Kalendarisches

So, heute nacht wechseln wir dann in den letzten Monat des Jahres. Was brauchen wir dazu? Richtig: Irgendwas, was die negativen Gedanken an die letzte Schicht vertreibt. Ich werde es mit einer neuen Schicht versuchen.

Aber Moment! Wieso negative Gedanken?

Einfach so. Ich hatte eine extrem zweiseitige Schicht: Zum einen lief es eigentlich recht gut und ich hatte gleich zwei Lesertouren. Eine zu Beginn, eine zum Ende – und beide mit Trinkgeldern jenseits von gut und böse. Vielen vielen Dank Euch beiden! Ihr wart es wirklich, die mich heute Nacht nicht haben verzweifeln lassen!

Der nervige Teil der Schicht wartet noch auf eine eventuelle Bestätigung oder Lösung. Danach gibt es garantiert was zu lesen darüber, versprochen!

Aber wie gesagt: Heute wird alles (mindestens!) noch besser! Zum Beispiel so wie vorgestern. Da hab ich in kurzer Zeit fast einen Hunni eingefahren und unter anderem noch etwas erhalten, was in unseren Breitengraden unerlässlich für den nun anstehenden Monatswechsel ist:

Adventskalender! Yeah! \o/ Quelle: Post

Adventskalender! Yeah! \o/ Quelle: Post

Im Postbahnhof fand – wie originell – vorgestern das Postfest statt. Manche oder alle Besucher wurden mit diesen Adventskalendern beschenkt. Auch wenn man das Weiterverschenken von Geschenken vielleicht nicht gerne sieht: so lange es von einem Unternehmen geschenkt und an einen lustigen Taxifahrer weiterverschenkt wird (zusätzlich zum Trinkgeld!), dann sollte das doch ok sein, oder? 😉

Ein sehr spätes erstes Mal

Man sagt ja gerne vom Zeichnen, es sei die Kunst des Weglassens. Manche sagen das auch übers Schreiben. Vielleicht trifft es in gewisser Hinsicht auf die meisten Künste zu. Was dann ein Hinweis darauf wäre, dass Taxifahren keine Kunst ist. Viel weglassen kann man da nicht, damit es besser wird – manche Kollegen erproben das seit Jahrzehnten anhand des Beispiels der Manieren recht ausgiebig und die Ergebnisse sind verheerend.

Aber auch und gerade in Sachen Ortskunde trifft das zu. Als Taxifahrer tut man gut daran, einfach alles zu kennen. Wirklich alles. Ob es einem nachher bei der Wegfindung, der Fahrgastunterhaltung oder beim Zwischenstopp für eine Mahlzeit hilft: Mehr Wissen schadet von der Sache her nie*.

Bei der Arbeit wäre es einfach nur cool, sagen zu können:

„Aha, das Dorint-Hotel. Hoffentlich nicht Zimmer 206. Da stört die Wand vor dem Fenster und der Wasserhahn tropft. A prospos Tropfen: Wenn sie den Haupteingang nicht mittig durchqueren, treffen sie die besonders dicken Tropfen vom Fenstersims der 102 nicht, wenn Andrea wieder mit Blumengießen dran ist …“

Die Realität, *hüstel*, ist da manchmal ein bisschen anders. 😉

Die Adresse, die mir der Kunde ansagte, war gar kein Problem. Das Borchardt, ein immerhin im Ortskundekatalog stehendes Restaurant, definitiv eine der Locations, die nicht zu kennen knapp am Kapital-Fail als Taxifahrer vorbeischrammt. Zu den Top-100-Adressen in der Stadt kann man es wahrscheinlich zählen. Das war also nicht das Ding, obgleich sich der Kunde immerhin erfreut zeigte, dass ich keine Nachfrage hatte. Mir ist dann auf dem Weg dorthin aber aufgefallen, dass ich tatsächlich noch nie in den nunmehr 4 Jahren und 11 Monaten dahin gefahren war. Also direkt, um jemanden vor der Türe abzuladen. Und binnen fünf Jahren gegenseitiger Nichtbeachtung hat sich der Schlingel von Restaurant doch in meinem Kopf tatsächlich um fast einen ganzen Block verschoben …

[Beginn verstörend stammelnder Einschub]

Und das kann ich – etwas unbeholfen, aber in Ansätzen – sogar erklären: Ich habe geistig verschiedene Kartenausschnitte vor Augen, wenn Kunden eine Zieladresse nennen. Gröbere, genauere, manche mit dem Fokus auf eine bestimmte Ecke, manche aus der Perspektive der Straße, auf der ich meistens dort vorbeikomme. Denken in Karten – eine Geschichte für sich, ganz ehrlich! Da mein Gedächtnis aber eben alles andere als perfekt ist, passen die einzelnen Ausschnitte mitunter nicht zusammen. So habe ich die Friedrichstraße als wichtige Nord-Süd-Strecke fix im Kopf. Und das Borchardt liegt östlich davon in der französischen Straße. Viel öfter in der Ecke fahre ich allerdings über die Charlottenstraße – eine weiter östlich – an den Gendarmenmarkt heran, schon alleine weil die Friedrichstraße immer gesperrt ist. Friedrichstraße und Borchardt sind Ortskundewissen vom Lernen, meine Routen durch die Charlottenstraße Praxiserfahrungen. Und geistig hab ich das Borchardt bei mir jetzt einfach östlich der Charlottenstraße platziert, weil diese gerade „meine wichtige Nord-Süd-Strecke“** da ist. Dumm nur, dass das Restaurant zwischen Charlotten- und Friedrichstraße liegt …

[Ende verstörend stammelnder Einschub]

Wie dem auch sei: Am Ende hab ich dann doch nach DEM Borchardt Ausschau gehalten, weil ich es zu früh erwartet hatte. Dafür bin ich ja jetzt hingefahren: das schlägt sich alles nieder! 😀

Aber gut, ich hab mir meine Verunsicherung nur unwesentlich anmerken lassen. Und der Kunde war auch cool. Dass ich bei der Ecke unsicher war, keine Ahnung, ob er es bemerkt hat. Dass ich fürchtete, er wolle seine (mit gutem Trinkgeld) auf 16,00 € lautende Rechnung mit einem Fünfziger bezahlen, schien er jedoch zu erahnen. Er kramte ein wenig in den Jackentaschen und verkündete spannungsaufbauend:

„Aber jetzt … jetzt! Warten Sie, gleich. Passen Sie auf! HIER, bitteschön!“

Drei Fünfer und eine Euro-Münze. Hach, so hätte ich Borchardt-Kundschaft gar nicht eingeschätzt. 🙂

*Das Tückische ist, dass sich Wissen irgendwie nicht grenzenlos ansammeln lässt. Zumindest nicht ohne dazugehöriges Krankheitsbild mit nicht gerade weniger Stress …

**Falls Kollegen sich wundern: Die meisten Fahrten in die Ecke hatte ich gefühlt aus Richtung Osten zum Sofitel in der Charlottenstraße. Wahrscheinlich hat jeder von uns dort eine andere Hauptroute, also nicht wundern. 😉

Change? Help!

Über die vergangene Nacht kann mich sowas von doppelt und dreifach nicht beklagen. Der Umsatz war jenseits von gut und böse. Vor allem natürlich, weil mal wieder jede Menge Bahnen nicht gefahren sind. Normalerweise wäre das ein prima Timing gewesen, dass das Auto wieder wegen quietschender Bremsen rumjammert. Aber: Nix! Als wäre nie was gewesen. Außer gelegentlich mal ganz leise …

Wie gesagt: Über den Umsatz meckern ist nicht drin. Mein Stundenlohn war sehr deutlich zweistellig, wovon ich sonst ja auch allenfalls träumen kann. Mal so ganz knapp klappt das. Aber nur am Wochenende. Und leider nur selten. Was hingegen nicht so wirklich gut geklappt hat, war die Sache mit der passenden Bezahlung seitens der Fahrgäste:

Aller guten Dinge sind drei? Offenbar. Quelle: Sash

Aller guten Dinge sind drei? Offenbar. Quelle: Sash

Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, dann habe ich bislang in fast fünf Jahren Taxifahren genau sieben Hunderter entgegengenommen. Davon drei Stück heute Nacht. Glücklicherweise kamen die alle zu Zeitpunkten, zu denen das Wechseln möglich war. Das hätte auch völlig schiefgehen können – wie das bei Hunnis wohl meistens der Fall ist im Taxi. Das war jetzt heute ausnahmsweise mal in Ordnung, zur Gewohnheit sollte das besser bei niemandem werden. Wir haben oft genug mit Fünfzigern schon Probleme, wenn sie gehäuft auftreten.

Und zwar wirklich. Dank der drei Scheinchen da oben hab ich tatsächlich nicht mehr genug Wechselgeld für die kommende Schicht und muss einen davon zwingend irgendwie kleinmachen heute. Darauf würde ich auch gerne verzichten. Aber die Bahn fällt immer noch aus – das Spektakel von heute Nacht könnte sich eventuell wiederholen …

Im Übrigen: Nein, ich habe nicht 300 € eingefahren, sondern deutlich weniger. Aber ich hätte es wahrscheinlich bis in die Morgenstunden schaffen können. Was viel heißt.

Andere Städte, andere Taxihalten …

Taxistand mit Aussicht, Quelle: Sash

Taxistand mit Aussicht, Quelle: Sash

Während der Hauptsaison ist die Halte wahrscheinlich besser ausgelastet. Nach allem, was ich so gehört hab, geht das Geschäft in Cuxhaven schlecht. In Sachen Style schlägt eine Halte direkt an der Nordsee für mich als Binnengemüse alle Berliner Taxistandplätze dennoch um Längen …

Funk-Karte

Wer jetzt glaubt, der Funkkurs wäre unsinnig gewesen: Ihr habt Unrecht! Immerhin wurde hier das seit Jahren mit Abstand hässlichste (und unschärfste) Foto von mir aufgenommen:

"Muss ich mir die Haare richten?" – "Quatsch, is' ja nur'n Funkkurs." Quelle: Sash

„Muss ich mir die Haare richten?“ – „Quatsch, is‘ ja nur’n Funkkurs.“ Quelle: Sash

Vernünftige Fotos von mir gibt es nach wie vor in meinem privaten Blog.

Fundstück des Tages

Und wieder einmal stellt sich mir die Frage:

Was bekomme ich dafür? Ein Getränk, freien Eintritt? Ist es nur eine Pfand- oder Garderobenmarke oder bin ich jetzt Miteigentümer des Clubs? So lange ich solche Läden nicht besuche, werde ich es wohl nicht herausfinden.

"Es ist rund und ein 'M' ist drauf." – "Dann darfst Du es essen!" Quelle: Sash

„Es ist rund und ein ‚M‘ ist drauf.“ – „Dann darfst Du es essen!“ Quelle: Sash

Disclaimer: Das Magdalena, damals noch Maria, ist einer der wenigen Clubs in Berlin, in denen ich tatsächlich schon war. Wofür man die Marke braucht, weiß ich trotzdem nicht. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Begleitung?

„Da hätten wir hier rechts gemusst.“

Verdammt! Ich war im Grunde noch am Überlegen, welche Straße das noch einmal genau war, die er da von mir in Kreuzberg haben wollte, bin aber – blöde Angewohnheit – einfach schon mal losgefahren. Ich sollte es ihm später (nachdem nach einer zusätzlichen Baustellenumfahrung langsam ein beachtlicher Umweg zusammengekommen war) auch sagen:

„Stimmt: Schlimm ist das nicht. Aber es ärgert einen, wenn man weiß, dass es eigentlich besser gegangen wäre!“

Ob er sich die Gedanken bei seinem Job auch macht, weiß ich nicht. Interessant war jedoch, wie wir auf das Thema gekommen sind:

„Und, machen Sie nur Taxi oder studieren Sie?“

„Nein, das nicht. Aber ähnlich klischeemäßig: Ich schreibe nebenher.“

Nach ein paar Worten über das, was ich schreibe, kam unerwartet:

„Super! Dann könnten Sie mich ja mal begleiten.“

„Wieso? Was machen Sie denn?“

„Kriegsfotografie.“

Uff. Ich muss an der Stelle ehrlich sein: Das hat mich ein bisschen aus der Bahn geworfen. Ich hatte schon eine Menge Leute mit sehr interessanten Jobs bei mir im Wagen, aber das ist definitiv was ganz eigenes gewesen. Wirklich was, von dem ich überhaupt keine Ahnung hab, das mir aber gleichermaßen eine Menge Respekt einflößt. Und mir hat sehr gefallen, wie er die Motivation hinter seiner Arbeit beschrieben hat: Dass es schade ist, wie die Kriegsgebiete dieser Welt hierzulande so nebensächlich erscheinen.

Und fürwahr: Fotos sind natürlich ein gutes Mittel, Menschen näher an das ranzubringen, was anderswo passiert.

„Thomas Rassloff, falls sie mal Bilder googeln wollen …“

ließ er beim Ausstieg fallen. Hab ich natürlich gemacht. Und möchte das nur zu gerne mit Euch teilen, schließlich hab ich ihn zusätzlich zu all dem auch noch als sehr netten Fahrgast in Erinnerung.

Thomas Rassloffs Seite

Seine Flickr-Alben