Die Rettung schlechthin

Manche Touren müsste man sich ausdenken, wenn es sie nicht gäbe. Macht man auch manchmal. Wenn ein Monat so richtig beschissen läuft, träume ich auch gerne mal von der Tour „Nach Hamburg und zurück“. Das wäre in meinen Augen so ziemlich die optimale Tour. Ziemlich das Maximum, was man ohne großen Tank-Stress unterwegs mit meinem Erdgas-Opel hinbekommt, noch dazu ohne Leerkilometer und in einer Schicht locker schaffbar. Die Wahrscheinlichkeit natürlich, dass ich tatsächlich ausgerechnet in einem schlechten Monat (oder überhaupt mal) eine Tour nach Hamburg und zurück bekomme, geht natürlich gegen Null. Ist halt ein schöner Traum, der einem so manche miese Stunde versüßt.

Im Kleinen gibt es sowas natürlich auch für jede Schicht. Jeder noch so miese Tag lässt sich durch eine Tour nach Frankfurt/Oder noch erträglich bis hammermäßig machen und wenn ich mal ausnahmsweise am Bahnhof Zoo stehe, finde ich auch die Idee reizvoll, 2 Kunden in Spandau und Marzahn abzuliefern, um dann gleich Feierabend zu machen. Dass es eigentlich immer anders läuft, braucht man kaum zu erwähnen. Meist kommt es dann eher so, dass man für sein Umsatzziel noch 12,20 € braucht und eine Tour für 9,80 € bekommt…

Jetzt am Wochenende hatte ich allerdings wirklich mal beinahe unverschämtes Glück. Der Freitag zog sich und zog sich und zog sich.  Das einzig Positive in der ganzen Zeit war die Tour mit Jo. Was mein Taxameter dabei zusammenzählte, war für Montags gerade mal gut genug. Unfassbar miserable 115 € hatte ich auf der Uhr, als ich mich um kurz vor 5 Uhr morgens, 2 Stunden vor der Übergabe des Autos, genervt an den Ostbahnhof gestellt habe. Ich stand an dritter und damit letzter Stelle und plötzlich standen zwei Mädels neben mir am Auto. Die Frage kam mir vor wie ein schlechter Scherz:

„Sagen sie, was würde es kosten, wenn wir erst nach Hellersdorf und dann nach Potsdam fahren?“

Für die Nichtberliner sei hier gesagt, dass Hellersdorf vom Ostbahnhof aus rund 10 Kilometer in östliche, Potsdam hingegen 30 Kilometer in südwestliche Richtung liegt. Also insgesamt locker 50 Kilometer Fahrt, allerdings ohne ewig weit aus der Stadt rauszumüssen. Doof wie ich bin, hab ich natürlich nicht einfach gesagt, dass es 100 € Festpreis sind, sondern angemerkt, dass diese Tour vielleicht mit 2 Taxen doch sinnvoller wäre. Meine spätere grobe Schätzung von 80 bis 90 € sollte sich als gar nicht so schlecht erweisen, ich weiß allerdings immer noch nicht, wieso man so etwas als Fahrgast macht.
Die beiden haben kurz einen Hunni von der Bank geholt und ich hab derweil Blut und Wasser geschwitzt, ob sie es sich nicht nochmal überlegen. Tatsächlich hatten die beiden eher Sorge, die Tour wäre unangenehm für mich (Wieso bitte?) und waren sogar noch ausgesprochen dankbar fürs Mitnehmen, wenngleich meine Kollegen mich wahrscheinlich vor Neid umgebracht hätten, wenn sie gewusst hätten, wohin es gehen soll 🙂

Wäre das Geld nicht trotz dieser Menge ein begrenzender Faktor gewesen, hätte ich sogar über den Ring fahren sollen – ich schätze mal, das wären nochmal 20 Euro mehr geworden…

Die Tour hat letztlich trotzdem über eine Stunde gedauert und exakt 86,80 € eingebracht. Auf einem Weg, der ein guter Kompromiss zwischen schnellster und kürzester Route war. Meine Fahrgästin hat die Zeit genutzt und geredet und geredet. Ich bin – obwohl selbst in Gesprächen ein sehr quasseliger Typ – kaum zu Wort gekommen. Als wir die letzten paar Kilometer über die Avus antraten, ist sie erschöpft eingeschlafen.

Mit 10% Trinkgeld bin ich dann spätestmöglich, aber mit akzeptablem Umsatz auf den letzten Drücker in den Feierabend gegurkt. Es ist selten, dass alles auf einmal passt. An diesem Morgen war es ausnahmsweise mal so.

12 Kommentare bis “Die Rettung schlechthin”

  1. Man kann ja nicht immer nur Pech haben. 😉 Und das Trinkgeld bei der Tour war ja auch lohnenswert.

  2. anonym sagt:

    Es ist ja schön, wenn es sich für den Fahrer so lohnt wie hier in diesem Fall.
    Dennoch macht man sich automatisch etwas Gedanken um die Motive der Fahrgäste. Und da bleibt dann meist ein ziemlich großes Fragezeichen. Hier handelte es sich ja (wieder mal) um relativ junge Leute. Außerdem mußte das Geld erst von der Bank geholt werden! Ich weiß nur eins: daß ich in diesem Alter bestimmt nicht so viel Geld für die Taxe ausgegeben hätte. Da bleibt vermutlich nur die vorsichtige Schlußfolgerung, daß mindestens eine der Passagierinnen zu der großen Gruppe von Leuten gehört, die mit Geld nicht umgehen können. Wissen kann man es aber natürlich nicht.

  3. Taxijule sagt:

    Ja, das ist das tolle am Taxifahren – da kann es den ganzen Tag/Nacht bescheiden laufen und dann kommt der dicke Fisch….
    Mir auch schon einmal passiert. Habe den Funk leider nicht ausgemacht und bin fast vor meiner Haustür – Auftrag – denke, naja war den ganzen Abend ja nicht viel los, die eine fährste noch – und es ging auch nach Potsdam. Das einzig Dumme ist, dass man dann leer zurückfährt, denn irgendwann will man ja dann schon Feierabend machen.
    Klar denkt man darüber nach, warum die jungen Leute so weit mit der Taxe fahren – aber das wird schon seinen Grund haben. In Potsdam wohnen viele wohlhabende Leute und vielleicht geben die Eltern ihrer Tochter das Geld für die Taxifahrt ja wieder, ist jedenfalls sicherer als mit den Öffentlichen zu fahren. Außerdem, wenn man manchmal sieht, was für dicke Schlitten die jungen Leute fahren, da wundert mich dann auch nicht mehr, dass sie so viel Geld für ne Taxifahrt locker machen.

  4. Ich bin da inzwischen ganz pragmatisch geworden. Ich mach es gerne (und zwar wirklich!) so günstig, wie es der Tarif zulässt. Aber ich hinterfrage nicht mehr die Motivation. Der Kunde will nach Hause (oder sonstwohin) und hat das Geld, sich die bequemste Möglichkeit zu leisten. Also bekommt er die und ich versuche ihm zu vermitteln, daß seine Entscheidung richtig ist.

    Zum Glück arbeite ich in einem Beruf, der keine weiteren Verpflichtungen für den Kunden verkauft. Bezahlen und fertig. Es würde mir sehr viel schwerer fallen, wenn ich Handyverträge, Abos oder sonstige Laufzeitverträge verkaufen sollte.

  5. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Nicht immer. Aber es kann sich verdammt lang hinziehen mit dem Pech. Und das Trinkgeld: Ich bin ehrlich, ich hatte es nicht erwartet.

    @anonym:
    Ich hab aus gutem Grund nicht viel über die Gespräche während der Fahrt erzählt. Eindrucksvolle und nicht schöne Geschichten, aber wenn die gute Frau eines nicht war, dann unvernünftig!

    @Taxijule:
    Ja, der Rückweg war hart. Im Westen hatte ich die Fackel nur aus, in Mitte hatte ich ein schlechtes Gewissen, dann hab ich es aber doch eingesehen und die Leerkilometer in Kauf genommen, weil ich brotfertig war. Deine Vermutung über ihren finanziellen Hintergrund stimmt aber nicht. Ganz und gar nicht, ich bin heute unsicherer denn je, ob sie das Geld wirklich übrig hatte, aber es ist ihre Entscheidung gewesen und ich hab fleißig gegengeredet.

    @Torsten Bentrup:
    Ach, manchmal denkt man schon drüber nach. Aber was den zweiten Teil angeht, hast du Recht. Das könnte ich tatsächlich nicht.

  6. Paramantus sagt:

    Es gibt sie also nachwievor, die entspannten Kunden… 🙂

  7. Sash sagt:

    @Paramantus:
    Ganz offensichtlich. War wirklich eine nette Geschichte mit der Tour.

  8. sternburg sagt:

    Und was wollten Sie jetzt in Hellersdorf? Und warum zum Teufel nehmen die beiden gerade für die letzten, besonders beschwerlichen Kilometer aus Potsdam raus den ÖPNV?*

    Natürlich wirst Du über die Fahrt an sich nicht aus Spaß geschwiegen haben. Darf ich trotzdem mal blind raten? Also: Die Eltern der Beifahrerin und sie selbst wohnen in Ketzin. Die Fahrgästin wohnt mitsamt Kerl in Hellersdorf. Alle drei waren im, sagen wir mal, Fritz Club, wo sich die letzten beiden übel gestritten und getrennt haben. Die Fahrgästin musste dringend etwas aus der Wohnung holen, als Übernachtungsmöglichkeit bot sich für beide statt der Wohnung in Hellersdorf nunmehr nur noch das Häusschen in Ketzin. Bei dem Gedanken ohne den Kerl um die Uhrzeit U5 und S7 zu nutzen, ist beiden ganz anders geworden (wahrscheinlich hätten sie selbst mit dem Kerl später das Taxi genommen, nur bis Hellersdorf ist das ja bezahlbar). Später dann am Platz der Einheit in ihren Dorfbus zu steigen fanden sie wiederum sehr viel weniger unangenehm.

    Und, wie weit liege ich daneben?

    *(für Ortsunkundige: Innerhalb Potsdams kann man den Autobahnaußenring nicht überqueren. Auch die nächsten, noch halbwegs mit elektrischem Licht versorgten Zivilisationsansammlungen wie Werder/Havel, Marquard oder Michendorf sind außerhalb des Rings, der um Potsdam und die dortigen Havelseen einen großzügigen Bogen schlägt. Genauso m.E. sämtliche der verteilten Institute und Wohnheime der Uni Postdam. Das heißt: Nach Postdam kann von Berlin aus die Annehmlichkeiten des gut ausgebauten und halbwegs zuverlässigen ÖPNV mit seinem hervorragenden Nachtnetz nutzen. Aus Postdam raus ist das eher was für Leute mit sehr viel Zeit und genauesten Kenntnissen der unberechenbaren Busfahrpläne. Ach ja, und saukalt war es am Wochenende im Berliner Umland auch noch.)

  9. sternburg sagt:

    Moment, da fällt mir gerade eine kleine Unlogik in meinem Gerate auf: Als würden am Wochenende um sechs, sieben Uhr Busse von Potsdam nach Ketzin fahren. Die Fahrt endete also nicht dort, sondern am Hauptbahnhof, wo sie sich noch ein Stündchen zu McDonalds oder so setzten?

  10. […] auslegen. Denn ich hatte zum Beispiel die lukrativste Tour, die ich jemals zweimal gefahren bin: Die beiden Mädels, die ihren Heimweg gerne vom Ostbahnhof über Hellersdorf nach Potsdam nehmen, haben mich an der Halte erkannt und mich gleich zum zweiten Mal dazu gezwungen, eine eigentlich […]

  11. Sash sagt:

    @sternburg:
    Jetzt wo ich den Artikel verlinkt habe, sehe ich, dass deine Fragen noch offen waren:
    Weit daneben!
    Die eine wohnte eben in Potsdam, die andere in Hellersdorf. Und die eine wollte die andere unbedingt noch nach Hause begleiten, bevor sie selbst heimfährt. Teuer, aber ganz simpel 🙂

  12. […] zugegeben: Die Route ist alt. Aber ich möchte sie für alle Nichtberliner doch nochmal auf der Karte […]

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