Inselhelden

Ein besonders herziges Modell von Kunden hatte ich derletzt wieder im Wagen: Den betrunkenen Engländer in Reinform. Er war so schätzungsweise Mitte 30, aber abgefüllt für mehrere Generationen seiner Familie gleichzeitig.
Grundsätzlich war er zwar noch in der Lage, aufrecht zu laufen und sich Gehör zu verschaffen – Kommunikation war allerdings eher schwierig. Dabei bin ich mir sicher, dass er rein vom Bewusstsein her voll anwesend war, alleine die Zunge gehorchte nicht mehr.

Wer sich jemals als Norddeutscher auf der schwäbischen Alb verirrt hat, und dort eine etwa 90-jährige Ureinwohnerin um Auskunft gebeten hat, kann sich vorstellen, wie ich mich mit meinem Schulenglisch in der Situation gefühlt habe.

„Uäuägosessetel!“

„Sorry?“

„Uäuägossessetell!!!“

Kaum ein paar Minuten verlorene Lebenszeit später war klar, dass er eher sagen wollte:

„Will we go to the hotel?“

Was auch immer er sich für eine Antwort erhofft hat.

Aber es gab einen Lichtblick: Eine Karte vom Hotel! Mark Apart Hotel, Lietzenburger Straße. Na also…
Die Fahrt über war ich hauptsächlich damit beschäftigt, ihm zu sagen, dass ich ihn nicht verstehe. Irgendwann hat er dann allerdings geschlafen. Sollte mir nur Recht sein. Die Fahrt verlief komplikationslos, und so kam der Zeitpunkt, zu dem wir vor dem Hotel angekommen sind. Ab da sollte mich die Fahrt noch weitere 15 Minuten beschäftigen…

„Uäsessnomy!“

Aha.

Mit der international gültigen Taschen-Umstülpen-Geste konnte dann selbst er mir erklären, dass er gar kein Geld dabei hat. Ach so. Und dann setzt man sich einfach mal in ein Taxi? Nee, ist klar!

„What’s up with your friends? Are they here in the hotel?“

„Mfrsseshitadey!“

Au Backe!

2,87 € in Kleingeld hat er noch zusammenbekommen. Aber zum einen hatte ich 14,60 € auf der Uhr, zum anderen hab ich es auch wirklich nicht eingesehen, ihn damit davonkommen zu lassen. Die folgende Diskussion verlief sehr einseitig, allerdings auch mit dem einseitigen Ergebnis, dass ich überhaupt nix herausgefunden habe. Ob er irgendwoher Geld holen könnte, ob seine Freunde hier sind, ob er Lust hat, verhaftet zu werden… stand alles im Raum und wurde etwa so beantwortet:

„Uäuäwellssrammdfff!“

Irgendwann bin ich dann mit ihm zum Hotel rein. Ich ging voraus zum Portier und hoffte schon, es ließe sich da was machen im Sinne von „Wir packen die Taxifahrt auf die Hotelrechnung“.

Mein Text begann etwa so:

„Schönen guten Abend. Folgendes Problem: Der junge Mann hier…“

Die Antwort kam prompt:

„Lassen sie mich raten: Sie sind Taxifahrer und der Typ kann sie nicht bezahlen?“

„Äh, ja…“

„Da sind sie nicht er erste heute. Die Jungs feiern Junggesellenabschied oder so. Sind schon ein paar Kollegen vorbeigekommen. Gehen sie mit ihm in den 5. Stock und fragen sie da nach!“

OK, warum nicht?

Etwa eine Minute nachdem ich meinem Fahrgast untersagt habe, auch noch einen dritten Knopf am Aufzug zu drücken, kamen wir in der fünften Etage an, und er entwickelte der Lautstärke nach so etwas wie ein Heimatgefühl. Ich hab ihn zur Ruhe gemahnt in der Befürchtung, irgendwo in Charlottenburg gäbe es auch noch Leute, die nicht an der Party teilgenommen hatten.
Sein Klopfen an der Zimmertür entsprach etwa dem Umgehen eines Schmiedes mit seinem Arbeitsstück, und folglich öffnete sich die Tür auch recht bald. Mir entgegen trat ein tätowiertes Etwas in Unterhosen, dem man den folgenden Kater bereits ansah.

„What the fuck?“

begrüßte er mich standesgemäß, während sein Kumpel hinter mir kurz die Situation schilderte:

„Ssessemudreiffsiom!“

„Exactely! I am the man who drove your friend home. I’m the Taxi Driver and your lovely friend didn’t think about saving money for the tour. So herer we are and I need my money. From you. Sorry ‚bout this.“

Ohne ein weiteres Wort watschelte das tätowierte Etwas ins Zimmer und kam mit 2 Scheinen wieder zurück. Ein Zehner und ein Fünfer. Naja. Immerhin: Es reicht. Mehr als 40 Cent war der Aufwand allerdings locker wert. Und dann? Dann kommt doch mein Fahrgast an und meint:

„Uäää! Lesse tensokee!“

Wat? N‘ Zehner soll in Ordnung sein? Das hat aber ne kurze und zackige Ansprache meinerseits gefordert. Als die zu Ende war, hatte ich 17 € in der Hand und war damit halbwegs zufrieden. Geht doch!

Beim Rausgehen hab ich mich mit dem Portier noch mal eben schnell um die Wette bedauert, und dann ging es auch schon wieder weiter. Zeit verloren hatte ich ja wahrlich genug!

18 Kommentare bis “Inselhelden”

  1. Cliff McLane sagt:

    Besoffene Briten? Ich dachte, die gäb’s nur in Paderborn. Mein Beileid, mein Freund!

    Mein Ausflug nach Berlin rückt übrigens immer mehr in greifbare Nähe, und ich hab dir ja versprochen, dass du vermutlich mal einen besoffenen Cliff durch Kreuzberg kutschieren darfst. Machste Kurzstrecke, oder? 😉

  2. Sash sagt:

    @Cliff McLane:
    In Berlin gibt es ALLES! 🙂
    Und was die Tour angeht, das klären wir dann, wenn du da bist.

  3. Aber die besoffenen Paderborner Briten verursachen mehr Spaß als die britischen. In eigenen Studien empirisch bewiesen. 😉

  4. Nick sagt:

    Welche Wette?

  5. Petra sagt:

    @der Maskierte

    Wo gibt es denn in Paderborn noch Tommys??
    Sind die nicht alle weg??
    Oder schwelgst Du auch gerade in Erinnerungen?
    Stichwort: „…und Gott schuf in seinem Zorn die Senne bei Paderborn“!

  6. David sagt:

    Dafür liebe ich dich, wieder einmal großartig geschrieben!

  7. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Die Studien würden mich interessieren 🙂

    @Nick:
    Wette?

    @David:
    Danke! 🙂
    Solches Lob hört man immer wieder gerne!

  8. Jens sagt:

    Ich glaub‘, Nick fragt wegen der Formulierung „um die Wette bedauert“ im Eintrag. Hab‘ aber keine Ahnung, ob das ein Gag oder ernst gemeint war.

  9. @Petra
    Gestern auf dem Biergartenfest in Neuhaus, auf das ich mich verirrt hatte, waren wieder eine Menge.

    @Sash
    Besuch einfach mal Torsten, der kann dir da bestens helfen, die Resultate zu validieren.

  10. Daniel sagt:

    Sei froh, dass der Gute wenigstens die festen und flüssigen Speisen des Abends bei sich behalten hat 🙂

  11. Sash sagt:

    @Jens:
    Oh, daran hab ich gar nicht gedacht 🙂

    @Der Maskierte:
    Ja, da liegen sicher ein paar Daten vor 😉

    @Daniel:
    Bin ich. Bin ich wirklich…

  12. Nick sagt:

    ‚Beim Rausgehen hab ich mich mit dem Portier noch mal eben schnell um die Wette bedauert, ‚

    Welche Wette?

  13. Sash sagt:

    @Nick:
    Missverständnis!
    Sich um die Wette bedauern, um die Wette rennen, um die Wette tauchen…
    War nur als Redewendung (in zugegeben seltsamem Kontext) gedacht.

  14. Nick sagt:

    Ahhhh, ja, das war doof von mir.
    Betonung ist manchmal doch nicht verkehrt wenn man als Leser nur von Tapete bis Wand denkt 😉

  15. Sash sagt:

    @Nick:
    Ja, ich hab erst durch deine Frage bemerkt, wie „falsch“ man den Text theoretisch lesen kann. Wenn man seine Lesart erstmal verinnerlicht hat, blickt man es nicht. Dir kam meine Variante nicht in den Sinn und ich hab mich genauso erstmal gefragt, ob du mich verarschen willst 🙂
    Naja, gut dass wir das geklärt haben! 😀

  16. […] erinnerte mich doch stark an den Briten von neulich. Gut, der hat sich noch ein wenig unverständlicher ausgedrückt, aber gerade weil ich den Stress […]

  17. Ana sagt:

    …und da öffne ich extra die kommentare um dich zu der wunderschönen formulierung zu beglückwünschen.. und die kommt bei den anderen garnich an.

    tja.

  18. Sash sagt:

    @Ana:
    Das ist aber auch ein extremer Zufall 😀
    Sowas passiert…

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