Zurückschauendes Fahren

Das in der Fahrschule so gerne gepredigte „vorausschauende Fahren“ ist ja auch so eine Sache, der man als Profi ambivalent gegenübersteht. Es gibt viele Momente, in denen ich tiefenentspannt durch die Berliner Prärie pflüge, die Geschwindigkeitsbegrenzungen nur so grob im Blick, die Anlage auf Lautstärkestufe 11 von 10 und eher mäßig an meiner Umwelt interessiert. Andererseits sind natürlich auch die Momente, in denen ich mit den Knien lenke und mit der sonst unter dem Beifahrersitz verstauten Luftgitarre die Soli von Metallica mitspiele, nur selten unabhängig von der Verkehrslage gewählt.

Als ich vorher auf dem Weg in den Feierabend die leere Rhinstraße entsprechend musikalisch bewaffnet entlanggebrettert bin, verriet mir dann doch ein Glänzen auf der Fahrbahn, dass ich achtsam sein sollte. Also kurzer Test mit beiden Händen am Lenkrad … O ja! Die Brücke über die S-Bahn am Bahnhof Friedrichsfelde-Ost war vereist. Trotz Vollbremsung schoss die 2925 munter geradeaus weiter, aber immerhin schön geradlinig und am Ende locker stoppbar vor der roten Ampel. So viel zum spielerischen Übermut meiner Wenigkeit. Ich mag den Winter, ich mag vereiste Straßen und auch nach 13 Jahren Führerschein wird über den Asphalt schlittern nicht weniger lustig.

Aber wie ich da so Spaß hatte, wurde mir eines bewusst: Ich hab vor einer Minute einen eigentlich auch nicht langsamen Vierzigtonner überholt, der nun bald hinter mir auftauchen müsste. Der also mit 60 km/h auf die vereiste Brücke fahren würde, auf der ein Abbremsen ggf. nicht mehr machbar ist. Ich weiß nicht, wie das andere Autofahrer halten, die gerade ihre Lieblingsmusik auf Anschlag hören und gute Laune haben – aber mir ist sowas eigentlich immer bewusst. Also hab ich, noch bevor die Lichter des Trucks im Rückspiegel aufgetaucht sind, kurz getestet, ob der Untergrund inzwischen genug Reibung hergibt. Und was der Fahrer des roten Peugeots in der Nebenstraße für Anstalten macht, loszufahren. Denn ja: Würde das Ungetüm hinter mir nicht gut bremsen können, müsste ich einen schnellen Start – ggf. auch über die rote Ampel hinweg – hinlegen müssen, um einen Unfall zu verhindern. Als ob es mir helfen würde, dass der Andere alleine schuld wäre!

Der Peugeot fuhr aus dem Gefahrenbereich, der Truck näherte sich im Rückspiegel und meine Reifen hatten Grip. Der LKW-Fahrer bremste langsam und behutsam und zudem schaltete die Ampel auf Grün, es bestand am Ende nicht mal ansatzweise eine Gefahrensituation. Schön.

In dem Fall hat mir all das Rumüberlegen nicht wirklich was gebracht und ich war bei meinem Solo auch reichlich aus dem Takt geraten. Ich glaube trotzdem, dass es am Ende solche Situationen sind, die ggf. darüber entscheiden, ob ich als professioneller Fahrer den Unterschied mache, den einen Unfall verhindere, die eine Katastrophe abwende. Sprich: Genau das, was der engagierte Laie dann halt doch nicht hinkriegt.

PS: Ja, ich weiß: Jeder hier ist der beste Autofahrer der Welt! Ich will mir hier keinen runterholen auf ein bisschen notwendige Vorsicht. Ich bin ebenso nicht frei von Fehlern und alles vorhersehen kann gleich dreimal niemand. Aber ich glaube, dass es sinnvoll ist, sowas mal anzusprechen, mal Gedanken und Diskussionen anzuregen. Am Ende geht es im Verkehr immer nur darum, dass alle zusammen eine Situation gemeistert kriegen. Am Ende ist jeder „unnötige“ Gedanke übers eigene Verhalten besser als ein Schleudertrauma oder noch schlimmeres – ich denke, da sind wir alle uns einig.

6 Kommentare bis “Zurückschauendes Fahren”

  1. Wir alle machen Fehler. Glücklicherweise ist vor allem im Straßenverkehr dann oft einer aufmerksamer als man selbst und verhindert damit, dass das heilige Blechle kaltverformt wird oder der Außenspiegel abrasiert.

    Daher danke ich immer allen, die in meinen schwachen Momenten für mich mitdenken und versuche ansonsten auch für die anderen Lenker um mich herum einen zusätzlichen Gedanken abzugewinnen.

  2. /me sagt:

    Solche Artikel finde ich wichtig, denn die Leser und ich können dann versuchen, ihr Fahrverhalten zu verbessern. Und möglichst zu wissen, wo die anderen Verkehrsteilnehmer, wie der LKW, sind, und der Straßenzustand, sind dazu ein wichtige Schritte. Vielleicht mache ich das noch zu wenig, werde drauf achten.

  3. Bernd K. sagt:

    Ging mir kürzlich ähnlich. Auf dem Heimweg am späten Abend erkannte ich durch jahrzehntelange Erfahrung die Gefahr bei ansonsten griffigem Weg und kam durch angepasste Geschwindigkeit und dank Ganzjahresprofil an den Füssen gut über zwei vereiste Fussgängerbrücken. Ich war nur froh, das ich nicht mit dem Rad in die Stadt gefahren war. 🙂

    (Um den Blick mal etwas von der hier fast ausschliesslich thematisierten vierrädrigen Fortbewegung zu weiten)

    Dem @Maskierten ist zuzustimmen. Mein Spruch: Hauptsache einer passt auf.

  4. Faxin sagt:

    Hatte mal vergleichbares auf Kreta. Dort sind die Straßen so glatt, dass sich nachts die Lampen darin recht konturtreu spiegeln. Man kann auch die Pfähle der Straßenbeleuchtung auf der Straße erkennen. Oder die Kontur der Autos. Mit glatten Schuhen kann man auf der trockenen Straße ausrutschen.

    Leicht – eher minimalst – abschüssig komme ich mit rund 50km/h auf eine scharfe Linkskurve zu. Links Steilhang, rechts Abhang… aber Leitplanke. Da es leicht feucht ist, trete ich vorausschauend in sehr weiter Entfernung (200-300m) leicht auf die Bremse, um die Wirkung zu testen. Die Bremse greift und die Reifen kommen zum Stehen. Soweit so gut.
    Sonst passiert nichts weiter.
    Wir rutschen also mit ca. 50 km/h mit stehenden Reifen und ohne Geschwindigkeit zu verlieren frontal auf die Leitplanke zu.
    Dort ist es (fein-)sandiger als hier und wenn es dann ganz leicht regnet, dann ist das ganze wie Schmierseife auf einer sehr glatten Straße. Natürlich gab’s genau an der Stelle auch keine Schlaglöcher, durch die man hätte brettern konnte, um noch etwas Grip abzubekommen. Runter von der Bremse: Reifen drehen wieder, wieder vorsichtig auf die Bremse: Reifen stehen wieder. Außer einem ganz kleinen Ruck wenn die Reifen stehen bleiben merkt man sonst nix.

    Also wieder runter von der Bremse und die Bremse ganz lieb streicheln. ABS geht ja auch ohne Elektronik… Ganz leicht drücken und wenn die Reifen stehen bleiben wieder ganz leicht lösen, gerade bis die Reifen wieder anfangen sich zu drehen. So halten und hoffen, dass die Bremsklötze noch ein wenig Kontakt zur Bremsschreibe haben… Die Geschwindigkeit reduziert sich marginal… also weiter so… es besteht Hoffnung, falls wir beim Einlenken in die Kurve nicht wegrutschen, aber es wird knapp. Schrittgeschwindigkeit wäre vielleicht vertretbar, aber soweit bekomme ich den Wagen bis zur Kurve nicht mehr runtergebremst.

    Im Rückspiegel taucht nun ein Geländewagen auf… deutlich schneller als ich. Und ich sage zu meinem Beifahrer, dass wir es vielleicht schaffen, aber vermutlich der Wagen hinter uns uns in die Leitplanke schieben wird. Dem traute ich jedenfalls nicht mehr zu, rechtzeitig runter zu bremsen. Mein Beifahrer soll sich also auf einen Einschlag vorbereiten.
    Bei um die 30km/h erreichen wir die Kurve, erfreulicherweise kann man über den Abhang hinweg die Straße in der Ferne sehen und da sehe ich keine Autos. So nehme ich die Kurve wirklich sehr „sportlich“ und mit 25-30km/h und Hilfe von Gegenfahrbahn und Standstreifen möglichst weit, um möglichst wenig einlenken zu müssen. Lieber schräg seitlich an der Leitplanke entlang rödeln als frontral rein, das sieht scheiße aus, aber das Auto fährt dann wahrscheinlich noch. Ich komme auf dem Standstreifen meiner Seite hinter dem Kurvenausgang parallel zur Leitplanke zum Stehen – und zwar sehr, sehr dicht an der Leitplanke.
    Hat gepasst – Schwein gehabt.
    Wild hupend überholt mich der Geländewagen. Der hat dafür eindeutig die besseren Reifen… ich war davon ausgegangen, dass er uns beim Kurveneingang wegschiebt. So fühlte er sich wohl belästigt, weil ich im Schneckentempo die ganze Straße in Beschlag nehme.
    Egal, mein Auto hat nix abbekommen und dass in Griechenland komisch gefahren wird ist normal – da darf ich auch mal.
    Ich fahre vorsichtig weiter. Drei Kurven später sehe ich aus der Ferne den Geländewagen rechts auf die Leitplanke zurutschen, dort einschlagen und wie die Leitplanke sich eher wie ein Seil aus der Verankerung reißt – manche Pfosten bleiben an der Leitplanke, einige am Boden, die anderen heben wie Raketen ab – und die Leitplanke geht mit dem Wagen hoch. Das muss eine spannende Aussicht sein, wenn man außer Kontrolle von der Straße abgehoben hat und sich die Motorhaube über dem Abgrund befindet und man gerade noch an Höhe gewinnt. Der Wagen wurde dann in einen knappen Meter über dem Boden aus der Leitplanke wieder in Richtung Straße geworfen, wo er mittig landet/einschlägt, um dann schräg bis gegen den Hang auf der linken Seite zu rutschen.
    Wirklich beruhigend zu sehen, wie stabil so eine Leitplanke doch ist. Vor allem in Griechenland hätte ich eher erwartet, dass man da wie durch Pappe einfach durchfährt – vor allem mit einem Geländewagen.

    Das Auto steht schräg am Steilhang. Wir halten vorsichtig an… „Is everything alright?“. Der Beifahrer steigt aus und gibt uns wütend zu verstehen, dass wir verschwinden sollen. Wir interpretieren das als „Ja“ und in Anbetracht des Fahrzeugs kommt mir die Frage etwas unpassend vor: Das Fahrzeug steht schräg zur Steilwand, aber ansonsten gerade. Für einen Geländewagen sieht er aber recht mitgenommen aus. Die Front und rechte Seite ist von der Leitplanke geschmiergelt worden und der rechte Vordereifen gehört eigentlich nicht unter den Motor. Das Auto ist definitiv nicht okay. War wohl ’ne blöde Frage, denn so ein Geländewagen ist auf Kreta wirklich richtig bösartig teuer – das tut schon weh.
    Der Fahrer kommt schweigend ums Auto auf die Straße.
    Der ältere Beifahrer (vielleicht der Vater, aber ziemlich offensichtlich der Besitzer) beginnt den Fahrer anzuschreien, wie es sein kann, dass so ein paar verf***te Touristen hier vernünftiger fahren als er und richtet ein Reihe anderer Schimpfworte an ihn. Mein Griechisch ist sehr überschaubar, aber „Malaka“ war mir bekannt.
    Beiden geht’s offensichtlich gut genug, um zu schreien bzw. angeschrieen zu werden.
    Das mit den verf***ten Touristen fand ich nicht nett, ich war zu der Zeit Einwohner und kein Tourist – wenn auch mit deutschem Kennzeichen.

    Tipp: Nach Kreta fährt man besser mit Winterreifen und nicht mit deutschen Sommerreifen… Hartgummi auf glatten Oberflächen erzeugt wenig Grip… obwohl wenn’s trocken ist, kann das auch Spaß machen… mein damaliger Renault Megane (73PS) fühlte sich jedenfalls recht sportlich an, wenn man nicht gewohnt ist, dass im 3. Gang – oder überhaupt irgendwann mal – die Reifen durchdrehen, wenn man Gas gibt und durch die Kurve driftet. ^^

  5. hrururur sagt:

    Ich kenn den Berliner Verkehr ja nicht, aber hier in Hamburg MUSS man einen in alle Richtungen mitdenkenden Blick haben. Mit dem Privatauto fahre ich 40.000 im Jahr, mit dem Firmenwagen(Transporter) zehntausend .Aber die kosten mich wegen der schlechten Sicht und dem hohen Schwerpunkt hundert Mal mehr Nerven…

    Mein nächstes Auto wird ein alter Volvo. Da sieht man wenigstens was und dicke Stiefel bremsen nicht beim Gas geben und winterfest sind die auch. Und man kann zur Not drin wohnen.

  6. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Meiner Meinung nach die beste Einstellung!

    @/me:
    Die Hoffnung, dass Menschen deswegen mehr nachdenken, ist natürlich hoch gegriffen. Aber wenn es auch nur einmal irgendwo hilft, dann war’s den Aufwand schon wert. Ich jedenfalls wäre schon ziemlich stolz darauf, wenn ich irgendwann mal erfahren würde, dass 20 Minuten Getippsel von mir einen Schaden im vierstelligen Bereich verhindert hätte. Von noch größerem wie Menschenleben mal ganz zu schweigen.

    @Bernd K.:
    Natürlich trifft das auf alle Verkehrsmittel zu. Bei den motorisierten ist aber zugegeben der verhinderbare Schaden ungleich größer …

    @Faxin:
    Danke für den Tipp! 😀
    Nee, im Ernst: Ist eine eindrucksvolle Schilderung, ich hab’s beim Lesen nahezu miterlebt. Danke!

    @hrururur:
    Hier in Berlin kostet der Verkehr oft auch mehr Nerven. Aber ich hab ja auch das Privileg, mich nachts um 2 Uhr in Außenbezirken herumtreiben zu dürfen. 🙂

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