Feierabend

Ich hatte es wirklich auf die Sekunde genau geschafft. Das Auto in einem letzten Sprint zum Parkplatz befördert, die Anzeige an der Haltestelle verkündete mir, dass ich noch 4 Minuten habe, um meine Straßenbahn zu erwischen. Und das sollte schon klappen, die nächste fuhr wie immer erst eine halbe Stunde später.

4 Minuten. Das klingt erstmal recht locker, aber es ist ja nicht so, dass ich beim Abstellen nicht noch einiges zu erledigen hätte:

Das Auto saubermachen und betanken ist zu diesem Zeitpunkt immer schon erledigt. Allerdings hab ich ja jede Menge Zeug im Auto verteilt. Trinken, Essen, mein Büchlein, Lektüre, Geldbeutel und nicht zuletzt die CD im Laufwerk wollen alle eingetütet werden. Dann aber der aufwändigste Teil: Ausfüllen des Schichtabschreibers. Allerlei Daten vom Taxameter auf Papier übertragen, zwischenrein immer weiterklicken. Danach muss man sich noch abmelden, sonst hat mein Tagfahrer meine Schicht auf seinem Key – das ist nicht schlimm und wird auch erkannt – aber man kann es sich ersparen.
Zuletzt dann noch die eine Tür von Hand abschließen, bei der die Zentralverriegelung gerade nicht greift, einmal ums Auto gehen, endgültig zusperren – und am Ende dann merken, dass man irgendwas vergessen hat 😉

Nein, unter 3 Minuten hab ich es noch nie geschafft, eine Schicht zu beenden. Deswegen waren die 4 an diesem Morgen durchaus recht hektisch.

Während ich so auf allerlei Zetteln herumkritzelte und hier und da Knöpfchen drückte, hörte ich an der Haltestelle schon eindeutig alkoholisiertes Rumpoltern:

„Ja was denn? Hey, da steht doch’n Scheiß-Taxi!“

Hab mich schnell vergewissert, dass meine Fackel auch aus ist. Ja, war sie. Als dann die Tür aufging, hab ich kurzen Prozess gemacht:

„Hi, ich will gerne nach…“

„Sorry, ich mach jetzt Feierabend! Ich versuch, die Bahn noch zu kriegen.“

„Du …?“

„Ja, meine Schicht ist zu Ende und ich muss mich beeilen.“

„Du meinst das ernst?“

„Jepp, sorry.“

Wozu das führen kann, hat Klaus am Dienstag geschrieben: Stress, Ärger über die „miese Dienstleistung“ usw. usf. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern natürlich auch Schwachsinn. Auch wir haben Freizeit und als Angestellte sogar eine Arbeitszeitbegrenzung. Da gibt es überhaupt nichts dran zu rütteln, auch wenn wir es meist schaffen, ohne ungewollten Kundenkontakt Schluss zu machen. Aber ich vermute, in keinem Bereich ist es irgendwie angenehm, kurz vor Schluss noch Arbeit aufgedrückt zu bekommen, die die Arbeitszeit verlängert – wobei ich vermute, dass wir unter den Dienstleistern ohnehin noch diejenigen sind, die öfter als andere noch mal eben kurz eine Ausnahme machen. Aber trotzdem: es sind Ausnahmen und keine Selbstverständlichkeit.

Die junge Dame hat es im Übrigen gelassen genommen und mit ihrer Begleitung und mir dann noch auf die Bahn gewartet. Da sie weiterhin wenigstens von einer anderen Station aus ein Taxi zu nehmen gedachte (sie musste noch umsteigen, wäre eine echt lukrative Tour gewesen), hab ich ihr die Nummern unserer beiden großen Taxizentralen gegeben. Wenn ich das Gelalle richtig interpretiert habe, das mich hier und da während der Heimfahrt am Lesen hinderte, dann ist das Gespräch mit der Zentrale wohl auch nicht optimal verlaufen, aber das – und da hab ich echt ein gutes Gewissen bei – war wirklich nicht mein Problem. Ich hatte nämlich, genau: Feierabend.

12 Kommentare bis “Feierabend”

  1. Nessa LG sagt:

    Das ist in Ladengeschäften aber nicht anders. 🙂 Da kommen um kurz vor 18 Uhr noch Leute rein und wenn man sie fragt, ob man helfen kann: „Wir schauen nur…“ Der subtile Hinweis, dass man alle vor dem Geschäft stehenden Waren reinträgt und die Geldkassette aus der Hintertür holt, werden nur unzureichend verstanden.
    Und wenn man dann freundlich darauf hinweist, dass man kurz nach sechs dann zumachen möchte, kommt oft ein entsetztes: „Was, Sie schließen schon?!“. Und dann teilt es sich in Frustrierte, Enttäuschte und Verständnisvolle…

  2. Und es ist in meiner Branche leider auch nicht anders – Mal eben meinen Feierabend um 1-2 Std zu verzögern (weil man es nicht für nötig erachtet sich ans Programm zu halten), halten Reisegruppen für selbstverständlich. Schließlich wurde der Bus und Fahrer bezahlt…

  3. ednong sagt:

    18 Uhr? Hehe, das erlebst du im LEH auch, wenn du um 22 Uhr oder später schließt. Dann kommen die Kunden, die den ganzen Tag Zeit hatten, nehmen sich einen Einkaufswagen und packen den voll. Kurz vor 10. Und sind dann immerhin schon um 22:07 Uhr an der Kasse. Werden abkassiert, dann ist es 12 nach, bis die Kunden raus sind und die Türen verschlossen. Und dann fängst du an mit Tagesschnitt an den Terminals, Abrechnung, Tagesabrechnung etc., um dann gegen 22:40 Uhr endlich Feierabend zu haben. Und wenn du dann noch einen stinkigen Chef hast, darfste noch darum kämpfen, die 40 Minuten auch als Arbeitszeit abgerechnet zu bekommen.

    Solche Dinge sehen die Kunden natürlich nicht. Ist auch besser so. Kann man sich drüber aufregen, sollte man aber einfach akzeptieren, denn ändern kann man es selten.

  4. Sash sagt:

    @Nessa LG und ednong:
    Klar, kenne ich. Ich bin ja auch ein Späteinkäufer, der um kurz vor 0 Uhr noch hier in den Kaiser’s geht. Allerdings bin ich einer von denen, die sich dann beeilen und mit dem Glockenschlag an der Kasse schon durch sind. Die im Kaiser’s machen es übrigens recht clever und schließen die Einkaufswagen schon eine halbe Stunde vorher weg, so dass man auch eher genötigt ist, nur kurze Einkäufe zu erledigen 😉

    @Busfahrer Michael:
    Oh ja, bei euch ist das sicher nochmal heftiger. Siehste, an Busfahrer hab ich da auch gar nicht gedacht. Klar, das ist dann ja richtig mies, wenn die Gruppe einfach mal später wieder auftaucht.

  5. Werner sagt:

    Hallo Sash, ich schätze. daß es da seit kurzem eine elegante Lösung gibt, die Zentrale ist lt. Bericht in Berlin-Mitte.
    http://www.paramantus.net/?p=5805
    Langfristig ist das natürlich auch eine Konkurrenz für Dich, die haben ja auch Großraumtaxis. 🙂

  6. Nessa LG sagt:

    @ ednong
    Jou, wir sind ein Spielwarenladen in einer kleineren Stadt, da musst Du nicht so lange aufhaben wie der Penny nebenan. 😉
    Aber es verwirrt doch viele Leute, dass man so früh schließt.

  7. impetrare sagt:

    @ednong
    „Dann kommen die Kunden, die den ganzen Tag Zeit hatten,“
    Was du wieder alles weißt.

  8. Bernd K. sagt:

    Ich beneide keinen, der im Einzelhandel tätig ist, gerade seit den Lockerungen der einstmals recht rigiden Ladenöffnungszeiten. Deshalb vermeide ich es nach 19 Uhr einzukaufen. Und geöffnet bis 0 Uhr, das war mir neu. Das hätte ich in Berin nur bei den Spätis erwartet – denen es jetzt doch an den Kragen gehen soll.

    @Busfahrer Michael: Dass sich bei einem Tagesausflug das Programm mal um eine Stunde verschiebt/verlängert, das dürfte aber doch nicht so ungewöhnlich sein. Aus meiner naiven Sicht der Dinge würde ich sagen, damit muss man als Fahrer rechnen und kann sich für den Abend nix mehr gross vornehmen. Selbstverständlich muss die Arbeitszeit bezahlt werden. Schwierig wird es dann, wenn die Ruhezeit für die Fahrt am nächsten Tag nicht eingehalten werden kann.
    Meine letzte Busfahrt hatte sich um fast 2 Stunden verlängert, weil der Fahrer um einen Stau zu umgehen, einen ziemlichen Umweg gefahren ist und prompt in einen noch längeren Stau geraten war…

  9. Sash sagt:

    @Werner:
    Ja, aber die haben das Problem mit dem Feierabend sicher auch. Oder darf man da als Kunde dann einfach Befehle erteilen? 😉

    @Nessa LG:
    Ich muss bin hier auch noch nicht so dran gewöhnt, dass um uns rum alles unterschiedlich lange offen hat. Die Supermärkte bis 24 und 22 Uhr, die Apotheke bis 20 Uhr, das große Center je nach Wochentag 20 oder 21 Uhr und der kleine Kippenladen, der schon irgendwann vor 18 Uhr die Flügel streckt. Da kommt man eben mal durcheinander, wenn man verschiedene Sachen einkaufen will 🙂

    @Bernd K.:
    Ich finde das Rumgeheule wegen der Ladenöffnungszeiten albern. Natürlich heiße ich es in keinem Fall gut, wenn irgendwer die späte Schicht aufgenötigt bekommt, aber hey, ich kann jetzt wenigstens in der Mittagspause noch was einkaufen und außerdem finde ich meine eigenen Arbeitszeiten auch ok. Wieso ist im Einzelhandel Spätschicht automatisch Ausbeutung und in anderen Bereichen nicht? Und der Einzelhandel ist auch ein Teil der Infrastruktur. Bloß weil es ewig erfolgreich verboten war, ist es nicht automatisch logisch, dass die Läden um 18 Uhr schließen. Solange wir nicht sagen, wir sind eine so gemütliche Gesellschaft, dass wir Sonntags auch die Krankenhäuser zuschließen, gönne ich den Ärzten und Schwestern auch ihren Schokoriegel zum Normalpreis im Laden um die Ecke.

  10. Bernd K. sagt:

    @Sash: Zum einen haben die Meisten, die im Einzelhandel arbeiten, unter anderen Bedingungen begonnen, nämlich noch mit dem alten Ladenschlußgesetz. Ok, die werden immer weniger. Zum anderen sind hier gerade Eltern und vor allem Alleinerziehende betroffen, die ihre Kinder früh in die Kita bringen sollen bzw. für die Schule fertigmachen müssen, nachmittags die Hausafugaben betreuen, sich um eine gemeinsame Mahlzeit kümmern… Und von den Schichtarbeitern ist auch früher noch keiner verhungert, selbst wenn es keine Spätis gibt.
    Grundsätzlich soll jeder arbeiten können wann er will, aber die Wenigsten dürften es gut finden wenn sie Schicht arbeiten müssen.

    In Bayern ist jetzt ziemlich streng um 20 Uhr Schluss und das halte ich für einen guten Kompromiss (auch wenn ich sonst vom hiesigen Regierungsverein nichts halte). Bei diesem Thema werden wir uns wohl nicht einig.

  11. Sash sagt:

    @Bernd K.:
    Stimmt, werden wir wohl nicht. Aber eine Frage hätte ich zu deiner Erklärung noch: Warum muss ein Schichtarbeiter mit „nicht verhungern“ zufrieden sein, wenn Schichtarbeit im Einzelhandel doch schon so viel kaputt macht? Zweierlei Maß. Das ärgert mich an der Diskussion immer. Ohne Taxi verhungert auch keiner. Zumindest nicht in der Großstadt. Gibt doch Bus, Bahn und im wirklichen Notfall die Krankenwägen.
    Versteh mich nicht falsch: Ich weiß, dass Schichtarbeit oft scheiße ist. Das will ich nicht schönreden. Aber während Fabrikarbeiter in der Schicht wirklich bloß zur schnöden Gewinnmaximierung arbeiten – ohne jeden Vorteil für einen Großteil der nicht dort Beschäftigten – erleichtert ein lange geöffneter Einzelhandel just diesen Arbeitern wiederum das Leben. Und irgendwer arbeitet in dieser Gesellschaft immer Nachts und wir sind alle froh darum. Weswegen ein Berufszweig da andere Regeln braucht, sehe ich nicht.

  12. […] von Erzählungen einiger Kollegen – aber auch einer Begebenheit, die ich auch in meinem privaten Blog beschrieben habe – habe ich einmal mehr darüber nachgedacht, wie das so ist mit dem Feierabend in unserem […]

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