Auch besoffen

Ich hab vorgestern schon wegen der persönlichen Aufarbeitung erst einmal die Kundin mit dem Totalausfall verbloggt. War halt eine Fahrt, die mich nachhaltig beschäftigt hat. Um aber zu verstehen, warum ich sowas überhaupt mache, möchte ich auch die Fahrt davor erwähnen. Und „davor“ bedeutet, dass sie noch keine 10 Minuten Vergangenheit war, als ich die Dame aufgepickt habe, die wider Erwarten inzwischen ja auch gezahlt hat.

Die Schicht war mies und ich bin unbesetzt von der Halte los, weil ich befürchtete, das Autofahren zu verlernen, bevor Kundschaft kommt.

Und dann stand er da. Und mit Stehen meine ich eine stete Folge von Ausfallschritten in alle Richtungen. Rotzebesoffen, ein guter Kandidat, um auch von 90% der Taxifahrer nicht mehr mitgenommen zu werden. Junger Typ, groß, muskulös, Kurzhaarfrisur. Könnte Soldat gewesen sein.

„Schuljng, bin bsoffn.“

„Sehe ich. Wo soll’s hingehen?“

Eine Hauptstraße, keine zwei Kilometer entfernt. Wird schon pass …

„Schmuss kotzn!“

„Rechts ran?“

„Nee, ’s ok, schsag bscheid!“

„Aber bitte rechtzeitig!“

Und er sagte Bescheid. 150 Meter weiter. Er stieg etwas hakelig aus und begann dann eine fast schon erotisch anmutende Symbiose mit einem Baum einzugehen. Die Uhr lief.

Und dann fiel er um.

Ich also raus aus dem Auto. Ich gebe zu, ich hatte bei nur 4,50€ auf der Uhr überlegt, abzuhauen, aber fuck it! Es war arschkalt, ich kann den da nicht liegen lassen!

Ich hab ihm hochgeholfen, ihm Küchenrolle zum Abwischen gegeben und ein Bonbon gegen den Geschmack verpasst. Cent-Artikel, Sekunden-Aktionen, definitiv nix, was mein Leben schlechter gemacht hat.

„Dange Mann, bis korreggder Typ, schmagdir!“

Zugegeben: Mit normaler Kundschaft hätte das vier Minuten weniger gedauert. Aber genau dafür lief ja die Uhr weiter. Am Ende war es ein Zehner mit gutem Trinkgeld und zudem das Gefühl, jemandem geholfen zu haben.

Ich weiß, es ist furchtbar in, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man jemandem nachweisen kann, dass er sich selber in die Situation gebracht hat und ihn deswegen scheiße zu finden, bzw. ihm die Hilfe zu verweigern. Ist mir ehrlich gesagt zu stressig und so war die Tour am Ende wirklich mehr als ok für mich.

Und was es für ihn bedeutet hat, dass er nicht neben seiner eigenen Kotze unter einem Baum aufgewacht ist … ich maße mir nicht einmal an, den Unterschied zu ermessen.

7 Kommentare bis “Auch besoffen”

  1. Sebastian sagt:

    So langsam kommen wir auch in Temperaturbereiche in denen er vielleicht nicht mehr neben dem Baum aufwacht…

  2. Edgar Ladwig sagt:

    bist n guter

  3. Ana sagt:

    Immer wenn in deinen Geschichten die Leute beim Kotzen zusammenbrechen erwarte ich eine Geschichte über verschmierte Klamotten und Diskussionen ob der Weiterfahrt. Aber nix kommt.
    Die brechen alle nicht zum ersten mal (zusammen)

  4. taxiracer84 sagt:

    Hallo und Moin Moin. Das was Sash da so schön nieder geschrieben hat, kenne ich zu gut. Ich fahre selber auch, nur Nachts am Wochenende Taxi, bei uns in Dithmarschen (ist in Schleswig-Holstein an der Nordsee). Ich kenne es allerdings mit endlosen Diskusionen. Der Beste Fall war vor ca. 2 Jahren, wo ich gerade in dem Unternehmen angefangen hatte, stand ein Auto bei in der Halle, wo die Scheiben unten waren und ca. 4 Wochen nicht bewegt wurde. Auf meine Frage, was mit dem Auto sei, habe ich als Antwort bekommen, das bei dem Auto einer vorne in die Lüftung gek…… hat. Das ganze Theater hat ca. 2000,–€ an Reinigung gekostet. Also man erlebt als Taxifahrer schon eine ganze Menge. Aber ich mache den Job gerne, weil man auch eine Menge nette Leute kennen lernt.

  5. Bitlefelder sagt:

    Vor Ewigkeiten kamen wir aus ner Disco raus. Und dann lag da ein paar hundert Meter weiter ein Mädel auf dem Boden, ihr Freund (?) daneben hockend. Das Mädchen war bewusstlos und lag in ihrem Erbrochenen.
    Meine Kumpels riefen dann den Krankenwagen, während ich das Mädchen in die stabile Seitenlage brachte. War auch nicht schön, denn das Erbrochene war überall.
    Ja, auch die war selber schuld. Aber, Hand aufs Herz, planen tut sowas niemand. Das ist eigentlich immer Ergebnis von Selbstüberschätzung.
    Trotzdem, oder gerade deswegen, auch Besoffenen muss man helfen – erst Recht, wenn diese kotzen und das Bewusstsein verlieren. NIEMAND, wirklich NIEMAND verdient es, an seiner eigenen Kotze zu ersticken.

  6. Gast sagt:

    100% d’accord.
    Das ist das, was ich in den einigen Jahrzehnten meines Lebens gelernt habe: man muss hilflosen Menschen (und Tieren) helfen. Und ich bin immer wieder erfreut, in den Stories von Sash zu sehen, dass diese Überzeugung kein antikes Artefakt ist.

    Aber dann lese ich in der Zeitung von einem jungen Mann, der Rettungssanitätern Prügel androht, weil sie es wichtiger finden ein Kind zu reanimieren als dafür zu sorgen, dass er ausparken kann…
    Fällt einem dazu noch was ein?

  7. Sash sagt:

    @Ana:
    Und glaube mir: Ich sehe da immer unauffällig, aber genau nach. In obigem Fall hab ich ihn sogar gefragt, ob er jetzt echt so blöd war, reinzufallen. Bisher war da aber immer nur Glück. Ja, mal’n Fleck am Schuh, aber nix, was ohne Kotzen nicht auch passieren würde.

    @taxiracer84:
    Uh … so schlimm isses mir noch nie ergangen.

    @Bitlefelder:
    *sign*

    @Gast:
    Dass andererseits ein gewisser Prozentsatz der Menschen egoistische Vollidioten sind, kann auch als gesichert gelten. Deswegen zynisch gar niemandem helfen zu wollen ist halt auch nicht mein Weg.

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