ich platzierte an dieser Stelle einen meiner absoluten Standardsprüche:

„Na das kriegen wir hin.“

„Das will ich auch hoffen!“

kam es eher konsterniert aus dem Fond der heute ziemlich klapprigen 1925. Diesen Gesprächsverlauf hatte ich nun geschätzte 200 mal im Taxi, so wird kein Gespräch abgewürgt …

„Ich weiß, alles andere wäre ja auch ein bisschen traurig …“

Werft mir das ruhig vor, aber manipulative Gesprächsführung lernt man im Taxi ziemlich schnell. In dem Fall nehme ich ihm gleichermaßen die Sorgen, bin witzig und biete überdies die Option, das Gespräch auf gute oder schlechte Erfahrungen im Taxi zu lenken. Etwas, das zu guter Letzt wenigstens GNIT immer wieder zu Gute kommt.

„Ach, wenn sie wüssten …“

OK, also schlechte Erfahrungen.

„Was ich hier in Berlin schon erlebt habe …“

Ich kann’s mir denken, jetzt komm auf den Punkt!

„…gerade mit den, ich sag jetzt mal, anatolischen Chauffeuren.“

Ui. So PC, dass er nicht einmal „Türken“ sagen will. „Ich hab ja nix gegen Ausländer, aber …“ versucht jetzt also nochmal höhere Bildungsschichten zu erreichen …

Ich hab’s mir leider immer noch nicht angewöhnen können, da so hart zu sein, wie ich eigentlich sein will. Und nein, nicht, weil ich mich um die paar Euro Umsatz schere. Es wäre mir eine Freude, solche Fahrgäste an einen türkischen oder meinetwegen bulgarischen Fahrer weiterzureichen. Nein, ich hoffe immer wieder auf ein bisschen Einsicht beim ein oder anderen. Und ich kann schließlich von ein paar vorbildlichen Kollegen berichten, deren einziges Manko offenbar ist, dass ihre Hautfarbe nicht ganz dem Geschmack von Leuten trifft, die gerne Betttücher auf dem Kopf tragen und nebenbei Kreuze verbrennen. Man sollte meinen, solch eine Randgruppenmeinung würde irgendwann mal verschwinden.

Mein Fahrgast wollte sich denn auch nicht lange an der Herkunft der Taxifahrer aufhalten und warf schnell ein, dass es bedauerlich sei, wie manche einfach nur noch mit Navi zum Ziel finden. Hmm … vielleicht war er doch Journalist.

Witzig anzumerken ist an dieser Stelle, dass ich (Ich kann zumindest für die letzten drei Generationen meine deutsche Abstammung problemlos nachweisen!) nur deswegen auf das Navi verzichtet habe, weil ich durch die von ihm benannte Straße drei Stunden zuvor das erste Mal seit vielleicht sechs Monaten mal wieder durchgefahren bin.

Er jedenfalls war froh, dass ich mich auskannte. Gott sei Dank! Im Handumdrehen zählte er einen Haufen Straßennamen auf, die zu vergessen in seinen Augen offenbar unverzeihlich war. Ich hab, ganz ehrlich, nicht eine einzige davon im Kopf gehabt. Und da genau liegt das Problem: So ziemlich jeder von uns Fahrern hat Gebiete, in denen er sich besser auskennt als Einheimische. Wo man das Hostel im Hinterhof, den Döner in der Unterführung und den Zahnarzt im zehnten Stock kennt. Weil man da oft ist, weil man zumindest einmal da war. Weil man dort eine besonders beeindruckende Fahrt hin hatte, oder weil zufällig die eigene Mutter dort ums Eck wohnt. Und manches weiß man auch, weil man es mal gelernt hat, auf die Ortskundeprüfung. Aber das ist wohl der kleinste Teil.

Wir müssen unseren Job machen, und wir müssen ihn gut machen. Davon bin ich überzeugt. Immer noch und ohne Einschränkungen. Aber unser Job ist es, Menschen in einer Stadt mit 891 Quadratkilometern Grundfläche, zigtausenden Straßen und hunderttausenden „Objekten“ von A nach B zu bringen. Daran sollten wir im besten Falle nicht ein einziges Mal scheitern. Aber ob wir alles im Kopf haben, von einer Navi-Karte, aus dem Internet, über den Funk von Kollegen zugeflüstert oder (für die ganz mutigen) geraten – das ist am Ende unser Ding.

Das soll nicht so angepisst klingen, wie es vielleicht gerade rüberkommt. Aber macht ihr Euch Gedanken darüber, ob ich – oder die Journalisten eurer Tageszeitung – eine Rechtschreibkontrolle oder vielleicht sogar eine Stimmerkennungssoftware einsetzen, um einen Artikel zu schreiben?

Ich würd mich ja gerne fortbilden, aber ich schreibe nebenher. Und die Kollegen, die nicht schreiben, arbeiten diese Zeit komplett durch. Ich finde es wirklich ehrens- und bewundernswert, wenn Taxifahrer über jede Ecke noch eine Geschichte parat haben. Aber das kostet nunmal enorm viel Zeit.  Soviel unbezahlte Zusatzarbeit ist als Standard vielleicht ein wenig viel verlangt …

Meinen Kunden hab ich mit der Diskussion verschont. Man muss nun wirklich nicht zu jedem Ansatz jedes Argument hervorkramen. Finanziell war die Fahrt am Ende tadellos: Guter Umsatz, gutes Trinkgeld, ich hätte auch einen Lobartikel schreiben können. Auf meiner eigenen Skala landete er allenfalls im unteren Mittelfeld. Er war für mich vielleicht eher sowas wie ein anatolischer Fahrgast mit Navi …

17 Kommentare bis “Was man alles wissen muss …”

  1. elder taxidriver sagt:

    Einem Taxifahrer auch noch vorzuwerfen, dass er ein NAVI benutzt ist erstens eine Einmischung in innere Taxifahrer -Angelegenheiten und zweitens so, als wollte man beispielsweise einem Hautarzt vorwerfen, dass er eine Lupe benutzt um sich einen Hautfleck anzusehen. Als ob die Hautärzte die schon ohne Lupe erkennen um was es sich handelt, besser wären als die die , welche sich um äußerste Genauigkeit bemühen . Wir sind ja nicht im Zirkus, wo der Artist ohne Netz beklatscht wird.. Das NAVI wäre in diesem Fall sozusagen das Netz.

    Bei mir haben die Fahrgäste das nicht so mitbekommen, weil es links am Fenster war, aber ich habe das fast immer ganz flink eingegeben auch bei Kurzstrecken oder vermeintlichen, um auf alles gefasst zu sein und auch aus Graf Zahl-aus der Sesamstraße-Interesse.

  2. elder taxidriver sagt:

    Ich werde wohl kein Buch schreiben, zumindest nicht über Taxiangelegenheiten, aber den Titel hätte ich schon:

    ‚DER BUS FÄHRT IMMER GANZ ANDERS‘

  3. Will Sagen sagt:

    Das mit dem Navi finde ich nicht schlimm. Wie der Taxifahrer den Weg findet, ist mir wurscht.
    Was mir persönlich aber unangenehm ist, wenn „mein“ Taxifahrer mitunter aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht auf Anhieb versteht, welche Straße ich meine, wobei ich öfter eine Straße als Ziel angebe, die praktisch keiner beim ersten Hören ohne ein „WieEEE?“ kommentiert.
    Es ist kein großes Drama, ich fühle mich aber unbehaglich dabei, wenn ich einen Straßennamen mehrmals wiederholen muss, zum Schluss in so eigenartiger Ausdrucksweise, wie man es aus dummen Fernsehspots kennt. Und die Kenntnis der Sprache ist dann ja doch oft mit der Herkunft verbunden. Wobei viele Taxikunden bestimmt dankbar sind, in Berlin mit größerer Wahrscheinlichkeit als woanders einen Taxifahrer zu ergattern, der ihre eigene Sprache spricht.
    Das hat jetzt nichts mehr mit Navis zu tun. Da sehe ich nämlich gar keinen Zusammenhang zwischen Herkunft und Ortskenntnis.

  4. ein Matthias sagt:

    Also bei meiner (online) gelesenen Tageszeitung mache ich mir eigentlich jeden Tag Gedanken über deren Rechtschreibkontrolle.

    Und bin mir deshalb ziemlich sicher, dass sie keine solche Software nutzen.
    Weil die Schreiber eben jeden Tag kleine Deutschtests in ihre Artikel einbauen, die sich nur mit der Abwesenheit einer solchen Kontrolle erklären lassen.

  5. Joern sagt:

    Hier mal die Sicht eines Taxi-Kunden:

    Ortskenntnis gehört aus meiner Sicht zu seinem Job dazu. Ein Taxi-Fahrer, der die Straße nicht kennt und ein Navi braucht, strahlt als ersten Eindruck aus, dass er keine Ortskenntnis hat. Also wird er auch nicht die aus Sicht eines Ortskundigen schnellste Strecke fahren, sondern die, die das Navi vorschlägt (und jeder von uns kennt irgendwelche Beispiele, bei denen eine Navi-Route zumindest abhängig von der Verkehrslage nicht die beste ist). Und Baustellen oder ähnliche Verzögerungen unterwegs auch nicht kennen. (Oder selbst wenn er eine bessere Route und sämtliche Hindernisse kennen würde … wenn der Fahrer einfach nur nach den Ansagen fährt, ohne sich das Ziel auf einer Karte anzeigen zu lassen, ist es für ihn ja selbst überraschend, wo’s hingeht).

    Natürlich weiß ich, dass das Blödsinn ist, denn
    – gerade in Berlin kann man natürlich nicht jede Straße kennen
    – Navi-Routen sind nur ganz selten so viel schlechter als die Route, die ein Ortskundiger fahren würde
    – Gerade bei längeren Strecken und in fremden Städten minimiert das sogar die Gefahr, dass der Fahrer – absichtlich, versehentlich, oder weil er wirklich dachte, es wäre besser – einen unnötigen Umweg fährt.

    Aber der erste Eindruck ist der ersten Eindruck, und der ist (vermutlich nicht nur bei mir) mit Vernunft oftmals nicht zu erklären.

    Übrigens, gleiche Psychologie andersrum: Ich bin in einer 10-Millionen-Stadt (Land spielt keine Rolle) bei nicht mal 10 Fahrten, die wir als reine Touri-Gruppe (ohne Einheimischen dabei) gemacht haben, zweimal versucht worden zu bescheißen (Fahrpreis sollte 4x so teuer sein wie für diese Strecke üblich). Entsprechend sind mir die Taxifahrer dieser Stadt erstmal suspekt. Hier würde ein mitlaufendes Navi genau umgekehrt mehr Vertrauen schaffen…

  6. nania sagt:

    Ich bekomme, wenn ich solchen Leuten begegne – ob direkt oder als „Gesprächszuhörer“ – immer eine richtige Krawatte. Warum? Weil solchen Leuten nur dann auffällt, dass ihr Fahrer ein Navi benutzt oder sie schlecht versteht, wenn er gleichzeitig „Ausländer“ ist. Ob er vielleicht schon 30 Jahre hier lebt oder gar in zweiter oder dritter Generation interessiert da gar nicht. Wenn ein „deutscher“ Fahrer die gleichen „Probleme“ hat – etwa, weil der Fahrgast undeutlich spricht; manchmal merkt man das selbst nicht – dann fällt das nicht auf. Gleiches gilt für Ortskunde.
    Wenn ich in die Blumengasse 5 möchte, da, wo der Döner ist, und es tausende von verschiedenen Straßen in der Stadt gibt, und diese nicht gerade zu den großen und wichtigen Einfall- oder Ausfallstraßen gehört, dann habe ich damit kein Problem, wenn man mit den Namen auch mal nichts anzufangen weiß.
    Genau DAFÜR sind Navis doch da…

  7. Dicker Mann sagt:

    WAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAS ????
    Du kennst nicht jede einzelne Straße in Berlin (und im Umkreis von 200Km)? Das ist ja ein Skandal!
    So kommst Du mir nicht davon. Also Morgen früh um 18 Uhr Antritt zu Prüfung erster Teil. Alle Straßen Berlins von A bis sagen wir einmal K. Natürlich mit allen Adressen der Menschen, die dort Leben (damit Du reagieren kannst wenn Du die Ansage bekommst: „Fahren Sie mich einfach nach Hause!“).
    Das ist ja wohl das Mindeste.
    Und was die Räschdßchreypgonndrohlleh angeht: Deitsche Sprach sein schere Sprach, aber komm bei mich; Ich lern Dich deutsch, hab nähhmlich ganz viel gut Buch. (Also meine Rechtschreibkontrolle hat mich gerade um ‚ne Aspirin gebeten).

  8. Wahlberliner sagt:

    Wie das wohl „früher“ war, als es noch keine Navis gab? Ob sich die Fahrgäste genauso aufgeregt haben, wenn der Fahrer kurz im Stadtplan geblättert hat, um sich die genaue Lage der Straße in Erinnerung zu rufen?

  9. Zugfahrer sagt:

    Lieber mit Navi zur richtigen Straße als ohne zur falschen. Immerhin könnte bei der Adresseingabe ja auffallen das es die Straße mehr als nur 1x in Berlin gibt.

  10. Roichi sagt:

    „Navi macht doof.“ Gelesen auf der Hecktür eines Taxis in Berlin 😉

  11. leserin sagt:

    ich muss ehrlich sagen dass ich das nie verstanden habe wo das problem mit der benutzung eines navis ist. solange man an den ort gebracht wird an den man wollte, und navis können auch den kürzesten oder anderswie „besten“ weg anzeigen, sehe ich das problem nicht. auch wenn mir bewusst ist dass viele das anders sehen. mir ist wohl anderes wichtiger, ich habe definitiv als fahrgast auch bei kurzen strecken kein problem damit wenn mein zielort kurz ins gerät getippt wird und sich danach gerichtet wird.

  12. Aro sagt:

    Vielleicht stimmt das ja mit den anatolischen Taxifahrer wirklich…?
    Ich werde darauf achten, wenn ich mal in die Türkei komme.

  13. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Ein famoser Buchtitel. 🙂
    Darüber, das Navi links zu positionieren hab ich oft nachgedacht. Wenn ich mal kein eingebautes mehr habe, dann werde ich das auch machen …

    @Will Sagen:
    Das mit der Kommunikation ist klar. Man sollte sich verständigen können – und das im besten Falle reibungslos. Ich finde auch, dass das zu einem optimalen Verlauf führt. Wahrscheinlich muss man aber tatsächlich Ausnahmen hier und da in Kauf nehmen. Sprachen lernen sich schwer, Aussprachen noch viel schwerer – ist ja nicht so, dass ich nicht auch oft genug meine liebe Mühe mit der Sprache der Kunden hätte.

    @ein Matthias:
    Das könnte natürlich sein. 🙂

    @Joern:
    Das mit dem ersten Eindruck ist natürlich richtig. Und da kann man sich auch schwer gegen wehren. Als ob ich mir nicht auch meinen Teil denken würde, wenn der Fahrer meine Adresse ins Navi eingibt. Aber besser das, als eine kurze Verwechslung von Marzahner Chaussee und Marzahner Promenade. 🙂

    @Dicker Mann:
    Ich verwende keine Rechtschreibkontrolle. Mit durchwachsenen Ergebnissen, zugegeben.

    @Wahlberliner:
    Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung.

    @Zugfahrer:
    Das ist im Übrigen einer der häufigsten Gründe für mich, die Straße einzugeben.

    @Roichi:
    Da ist in der Tat was dran. Natürlich merkt man sich Sachen schlechter. Als Taxifahrer finde ich es allerdings ziemlich dämlich, sich da plump diese Meinung zueigen zu machen. Jeder muss nämlich irgendwann mal was nachsehen oder nachfragen. Also ist das wahrscheinlich die Sorte Fahrer, die man im Funk hört, oder die am Ostbahnhof mit Kundschaft an die Halte fahren und mich fragen, ob ich wüsste, wo das Berghain ist …

    @leserin:
    Nur noch getoppt durch das Staunen der Kundschaft, wenn man mal nicht so fährt, wie das Navi vorschlägt – und sich die angezeigte Reststrecke plötzlich enorm verkürzt nach der Neuberechnung. 🙂

    @Aro:
    Ich bin gespannt … 😉

  14. leserin sagt:

    na gut, aber dann wird das ausmaß des trinkgeldes eben auch noch getoppt, es geht ja immer noch besser :)!

  15. elder taxidriver sagt:

    Übrigens, wenn man mal nicht genau so fährt wie der Fahrgast es sich gedacht hatte, kann man es unmittelbar merken,
    auch wenn der nichts sagt:
    Wenn man bei Passieren der betreffenden Straßenkreuzung in den Rückspiegel kuckt, wird man
    bemerken, dass der Fahrgast seinen Kopf in die vom Fahrer verschmähte Richtung dreht, vermutlich sehnsüchtig.

  16. Raoul sagt:

    Setzt du eigentlich tatsächlich eine Stimmerkennungssoftware zum Schreiben ein?

  17. Sash sagt:

    @leserin:
    Wohl wahr. 🙂

    @elder taxidriver:
    Ja, das stimmt. Auf dem Beifahrersitz kann man das noch schöner beobachten. 🙂

    @Raoul:
    Nein. Keine Stimmerkennung und keine Rechtschreibkontrolle. Alles Handarbeit. 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: