Nicht selten hat man als Nachtschichtler die Frage nach der Angst. Die Fahrerinnen kriegen das sicher noch öfter zu hören als ich, aber letztlich ist die Frage für alle gültig:
„Haben sie keine Angst, nachts Taxi zu fahren?“
Ich habe hier und da schon fallen lassen, dass dem nicht so ist. Aber wieso? Und überhaupt: wie?
Ganz einfach: Ich bin Pragmatiker und Realist. Die Wahrscheinlichkeit, mit dem Auto tödlich zu verunglücken ist immer noch höher als die, in Berlin umgebracht zu werden. Vielleicht ändere ich meine Einstellung (ist ja letztlich doch eine Gefühlssache) nach einem gefährlichen Erlebnis, ja vielleicht wird mir die fehlende Angst auch einmal zum Verhängnis. Aber ehrlich: Abgesehen vom Verinnerlichen einiger elementarer Regeln ist es unnötig, sich darüber Gedanken zu machen.
Als Taxifahrer bin ich zugleich in einer guten und schlechten Position. Gut ist sie, weil ich immerhin ein Auto zur Flucht (oder gar als Waffe?) und den Funk und eine Alarmanlage zur Mobilisierung Dritter bei mir habe.
Dafür steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mir was passiert natürlich, weil man weiss, dass bei Taxifahrern was zu holen ist und ich relativ wahllos fremde Menschen zu mir ins Auto lasse.
Aber Berlin ist eine verdammt große Stadt. Bei all den Horrormeldungen über Morde und Körperverletzungen darf man nicht vergessen, dass das auf einem Gebiet von 900 km² passiert, in dem fast dreieinhalb Millionen Menschen leben. Da sind eine Menge Widerlinge dabei, eine Menge Arschlöcher oder auch Psychopathen. Das lässt sich schon rein statistisch nicht vermeiden. Aber genauso gibt es hier dann doch hauptsächlich nette oder zumindest erträgliche Menschen und den ein oder anderen Helfer in der Not.
Und auf der anderen Seite möchte ich mal darauf aufmerksam machen, dass man im Gegenzug als Taxifahrer ja auch genau für die böse Berliner Nacht eine Hilfe sein kann. Wir sind doch das Transportmittel der Wahl für Menschen, die Angst haben, denen nach den schlimmen Meldungen des letzten Jahres auch die U-Bahn zu unsicher erscheint.
Ich hatte neulich eine Frau im Taxi, die mir erzählt hat, jemand hätte versucht, sie zu vergewaltigen. Mitten auf der Straße. Auf einer Straße, auf der ich tagtäglich nicht nur fahre, sondern sogar alleine entlanglaufe. Sicher gehen solche Dinge nicht spurlos an einem vorüber. Ebensowenig die vielen Berichte über Taxiüberfälle.
Aber letztlich ist diese Stadt nicht irgendein anonymes böses Etwas, sondern gerade in Punkto Verbrechen einfach die Summe der Menschen in ihr. Und jeder einzelne, der im Guten da draussen unterwegs ist in der Nacht, verbessert die Statistik und macht es auf vielfältige Art unwahrscheinlicher, dass etwas schlimmes passiert.
Ich habe großes Verständnis für die ängstlichen Leute da draussen und ich hoffe, dass ich als Mensch und als Anbieter einer Dienstleistung dazu beitragen kann, dass man sich in dieser fantastischen, kreativen, bunten und riesigen Stadt wohlfühlen kann.
Und ich vertraue darauf, dass es den meisten anderen nicht anders geht.
Die Erfahrungen aus zweieinhalb Jahren Nachtschicht bestätigen mich. Wie eingangs erwähnt: Ja, es gibt die Widerlinge und Psychopathen. In der Überzahl allerdings sind nette Spinner, betrunkene Philosophen, Partygänger, hart arbeitende Nachtschichtler und jede Menge Menschen ohne irgendein Interesse an üblen Taten. Das ist das Berlin, das ich kenne. Nicht das Berlin aus der B.Z.
Und in meinem Berlin lässt es sich überwiegend gut leben und ohne Angst Taxi fahren.
Du hast so recht. Es liegt doch , wie bei vielen Dingen, letztlich bei dir selbst was du aus deiner Situation machst.
Ueberaengstliche Menschen bringen andere vielleicht auch erst in Versuchung krumme Dinger zu drehen.
Ich denke auch wenn man mit einer gesunden Spur op-timismus und Selbstbewusstsein durch das leben geht braucht man weniger angst zu haben.
@micha:
Ja, aber ich wäre vorsichtig mit deiner Aussage. Die lässt sich auch so lesen, dass die Opfer teilweise selbst schuld haben – und das will ich nicht mal im Ansatz unterschreiben!
@sash
Hast recht, dem Soziopathen ist jeder ein Opfer, aus welchem Grund dann auch immer.
Und zur Frage „Frau – Taxi – Überfall“ erkläre ich den Leuten immer: Als Verkäuferin einer hier nicht namentlich genannt sein sollenden sehr großen Drogeriekette (ja, ich meine die mit den engen Gängen im Markt, dem Telefon im unerreichbaren Büro, die, die ihren Mitarbeiterinnen verbietet, ein Handy mitzuführen während des Dienstes) hätte ich im Laufe eines Arbeitslebens praktisch die Garantie, überfallen zu werden. Da würde ich mich als Frau im Taxi doch sicherer fühlen. Es versteht dann jeder sofort, warum ich den klassischen Frauenarbeitsplatz NICHT gewählt habe. 🙂
@MsTaxi:
Die Antwort ist gut – und so ähnlich gebe ich sie auch immer:
„Wissen sie, wenn ich deswegen ständig Angst haben sollte, was sollen dann all die Bankangestellten und Tankstellenverkäufer, all die Werttransporter und Kneipenwirte sagen?“
Wenn man es genau nimmt, läuft man in jedem Beruf Gefahr, Opfer eines wie auch immer gearteten Gewaltverbrechens zu werden. Hier darf psychische Gewalt durchaus mitgezählt werden, Stichwort Mobbing.
@Der Maskierte:
Stimmt natürlich. Aber die Gefahren von außerhalb sind ja dennoch unterschiedlich verteilt…
[…] Das war eine fast schon niedlich umgekehrte Rollenverteilung. Ich gebe zu, ich halte es da eher mit der rüstigen Seniorin und ich hab dazu auch vor langer Zeit schon mal was geschrieben: Big Bad City | Berlin […]
[…] (Ich hatte das Thema schon mal hier angeschnitten) […]