Die Ruhe weg …

Der ein oder andere hat sich vielleicht nach dem gestrigen Eintrag gefragt, ob es künftig überhaupt noch Kotzgeschichten auf GNIT gibt, wenn ich der Ablehnung von Betrunkenen zustimme.

Na klar! 😀

„Mann Mann, Du hast ja echt die Ruhe weg!“

„Hey, mein Job ist es, die Leute heimzubringen. Und so lange ich und das Auto das überleben, versuche ich, meinen Job gut zu machen!“

Der junge Mann, der sich noch mehrmals bei mir entschuldigen sollte, musste in diesem Moment wieder zu seinem Kumpel eilen, da der gerade erneut auf den Gehweg kotzte. Kurz darauf kam Jenny über die Straße gewetzt, eine frische Tüte hochhaltend. Dabei verlor sie fast ihre Hose, was sie mir schnell mit einem kaputten Reißverschluss erklärte.

Was war geschehen?

Matze und Jenny, offenbar ein Pärchen („Wir ficken nicht, bei uns heißt das anders!“), haben im Club den armen Stefan gefunden, der sich nun die Seele aus dem Leib kotzte. Sie kannten ihn gut, er war allerdings unabhängig von ihnen dort. Er war mit ein paar Kumpels einen heben und wurde von eben jenen auch einfach liegengelassen, als er sich das berühmte Glas zu viel eingeschenkt hatte. Er lag im Eck, war nicht mehr wirklich feiertauglich, also was soll’s? The Show must go on, nicht wahr?

Glücklicherweise hatte er mit Jenny und Matze aber ein paar wirkliche Freunde. Die haben ihn nämlich aufgelesen und beschlossen, ihn heimzubringen. An Laufen war freilich nicht zu denken, seine Wohnung lag immerhin rund zwei Kilometer entfernt.

Als ich an der Kulturbrauerei vorfuhr, war kein Kollege in Sicht. Jenny bemerkte mich als erstes und rannte auf mich zu, einen sorgenvollen Blick im Gesicht:

„Wir, ähm, also mein Freund ist schon ziemlich betrunken … aber der packt das!“

Na sicher! -.-

„Ich glaub Dir gerne, aber zur Sicherheit kommt er hier an die Tür. Da ist keine Kindersicherung drin, falls es also doch nicht reichen sollte …“

Stefan wurde artgerecht im Taxi plaziert und gab sogar erste Anweisungen zur Wegfindung. War nur eine kleine Straße, und dank nicht ganz klarer Schreibweise tat ich mich zunächst trotz Navi schwer.

„Im Notfall ham‘ wir auch ’ne Tüte!“

meinte Matze noch. Bis zu deren Einsatz waren es etwa hundert Meter Wegstrecke. Am Ende standen wir genau auf der anderen Straßenseite, da wir zuvor wenden mussten. Nachdem Stefan die von Matze gehaltene Tüte unter Zuhilfenahme der bestmöglichen Kotzgeräusche zu einem Teil zu füllen, erbat er sich dann doch einen Stopp und reiherte vor dem Auto hemmungslos alles voll, was ihm in die Quere kam. Immerhin waren keine Menschen dabei.
Den beiden Begleitern war das sichtlich unangenehm, aber ich wollte sie wirklich nicht noch weiter runterbringen. Ich mag Leute, die ihre eigene Party abbrechen, um einen angeschlagenen Freund sicher ins Bett zu bringen. Sicher war es Stefans Schuld, aber wieso hätte ich bei zwei so engagierten Helfern noch das Arschloch raushängen lassen sollen?
Mir und meinem Auto ging es gut, und während Stefan noch kotzte, ist Jenny bereits ein zweites Mal zum Dönerladen geflitzt, um eine neue Notfalltüte zu holen. Stress lag mir wirklich fern, zumal die Uhr natürlich mitlief, während wir da standen.

Am Ende war es wie so oft keine große Sache. Die Fahrt hat mit Anhalten und einer Reihe kleinerer Umwege dank mir unbekannter Baustellen nicht einmal zehn Euro gebracht. Und das ist ok, ich hatte immerhin eine bezahlte Kippenpause zwischendrin. So lange es außerhalb des Autos passiert, ist mir doch eigentlich egal, ob ein Fahrgast kotzt oder Sehenswürdigkeiten fotografiert.

Endlich vor der Haustüre angekommen – Stefan hat ab da Wort dicht gehalten und nicht nochmal kotzen müssen – stand die Uhr bei 9,20 €.

„Machste auf jeden Fall zehn, quatsch: elf. Ach, mach zwölf, Hauptsache wir sind da!“

meinte Jenny.

Sicher, man könnte ein Schmerzensgeld höher ansetzen. Aber mein Magen ist da sowas von schmerzresistent, das glaubt ihr gar nicht. Und das viele Lob für meine Besonnenheit hab ich ja auch noch obenauf gekriegt. Ja, manchmal braucht es halt doch mehr als einen Satz, um zum „nettesten Taxifahrer“ zu werden – aber das ist ok. Außerdem hatten meine Passagiere schon sehr lange nicht mehr „Ein Hoch auf unsern Taxifahrer“ gesungen, das musste wohl auch mal wieder sein. 🙂

Stefan wird’s inzwischen wieder gut gehen. Seine beiden Freunde haben sogar versprochen dafür zu sorgen, dass er noch ordentlich Wasser trinkt, wenn er daheim ist.
Wenn man schon feiert, so lange man noch jung ist, sollte man Freunde haben, die einen heimbringen – nicht nur welche, die einen beim Saufen anfeuern …

Und einen Taxifahrer, der die Ruhe weg hat, klar. 😀

14 Kommentare bis “Die Ruhe weg …”

  1. Daran erkennt man wahre Freunde. Die bleiben nämlich, wenn es ungemütlich für einen wird.

  2. Zugfahrer sagt:

    Menschlich handeln wenn es anderen (selbstverschuldet) dreckig geht, Top!

  3. Will Sagen sagt:

    Für diesen Satz: „So lange es außerhalb des Autos passiert, ist mir doch eigentlich egal, ob ein Fahrgast kotzt oder Sehenswürdigkeiten fotografiert.“ geflattrt! 🙂

  4. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    True.

    @Zugfahrer:
    Sehe ich auch so.

    @Will Sagen:
    Der hat mir aber auch Spaß gemacht beim Schreiben. 😀

  5. Aro sagt:

    Auch nicht schlecht: „Stefan wurde artgerecht im Taxi plaziert“

  6. Big Al sagt:

    “Stefan wurde artgerecht im Taxi plaziert”, ja, das ist auch mein Favorit.
    Klasse, Sash.

  7. Bernd K. sagt:

    Das „plaziert“ weckt Erinnerungen bei mir. Früher hiess es in den (sozialistischen) Gaststätten: Bitte warten, Sie werden plaziert!

  8. Sash sagt:

    @Aro, Big Al und Bernd K.:
    Hey, das war aber eine sehr sehr treffende Beschreibung! 🙂

  9. Dani sagt:

    Endlich mal nette Menschen!

    Ich war neulich mit meinen Fahrgästen in einer ähnlichen Situation.
    Bruder, Schwester und Kumpel… sie musste während der Fahrt dringend raus, hing auf allen Vieren auf einem Fahrradweg.
    Der Bruder hat ihr wenigstens die Haare zurückgehalten, derweil sein Kumpel ein Video für YouTube drehte.

  10. Sash sagt:

    @Dani:
    Ja, so sind die Menschen …
    In dem Fall hat glücklicherweise für alle Seiten alles gepasst. Ist ja auch schon mal was … 🙂

  11. Arno.Nyhm sagt:

    @Dani:

    lol ich dachte damit sie die haare nicht dreckig macht… aber dann YT video …. lach

    @Sash:

    ich versuche auch immer zu helfen, wenn andere völlig besoffene Freunde zurücklassen. Leider sieht es der Beholfene manchmal nicht so und wird aggressiv, weil man sie nicht einpennen lassen will in der Ecke. Schade dann. Ich sag mir dann immer, auch wenn ich jetzt für Ihn das Arschloch bin, es ist für den guten Zweck. Und hoffentlich weckt mich auch jemand in einer verschlafenen Situation dann…

  12. Sash sagt:

    @Arno.Nyhm:
    Ist ja alles auch immer ein bisschen von der Situation abhängig. Manchmal ist ein Nickerchen ja auch echt hilfreich und eine Stunde später geht es dann weiter. Überwiegend ist heimbringen aber sicher die bessere Idee. 😉

  13. Dani sagt:

    Solang die Herrschaften vorher bescheid sagen, dass es ihnen nicht gut geht, kann man mit mir auch über Alles reden.
    Hab für den Notfall immer eine Tüte dabei…

  14. […] Er hat die für ihn sehr günstige Fahrt dann schwankend mit einem ordentlichen Trinkgeld bezahlt und sich noch dreimal bedankt. Dann war die Sache für uns beide gegessen und für ihn war es sicher besser. Mit anderen “Freunden” endet das ja gerne mal anders. […]

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