Und da stand ich am Ostbahnhof und wartete seit gefühlten 2 Stunden. Während ich meinen Blick zwischen der mitgebrachten Lektüre, dem rechten Außenspiegel und der Ausgangstür des Bahnhofsgebäudes schweifen lasse, öffnet sich plötzlich die Tür hinten links. Da mich das zweifelsohne sichtbar überrascht, greife ich zur Beschwichtigungsschiene:
„Oh, tut mir leid. Ich hatte sie gar nicht gesehen!“
Es gibt genügend Kunden, die keinerlei Hilfe beim Einladen oder Einsteigen brauchen, aber natürlich helfe ich gegebenenfalls. Allerdings – auch wenn es vielleicht das Klischee vom faulen Kutscher bedient – vertiefe ich mich bisweilen durchaus ins Lesen, da eine Wartezeit in ständiger Erwartungshaltung anstrengender sein kann, als eine Tour mit schlecht gelaunten Kunden.
„Kein Problem. Ich wollte ja auch nicht hier vor allen Leuten…“
erwidert mir die Pointe offenlassend die Stimme einer jungen Frau, von der ich nach dem erschreckten Umdrehen gerade noch das Gesicht wahrnehme. Na denn. Alles bestens!
Sie wünschte sich einen Straßennamen, nannte aber den Stadtteil gleich dazu. Ob ich wisse, wo das sei?
„Naja, zugegeben: Mit der Straße haben sie mich erwischt. Aber die Richtung ist ja erstmal klar. Ich würde mich freuen, wenn sie mir die Straße zeigen könnten, ansonsten nehme ich einfach das Navi.“
„Nein nein! Zeige ich ihnen. Aber manche kennen den Stadtteil gar nicht.“
„Das meinen sie nicht ernst, oder?“
„Doch, und nach der Arbeit hab ich keinen Bock, das jedes Mal zu erklären…“
„Nur keine Sorge, ich weiss schon, wo es langgeht. Sie können sich einfach entspannen!“
Sie sagte mir zu, mir die Straße zu zeigen, aber ich hab nebenbei das Navi programmiert, falls sie doch müde wird, es sich anders überlegt… und wie zum Teufel kann man den Stadtteil als Taxifahrer nicht kennen?
Aber gut, es ist eine gute Tour, 17 bis 20 €, ich bin erst einmal zufrieden und versuche es mit Smalltalk:
„Wenn sie gerade von der Arbeit kommen, lassen sie mich raten: Gastronomie?“
Das klappt immer und ist ein hervorragender Einstieg ins Gespräch. Unsere Kundschaft ist dann nahezu dieselbe, selbst gute und schlechte Tage hängen voneinander ab, denn nicht zuletzt speist sich der Pool meiner Kunden aus der enormen Anzahl derer, die sich Abends einen hinter die Binde kippen.
„Äh… nein.“
Fuck! Fettnäpfchen! Aber egal. Ich Profi, Gespräch noch nicht beendet! Ich übergehe die peinliche Realität mit gewohnter Lässigkeit:
„Hätte ja sein können. Wissen sie, die meisten, die während meiner Arbeitszeit Feierabend haben, arbeiten in der Gastronomie.“
Nach dem Satz kann man gechillt aufs Wetter umschwenken oder auf die Schönheit der Stadt bei Nacht. Auf die Bahnverbindungen, die die Taxifahrt nötig machen und auf peinliche Menschen, die einem über den Weg gelaufen sind. Ein Freundschaftsangebot meinerseits. Das Du-musst-es-nicht-sagen, das im Preis natürlich genauso inbegriffen ist wie das Du-darfst-mir-alles-erzählen.
Sie hat es nicht genutzt.
„Wenn sie mich gesehen hätten, würden sie nicht denken, ich arbeite in der Gastronomie… nein, ich arbeite im Nachtgewerbe.“
Mein „Ach so“ war nicht gekünstelt. Wenngleich das Sex-Geschäft für mich als langweiligen monogamen, dennoch aber natürlich an Körperlichkeiten interessierten Menschen zwar gleichermaßen extrem unverständlich und irgendwie faszinierend ist, so hab ich im Umgang mit den Beteiligten (Prostituierte, Freier, Tänzerinnen, sexuell anders orientierten Menschen) ja durchaus eine lockere Routine entwickelt. Die Protagonisten dieser Szenerie sind Kunden wie alle anderen auch. Im Grunde liegt unser Gewerbe in enger Nachbarschaft, ist miteinander verwoben, und da es dort oft um größere Summen geht, mangelt es meist nicht an Trinkgeld.
Da es ihr aber trotz der (wahrscheinlich gefühlt notwendigen) Offenheit scheinbar nicht sonderlich wohl war, so geoutet zu sein, hab ich es einfach bei offensivem Desinteresse belassen. Nach diesem einen Satz nahm sie das auch dankbar an, und der Rest der Unterhaltung drehte sich mehr um ihren Stadtteil, die Routenansage und das Bezahlen.
Da sie nun die ganze Zeit hinter mir saß und ich somit nicht sehen konnte, fragte ich mich aber dennoch, wie ihre Ansage gemeint war. Als sie dann ausstieg, wurde es mir dann doch recht schnell bewusst. Wer Anfang November untenrum nur einen String trägt, wundert sich natürlich nicht zu Unrecht über die Frage nach der Gastronomie als Broterwerb.
Memo an mich für die Zukunft: Erst gucken, dann quatschen! 🙂
@Sash
Dein „spärlich bekleidete Frauen“-Radar scheint defekt. Aber durchaus verständlich, dass sie da so reagierte.
Ich will jetzt wissen welcher Stadtteil das war! Das Spannendste lässt du weg 🙁
Ich hätte aber auch mal genauer geguckt wer sich da hinter mich setzt. tz tz tz…
Den hab ich ausgebaut. Sicher ist sicher… 🙂
Kann ich absolut verstehen.
Ich bin immer noch unschlüssig, welche Rute ich dir schenken soll. 😉
😀 und schon bei ebay verkloppt, so sicherheitshalber?
Nur einen String bei dem Wetter? So würde ich ja im November nicht rumlaufen.
Ja, du arbeitest auch sicher nicht im „Nachtgewerbe“ 😉
Doch. In gewisser Weise schon. So wie Sash 😀
@Matthias:
Ja, ein bisschen muss ich auch zusehen, dass die Leute nicht erkannt werden.
@Taxi224:
Also wenn es sich um freundliche Leute handelt, die in keinster Weise nach Ärger riechen, kann ich damit leben, nur kurz das Gesicht zu sehen.
@Aro:
Ja, ich fand die Umschreibung auch etwas unzureichend 🙂
[…] Aber ja: Ich freue mich über Frauen als Fahrgäste. Bevor ich noch den Verdacht erwecke, hier sexistisch zu sein: Quatsch! Ich bin vergeben und hab auch besseres zu tun, als meine Fahrgäste pausenlos anzuglotzen. Im besten Fall merke ich nicht einmal, wenn die Damen knapp bekleidet in mein Taxi krabbeln […]