Ca. 50 bis 70% meiner Kunden sagen ihn, den einen immer gleichen Satz:
„Und wie ist das, studieren sie nebenher?“
Meine Antwort ist in der Regel ein von einem dezenten Lachen begleitetes
„Nein, ich mache das hauptberuflich und freiwillig…“
Es ist faszinierend, dass ich als noch verhältnismäßig (zumindest im Vergleich zu Heesters und Berlusconi) junger Mensch diesen Satz immer wieder zu hören bekomme. Klar, das Klischee vom Studenten, der nebenher Taxi fährt, existiert noch. In Berlin ist jedoch dank straffer Studienpläne und einer recht harten Ortskundeprüfung die Wahrscheinlichkeit größer, dass der alte Fahrer ein Professor ist, als dass ein Jungspund wie meine Wenigkeit Student ist.
Ich kann die Frage schon verstehen, aber in einer gewissen Art und Weise nervt sie auch. Das liegt noch nicht einmal an der Frage selbst – sie impliziert doch eigentlich eher, dass die Fahrgäste den Eindruck haben, ich hätte eigentlich mehr auf dem Kasten, als ein Auto durch die Nacht zu lenken. Habe ich sicher auch.
Das Nervige an dieser Frage ist eigentlich das, was nach meiner Antwort eintritt: Eine kurze verlegene Stille…
Ich weiss, Taxifahrer verdienen nicht gut, und die geistigen Fähigkeiten, die nötig sind, um diesen Job durchschnittlich auszuführen, bewegen sich irgendwo kurz hinter dem Evolutionssprung, der die Menschheit dereinst veranlasste, sich nicht mehr mit Affen zu paaren. Sollte man meinen. Dabei stoßen mir zwei Dinge bitter auf:
Zum einen:
Klar kann jeder Depp prinzipiell mit ein wenig Talent ein Auto steuern und Befehle entgegennehmen. Für die tatsächliche Dienstleistung, die zum Teil ja auch aus der Unterhaltung und der Zufriedenstellung der Fahrgäste besteht, sollte man dennoch eine gewisse Intelligenz und Sozialkompetenz mitbringen. Schließlich „muss“ ich als Taxifahrer Gelangweilte unterhalten, Gestressten Ruhe und Ängstlichen Sicherheit vermitteln, Besoffene zur Ordnung mahnen, Deprimierte aufbauen, Verzweifelte trösten und… ach ja, nebenher Auto fahren und das alles verarbeiten.
Zum anderen:
Ja, ich bin nicht der Dümmste, ich kann mich ausdrücken und trotz meines besch… eidenen Abiturs hätte ich sicher die Möglichkeit gehabt, einen anderen, „besseren“ Job zu machen. Dennoch sitze ich Abend für Abend in meiner Taxe und bin – wirklich fast jeden Abend – ein ums andere Mal froh, dass ich diesen Weg gewählt habe.
„Ich habe mein Abitur gemacht, um auswählen zu können, was ich machen will – nicht, um auf jeden Fall zu studieren!“
pflege ich gerne zu sagen. Mir ist klar, dass dieser Lebensentwurf insbesondere beim konservativen Teil der Bevölkerung ewig auf Unverständnis stoßen wird. Dass die unterschwellige Überzeugung, man könne ja wohl nur im „Notfall“ Taxifahrer werden, so weit verbreitet ist, lässt mich dann doch manchmal geradezu verzweifeln.
Natürlich stehen am Ende solcher Diskussionen immer wieder Sätze wie
„Das finde ich gut!“,
„So eine Einstellung ist echt positiv!“,
„Ich habe echt Respekt vor solchen Leuten!“,
und natürlich ist das irgendwie schön. Wahrscheinlich habe ich sogar wirklich schon den ein oder anderen davon überzeugen können, dass dieser Job nicht zwingend die letzte Haltestelle vor Hartz4 ist. Auf der anderen Seite ist es wahrlich erschreckend zu sehen, wie viele – die sich völlig selbstverständlich im Taxi chauffieren lassen – offenbar davon ausgehen, dass das ja kein „richtiger“ Beruf ist.
Diese Konfrontation mit pseudo-mitleidiger Kundschaft teile ich wahrscheinlich mit Putzfrauen, Zimmermädchen, Altenpflegern und wahrscheinlich sogar mit Krankenschwestern.
Ich kann damit wirklich ohne weiteres umgehen, denn ich bin ein Mensch, der inzwischen ein vernünftiges Selbstwertgefühl entwickelt hat. Zumal – so zeitintensiv sie sein mag – meine Arbeit stets nur Ausdruck meiner Einstellung ist, und nicht meine Identität bestimmt.
Ich bin „nur“ Taxifahrer, das ist wahr. Aber in dieser Position befinde ich mich täglich auf Augenhöhe mit Wirtschaftsprofessoren und besoffenen Punks gleichermaßen. Und im Gegensatz zu den meisten sehe ich mich diesbezüglich in einem sozialen Vorteil – nicht etwa irgendwo unten, nur weil auf meinem Gehaltsnachweis ein paar Euro mehr oder weniger im Vergleich zu den anderen draufstehen.
Zumal ich auch hier mal wieder die sozialrevolutionäre Karte ausspielen und fragen könnte: Könnten wir eher auf den Manager von Daimler verzichten, oder auf den Typen, der da die Bremsen installiert? Eben.
Aber um noch kurz ein Fazit zu bringen:
Fragt doch, was ihr wollt! Nach den Anforderungen meiner Kundschaft müsste ich über die Bettenqualität in 5-Sterne-Hotels ebenso Bescheid wissen, wie über die Preise und Hygiene auf dem Straßenstrich. Ich möchte mal das Studium sehen, das mir dieses Wissen zuteil werden lässt…
Ein sehr cooler Beitrag, mir gehts auch manchmal so (obwohl ich nicht mal einen Hauptschulabschluss habe). Ich habe ja zwei Jobs, parallel zum Taxifahren hab ich noch eine kleine Internet-Dienstleistungsfirma, von der ich hauptsächlich lebe. Oft habe ich das Gefühl, dass dies im Gegensatz zum Taxifahren anerkannt wird. Keine Ahnung, wieso. Allerdings gehts auch anders: http://www.berlinstreet.de/295
Auch ich wurde in den letzten Jahren, als meine Haare noch kurz waren(habe sie inzwischen etwas wachsen lassen), oft gefragt, ob ich Studiere.
Und ich bin inzwischen 40Jahre jung. 🙂
@Aro:
Danke! Aber was du in deinem Beitrag geschrieben hast, kenne ich auch. Fand auch die Beschreibung, was so schön ist – insbesondere Nachts – sehr sehr treffend. Also das Lob geht auch wieder zurück!
@TroTaxi:
OK, das ist nicht schlecht 🙂
Ob ich das schaffen werde? Ich glaube eher nicht, wenn ich so in den Spiegel schaue 😉
Vielleicht liegt es auch daran, adss Taxi fahren kein Beruf ist, für den man eine Lehre oder ein Studium braucht.
@Aro:
Natürlich, das denke ich auch. Dennoch ein wenig komisch, dass man den Job danach bewerten muss. Aber klar, so läuft ein ordentliches Leben nunmal: Schule, Studium, gutbezahlter Job, fette Rente und dann zwischendrin irgendwann anfangen auf die nachfolgende Generation zu schimpfen 🙂
Ich kenne dieses Klischee nicht. Fahre ab und an mit dem Taxi und mir ist noch nie ein Student untergekommen. Es sei denn es war einer im 43. Semester, wenn man vom Alter ausgehen darf…
@Paramantus:
Um die geht’s doch. Jünger seh ich auch nicht aus 😀
[…] So recht einig sind wir uns nicht geworden. Also ja, irgendwie schon: Er meinte, es gehe von beiden Seiten aus und hat das auch mit Nachdruck betont. Ich war mir unsicher, hab das auch gesagt und immer wieder gefragt, ob das mit der Rhinstraße stimme. Während er mich ermunterte, ruhig so zu fahren, wie ich dachte, begann er, Taxifahrer per se in Frage zu stellen. Nicht mich natürlich! Klar. Aber dass wir uns heute offenbar nicht mehr auskennen müssten, das wäre schon – also hoppla! Und ich sei ja außerdem garantiert kein Taxifahrer. Also höchstens als Aushilfe oder so. Student, natürlich! (Wie alle Taxifahrer unter 105 Jahren etwa) […]
[…] klingen mag, ob das nun ein Kompliment oder ein Angriff war … am Ende musste ich das dann jedoch wie immer verneinen. So ganz locker lassen wollte der junge Mann aber nicht und quetschte mich weiter aus, ob ich denn […]
Lieber Sash
Ich bin taxifahrer von Beruf und wenn ich nachts so am stand stehe und alles ruhig ist , lese ich mir immer Deine Berichte durch weil sie für mich einen gewissen wiedererkennungswert haben. So weiß ich das ich nicht der einzige bin den es so geht. Angenehme Schicht noch
-Walter-
Ich fahre ja in einer Uni-Stadt die eigentlich auch nur wegen ihrer Uni bekannt ist. Ich bekomme die Frage auch jeden Abend wieder gestellt. Schon komisch. Ich hab kein Abitur aber 3 Ausbildungen 😉 Ich fahre trotzdem Taxi auch wenn ich in einem Büro geregelter und vermutlich besser Bezahlt arbeiten würde.
Das stößt echt auf unverständniss. Die nächste Frage die ich immer wieder bekomme ist: Haben Sie als Frau nicht Angst nachts Taxi zu fahren?
@Der Walter:
So ein Feedback freut mich immer enorm. 🙂
@kistenfrosch:
Sind wahrscheinlich die zwei häufigsten Fragen. Zweitere kriege ich meines Bartes wegen eher weniger gestellt. 😉
[…] “Und, machen Sie nur Taxi oder studieren Sie?” […]
Die studieren-Sie-noch-Frage wurde mir noch in einem Alter gestellt in dem ich immer sagen konnte:
‚Nein, aber meine Tochter studiert‘.
Es ist ja eine sehr freundliche Frage, die ein Kompliment beinhaltet , falls sie nicht kurz nach einem Fahrfehler des Taxifahrers gestellt wurde, und man könnte es auch, den Inhalts-Aspekt durchaus vernachlässigend, nur vom Beziehungs-Aspekt her nehmen. Und der bedeutet eben, wie un-originell auch immer, ( aber man kann und muss nicht dauernd originell sein, schon gar nicht als Gast):
Ein Gesprächsangebot. Meine Antwort mit der Tochter, die studiert ist zwar bestenfalls lustig gewesen, aber im Prinzip
verriet sie, was ich nie hatte, oder zuwenig:
‚Respekt vor dem Gast‘.
Das hatte mir einmal ein Adlon-Direktor ganz freundlich zu bedenken gegeben, mit dem ich über einen Job in der Hotelbranche gesprochen hatte, dass es mir an Respekt vor dem Gast vielleicht mangeln würde. Das hatte er in den zehn Minuten, die wir gesprochen haben schon bemerkt….Ich finde das einen schönen Satz:: Respekt vor dem Gast..
Kollidiert natürlich immer schwer mit der einem selbst eventuell innewohnenden Schlagfertigkeit..
Selbstverständlich würde ich jederzeit wieder, falls ich noch mal Taxe fahren sollte, die Fahrtziel-Angabe ‚Checkpoint Charlie‘ aufstöhnend so beantworten :
‚ Ja gerne, aber kann nicht mal e i n e r statt zum Checkpoint Charlie zum Checkpoint Alfa oder Checkpoint Bravo fahren mit mir ?
Die sind ja bekanntlich bei Dreilinden bzw. Hannover gelegen. Die Kontrollpunkte wurden nach dem Militär-Alphabet durchbuchstabiert, Alfa , Bravo, Charlie und so weiter. Ich hatte das nie im Sinn, aber es gab dann immer sehr gute Trinkgelder, sozusagen als Entschädigung.
Schön wäre auch, mal einen Taxifahrer Gesprächs-einleitend zu fragen: ‚Und, seit wann sind Sie aus dem Knast wieder raus?‘
[…] schon des Alters wegen ist die Frage danach, ob ich nebenher studiere, immer noch oft Thema im Auto. Ich antworte inzwischen mit einem Augenzwinkern und sage, dass es […]
[…] sein soll: Ein bisschen geschmeichelt war ich schon. Und immerhin glaubte sie nicht, ich würde studieren […]
der die Menschheit dereinst veranlasste, sich nicht mehr mit Affen zu paaren
Die Affen[1] (Anthropoidea, Simiae[2] oder Simiiformes[3]), auch als „Eigentliche Affen“[4] oder „Höhere Primaten“[5] bezeichnet, sind eine zu den Trockennasenprimaten gehörende Verwandtschaftsgruppe der Primaten. Traditionell wurden sie den „Halbaffen“ gegenübergestellt, jedoch sind sie mit den Koboldmakis näher verwandt als mit den übrigen Vertretern dieser Gruppe. Sie teilen sich in die Neuweltaffen und die Altweltaffen auf, zu denen auch der Mensch gehört.
würden wir uns nicht mit affen paaren könnten wir uns nicht fortpflanzen…warum denken Menschen immer sie seien was anderes als ein Trockennasenaffe?
Im Durchschnitt bleibt ein Unterschied bei der DNA zwischen Schimpanse und Mensch vom gleichem Geschlecht von 1,5 Prozent.
Die Differenz im Erbgut von Menschenfrauen und Menschenmännern kann zwei bis vier Prozent betragen.
@asci:
Autsch, da hab ich doch tatsächlich in einer prosaischen Erzählung versehentlich nicht mit wissenschaftlichen Termini gearbeitet. Ist natürlich ein grober Fehler, mit dem ich mich den unteren 99% der Menschheit gefährlich annähere …
[…] ich immer noch der Meinung bin, man sollte den Job Taxifahrer nicht runterspielen (anfangs hab ich das „Studieren Sie?“ ja wirklich gehasst.), kann ich inzwischen verstehen, warum so viele Kunden auf die Idee kommen, dass man ja noch was […]