Nachwuchs

… und dann stolperte die junge Dame mit dem zerrissenen T-Shirt über den Vorplatz des Ostbahnhofs. Die Bierflasche in der Hand, schwankend, blieb sie mitten auf der Straße stehen und hatte so etwas ähnliches wie ein Bewerbungsgespräch:

„Boah, lauter Taxis hier! ICH KÖNNTE AUCH TAXI FAHREN! HAB ICH ALLES BEI GTA GELERNT!“

Gnadenlos überqualifiziert. So haben wir alle angefangen. 150$ für eine Zwei-Kilometer-Fahrt mit drei Frontalcrashs nehmen und am Ende den Fahrgast zum Dank überfahren. Mit der Zeit wird man halt ruhiger und da ist es gut, wenn Nachwuchs vorhanden ist. 😉

Sie sollte mal mit dieser Kundin reden, die auch Taxifahrerin werden wollte. Das könnte ein gutes Team werden.

Letzte Tour in Reinform

Gut, eigentlich hatte ich vor Jahren schon mal eine „Feierabendtour wie aus dem Lehrbuch„. Die heute kann aber durchaus mithalten.

Ich war mehr oder weniger satt. Mir fehlte noch ein Zehner zum Wunschumsatz und ich hatte vor, in einer Dreiviertelstunde Feierabend zu machen, aber es war mir recht egal. Ich hatte mich nochmal an den Bahnhof gestellt, weil dort nur ein Taxi stand. Hätte ich gewusst, was für ein gruseliger Kollege darin saß, wäre ich geflüchtet. Aber gut, so hatte ich drei Minuten Smalltalk from Hell. Dann kam er endlich weg und ich kurz darauf.

Heute lag mein Abstellplatz ein bisschen weiter weg als sonst, denn da das neue Getriebe für die 72 erst spät geliefert wurde, hatte ich wieder mal einen Ersatzwagen. Die 2223, die ich beim letzten Getriebeschaden auch schon mal hatte. Dank der wirklich grotesken Fehlentwicklung des Navis werde ich sie wohl nie endgültig lieb gewinnen – aber für die meisten Fahrten braucht man ja sowieso keines. Die 2223 hab ich jedenfalls an der Firma holen müssen, bei der letzten Tour wäre es mir also recht gewesen, wäre es etwas in den Südosten gegangen.

Kam natürlich anders: Steglitz. Zumindest mal ein um 120° abweichender Kurs.

Eine Dreierbesatzung aus einem vollkommen abgefüllten Schluck(auf)specht auf dem Beifahrersitz, seiner stark genervten Freundin hinten rechts und einem Tiefschläfer hinten links. Aber hey – immerhin eine Tour, bei der ich übers Ziel hinausschießen würde!

Schlucki von nebenan versuchte die ganze Zeit das zu tun, was er am wenigsten konnte: reden. Das war soweit ganz lustig, zumindest für mich. Seine Freundin sah das etwas anders und verweigerte ihm auch den Wunsch „an jeder fucking McDonald’s-Filiale unterwegs“ anzuhalten. Schnell nach Hause, dann is‘ gut!
Da ich ihre Straße nur so vom Hörensagen aus Zeiten der Ortskundeprüfung im Kopf hatte, fragte ich sie nach einem Anhaltspunkt und bekam im Gegenzug eine ausführliche Routenbeschreibung, die die beiden Kunden-Echtheitssiegel „so würde ich fahren“ und „3 km Umweg“ trug. Ich nehme geschenktes Geld zwar gerne an, hab dann aber doch abgekürzt und ein ehrliches Danke dafür erhalten. Ist ja auch mal was! 🙂

An diesem Punkt meldete das Murmeltier hinter mir, dass es mal eben eine kurze Pause wünschen würde.

„Wieso? Ist Dir schlecht?“

„Ja.“

Dieses Mal war es glücklicherweise kein Problem, dass der Kotzkandidat (wie gefühlt immer) an der Türe mit der Kindersicherung saß. Alle verließen in geordneter Formation ruhig das Taxi. Auch ich, denn ich ging gleich an die Heckklappe, um dem Auswurfaspiranten ein wenig Küchenrolle zum Abwischen zu reichen. Dass ich noch Bonbons gegen den Geschmack dabeihätte, ließ ich ihn auch wissen und setzte mich wieder ins Auto. Sollten die Jungs ruhig alleine durch Hicksen und Kotzen die Schöneberger Nacht bereichern.

Die sie begleitende Dame saß inzwischen hinter mir und staunte:

„Wow, Sie sind gut ausgerüstet!“

„Naja, eigentlich hab ich das Papier ja, um das Auto sauberzuhalten.“

Da es sonst nichts zu tun gab, erzählte sie mir auch, weswegen sie eigentlich so sauer war. Nicht wegen dem Schluckauf – um Gottes Willen! Nein, die beiden hätten sie angerufen, woraufhin sie bereit zum feiern für 30 € mit dem Taxi angereist war. Schon das Treffen war schwierig, weil die beiden ihre Handys nicht bedienen konnten und am Ende waren die Jungs schon voll wie zwei Eimer als die Freundin ankam. Keine Chance mehr, feiern zu gehen. Als ob das nicht reicht, ist der Schlaf-und-Kotz-Kumpel wohl auch noch für anderthalb Stunden unaufweckbar weggetreten, die sie stoisch ertragen hat, bis sie alle dann – mit mir – den Heimweg antraten. Eine Stunde nervige Hinfahrt, anderthalb Stunden den Kumpel wachklopfen und jetzt auf dem Rückweg auch noch ein Stopp zum Reihern. Ich konnte ihre Stimmung irgendwie nachvollziehen. Arg viel sinnloser kann man seine Zeit ja kaum verschwenden.

Mich hat das an diese Jungs hier erinnert.

Im weiteren Verlauf war die Tour an sich problemlos, nur wird sich ein Mensch aus Steglitz morgen wohl von seiner Freundin anhören dürfen, weswegen sie auf ihn sauer ist. Bis dahin wird es ihm selbstverständlich wie all meinen Fahrgästen, die ich unter widrigen Umständen nach Hause verfrachtet habe, gut gehen. Die letzten Worte, die ich von ihm vernahm, waren:

„Und jetzt, Schatz, jetzt mache ich mir alle Fischstäbchen, die wir noch zu Hause haben!“

Jetzt neu: UberFAIR?

„We have to bring out the truth about how dark and dangerous and evil the taxi side is.“

– Travis Kalanick, Uber-CEO (Quelle)

Während die Quellen bezüglich des natürlich furchtbar bösen Taxikartells weiter ihrer Veröffentlichung harren, hat das Magazin „The Verge“ die Tage interessante Infos aus dem Uber-Reich geleakt:

Die beiden Fahrdienst-App-Anbieter Uber und Lyft liegen in den USA seit Beginn an im Clinch. Das weltweit die Gerichte strapazierende Angebot UberPOP startete ungefähr zeitgleich mit Lyfts Angebot und die Meinungen darüber, wer von wem abgeguckt haben könnte, gehen auseinander und das hat schon zu unschönen Debatten zwischen den jeweiligen Gründern geführt.

Vor gar nicht allzu langer Zeit beschuldigte Lyft Uber dann, tausendfach Lyft-Fahrten angeordert und gecancelt zu haben, was Uber natürlich umgehend bestritt und Lyft des selben Vergehens bezichtigte. Obwohl die Telefondatenabgleiche bei Lyft eine deutliche Sprache zu sprechen scheinen und zumindest ich mich persönlich frage, wie das bei Uber Sinn macht, wo sie doch eine Storno-Gebühr erheben. Teil der Debatte war auch, dass Uber-Mitarbeiter Lyft-Fahrten buchten, um die Fahrer abzuwerben.

Bis zum investigativen Artikel von „The Verge“ war das der Stand der Dinge: zwei konkurrierende Unternehmen mit offenbar etwas übereifrigen Mitarbeitern ringen miteinander. Was das (im übrigen keineswegs für Uber-Kritik bekannte) Magazin dann enthüllte, war jedoch etwas handfester:

Uber beschäftigt eine eigene Riege von Leuten, die sich – über eigens eingerichtete Online-Plattformen – organisiert dem Abwerben von Lyft-Fahrern widmet. Um im System von Lyft keine Spuren zu hinterlassen, können diese Mitarbeiter – einfach per Formular  – mal eben schnell angeben, wie viele Kreditkarten oder nicht zurückverfolgbare, weil nur zum einmaligen Gebrauch gedachte, Smartphones sie von Uber bräuchten. Irgendwo muss das viele Geld ja offensichtlich hin. Der Name der Operation: SLOG. Englisch sowohl für „schuften“, „ackern“, jedoch zeitgleich auch in der Form „to slog someone“ verwendet für „verprügeln“, „verdreschen“. Was nicht überraschend ist, wenn man bedenkt, dass alleine ein vielfaches „Besetzen“ von Fahrzeugen mit Nicht-Kunden durchaus schädigende Wirkung in dem Geschäft haben kann. Dass mindestens in einer „The Verve“ vorliegenden Mail der Hashtag #shavethestach („Rasiert den Schnurrbart“ – ein Werbeslogan von Uber, der auf die rosanen Schnurrbärte anspielt, die Lyft-Autos auf dem Kühlergrill haben) trägt, lässt es plausibel erscheinen, dass das Ziel nicht „nur“ das Ausspionieren von Lyft, sondern zumindest nebenbei auch die Schädigung des Konkurrenten war.

Wohl in Anbetracht der Enthüllungen von „The Verve“ veröffentlichte Uber umgehend eine wie immer rundgeschliffene Antwort, in der sie die Operation SLOG (laut Uber für „Supplying Long-term Operations Growth“ – ob das ein Backronym ist, ist vermutlich eine Glaubensfrage) einräumen und neben wunderbar wohlklingender Werbung für ihren Dienst an der Menschheit als einzigen Satz unterstreichen:

„We never use marketing tactics that prevent a driver from making their living“,

dass sie also niemals absichtlich Fahrten gecancelt haben. Wobei bemerkenswert ist, dass sie intentionally – absichtlich – eingefügt haben (natürlich fällt sowas wegen mangelnder Abstimmung im Rahmen so einer Operation auch mal versehentlich an) und die übrigen Aktionen, die je nach Ansprechpartner als „nur“ unmoralisch oder aber sogar illegal eingestuft werden, gar nicht erst anfechten. Und obwohl Lyft rechtlich ebenso viele Fragen offen lässt wie UberPOP/UberX, darf man fragen, inwiefern selbst für ein aggressives Unternehmen wie Uber überhaupt die Notwendigkeit besteht, Konkurrenten so zu behandeln, die man vermutlich auch einfach aufkaufen könnte.

Der von Kalanick gegenüber Fahrern, Nutzern und auch der Politik verwendete Narrativ ist der, dass zu ihren Ungunsten fairer Wettbewerb verhindert wird. Vielleicht wäre es in Anbetracht der Fakten Zeit, ihn auf sein hier einleitend verwendetes Zitat aufmerksam zu machen und ihn zu fragen, ob wir nicht mal auf beiden Seiten die Wahrheit über das „Gefährliche“, das „Dunkle“ und das „Böse“ suchen sollten.

Kurzer Zwischenbericht

Dass es diese Woche an interessanten Fahrgästen bei GNIT mangelt, ist kein Zufall. Zuerst hatte ich letztes Wochenende viel zu tun und ein wenig Stress mit dem Ersatzauto – und nun ist die 72 immer noch in der Werkstatt, weil tatsächlich das Getriebe erneut raus muss. Pech gehabt, Montagsmodell, sowas in der Art. Ist ja noch nicht lange drin gewesen. Ich hoffe, dass es zeitlich klappt, dass ich heute Abend auf die Straße kann, aber das werde ich wohl erst im Laufe des Nachmittags erfahren. Irgendwas musste ja kommen, nachdem der Monat so gut angefangen hat. 😉

Das Firmengrillen war wie immer eigentlich nett, aber inzwischen bin ich bekannt als „der, der immer alles ins Internet schreibt“. Vielleicht kann ich mich deswegen an keine Kollegenanekdote erinnern. Oder es lag am letzten Bier, das weiß man ja nie.

Naja, dann drücke ich unserem Mechaniker mal die Daumen, dass er das mit dem Getriebe heute fertig bekommt.

Triggerwarnung: in Kürze erscheint noch ein Uber-Artikel. 😉

Nun dann doch: Grillen!

Nachdem ich Anfang des Monats ja den Fehler gemacht habe, dem Flurfunk zu trauen und dann auf eine Grillparty getroffen war, die nicht existierte, hab ich dieses Mal brav auf die offizielle SMS aus dem Chefbüro gewartet. Und ja, nun isses soweit: heute Abend – unmittelbar nachdem der Sommer in Berlin für beendet erklärt wurde und der (ganz sicher!) dafür verantwortliche regierende Bürgermeister seinen Rücktritt verkündet hat, wird gegrillt.

Und ich freue mich drauf. So sehr, dass ich mir dafür meinen Wecker gestellt habe.

Firmenfeiern sind gemeinhin ja etwas seltsam: plötzlich soll man mit Leuten ausgelassen sein, mit denen man schon seinen Arbeitsalltag verbringt. Aber wie vieles andere ist ja auch das im Taxigewerbe anders. Obwohl es selbst bei uns im Betrieb Gesichter gibt, auf deren Anblick ich keinen Wert lege, ist es ja vor allem mal so, dass ich die Leute eben nicht jeden Tag sehe. Ein paar ausgewählte Kollegen treffe ich zwar immer mal wieder an einem Taxistand, meine Chefs hingegen nur etwa einmal monatlich. Andere noch seltener, obwohl ich das schade finde. Zudem: Kollegen kommen, Kollegen gehen – man trifft immer auch neue Leute. Und wie das Gewerbe es so will: an unterhaltsamen Geschichten mangelt es natürlich auch nicht. 🙂

Ich freue mich ernstlich auf jede dieser Feiern.

Wie es heute wird, weiß ich trotzdem nicht einzuschätzen. Vielleicht wird um 22 Uhr die Türe abgeschlossen und die letzten drei Leute gehen satt nach Hause, vielleicht wanke ich auch wieder mit einem meiner Chefs nachts um 3 Uhr noch zur Tanke gegenüber, um einen weiteren Kasten Bier zu holen. Vielleicht werde ich wieder Tischkicker-König oder ein Kollege hat inzwischen aufgeholt und übernimmt den Thron. Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden. Ob ich morgen abend arbeiten werde, halte ich mir so lange besser noch offen.

Mal abgesehen davon, dass ich als Arbeitnehmer sowieso zufrieden sein kann mit meinen Chefs, finde ich es nach wie vor schön, dass sie zumindest ein- oder zweimal im Jahr so einen Abend veranstalten. Damit man mal Zeit hat, sich zu unterhalten, damit man mal die neuen Kollegen kennenlernt. Und das, obwohl das im Gewerbe laut den Aussagen verschiedener Kollegen nicht (mehr) allzu üblich ist.

Während Betriebsfeiern anderswo bedeuten, dass man die unliebsamen Kollegen fünfeinhalb statt fünf Tage in dieser Woche ertragen muss, geht es mir da anders. Taxigewerbe bedeutet Niedriglohngewerbe mit Einzelkämpfertypen, da haben gemeinschaftliche Treffen mit freier Verköstigung Seltenheitswert. Und zumindest ein paar der Einzelkämpfer sind dann ja durchaus auch nett. 🙂

Ob Ihr einen ähnlich schönen Abend habt wie ich, weiß ich nicht. Aber ich wünsche es Euch!

Wen es stört

Ich bin gerne mal Spielverderber. Also gerne, nun ja, das vielleicht nicht – aber zu manchen Themen reisse ich gerne mal’s Maul auf und nerve damit offenbar einige. Und das, sieh an, scheint nicht so sinnlos zu sein. Wer mich seit mehr als einer Woche kennt, weiß, dass ich mit Ausländerfeindlichkeit oder gar Rassismus auf Kriegsfuß stehe. Das ist glücklicherweise inzwischen konsensfähig. Aber wenn ich dann doch mal wieder bei „harmlosen kleinen Scherzen“ sage, dass sie nicht lustig sind, stehe ich schnell wieder als spießiger Deutscher da, der sich über Dinge aufregt, die ja sonst niemanden stören. Oder so ähnlich.

Nun hatte ich neulich einen Fahrgast. Einen geradezu klassischen: vom Berghain ging’s nach Schöneberg. Er war kein Deutscher, versuchte sich aber tapfer an der Sprache. Und auf Realschulniveau war er dabei durchaus schon. Über die Frage woher er so gut Deutsch könne, kamen wir ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er Pole war. Und ja, nicht das erste Mal in Berlin. Zwar nicht so oft, wie er gerne würde, aber zumindest einmal im Jahr blieben ihm ein paar Tage zum Feiern und zum Urlaubmachen in dieser Stadt. Wie selbst die meisten Eintagstouristen lobte er die Stimmung und die Freiheit hier und bedauerte wie eingangs erwähnt nicht öfter hier zu sein.

Ein eigentlich harmloses Gespräch über nix und wieder nix. Schon gar nicht politisch.

Sollte man meinen.

Dann aber – durchaus auch zu meiner Überraschung – sagte er mir, wie sehr er sich über den Wandel Berlins freue. Ich war angemessen irritiert, schließlich hat unsere Hauptstadt genügend Probleme. Aber er fügte an:

„Weißt Du, als ich das erste Mal hier war – vor 7 Jahren oder so – da hat, wenn ich gesagt hab, dass ich aus Polen komme, wirklich jeder diesen blöden Witz gebracht: ‚Komm nach Polen, dein Auto ist schon da!‘. Heute interessiert das keinen mehr und das macht es mir echt leichter, hier zu feiern.“

Und mal ehrlich: das kann man sich schon vorstellen, oder? Aber viele drehen das ja auch noch gegen einen und schimpfen im Gegenzug auf „die anderen“, die das „ja auch machen“. Doch auch da muss ich nach der Fahrt sagen: das ist keine Einbahnstraße:

„Ich mein, ja, viele Polen haben immer noch was gegen Deutsche. Hab ich nie verstanden und regt mich auch auf. Immer wenn mir irgendein Freund was über ‚Scheiß-Deutsche‘ erzählt, dann werde ich wütend und sage ihm, wie toll es hier ist und wie nett die Deutschen zu mir sind. Seitdem sind auch zwei Freunde von mir öfter mal hier und finden’s voll toll.“

Während der 20 Minuten Fahrt sind wir noch wesentlich weiter gekommen. Aufarbeitung des Holocaust, Europäische Union etc. pp. Da sage noch einmal wer, dass es im Taxi immer bei Smalltalk bleiben muss!

Leider werden auch nach dieser Geschichte nicht alle meiner Meinung sein bei dem Thema. Aber ich frage mich ernsthaft, wie man die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft besser greifbar machen kann als durch ein fast schon freundschaftliches Gespräch zwischen zwei Menschen, deren Großeltern sich noch gegenseitig bekriegt haben. Und dennoch sind es selbst die kleinen „harmlosen Witze“, die „man ja schon immer gemacht hat“, die das ausbremsen. Und deswegen bin ich gerne Spielverderber. Nicht, weil ich keinen Spaß verstehe, sondern weil ich Spaß auch gerne mit Menschen anderer Herkunft habe!

Und nur so nebenbei: fast 4 € Trinkgeld.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Wie Wundercar die Shareconomy entdeckt

Im uber-gebeutelten Personenbeförderungsgewerbe hat sich einiges bewegt. Wenn man dem Wall Street Journal glauben will, dann hat sich in letzter Zeit – unbemerkt von mir – was getan. Nicht natürlich bei Uber, die verhalten sich nach wie vor wie ein ausbeuterischer Scheißhaufen; dafür aber bei Wundercar. Die sind zwar auf der selben Hype-Welle mitgeschwommen, lassen auch Privatleute Fahrgäste mitnehmen, aber ich hab sie mir aus Gründen nie so zur Brust genommen wie Uber. Ja, natürlich kratzen auch sie an §1 des PbefG und man tut gut daran, sie unter dem Aspekt kritisch zu begleiten.

Aber.

Was in der Uber-Pop-Debatte zwischen all dem aufgewühlten Dreck gerne immer wieder unterging, war, dass das Bohei um die Fahrtenvermittlung von Privat zu Privat nur unter dem Gesichtspunkt wirklich schwierig wird, wo die Fahrt „entgeltlich“ erfolgt. Und an der Definition, das muss man gestehen, kratzt Wundercar spätestens jetzt nur noch ein bisschen.

Das WSJ hat gestern berichtet, dass Wundercar seit dem Eingreifen der Hamburger Behörden die vorgeschlagene „Trinkgeld“-Summe für die Fahrten auf 20 Cent pro Kilometer gesenkt hat und nunmehr als „Betriebskosten“ ausweist. Gut, natürlich ist letzteres bewusst ein Zitat aus dem Gesetz, um der Regelung zu entkommen – aber wenn der Betrag stimmt, dann ist das nicht ernsthaft gelogen. Da für eine Fahrt immer Betriebskosten anfallen und diese mit ziemlicher Sicherheit diese 20 Cent übersteigen, halte ich diese Definition für soweit fair.

Vor Gericht wird sicher noch einmal kritisch beäugt, wer über das Fahrtziel bestimmt, aber wenn ihr mich persönlich und als Taxifahrer fragt, dann ist das so eine der Fragen, über die man diskutieren kann.

Denn ohne die Gewinnerzielungsabsicht des Fahrers durch höchstwahrscheinlich nicht kostendeckende Bezahlung ist die Chance nur minimal, dass dabei ein Gehirnträger eine gewerbsmäßige Personenbeförderung betreiben wird. 😉
Wundercar verbietet den Fahrern, Geld zu verlangen (dass sie das durchsetzen bleibt zu hoffen), somit wird vermutlich tatsächlich oft der vorgeschlagene Betrag – oder bei miesen Fahrten weniger – liegenbleiben.

Und während wir alle noch darüber streiten, warum Taxis gelegentlich teurer als UberPop sind, frage ich nun mal mit dem Modell von Wundercar im Gedächtnis zurück: wieso kostet eigentlich bei Uber etwas, das als total coole neue Shareconomy feilgeboten wird, mindestens fast so viel wie ein Taxi und manchmal sogar ein Vielfaches des Taxipreises?

Und mit dieser viel leiseren und deswegen auch unter meinem Radar gelaufenen Wundercar-Debatte ergeben sich so viele neue Geschichten, es ist mir ein inneres Blumengießen, ehrlich! Denn unter anderem auch dadurch kriegen wir in der Diskussion mal wieder ein bisschen Boden unter den Füßen. Auch wenn ich damit einigen Branchenvertretern ans Bein fahre, weise ich hier noch einmal darauf hin, dass ich noch kein einziges Mal gegen eine Mitfahrzentrale gewettert  habe oder das Car- oder Bikesharing, geschweige denn die Fahrradrikschas oder gar Bus und Bahn angegriffen hab, weil sie Konkurrenz sind. Sonst wäre ich schon vor UberPop am Fluchen gewesen.

(Ich hab ja nicht einmal bei der Einführung von UberBlack anno dazumal, als sie noch an den Erfolg glaubten, gemeckert – sondern zur Ruhe gemahnt.)

Ich will hier keine Werbung für Wundercar machen. Die sind auch neu, auch da gibt es offene Fragen und ebenso wie bei uns bei einer Tariferhöhung oder einer Änderung des PbefG wird man bei ihnen bei Neuerungen hingucken müssen, ob das so jetzt immer noch passt. Und deswegen ist es auch kein böser Affront, dass sich Gerichte mit der App befassen – seit Uber glaubt die Welt hierzulande ja scheinbar, dass sich Gerichte davor noch nie mit irgendwas befasst haben. Dabei ist das auch im Personenbeförderungsgewerbe und angrenzenden Branchen das normalste der Welt in einem Rechtsstaat und nicht das schlechteste Zeichen – auch wenn’s einem persönlich gerade mal nicht passt.

Aber gerade dadurch, dass es sich für Wundercar-Fahrer nicht lohnt, für den dicken Reibach 5 Stunden in der Stadt umherzugurken (was Uber von seinen Fahrern für gewisse Boni bisweilen verlangt und viel über deren Idee des „Teilens“ und den damit einhergehenden Umweltaspekten etc. zeigt), sieht die Sache bei Wundercar ganz entscheidend anders aus. Ehrlich! Ja, vielleicht wird ein Gericht noch eine Trinkgeld-Obergrenze festlegen oder festschreiben, dass die Strecke vom Fahrer vorher festgelegt werden muss. Wird man sehen. Und ggf. im Einzelfall diskutieren oder anfechten, das mag sein.

Aber dann kann ich mir Wundercar prima als Service auf unseren Straßen vorstellen. Denn:

Erklärung für Kunden:
Ich hab’s immer wieder gesagt, vielleicht glaubt es ja jetzt wer: es geht nicht um die Konkurrenz. Oder um starre alte Regeln, die das lässige Teilen verhindern. Es ging immer nur um sinnvolle Spielregeln und allenfalls nebenbei um den Schutz des öffentlichen Nahverkehrs. Regeln müssen sich auch mal ändern, und das haben sie immer schon getan. Deswegen pauschal jedem mit Geld wedelnden Arschloch entgegenzukommen, kann jedoch nicht das Ziel sein, so lange es gesellschaftliche Interessen gibt. Und den gesellschaftlichen Interessen widmet Uber weltweit nicht einen Finger breit Toleranz, sondern bekämpft sie ohne Rücksicht auf Verluste, stets ausschließlich den Anlegern und deren Geldbeuteln verpflichtet. So lange es allerdings nur um eine Erweiterung von Möglichkeiten geht – und im Gegensatz zu gewerblicher Personenbeförderung, nur eine Stufe ausbeuterischer; ist unkommerzielles Ride-Sharing eine Erweiterung im Sinne aller Teilnehmer – geht das in Ordnung. DAS sind die Veränderungen, über die man ergebnisoffen diskutieren kann und die uns am Ende eventuell weiterbringen.

Erklärung für Taxifahrer:
Ich weiß, ich „sollte“ Wundercar jetzt nicht gut finden, stimmt’s?
Zum einen aber tue ich das nur unter den oben genannten Bedingungen. An die Regeln halten gehört dazu. Für all die, die grundsätzlich jedes positive Erwähnen von Konkurrenz irgendwie schlimm finden: spart Euch eure Energie für Uber und ähnliche auf!
Wenn Wundercar das Ridesharing so einsetzt, wie sie es vorhaben, dann sollten wir ihnen Erfolg wünschen. Denn der Trend geht weg vom Privat-PKW und Angebote wie dieses fördern diese Entwicklung. Und allen Unkenrufen zum Trotz ist unser größter Konkurrent auch in 10 Jahren nicht ein übergeschnappter Kalanick sondern die vor jedem Haus stehende Kiste, in die alle bei Bedarf gefühlt umsonst einsteigen.

PS: In Teilen ist dieser recht positive Artikel auch der Tatsache geschuldet, dass ich es nicht mehr gewohnt bin, über Apps zu schreiben, deren CEOs mich nicht persönlich beleidigen und meine Arbeit zumindest unterschwellig als bescheuert bezeichnen. Ich wollte dem im Sinne der Diskussionskultur Rechnung tragen und klarstellen, dass ich Beleidigungen nicht zwingend als Mittel der Wahl sehe, sondern sie nur dort einsetze, wo die soziale Kompetenz meiner Gegenüber mich zu drastischer Ausdrucksweise zwingt um verstanden zu werden.