Is‘ zwar länger, aber …

„Fuck, wie fährste da?“

Den Gedanken hab ich mehr als einmal pro Woche. Während die Kundschaft noch dabei ist, die Adresse anhand mir gänzlich unbekannter Zahnarztpraxen und Kleintierbedarfsläden zu konkretisieren, schwirrt mir der Straßenname im Kopf umher und ich denke darüber nach, über welche Brücke, welche Querstraße, das Ziel nun am geschicktesten anzufahren ist. Berlin ist eine Stadt voller künstlicher und natürlicher Hindernisse, da ist es manchmal unerheblich zu wissen, wo das Ziel liegt – vielmehr interessiert einen dann, welcher der beiden Umwege dorthin nun länger ist. Denn auf dem kürzesten Weg liegt nur allzu oft eine Baustelle, ein Fluß, ein Gleisbett oder – wenn’s ganz haarig wird – eine verschachtelte Altstadt wie in Köpenick, bei der selbst mein Lehrer in der Taxischule gemeint hat, dass wir das gar nicht erst anfangen sollten zu lernen.

Und nun stand ich in Lichtenberg in der Sewanstraße und sollte zur Nalepastraße fahren.

Nicht einmal die Ecke, in der ich mich besonders schlecht auskenne – aber sollte ich wenden oder eher nicht? Einfach spontan abbiegen hätte mich am Betriebsbahnhof Rummelsburg verzweifeln lassen. Ich entschied mich nach ein paar Sekunden für den Weg über die Schlichtallee, was meine Kundin verwundert zur Kenntnis nahm:

„Ach, sie fahren so rum?“

„Ähm, naja … wir können auch gerne …“

„Nee, machen Sie mal. Is‘ zwar länger, kann man aber machen.“

Ich mag das nicht. Man muss die kürzeste Strecke nicht unbedingt so sehr als sportliche Herausforderung sehen wie ich manchmal, aber es ist ja schon alleine unschön, dass die Kundschaft ein schlechtes Gefühl dabei hat. Und das hatte sie sichtbar, sie traute sich nur nicht wirklich, mich umzustimmen. Nach ein paar hundert Metern wollte ich aber natürlich auch nicht mehr wenden – und es wäre auch bekloppt gewesen. Sie versuchte dann lange, mir zu erklären, dass es wegen der Unterbrechung der Nalepastraße sinnvoller wäre, von Schöneweide aus ranzufahren und ich begann, ihr zu glauben. Ich hatte sogar zwischenzeitlich die Überlegung, die Uhr einfach einen Kilometer vorher auszumachen um sie zu beruhigen. Am Ende hab ich’s aus Pragmatismus nicht getan. Hätte auch bloß eine Diskussion gegeben …

Und was soll man sagen: Laut Onkel Google war meine Wegstrecke ganze 100 Meter länger als ihr Vorschlag. Das unangenehme Gefühl bei ihr kann ich jetzt zwar rückwirkend nicht mehr ändern, mein eigenes ist aber restlos weg. Ganz so schlimm ist es um meine Ortskenntnis dann also doch nicht bestellt. 🙂

8 Kommentare bis “Is‘ zwar länger, aber …”

  1. elder taxidriver sagt:

    Viele Fahrgäste sind eben, man muss es mal vertraulich sagen, manchmal auch etwas ‚kleinheitswahnsinnig‘ , besonders in der Taxe.
    (Während sie gerade bei wesentlich teureren Angelegenheiten Bank, Krankenhaus , Versicherungen, Lebensmittel, Bio-Obst,. ein bisschen betrogen werden.. )
    Ich habe mal einen Baron gefahren, 14. in der spanischen Thronfolge ( oder 15. ?) Vom Kudamm in die Güntzelstraße. Schon jahrelang vorgewarnt mit dem ‚Der Bus fährt immer ganz anders‘ , fragte ich , ‚Wie soll ich fahren?‘
    Und der meinte: ‚Ganz wie Sie wollen‘..

    Was auch mal interessant ist: So fahren wie der Fahrgast es nicht erwartet. Natürlich muss man es rechtfertigen können.
    Man sieht es dann im Rückspiegel: Die Fahrgäste kucken dann in die Straße rein, von der sie dachten, dass sie da soeben eingebogen wären. Also die 30er Zonen und so. Ich habe dann schon mal gesagt: ‚Bei meiner Route muss man weniger lenken‘. Das wurde meistens gut verstanden.. Es gab auch schon extra großes Trinkgeld deswegen, mit der Begründung:
    ‚Damit Sie nicht soviel lenken müssen‘..
    (Jetzt habe ich ja das Lenkrad an die Wand gehängt. Neben das Pferdehalfter.)

  2. breakpoint sagt:

    Toll, dass dein hirn-internes Navi sämtliche Besonderheiten der Wegstrecke mit berücksichtigen kann, auch wenn der Optimierungsalgorithmus vielleicht noch verbesserungsfähig ist.

  3. dingens sagt:

    „Is’ zwar länger, aber …“ ist ein doofer Titel für einen Blogeintrag. Ich wollte den jetzt eigentlich erst heute abend aufrufen, wenn ich mehr Zeit zum Lesen habe. Dabei war der gar nicht so lang… 🙂

  4. Ging mir ähnlich wie dingens^^

    Ich habe da allerdings in unsere Taxifahrer vollstes Vertrauen, da mein Gehirn es so oder so abzulehnen scheint Richtungen und Entfernungen realistisch einzuschätzen.

  5. MsTaxi sagt:

    Baaah, dieses besch… Gefühl kenne ich doch zu gut, da biste dir unsicher, welche Strecke du nun nehmen sollst, aber irgendeine musst du nehmen, weil, du kannst ja nicht mehr länger unentschlossen rumstehen, und die ganze Zeit grübelst du, war’s richtig oder nicht? *hirnbrechratter*

    Und dann kommt so ein Highlight wie neulich…. 4 Männer, 4 unterschiedliche Ziele, einmal quer durch die Stadt, und dann die Unterhaltungen: „Nee, sie hat uns noch nie gefahren, das war ne andere Frau neulich.“ – „Mal guggen, was wir diesmal zahlen müssen.“ – „Wisst ihr noch, der mit dem Audi neulich, wie der fahren wollte?“ – Und dann lief ich doch zu großer Form auf und hab die Strecke so hingelegt, dass man sie bei der OKP-Prüfung zum Kandidatenglänzenlassen hätte verwenden können.

    Neben dem immer stärker werdenden Applaus gab es zwar kaum Trinkgeld, aber hey, ich kam mir vor wie die Taxiqueen des Wochenendes *lol*

  6. Ana sagt:

    Ich bin zwar meist nur zu Fuß unterwegs, aber stelle immer wieder fest, dass meine „kurze“ oder „gleichlange“ Strecke dann doch ein Umweg ist.
    Jede Abbiegung fühlt sich länger an, jeder Häuserblock rechtwinklig…. Ist halt nur selten so 😉

  7. Apotheker-Typ sagt:

    @Ana: Jaja, die Hypothenuse ist kürzer als die Summe der Katheten. 😉

    @Sash: Manchal sollte man als Kunde tatsächlich nicht nur denjenigen fragen, der sich auskennt, sondern auch die Antwort glauben. Aber wer ist nicht gerne schlauer als der …ähm… Servicedienstleister?

  8. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Das war hier ja das absurde: ich sollte fahren, wie ich will – es wäre halt nur ein Umweg. Ich muss allerdings gestehen, dass ich die Strecken auch nicht für so identisch gehalten hatte und mich durchaus um einiges verschätzt habe bei der genauen Höhe der Zieladresse.
    Und „weniger lenken“ ist auch ein gutes Argument. Hab nur manchmal das Gefühl, die meisten interessiert außer dem eigenen Geldbeutel nicht viel. 🙁

    @breakpoint:
    Äh ja, so ungefähr. 😀

    @dingens:
    OK, DARAN hab ich nun wirklich nicht gedacht …

    @zartbitterdenken:
    Das freut mich!

    @MsTaxi:
    Ja, das sind dann die positiven Gegenteile. Allerdings kenne ich auch da die Variante, dass Leute es nicht mal zur Kenntnis nehmen, dass ich bei einer winzigen Straße am Stadtrand gleich weiß, dass sie unterbrochen ist und nachfrage, von welcher Seite aus man reinfahren muss …

    @Ana:
    Ja, man verschätzt sich schnell. Allerdings just dank der Ortskundeprüfung weniger als die meisten anderen – weil man eher den Plan als die Route im Kopf hat. Nicht-rechtwinklige Verläufe fallen einem so viel schneller auf.

    @Apotheker-Typ:
    Das Miese war ja, dass ich selber unsicher war. Bei Strecken, bei denen ich es sicher weiß, kontere ich ja auch mal mit einer Wette 😉

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