Bruda!

Kommunikation kann anstrengend sein.

Der Winker kam genau richtig. Ich hatte kurz zuhause Pause gemacht, nachdem die Nacht eher mäßig gestartet war, dann stand er aber nach dem Neustart fast schon umgehend vor dem Auto. Strike!
Was die Kommunikation mit ihm schwierig gemacht hat, war, dass er ein sehr schlechtes gebrochenes Deutsch sprach und wir uns irgendwie nicht so recht auf Englisch eingrooven konnten. Ich hab also ständig – teilweise auch noch leise gemurmelte – Halbsätze erraten müssen. Die Zielstraße hatte ich schnell herausgefunden, es hat aber schon anderthalb Minuten gedauert, bis ich wusste, dass er die Nummer gar nicht kennt und mir das zeigen wollte. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon fast an der Straße, die Fahrt wäre auch als Kurzstrecke durchgegangen.

Abgesehen von der stockenden Kommunikation war mein Fahrgast ein resolut aber sanft auftretender Schwarzer mit einem relativ teuren Anzug. Alter: Weit jenseits der 50. Eine etwas deplaziert wirkende Erscheinung nachts um 2 Uhr an einer Straßenbahnhaltestelle in Berlin-Marzahn. Und seine Zieladresse – ein Imbiss – passte auch nicht besser. Ein bisschen irritiert war ich jedenfalls. Als er mich mit vielen schwer verständlichen Worten ans Ziel gelotst hatte, schaltete ich wie stets das Licht ein und nannte den Fahrpreis. Es waren 6,40 €.

„Tscha, hab’sch leider kein Geld, Bruda!“

seufzte es aus dem Fond.

In so einem Moment schießen mir immer tausend Gedanken auf einmal durch den Kopf. Auch völlig widersprüchliche:

„Wusste doch, da stimmt was nicht! Egal: Vielleicht hat sein Kumpel die Kohle! Was will der eigentlich hier? Meint der das ernst? Komm, 6,40 hat der sicher noch! Gott sei Dank keine lange Fahrt! Soll ich die Cops rufen? Will er abhauen? Ich hab Hunger!“

All das. Und noch ein bisschen mehr.

Ein kleiner Teil von mir muss wohl gezuckt haben, denn als ich mich umdrehte, kriegte sich der alte Mann vor Lachen kaum noch ein. Er amüsierte sich prächtig darüber, dass ich ihm scheinbar geglaubt habe und beruhigt mich, dass er natürlich bezahlt, während er mir hechelnd einen Zehner überreicht:

„Hassu glaubt, Bruda? Zahl’sch dich nich!“

Ich hab bei der entsprechenden Stunde in der Humor-Schule wohl gefehlt. Wobei ich zugeben muss, dass zum einen der lachende Opa ein echt drolliges Bild abgab und es zum anderen immer noch besser ist als der blöde Witz mit dem Überfall.

10 Kommentare bis “Bruda!”

  1. elder taxidriver sagt:

    Wunderbar, bzw. Wahnsinn, bzw. wieder toll aufgeschrieben, Bruda !

  2. Neon sagt:

    Und dann? Die Geschichte ist nicht zuende!

  3. Neon sagt:

    Ah doch ist sie – verlesen, mi scusi!

  4. Andreas O. sagt:

    Musste lachen, aber Humor hat Bandbreite:-)

  5. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Danke 🙂

    @Neon:
    Macht nix, kann passieren … 🙂

    @Andreas O.:
    Musste ich beim Schreiben letztlich auch, so isses ja nicht. Und wie der Kerl gelacht hat – das war eh unbezahlbar!

  6. Wolfy sagt:

    „Ich hab Hunger!“
    Dieser Satz in dieser Konstellation macht mir Menschen einfach mal sympathisch. Auch wenn es nur beweist, dass ich nicht die einzige Irre bin, die „WUHA ICH HAB ANGST! Und Hunger!“ denken kann. x3

  7. Sash sagt:

    @Wolfy:
    Ich will ehrlich sein: Ob ich genau das gedacht habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich hab viele sehr belanglose Gedanken in dem Moment gehabt und es hat sich nicht alles um die paar Cent gedreht, die er mir zu schulden angedroht hat. Aber ja: Angst und Hunger schließt sich nicht aus. Eine Ausnahme würde ich bei Todesangst machen, aber sonst …

  8. elder taxidriver sagt:

    @Püpel: Sehr schön.

  9. Sash sagt:

    @Püpel:
    Nee 🙂
    Den hätte ich ja auch noch erkannt!

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