Der Stresser

Silvester ist wirklich geil. Viele Fahrten, ja oft sogar gute Laune und nicht nur Verzweiflung, Depression und Wut, weil kein Taxi kommt. Aber die Stresser bleiben nicht aus und ironischerweise stören sie an Silvester immer mehr als an anderen Tagen. Das ist nicht verwunderlich, denn der Auftragslage nach könnten wir an diesem Tag ausnahmsweise mal die Kunden aussuchen anstatt umgekehrt. Da schleicht sich bei Ärger eben schnell das Gefühl ein, man könne seine Zeit auch mit Leuten verbringen, die nicht so nervig sind. Dass ich die diesjährige Schicht zum Jahreswechsel so positiv bewerte, liegt vor allem daran, dass der eine Stresser in der Schicht nicht irgendwie wirklich ein Arschloch war, sondern einfach zu betrunken, ein wenig zu vorlaut und ansonsten nur ein bisschen nervig – aber nie bösartig.

Wie das geht? Das geht so:

Am Tierpark winkte er mich heran, ließ dann zunächst seine Familie einsteigen und flackte sich auf den Beifahrersitz.

„Guten Abend, frohes Neues! Wo darf’s hingehen?“

„Herzbergstraße 2.“

„OK, Herzbergstraße ist klar. Die ist ja unterbrochen. Von welcher Seite aus können wir da ranfahren? Wissen Sie das zufällig?“

„Kannst so oder so ranfahren.“

„Wirklich? Das wundert mich. Also jetzt über die Rhinstraße ist kein Problem? Ich kann auch mein Navi …“

„Nee nee, kein Problem. Fahr mal, wie Du denkst!“

„Ich würde gerne über die Rhinstraße, aber wenn das weiter westlich liegt, dann dürfte das schwierig …“

„Rhinstraße! Kannst auch über Frankfurter Allee …“

So recht einig sind wir uns nicht geworden. Also ja, irgendwie schon: Er meinte, es gehe von beiden Seiten aus und hat das auch mit Nachdruck betont. Ich war mir unsicher, hab das auch gesagt und immer wieder gefragt, ob das mit der Rhinstraße stimme. Während er mich ermunterte, ruhig so zu fahren, wie ich dachte, begann er, Taxifahrer per se in Frage zu stellen. Nicht mich natürlich! Klar. Aber dass wir uns heute offenbar nicht mehr auskennen müssten, das wäre schon – also hoppla! Und ich sei ja außerdem garantiert kein Taxifahrer. Also höchstens als Aushilfe oder so. Student, natürlich! (Wie alle Taxifahrer unter 105 Jahren etwa)

Die alles entscheidende Kreuzung passierten wir mit seinem Hinweis, wir hätten jetzt ja auch links fahren können. Aha. Dann meinte er immer wieder, dass das schon ok sei so, wir jetzt halt einen kleinen Haken fahren würden, es ihm an Silvester aber auch nicht um einen, drei oder fünf Euro gehen würde. Na, immerhin!

Man braucht nun wohl kaum mehr Fantasie, um zu wissen, was kam. Natürlich liegt die Nummer 2 der Herzbergstraße nicht am östlichen, sondern am westlichen Ende. Die Durchfahrt ist wie ich ja wusste und gesagt hatte nicht möglich. Als ich das dann – natürlich erst vor Ort – feststellte, beschwerte sich seine Frau schon. Nicht über mich, über seine Ansagen. Er erwiderte ganz gelassen:

„Jetzt lass doch den Jungen mal fahren wie er denkt. Der wird das schon wissen!“

Das war einer der seltenen Punkte im Taxi, an denen es mir zuviel wurde. Ich bin trotz anwesendem Kind ein kleines Bisschen lauter geworden und hab klargestellt, dass ich IHN gefragt hätte, wo die Nummer liegt und SEINETWEGEN das Navi nicht benutzt hätte. Das war ihm so egal wie nur irgend möglich. Er meinte ganz ruhig, dass wir ja auch ohne weiteres über die Landsberger fahren könnten, hier rechts, dann wäre alles kein Problem …

„Die Landsberger ist hier links!“

„Was? Nein nein, ich meine die Landsberger!“

„Die ist hier links!“

„Nee nee, fahr mal rechts!“

Sein Sohn (etwa 8 Jahre alt) hat dann für mich Partei ergriffen und gesagt, dass die Landsberger Allee links von uns liegt. Papi gab dann zu, dass er ja auch gar nicht wüsste, wo dieser komische Taxifahrer ihn hingefahren hätte und Mutti ärgerte sich über Papi. Fantastisch! Nächstes Jahr nehme ich nur noch Kinder mit!

Wir sind also auf Anweisung des Sohnes hin links gefahren, aber natürlich hätte ich selbst diese Hilfe nicht gebraucht. Landsberger, Herzbergstraße, bitte!

„Da oben is Pyramide!“

meinte seine Frau. Korrekt. Außer für ihn. Das sei sie nicht, das wisse er. Und wo wir jetzt wohl wären? Sicher im tiefsten Marzahn oder so. Noch zwei Minuten zuvor hatte ich darüber nachgedacht, dem Typen einen Preisnachlass für den Umweg zu gewähren. So langsam aber war es auch mir zuviel. Als hätte ich irgendeinen Fehler gemacht, außer auf ihn zu hören – und das muss ich als Taxifahrer nun einmal in gewisser Weise. Also lief die Uhr weiter und am Ende standen 17,20 € darauf. An Silvester: hart verdiente 17,20 €.

Er bemühte sich noch zu sagen, dass ich selbstverständlich nicht direkt vors Haus fahren müsste – das sei da so schwierig mit dem Rausfinden. Ob das nur nett gemeint oder eine weitere Frechheit war, kann ich nicht einmal mehr sagen. Ich war einfach nur froh, als der Typ ausgestiegen ist. Aber immerhin durfte ich den Zwanziger behalten und die Fahrt war ja so schon teurer als normal. Also hab ich Gnade vor Recht walten lassen und nichts mehr gesagt. Seine Frau indes war sehr froh, lobte mich und hat mir noch beizubringen versucht, was „Gute Nacht“ auf Russisch heißt. Zugegeben etwas erfolglos, aber ich hatte diese gute Nacht ja noch, also was soll’s?

10 Kommentare bis “Der Stresser”

  1. Ich verstehe gerade nicht, wenn der Kunde dir klar signalisiert, dass er dir die Verantwortung überträgt, warum du nicht einfach kurz im Navi geschaut hast? Gerade an so einem Abend wäre ich doch bemüht, so schnell wie möglich den nächsten Kunden im Wagen zu haben.

  2. Marco sagt:

    Könntest du mal bitte in google maps o.ä. einzeichnen, wo die Herzberger unterbrochen ist? Das erschließt sich mir aus der Karte nämlich nicht (ich versuche solche Stories immer ganz gerne anhand der Karte nachzuvollziehen, das macht sie noch interessanter). Oder war da nur eine Sperrung, Baustelle o.ä.?

  3. Tino sagt:

    Das Krankenhaus ist die letzte Hausnummer du hättest einfach durch selbiges durchfahren können. Die Schranke geht für uns immer auf.

  4. Athropos sagt:

    In meiner Heimatstadt ist es so, dass die Hausnummern immer von der Stadtmitte Richtung Stadtrand aufsteigend sind. Bei Strassen, die „parallel“ zur Stadtmitte verlaufen, sind sie im Uhrzeigersinn aufsteigend. Wäre das für Berlin auch anwendbar oder gibts hier zu viele Zentren (angeblich sind ja auch einige Strassennamen mehrfach vergeben)?

  5. Wahlberliner sagt:

    @Athropos: Hier ist es sogar so, dass manche Straßen die geraden auf der einen und die ungeraden Hausnummern auf der anderen Seite zählen (wie ich es „aus’m Westen“ gewohnt bin), und andere Straßen wiederum fangen bei 1 auf der einen Seite an hochzuzählen bis zum Ende der Straße, und zählen dann auf der anderen Straßenseite weiter, so dass die 1 und die höchste Hausnummer der Straße sich gegenüber liegen.

  6. ednong sagt:

    Ja, solche mehrdeutigen Aus-/Ansagen liebe ich. Wenn sich die Leut nicht entscheiden können, du aber für deren FEhler verantwortlich bist. Ich hätte wahrscheinlich schon nach dem zweiten Satz das Navi angeschmissen mit der Bemerkung „Dann überlass ich mal meinem Navi das Heraussuchen der Hausnummer“ und gut ist. Ansonsten hätte ich mich wohl über einen solchen Fahrgast bis zum Ende geärgert.

  7. David sagt:

    Gute Nacht: Спокойной ночи [Spakoini Notsche] 😉

  8. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Klar hätte ich nachgucken können und sollen. Aber man entscheidet sich auch mal falsch, wenn der Kunde scheinbar Ahnung hat (und Anwohner haben meist mehr Ahnung als ich!) und schon durchscheinen lässt, dass er es blöd findet, wenn der Fahrer den Weg nicht kennt.

    @Marco:
    Ganz ehrlich, das ist mir gerade zu anstrengend. Vor allem, weil Google gerade bei Sperrungen und dergleichen manchmal ganz eigene Meinungen hat. Normalerweise kann man nicht aufs Krankenhausgelände rauf (da hat mich Tino allerdings jetzt eines besseren belehrt), den genauen Standpunkt der Schranke kriege ich jetzt eh nicht aus dem Kopf hin.

    @Tino:
    Gut, das wusste ich wirklich nicht. Danke für den Hinweis!

    @Athropos:
    Bei uns gibt es das alles, bloß wirr durcheinander 😀

    @ednong:
    Ja, ist einfach doof. Mich hat es fast gestört, dass er nicht einfach ein Arschloch war , den man dafür zu Sau hätte machen können. Geärgert hab ich mich mordsmäßig – obwohl ja das Ergebnis rein finanziell völlig ok für mich war …

    @David:
    Vielen Dank!
    Ich bin mir aber sicher, ich kann’s mir weiterhin nicht merken. So viel hab ich dann auch nicht mit Russen zu tun.

  9. Paul sagt:

    Kapier ich grad nicht. Wenn man von der Rhinstraße kommt und Richtung Krankenhaus abbiegt heißt die Straße Allee der Kosmonauten und nicht Herzbergstraße. Die Herzbergstraße wird also gar nicht vom Krankenhaus unterbrochen. Behauptet zumindest meine Karte…

  10. Sash sagt:

    @Paul:
    Hmm, guter Einwand. Ich hatte das aber definitiv so abgespeichert. Um das Krankenhaus herum sind ja noch ein paar unbetitelte Straßen, ich hab leider gerade auch keine Ahnung mehr, wo da das erste Herbergstraßenschild steht. 🙁
    Ich hab leider meinen Spezialatlas nicht mehr und OSM will gerade auch nicht …

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