Du bis’n ehrlicher Kerl…

Der letzte Monat war bitter, ich könnte gerade ein paar Euro extra vertragen. Nicht, dass ich ernstlich dran geglaubt hätte, aber prima reingelaufen wäre mir eine Viererfahrt zum Puff meiner Wahl oder ein abenteuerlicher Trunkenbold mit einem „Behalt den Fuffi“-Trinkgeld durchaus.

Ein Kandidat für zweiteres hat mich in Treptow entdeckt. Ich hab ihn zwar vorher gesehen, aber da Wochenende war, sah ich mich ausnahmsweise nicht sofort genötigt, den Mittvierziger mit dem ungestümen Ausfallschritt auf mich aufmerksam zu machen. Aber die Ampel war rot, ich stand da so rum und Fahrten ablehnen tue ich dann ja auch nicht. Seine Bewegungen waren auf ganz eigene Art durchaus grazil, und sein Aussehen können alle erahnen, die ebenso gerne wie ich Dr. House bei der Patientenfürsorge sehen und sich an einen gewissen Detective Michael Tritter aus Staffel 3 erinnern.

Gleich vorneweg: Er war netter und wurde ohne Thermometer im Hintern von mir entlassen.

„Wo darf es denn hingehen?“

„Köpenick.“

Als er dann fast eingeschlafen war, hab ich kurz nachgehakt:

„Wohin denn genau?“

„Bisteirgendwannmalgewesenstraße.“

„Haben sie jetzt vielleicht noch eine Hausnummer?“

„Drölf.“

Und weg war er. Aber gut, ich hatte Ortsteil, Straße, Hausnummer. Das reicht im Prinzip, um meinem Job angemessen nachzugehen, und wenn der Kerl was nötig hatte, dann Schlaf! Nach einem halben Kilometer hab ich ihn nochmal aufgeweckt, um ihn an die Anschnallpflicht zu erinnern, weil er reichlich unförmig auf der Rückbank in sich zusammengefallen ist – und so etwa bei Kilometer 3 ist er meiner Bitte dann endgültig nachgekommen. Die weitere Fahrt war Kinderfasching. Ich hätte wahrscheinlich über das Rollfeld des Aéroport Paris-Charles-de-Gaulle nach Köpenick fahren können und er hätte es nicht gemerkt. Ich bin dagegen gemütlich den Anweisungen des Navis hinterhergegurkt, bzw. ich hab es angemacht, als ich nach Köpenick eingeflogen bin. Das Taxameter wollte sich nicht überreden lassen, über die 20,00 € rauszuspringen, was mir mit Blick aufs Trinkgeld weh getan hat, aber auf der anderen Seite wäre es reichlich unverschämt gewesen, über eine Minute dumm in der Gegend rumzustehen, um auf 20,20 € zu warten 😉

Ich hab die Uhr also ausgemacht und ihn angestoßen. Er ist – glücklicherweise – auch gleich aufgewacht und war natürlich völlig konfus. Ich hab ihm beruhigend erklärt, wo wir sind, mich vergewissert, dass wir auch am richtigen Ort sind und ihm den zu zahlenden Betrag genannt. Die folgenden 5 Minuten lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Ich sagte ihm, wie viel es kostet, er holt seinen Tabakbeutel raus. er kramt darin rum, stellt fest, dass es nicht sein Geldbeutel ist, steckt ihn ein, sucht seinen Geldbeutel ein paar Sekunden lang. Dann fragt er, wie viel es kostet, lächelt mich an und sagt:

„Nicht böse sein. Bitte! Ich bin doch sternhagel… wie viel kriegste?“

Daraufhin holt er seinen Tabakbeutel raus, kramt darin rum, stellt fest, dass es nicht sein Geldbeutel ist… ich denke, ihr könnt euch vorstellen, dass man das in 5 Minuten ein paar mal durchkauen kann.

Auf das etwa achte

„Nicht böse sein!“

hab ich wie immer geantwortet, dass ich das natürlich nicht bin, aber angefügt, dass ich jetzt dennoch aussteige, um wenigstens eine rauchen zu können. Bei der Gelegenheit bin ich natürlich ganz zufällig bis zu seiner Tür hinten rechts gegangen, hab sie aufgemacht und meine Hilfe angeboten.

Die zu leisten fiel gar nicht schwer, da ich schnell sah, dass sein Geldbeutel am ungünstigst zu erreichenden Platz lag: Unter seiner rechten Schuhsohle. Ich hab ihn hervorgezaubert und ein ungläubiges Lächeln geerntet, als ich ihm das gesuchte Teil unter die Nase gehalten habe. Er war froh, glücklich und fragte natürlich:

„Was kriegste denn jetzt?“

Ich hab geantwortet:

„Immer noch 20 €. Aber nach der zehnten Nachfrage erhöhe ich auf 25…“

Ach, da hat er lachen müssen.

Mit angestrengtem Gesichtsausdruck (Beobachtet mal Dreijährige beim Kacken!) hat er einen Geldschein aus dem Portemonnaie gezogen, ihn prüfend gegens Licht gehalten und mir in die Hand gedrückt:

„Hier haste mal einen Zehner…“

„Sehr gut, die Hälfte ist geschafft!“

Dann folgte wieder eine einminütige autistisch anmutende Suchphase, an deren Ende er mir einen zweiten, ebenso sorgfältig geprüften Schein zuschusterte:

„Hier is‘ noch ein Zehner…“

Das war natürlich ein Fuffi. Ich hab ernstlich mit mir ringen müssen, aber ich kann es einfach nicht. Geht nicht!

„Hey, das is’n Fuffi!“

Ein „Is mir doch egal“ und ich hätte das Ding wahrscheinlich eingesteckt. Er hatte auch noch reichlich davon zur Auswahl, fast schon erstaunlich, dass er davor einen Zehner gefunden hat. Aber man ist ja… lassen wir es den Kunden sagen:

„Mensch, du bis’n ehrlicher Kerl! Hehe. Hättest mich ja richtig übel verarschen können jetzt! Ich bin ja voll wie…“

„Ist schon ok. Also jetzt kriegen sie erstmal den Zehner…“

„Wieviel kriegstn du jetzt?“

„…und dann kriegen sie noch 30, Moment, hier: 30 €!“

„Wat? Ich krieg noch was zurück! Wahnsinn!“

Man kann auch drauf rumhacken 🙁

Naja, eine Zigarette gab es noch als Trinkgeld, und kaum eine Viertelstunde nach Fahrtende war ich auch schon wieder frei. Ich sollte das mit dem Uhranhalten einfach nicht machen…

12 Kommentare bis “Du bis’n ehrlicher Kerl…”

  1. Ingmar sagt:

    Dass du 10€ Trinkgeld bekommen hast, hab ich aber richtig verstanden, oder?

  2. Sash sagt:

    @Ingmar:
    Naja, nicht wirklich. Von insgesamt 60 gegebenen Euro habe ich 10 („jetzt kriegen sie erstmal den Zehner“) und dann nochmal 30 = 40 € abgegeben. Wenn man dann die Fahrt mit 20 € abzieht, bleiben…

  3. Ingmar sagt:

    Ah, okay… war noch etwas zu früh für höhere Mathematik 😉

  4. Taxi 123 sagt:

    Der war doch noch ganz angenehm. Da hätte ich das mit dem 50,-er auch noch gemerkt. Ich hatte mal einen Fahrgast… Bei dem habe ich auch nicht mehr gemerkt was er mir gegeben hat. Ich habe nur danke gesagt und bin dem nächsten Auftrag entgegengefahren. Der Zuschlag war sozusagen für seine Behandlung meiner Person während der Fahrt.

  5. Der Maskierte sagt:

    Ehrlich währt am längsten!

  6. Sash sagt:

    @Taxi 123:
    Ja, unangenehm war er nicht. Ich bin halt am Wochenende ganz froh, schnell wieder auf der Piste zu sein. Eine Viertelstunde lang unfreiwillig festhängen ist halt nicht so dolle. Aber klar: Verdient gewesen wäre es in keinem Fall.

    @Der Maskierte:
    Ich baue ja auch darauf, dass du damit Recht hast…

  7. Der Maskierte sagt:

    @Sash

    Habe ich! Aus Prinzip. 😉

  8. Dom sagt:

    Mir ist mitlerweile so oft passiert das ich aus versehen dem Taxifahrer zu wenig Geld gegeben habe mit den Worten „Stimmt so“. Die haben das natürlich immer gemerkt. Aber noch nie unter Einfluss von Alkohol. Aber was will man auch machen wenn der Taxifahrer einen so übertriebenen Akzent hat das ich mich frage ob er deutsch spricht…. Was kriegen sie den? „drölf“! Achso.

  9. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Na dann… 😀

    @Dom:
    Na gut, das ist dann das andere Extrem. Aber wenn man schon nicht mehr das Auto wechseln kann, hilft vielleicht ein Blick aufs Taxameter 😉

  10. waldnase sagt:

    hicks, ich mußte echt schmunzeln, Danke für den lustigen Bericht!

  11. Sash sagt:

    @waldnase:
    Immer wieder gerne…
    Dafür schreibe ich sie ja hier auf 😀

  12. […] gedrückt habe. Und ja, ich freue mich über einen schnellen Bezahlvorgang, es muss nicht laufen wie 2010 in Köpenick, aber doch bitte keine Panik! Mein Lieblingssatz bei überschnellem Scharren im Portemonnaie […]

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