Eingeschränkt geschäftsfähig

Im Falle eines zumindest noch ansatzweise vorhandenen Gewissens wird man gerade als Taxifahrer auf die Probe gestellt: Mache ich den Quatsch jetzt noch mit und verdiene gut daran oder erkläre ich dem Kunden, dass er dabei ist, eine Eselei sondersgleichen zu begehen? Und die Kollegen brauchen jetzt auch nicht denken:

„Boah, der Sash wieder!“

Natürlich entscheide ich mich auch mal zugunsten meines Geldbeutels. Wenn die Kunden irgendwelche absurden Umwege unbedingt fahren wollen, dann obliegt diese Entscheidung natürlich ihnen. Und mein Geld am Monatsende ist knapp genug, um nicht jeden Töffel davor zu bewahren, mir hier und da einen Euro zu schenken. Gerade mit Betrunkenen im Auto muss man sich die Frage aber durchaus mal gefallen lassen, ob das noch vertretbar war. Auch wenn es vielleicht mal nicht die beste Entscheidung im Sinne des Geschäfts war.

Mein Kunde war ein mäßig durchgeknallter Ami, der mir am Berghain ins Auto gefallen war. Er kramte ganz altmodisch seine Hotelreservierung heraus, nicht etwa einen selbstverfassten und vor Schreibfehlern strotzenden Eintrag in der Notiz-App seines Smartphones. Sollte eine gute Tour werden, sein Hotel lag in der Lietzenburger Straße. Das sind gute 7 bis 8 Kilometer, deutlich über Durchschnitt. Mehr als 15 € auf jeden Fall.
Er fragte dann gleich nach, ob wir hier irgendwo Zigaretten kaufen könnten. Da konnte ich mit gutem Gewissen meine Stammtanke empfehlen, denn die liegt vom Berghain aus ja ums Eck und auf dem Weg auch noch.

Dann allerdings wollte er das mit der Tanke abblasen, er meinte, die würden seine Marke dort sicher nicht verkaufen. Hat mich in dem Moment auch nicht weiter beeindruckt, eigentlich ist das kein Gespräch, das überhaupt seinen Weg in einen Blogeintrag finden müsste. Nun aber überraschte er mich, denn er erklärte mir, dass wir eigentlich nur der Zigaretten wegen zum Hotel fahren. Er würde danach auch gleich wieder zum Berghain mitkommen.

Hin und zurück über eine halbe Stunde Wegstrecke und rund 30 € Kosten für eine Schachtel Zigaretten! Raucher sind Idioten in ihrer Sucht, aber das war doch echt Hirnschwund Kategorie 1. Ich hab ihn nach seiner Marke gefragt, die hat mir allerdings tatsächlich nichts gesagt. Naja, muss ja nichts heißen. Ich hab ihn trotz aller Bedenken („I hope, they understand my english“) zur Tanke gebracht und ihm gesagt, er solle es doch mal versuchen. Bei Kippen sind die recht gut sortiert und dass die mit Amis keine Probleme haben, wußte ich auch. Die hatten jahrelang die ganze Kundschaft der Bar 25 dort, die sind einiges gewöhnt!

Und siehe da: Seine Kippen hatten hier in Deutschland zwar einen anderen Namen und eine andere Farbe, aber die Jungs von der Tanke haben ihm dennoch kompetent helfen können. Und so sind wir am Ende mit 7,80 € auf der Uhr wieder am Berghain gelandet, nach rund 10 Minuten. Und er wusste jetzt, wie er hier an seine Kippen kommt.

Ich will nicht ausschließen, dass ich mich mal anders entscheide. Wirklich nicht. Aber das war schon ok so. Auch fürs Geschäft. Die nächste Fahrt vom Berghain war nämlich ziemlich lohnend.

9 Kommentare bis “Eingeschränkt geschäftsfähig”

  1. Nils sagt:

    Ich muss ehrlich zugeben: Ich hätte ihm einfach seinen ursprünglichen Wunsch erfüllt. Klingt für mich zunächst noch ziemlich „klar“, wenn er bewusst einen Ort als Ziel nennt, wo es eine „exotische“ Ware gibt, sodass Du da kein schlechtes Gewissen hättest haben müssen. 😉 Find‘ ich aber gut, dass Du so bist.

  2. Sash sagt:

    @Nils:
    Ich hatte es natürlich auch überlegt. Hatte ja ohnehin nur durch Zufall rausgefunden, wie blöd das ist. Aber er war sich selbst alles andere als sicher und hatte bloß Schiss, dass es ohnehin nicht klappt. Da hab ich gedacht, man kann es ja mal versuchen. Und gefreut hätte ich mich natürlich auch, wenn es nicht geklappt hätte.

  3. elder taxidriver sagt:

    Gottfried Benn , ( Waldfriedhof Dahlem) hätte gesagt: Herr Sash hat aus seiner Mördergrube ein Herz gemacht..

  4. Ingmar sagt:

    Vielleicht hat ihn ja auch die Tanke beschissen und ihm unter der Marke mit anderem Namen und anderer Farbe einfach irgendwas verkauft.

  5. Bernd sagt:

    Zum Thema ´exotische Ware´ gleich mal eine Frage an alle Weitgereisten: Wie groß wäre wohl die Chance, in New York ein VERNÜNFTIGES Weißbier zu erwerben?

  6. Bernd sagt:

    Entschuldigung, ich muß letztgesagtes präzisieren: Nicht Restaurant, sondern Flaschenware ist gemeint.

  7. nadar sagt:

    Ja, manchmal sind die Besoffenen echt süß™ – oder so.

    Weiß nicht, ob ich das hier schon mal erzählte:
    Einst fuhr ich einen gut Betrunkenen nach Haus. Er hatte die mir bekannt Adresse genannt; ich fuhr auf kürzestem Weg dahin.
    Nun brabbelte er aber halbverständliche Richtungsanweisungen und schien nicht zufrieden mit meiner Wegwahl. Als wir noch fünfzig Meter von seinem Haus entfernt waren meinte er:
    „Nee, dassis gnzflsch, jesagischdir widu fahnmussd!“ (Leerzeichen dem besseren Verständis halber eingefügt))
    Auf seine Anweisungen fuhr ich eine Extrarunde durch die Stadt, nur um nach weiteren 2 km von der anderen Seite an sein Haus zu fahren.
    Bezahlt hat er anstandslos…
    (Das wäre auch was für den Kopschüttel-Blog :P)

  8. Sash sagt:

    @Ingmar:
    Nee, ich hab’s mal oberflächlich gegengecheckt, bevor ich das geschrieben hab.

    @Bernd:
    Nee, mein Ausflug ist zu lange her 😉

    @nadar:
    Das ist auch eine nette Story. Aber gut, kann man ja auch mal machen. Wie gesagt: Ich bin den Leuten da auch manchmal gerne „entgegengekommen“.

  9. nadar sagt:

    @Sash.: Wie soll man dem Typ aus meiner Geschichte noch entgegenkommen? Er wollte mir zeigen, wie man ihn „richtig“ nach Hause fährt. Da nutzte es nichts, dass wir quasi am Ziel waren.
    Ich kann ihn ja schlecht zwangsweise aus dem Auto entfernen, solang er mir nicht ans Leder will. 😉

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