Ottos Ecke

Die Schicht lief nicht schlecht, der Winker hat mich also nicht wirklich überrascht. Vor der O2-World etwa stand er und wollte zur Warschauer Straße. Das immerhin hatten wir gleich geklärt, obwohl er kein Deutsch und auch kein nennenswertes Englisch gesprochen hat.

„And where exactly in the Warschauer Straße you want to go?“

„Ottose Ecke.“

„Ottos Ecke?“

„Ottose Ecke.“

Ich hab mit meinem Fahrgast noch geklärt gekriegt, was er meinte. Hat irgendwer sonst eine Ahnung? Ich löse im Laufe des Abends (irgendwann nach dem Aufstehen) auf. 🙂

Vorsicht: Einmal ums Eck denken ist notwendig!

Der Taxifahrer, das unbekannte Wesen

„Warum eigentlich fahren Taxifahrer immer wie die letzten Henker?“

Ich hatte diesen Artikel etwas aufgeschoben, aber da das Thema jetzt durch einen *hüstel* an Sachlichkeit erstickenden Kommentar sowieso wieder Thema ist, bringe ich ihn jetzt.

Zunächst einmal muss ich sagen, dass es für all meine Vermutungen keinen Nachweis gibt. Sorry, ich wünschte mir, es wäre so. Ich versuche nun nur, ein paar halbwegs schlüssige Überlegungen anzustellen.

Fahren Taxifahrer anders als andere Autofahrer?

Selbstverständlich. Inwieweit sich das auswirkt, ist dann eine Detailfrage, aber natürlich fahren wir anders. Wir sind Berufskraftfahrer und unsere berufliche Existenz hängt von unserem Führerschein (also auch dessen kurzfristigen Verlustes) ab. Andererseits fahren wir nicht für uns selbst, sondern auf Wunsch uns fremder Menschen. Außerdem haben wir mehr Fahrpraxis als der Durchschnitt, kennen uns in unseren Gebieten meist gut aus und haben ein paar sehr wenige Sonderrechte. Mit anderen Worten: Es ist nicht verwunderlich, dass wir anderen Verkehrsteilnehmern auffallen.

Zudem darf man nicht vergessen, dass schon unsere meist deutliche Kennzeichnung uns in den Fokus rücken lässt. Wir kennen das alle: Schneidet uns ein Audi-Fahrer, dann vermuten wir das Problem bei der Automarke, schleicht ein älterer Fahrer vor uns her, dann liegt es wohl am Alter. Und von den Vorurteilen Frauen gegenüber will ich besser erst gar nicht ausführlich berichten. Und ganz egal, wie viele Gegenbeispiele wir kennen: Wir suchen nach Mustern, so ist unser Gehirn halt. Sprich: Wenn ein Taxifahrer wie ein Idiot fährt, sortieren wir gedanklich Taxifahrer unter Idioten ein. Hab ich selbst schon gemacht, so ironisch das auch sein mag.

Aber die Taxifahrer heizen doch alle wie Sau!

Glaubt es oder nicht: Das ist alles andere als klar. Natürlich versuchen wir, unsere Geschäfte schnell abzuschließen, wir kennen die Gegend, wir erfahren sogar oft via Funk von Kollegen, wo geblitzt wird. Natürlich verleitet das hier und da mal. Andererseits büßen wir den P-Schein schneller ein als andere ihren Führerschein und wir sind zudem weit mehr unterwegs als der Durchschnittsfahrer. Statistisch gesehen ist es reichlich unglaubwürdig, dass Taxifahrer auf lange Sicht schlechter abschneiden können im Vergleich zu Hans Mustermann.

Wo sind die tatsächlichen Unterschiede?

Wenn ich was aus meinem Alltag (jenseits der gelegentlichen 10 – 15 km/h Geschwindigkeitsübertretung) weiß, dann folgende Dinge:

Taxifahrer sind oft abgelenkt.
Die Kunden quasseln auf einen ein; man versucht nebenbei den Weg zu finden und an die neue Baustelle hat man im Gegensatz zum Berufspendler oder Anlieger auch mal wieder nicht gedacht.

Taxifahrer halten oft unerwartet.
Teil unseres Jobs ist es; Menschen, die uns ranwinken; mitzunehmen. Das erfordert manchmal recht unvorhersehbare Stopps.

Taxifahrer fahren manchmal langsamer als erlaubt.
In manchen Straßen, manchen Vierteln, rechnen wir mit Winkern. Da kann eine langsame Fahrt der Verkehrssicherheit zuträglich sein.

Taxifahrer fahren links langsamer.
Die gewerbeinterne Regel, keine freien Kollegen zu überholen, führt manchmal zu seltsamen Verhaltensweisen.

Taxifahrer blinken oft rechts und biegen dann links ab.
Wir müssen den Kunden Folge leisten und manchmal sind die gar nicht so zurechnungsfähig, wie man hofft.

Taxifahrer halten oft an ziemlich unangebrachten Stellen.
Ja, das ist wahr, aber wer selbst schon einmal bei laufender Uhr in einem Taxi saß, wird vielleicht verstehen, warum wir nicht dreimal um den Block fahren, um einen Parkplatz zu finden.

Das ist keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen!

Natürlich entbindet uns Taxifahrer das oben gesagte nicht davon, auf der Straße achtsam zu sein und niemanden zu behindern oder gar zu gefährden. Natürlich gehört auch diese Professionalität zu unserem Job. Aber im Alltag kann das ein schwieriger Interessenausgleich sein, der mitnichten immer nur von den Fahrern aus Bequemlichkeitsgründen entschieden wird. In welcher Entfernung zu wem darf ein Taxifahrer bremsen, wenn er Kundschaft sieht? Was machen, wenn die Kunden rechts sagen und drei Sekunden später nach links zeigen? Natürlich ist eine rücksichtslose Gefährdung anderer keine Option, aber ebenso natürlich machen wir Taxifahrer auch hierbei – gerade in den größten Stresssituationen – mal Fehler. Das aber, weil wir Menschen sind, nicht Taxi- (oder Audi- oder Freizeit-)Fahrer.

Wat willste eigentlich sagen?

Ich möchte gar nichts besonderes sagen. Wenn ich mal Mist baue, bin ich bereit, dafür einzustehen. Ob das dann Absicht, Fehler oder was auch immer gewesen sein wird. Aber dann bitte, ohne dass alle da draußen Kollegen mitmeinen, die in einem anderen Auto für einen anderen Chef in oftmals einer anderen Gegend unterwegs sind! Ich bin nicht nur Taxifahrer. Ich bin auch Autofahrer, Verheirateter, Fußgänger, Blogger, Mensch, etc. … ebenso wie Audifahrer Familienväter sein können oder Blondinen Diplomphysikerinnen. Die Einsortierungen in Schubladen liegt nahe, ich weiß das, ich handhabe das leider oft selber so. Das macht es leider nicht richtiger.

Die „guten“ Touren immer zuletzt

So hatte ich mir das heute morgen jedenfalls gedacht. Die Schicht war neun, abzüglich der Zeitumstellung acht Stunden alt. Nicht komplett vorbei, aber auf gutem Wege. Und die Tour war super, wenn auch noch einiges an Weg zum Abstellplatz zurückzulegen war. Noch ein oder zwei Winker hätten ja gut gepasst.

Stattdessen stieg mir nach dieser netten Plauderrunde mit fantastischem Trinkgeld sogar umgehend eine weitere Gruppe zu. An der Kulturbrauerei, direkt nach dem Absetzen des wohl besten Fahrgastes. Ich wollte schon weiterfahren, weil ein paar Kollegen dort an der Halte standen – dann aber sah ich, dass es eine Großraumtour werden würde, die keiner der Kollegen machen konnte: Der besoffenen Honks waren es fünfe. Ich möchte die Ausdrucksweise über meine zahlende Kundschaft nicht einreißen lassen, aber es waren Honks. Alles Männer zwischen 40 und 50, voll bis Oberkante Unterlippe und rumnervend wie es mir mit 17 nicht eingefallen wäre.

Aber gut, Zusatzsitz raus, gute Miene zum bösen Spiel, die rocken wir jetzt auch noch weg!

„Wo soll’s hingehen?“

„Dallgow-Döberitz.“

Fuck!

30 Kilometer, 50 Minuten. Und ich hätte sie ablehnen dürfen. Aber klar, das Geld … und sie saßen nun ja schon drin …

Aber was war das für eine Tortur. Bitten, die Uhr auszumachen – wegen 100 Meter baustellenbedingtem Umweg. Lautes Rumbrüllen, langweilige Stories … aber das steckt man als Nachtfahrer ja noch locker weg. Die waren eh so druff, die hätten nach 10 Minuten alle pennen müssen. Aber nein: Stattdessen haben sie in abwechselnder Besetzung jeden Kumpel gepiesackt, der eingeschlafen ist. Laut, mit Ohrfeigen und dummen Sprüchen. Der hinter mir trat mir gelegentlich ins Kreuz, der in der letzten Sitzreihe beschwerte sich andauernd. Dauernd Nachfragen, wann wir endlich da wären, unterbrochen durchs Brüllen derer, die wachgeohrfeigt wurden … alter Schwede. Und dafür hab ich meinen Feierabend um eine ganze Stunde verschoben.

Ich bin wirklich NICHT zu alt für den Scheiß. Ich mag die chaotischen Truppen auf eine gewisse Art ja auch ganz gerne. Aber die Kombination aus unlustig, laut, lang und nervig im Zusammenspiel mit meiner Müdigkeit, der falschen Richtung … das fällt so eben auch selten zusammen.

Aber man sollte ja auch die positiven Seiten nicht vergessen: Ich hätte sonst nicht mehr so viel Umsatz gemacht – und außerdem fühlt sich der Feierabend nach so einer Fahrt auch WIRKLICH gut an. 🙂

Das Schicksal belohnt halt doch die Unehrlichen

Ich bin ja eigentlich eine ehrliche Haut. Aber es gibt so Tage, die auch mich brechen. Ich halte die Tarifbindung im Taxigewerbe für sinnvoll und halte mich zu 99,9% daran. Und Ausnahmen mache ich meist nur, wenn ich selbst Mist gebaut habe. Und dann sind da die zwei Fahrten jährlich, bei denen ich gegen dieses Gesetz verstoße.

In diesem Fall war es eine nicht sonderlich gut gelaufene Schicht, bei der ich mich eigentlich schon auf dem Heimweg befunden habe. Keinen Bock mehr, nach anderthalb Stunden Wartezeit eine 5€-Tour, alles nicht so dolle. Dann aber ein Winker, der abgezählte acht Euro bereithielt und fragte, ob ich ihn zu einem Bahnhof bringen könnte.

Ich will’s nicht schönreden, ich hätte es nicht annehmen dürfen. Der Preis wäre eher so um die 10 bis 11 € gewesen. Aber zur Erklärung:

  1. Es war ein beschissenes Wetter.
  2. Er hatte offenbar wirklich nur noch 8 €.
  3. Er war Opfer einer undurchsichtigen Haltestellenverlegung geworden.
  4. Ich brauchte dringend Umsatz.
  5. Es lag in meiner Richtung.

Ich bin halt auch nicht perfekt und ich helfe gerne anderen Menschen. Also hab ich die Uhr nach 8 € ausgemacht. Und, was ist passiert? Ich hab danach ziemlich schnell noch einen Winker bekommen, auch fast auf dem Weg, mit gutem Umsatz und auch mit Trinkgeld. Hätte eigentlich so nicht sein sollen, freut mich aber trotzdem. 😀

Wie sich Geschäftspartner im Taxi begrüßen

Es ist ja schon kompliziert genug mit dem Duzen und dem Siezen im Taxi. Neulich wurde mir irgendwo in den Weiten der Internetkommentarspalten unter einem Zeitungsinterview bereits attestiert, unfreundlich zu sein, weil ich in einer Anekdote Kotzer geduzt habe. Zu dem Thema kann ich eigentlich nur einen alten Text verlinken.

Die Geschäftsanbahnung verläuft tatsächlich mal mehr mal weniger förmlich. Tolles Beispiel von neulich:

„Alter, Alter, Alter! Bring mir mal schnell inne XY-Straße, ich muss pissen wie’n Ochse!“

„Guten Abend erstmal.“

„Wat, Alter?“

Und um’s mal klarzustellen: Ich hab ernsthaft grinsen müssen. Ich finde Höflichkeit nichts komplett überflüssiges, aber vorteilhaft ist sie eben auch nur, wenn sie ehrlich ist. Ich fahre als Taxifahrer grundsätzlich unterschiedlichste Leute. Da sind welche dabei, die die Nase rümpfen, wenn ich auch nur eine Nachfrage habe – und andere, die mich sofort als Kumpel haben wollen und ihre Lebensgeschichte erklären; oder eben, dass sie dringend pinkeln müssen. Nichts davon rechtfertigt Beleidigungen oder so, das ist auch klar. Aber ganz ehrlich: Eine der größten Challenges in dem Job ist es, mit besoffenen Proleten direkt nach dem letzten Opernbesucher klarzukommen – und nicht, dass man nur einem davon eine angemessene Heimfahrt bietet und dem anderen Grund für eine Beschwerde gibt. Und man kann sich damit auf wirkliche Ernstfälle in allen Lebenslagen vorbereiten. Oder wann hattet Ihr das letzte Mal die Chance, einem komplett Fremden zu sagen, dass er sich auf Ärger einstellen kann, wenn er in euer Auto pisst? 😉

Eingewandertenboni

Über die Fahrt lässt sich wenig sagen. Meine Kundin stieg am Ostbahnhof ein, und hatte eine dieser leicht unterdurchschnittlichen Touren im Angebot, die viele Fahrer sagen lassen, dass der Ostbahnhof eine doofe Halte ist. Einmal zum Görlitzer Bahnhof, siebenirgendwas, bitte, danke, tschüss.

Ich hab sie wie die meisten gefragt, ob sie eine lange Reise hatte, was sie damit beantwortete, dass sie aus Stuttgart kommen würde. Ich höre da ja erstmal immer geduldig zu und oute mich nicht vorschnell, aber in dem Fall isses dann irgendwann passiert. Und das Ergebnis:

„Na, mached se amol Zehn. Mir Schwoaba missed doch z’sammahalda!“

Ich sollte mir mehr Identitäten und Dialekte zulegen. Es scheint sich zu lohnen … 😉

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Wenn Fahrgäste philosophische Erkenntnisse haben

oder das, was sie dafür halten.

„Nee, jetzt mal ohne Scheiß: Is’n netter Abend gewesen. Aber ich hab zu viel gesoffen … ich wunder mich ja schon, was ich in meinem Alter noch wegstecken kann.“

„Na dann isses doch gut jetzt. Jeder Tag braucht mal ein Ende.“

„Du sagst es! Und war ja auch nicht leicht. Sorry, ich bin heute ein bisschen philosophisch drauf und ich muss schon sagen: Ich war ganz schön stressig heute!“

„Andere hätten’s auf andere Leute geschoben …“

„Ja, aber nee, so bin ich nicht. Ich bin mehr so philosophisch drauf. Ich hab Gott und die Welt zugelabert und war richtig anstrengend, das kannste mir glauben!“

[…]

„Was kriegste jetzt von mir?“

„9,80 €.“

„Na, dann mach mal zwölfe! Hast ja jetzt auch mich mit meiner philosophischen Art ertragen müssen. Aber jetzt haste wieder freie Fahrt! Ich quatsch‘ jetzt erstmal meine Frau und meine Kinder zu!“

Da musste ich um 3.30 Uhr nachts dann doch ein wenig schmunzelnd viel Spaß wünschen. Auf, äh, philosophische Art und Weise … 😉