Tapetenblues

Kaum dass der Alkohol mal in etwas größeren Mengen fließt, beginnen die Leute, nachzudenken. Dabei kommen nicht immer sonderlich vorteilhafte Sachen heraus, was eine Kundin von mir beweist:

„Außerdem hat mich mein Freund sitzen lassen, das blöde Arschloch!“

Name, Beruf, Arbeitgeber und Automarke hab ich auch noch mitgeteilt bekommen, eins a Hasstirade mit leicht säuerlichem Abgang in Form von Selbstmitleid. Einer ihrer Mitfahrer führte das Gespräch wie folgt fort:

„Wenn wir hier jetzt geradeaus fahren würden und dann links, dann würden wir direkt zu meiner neuen Wohnung kommen. Da hab ich gestern tapezieren lassen und jetzt haben die da so viel Farbe draufgeklatscht, dass mir, als ich da mit dem Messer ran und so und dann sind mir die ganzen Tapeten wieder runtergekommen.“

„Hä? Was soll des jetzt?“

„Na ich find meine Geschichte trauriger als deine mit dem komischen Typen da.“

Mein Bohrhammer hat mehr Einfühlungsvermögen.

Der Typ auf dem Beifahrersitz hat sich betont locker gegeben und ihre Probleme in den Wind geschlagen, dass es zwar irgendwie wehgetan hat, andererseits aber auch fast schon lustig war. Der Freund haut ab und hat nur sein Auto im Sinn, der heimliche Schwarm steht auf ’ne andere, das Geld ist knapp, der Job ist eh scheiße und die Eltern stehen kurz vor der Scheidung. Das ganze Leben ist irgendwie verkorkst und der Typ, mit dem man sich ein Taxi teilt, erwidert:

„Geh halt anschaffen.“

Dabei war er gar nicht das Oberarschloch, er hat sich nur ein bisschen lustig darüber gemacht, dass die junge Dame bereits mit 22 Jahren der Meinung war, sie hätte ihr Leben bereits komplett hinter sich. Er hatte durchaus ein Gespür dafür, dass sie eigentlich nur eine gewisse Aufmunterung und Ablenkung gebrauchen konnte. Ich hab mir mit ihr eine kurze Battle geliefert, ob es mir mit 22 beschissener ging oder ihr jetzt. Ich gebe das nicht im Detail wieder, aber ich bin nicht schlecht darin, Dinge in einen anderen Kontext zu stellen und somit konnte ich das glasklar für mich entscheiden. Und verkünden, dass man trotzdem noch glücklich werden kann. Da meldete sich der Beifahrer wieder und meinte zu ihr, theatralisch betonend wie genervt er sei:

„Schon mal über Selbstmord nachgedacht?“

„Naja, irgendwie schon.“

„Macht nix, hab ich auch schon mal.“

An der Stelle hab ich mich wieder eingeklinkt, weil die Vorlage einfach so gut war:

„Wieso das? Wegen den Tapeten?“

Kurz darauf ist Miss Hab-mein-Leben-vergurkt mit einem leichten, aber immerhin vorhandenen Lächeln ausgestiegen. Die anderen hab ich noch zwei Kilometer weiter gefahren und der Typ meinte zu mir:

„Weißt du, du bist mir sympathisch.“

Man hat als Taxifahrer schon ein komisches Verhältnis zur Kundschaft 😉

4 Kommentare bis “Tapetenblues”

  1. Wie gut ich die Geschichte kenne. Hab da ein paar Studenten in meinem erweiterten Bekanntenkreis und eine, auch gerade zarte 22 damals, wurde von ihrem Freund verlassen und ließ die selbe Litanei vom Stapel. Ich konnte nicht anders als das Mädel erstmal auszulachen und anschließend wieder ins Gleisbett zu stellen. 😉

  2. Eddy sagt:

    Solche Leute nerven mich immer so an. Dabei haben sie das echte Elend noch nie erlebt.

    Kann man einfach nicht ernst nehmen.

  3. Cliff McLane sagt:

    Du, der Typ mit den Tapeten, so welche kenn ich. Hab lange genug mir mein Studentendasein in Berlin mit Malerarbeiten finanziert. Das sind diejenigen, welche auf den (durchaus sinnvollen) Vorschlag „machma die alten sechs Tapetenschichten erstma runter, oder?“ sagen „nee, mach drüber, das geht schon“ sagen und sich dann wundern, dass das ganze die Konsistenz von Rigips hat, nur ohne mit der Wand verschraubt zu sein, und einem das dann auch gerne mal entgegenfällt.

    Ebenso übrigens wie liebesbekümmerte 22-jährige Studentinnen. Mein Lonely-Hearts-Tipp für Berlin: Einfach mal so 3-4 Wochen nach Semesteranfang ein wenig in Dahlem-Dorf rumhängen und so tun als sei man FU-Student. „Ägyptologie“ geht immer. Humboldt ist weniger zu empfehlen, da machen sie „gender studies“ und so komische Sachen.

  4. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Ja, das funktioniert ja auch ganz gut, wie man sieht 😉

    @Eddy:
    Man darf nicht vergessen, dass es sich trotzdem scheiße anfühlen kann. Ich gebe dir Recht damit, dass es natürlich schlimmeres gibt, aber wenn man das als philosophische Grundlage nimmt, ist selbst die Zerstörung der Erde egal (weil irrelevant fürs Universum an sich).

    @Cliff McLane:
    Was den Typen angeht: Ja, solche gibt es auch. Aber zumindest angeblich hat er ja selbst damit gar nichts zu tun gehabt und die Dinger frisch aufhängen lassen…

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