Sash, 34, Knöpfchenexperte.

Eigentlich war mir nach vier Touren in Folge ja so langsam mal nach einer Pause. Nikotinentzug und so. Vom Ostbahnhof trennte mich kaum mehr ein Kilometer, es lief alles blendend. Dann eine Hand.

Der Typ war ein paar Jahre älter als ich, sah nach einer durchzechten Kneipennacht aus und äußerte ohne jegliche Begrüßungsfloskel nur den Namen eines bekannten Puffs in Schöneberg. Nette Tour eigentlich. Dann folgte allerdings sofort der Hinweis, er müsse noch zu einer Bank. So weit auch ok. Ich hab gar nicht wegen Kartenzahlung angefangen, denn dass der weitere Abendverlauf ebenso Geld kosten würde, war offensichtlich.

An der nächsten Kreuzung war gleich ein Automat, den mein Kunde auch begeistert empfing, er hatte beim Raustorkeln nicht einmal mehr die Kraft, die Autotüre hinter sich zu schließen. Aber gut, ich hatte dicht am Bordstein gehalten, so gesehen kein Problem. Tja, dann stand er da und drückte rum. Am Ende kam er wieder und meinte, es würde nicht gehen. Das ist nun nicht gerade was, was einem Freundentränen und Hoffnungsschimmer entlockt, aber der Weg war noch lang und ich war ehrlich gesagt so zufrieden mit dem Abend … selbst der Kilometerschnitt war gut genug, um die Fahrt in den Sand zu setzen, wirklich! Also nicht, dass ich das vorgehabt hätte, aber der Gedanke an eine unbezahlte Fahrt hat mich einfach nicht so beunruhigt, wie das sonst der Fall gewesen wäre.

Die nächsten zwei Banken hatten zu und dann wurde es auch so langsam eng. Mein Fahrgast war eh genervt, obwohl ich wirklich den absolut kürzesten Weg gefahren bin. Am Ende hab ich 300 Meter vor dem Puff an einer Taxihalte schnell eine Kollegin gefragt, ob sie einen Automaten in der Nähe kennen würde. So sehr ins Blaue fahr ich echt nur selten. Aber siehe da, sie kannte einen quasi direkt gegenüber des Zieletablissements. Also hab ich im Vorbeifahren die Uhr ausgemacht und mich darauf eingestellt, dass ich das jetzt eben würde regeln müssen. Im Zweifelsfall hätten die wahrscheinlich sogar im Puff selbst noch eine Option gehabt.

Nun aber eine Bank, von der ich nie gehört hatte, der Kunde vor dem Automaten und abermals die Meldung, dass es nicht gehen würde. Da wir uns ohnehin auf Englisch unterhalten haben, seine Muttersprache aber eher russisch oder so war, hab ich ihn gefragt, ob er das Menü auch in Englisch gewählt hätte. Da kam dann sogar Deutsch hinzu:

„Beide. English und Deutsche!“

„OK, show me!“

Datenschutz hin oder her, ich hab auch schon die PIN für Leute eingegeben. Natürlich nur auf Wunsch, aber beachtlich find ich’s eigentlich trotzdem.

Naja, da standen wir also und er folgte dem englischen Menü bis zur PIN-Eingabe. Er hackte ein paar Zahlen ein, wobei ich nachfragte, ob er sich mit denen auch sicher sei.

„Da! Yes, yes! Of Course!“

Und dann zuckte er mit den Achseln, während auf dem Bildschirm deutlich lesbar stand, dass er die grüne Taste zur Bestätigung drücken solle. Das hab dann nach 5 Sekunden Ratlosigkeit seinerseits ich übernommen. Und – o Wunder! – er durfte nun auswählen, welche Summe er abheben will!

Im Folgenden war das mit dem Abheben und der Bezahlung meiner Wenigkeit recht schnell und leider ziemlich trinkgeldlos erledigt, aber das störte mich ja nun auch kein Bisschen an dem Abend. Er versicherte sich nochmal, dass der Puff auch wirklich das Haus mit den roten Lichtern sei, wankte davon und musste fortan nur noch einmal von mir zurückbeordert werden.

„HEY, GUY, ONE LAST THING!“

„What?“

„Guess you’d like to have your backpack with you …“

Denn außer mit grünen Knöpfchen kenne ich mich halt auch mit dem Blick auf die Rückbank aus. 😉

Sündenbock

Als ich nach dem Winken angehalten hatte, war ich mir nicht sicher, ob ich mir mit der Fahrt einen Gefallen getan hatte. Vier Jungs, allesamt Brecher meiner Größe und ziemlich laut unterwegs.

„Mach mal Kurzstrecke, Digger!“

Während einer gleich angefangen hat, mir zu beschreiben, wie genau ich fahren soll, meinte ein anderer:

„Ey, mein Bruder is‘ auch Taxifahrer, weisste, Digger?“

Damit war alles ok. Im Ernst. Die größte Sorge bei einem Rudel Betrunkener ist, dass sie irgendwie Ärger machen, wegen Bullshit. Leute aber, die von Bruder, Vater, Tante oder Großcousine wissen, wie der Job so ist, sind  fast automatisch immer lieb. Die sehen in uns halt nicht einfach irgendeinen potenziellen Abzocker am Steuer, wie manch andere in angespitztem Zustand.

Der junge Mann holte dennoch verbal bedrohlich aus, brachte dann aber eine 1A-Pointe:

„Aber weisste, Digger, wenn ich mir anschau, wie so manche Taxifahrer heizen … weisste, die so glauben, dass ihnen die Straße gehört … wenn ich sowas seh, Digger, dann … dann würde ich am liebsten zu meinem Bruder fahren und ihn schlagen!“

😀

Das Ende vom Lied waren zwei Euro Trinkgeld auf eine Kurzstrecke und gute Laune. Und der Bruder hat diese Nacht vermutlich auch nix abbekommen. 😉

Immer zu Diensten

Eine Winkerin. Gar keine schlechte Fahrt, wenn auch nicht herausragend. Aber hey, 17 € sind 17 €.

„Jetzt … wow, schön, dass Sie angehalten haben. Ich wollte da gerade über die App … und dann kamen Sie aber schon.“

„Schneller als die App, da können Sie mal sehen!“

Da ist Berlin natürlich ein spezielles Pflaster, schon klar. Rund 8.000 Taxis können die wenigsten Städte vorzeigen. Natürlich klappt das mit dem Winken nicht überall so wie hier in der Innenstadt. Aus Sicht der Kunden: Leider. Natürlich.

Andererseits muss ich an der Stelle auch mal wieder anmerken:

Alle Firmen, die in den letzten Jahren mit schneller Fahrtvermittlung Werbung gemacht haben – und da schmeiße ich, ohne sie gleichstellen zu wollen, sogar MyTaxi und Uber in einen Topf – bieten ihre Dienste in genau den Städten an, in denen es so viele Fahrer und so viele Kunden gibt. Aus deren Sicht verständlich, keine Frage. Mehr Umsatz, mehr Gewinn. Kenne ich so aus meinem Alltag auch. Die eigentliche Kunst wäre trotzdem, eigentlich unausgelasteten Fahrern Kunden und lange wartenden Kunden einen Fahrer zu vermitteln.

Insofern auch mal: Danke an all die Kollegen auf dem Land und in kleinen Städten, die den Job auch ohne all das gemeistert kriegen!

Sachen gibt’s …

Da stiegen nun also Kunden beim Kollegen am ersten Halteplatz ein … und wieder aus. OK, das kommt vor. Kann ja alles bedeuten: Entweder hat der Kollege illegal eine kurze Fahrt abgelehnt, weiß nicht, wo das Ziel ist, ihm sind die Kunden zu betrunken, der Kartenleser funktioniert nicht oder die Tour geht weit ins Umland, und sie konnten sich nicht auf einen Preis einigen. Und es gibt sicher noch ein paar Optionen, die ich vergessen habe. Anstatt nun eine dieser Geschichten zu bestätigen, haben mir die Kunden auf meinen fragenden Blick folgendes erzählt:

„Dein Kollege hat geschlafen.“

WTF?

Aber ja, das Automodell fährt auch einer der Schläfer, die ich hier schon mal (wo war das nochmal?) erwähnt habe. Der, der vom Hupen der Kollegen eh nicht wach wird und dann halt gerne mal stundenlang überholt und belächelt wird. Schlimm genug! Aber dass er es nicht einmal mehr mitkriegt, wenn Kunden einsteigen (!), was will man dazu sagen?

„Weißt Du, wir haben erst gedacht, der verarscht uns. Der hat so lautstark geschnarcht und gegrunzt, als ob er einfach keinen Bock hätte, uns mitzunehmen und deswegen schauspielert. Aber ich glaub, das war echt. Das macht mir Angst!“

Auch ich werde während der Nachtschicht mal müde. Aber alter Schwede, was für ein Level ist das denn bitte?

Ui! Betrug! Na sowas!

Der Tagesspiegel meldet, dass ein vom Senat beauftragtes Gutachten zeigen soll, dass ein beträchtlicher Teil der Berliner Taxiunternehmen das Finanzamt bescheiße. Unternehmen mit bereits eingebauten Fiskaltaxametern sollenwesentlich höhere Umsätze melden als ein „erheblicher Teil“ der anderen.

Im Text wird als Extrembeispiel genannt, dass ein Taxi im Doppelschichtbetrieb nur 25.000 € Jahresumsatz gemacht haben soll. Um das mal in Perspektive zu rücken: Das bedeutet, dass jeder Fahrer ungefähr 1.000 € Monatsumsatz macht, bei 20 Arbeitstagen also ungefähr 50 € täglich. Ich meine, ich will ehrlich sein: Diese Schichten kenne ich auch. Aber mein Schnitt in diesem Monat liegt bei ca. 120 € pro Schicht. Und „Schicht“ bedeutet im aktuellen Monat bei mir (Fußball-EM und so*pfeif*) 6,5 Stunden – also weit weniger, als selbst mein Arbeitsvertrag eigentlich vorsehen würde. Und da in den Drecksbuden unserer Zunft gerne mal utopische Schichtvorgaben wie 10, 11 oder gar 12 Stunden glatt verlangt werden, kann man sich mal überlegen, wie realistisch das ist.

Meine Einschätzung: 3.000 € pro Fahrer ist bei allen Hochs und Tiefs trotz Faulenzern und Workaholics sicher kein schlechter Pi-mal-Daumen-Wert für einen Monat. Ein paar schwer hobbylose Gesellen mit leicht 1890er-mäßigen Arbeitszeiten sollen wohl auch schon mal das Doppelte schaffen. Dem Taxigewerbe geht es schlecht, ja – aber sooo schlecht dann auch nicht.

Es betrügen also viele, einige vermutlich so weit, dass am Ende der Staat die Fahrer bezuschusst, die laut Gehaltsabrechnung unter HartzIV landen.

Da bleibt mir nur die Frage:

DON’T YOU SAY?

Für das Gutachten hätten echt nicht noch weitere Steuergelder rausgeschmissen werden müssen. Ich weiß nicht, was es gekostet hat, aber ich hätte das Ergebnis für einen niedrigen dreistelligen Betrag binnen 24 Stunden via Mail vorhergesagt. Also zumindest so grob.

Ich weiß, dass der Berliner Senat in Verkehrsdingen andere Prioritäten hat. Wir haben statt eines Flughafens eine Dauerbaustelle, die S-Bahn ist kaputtgespart und über den aktuellen Stand des Ausbaus der A100 will ich mich nicht einmal informieren, um nicht zum Runterkommen die komplette Saw-Reihe nochmal anschauen zu müssen.

Aber was zur Hölle erwartet Ihr denn, wenn das Taxigewerbe keine Sau interessiert?

Mein P-Schein ist ein Äquivalent zum Micky-Maus-Geheimagentenausweis: Ich hab mir den Arsch abgefreut, ihn zu haben, aber kein Erwachsener will, dass ich ihn vorzeige! Ich hatte in siebeneinhalb Jahren noch keine Zollkontrolle und wenn ich es richtig verstanden hab, waren selbst meine Chefs bei der letzten Unternehmensprüfung schwer überrascht, obwohl sie zu den größten Betrieben in Berlin zählen. Kein Schwein will wissen, was wir da draußen auf der Straße machen, vermutlich sind einfach alle nur froh, dass es schon irgendwie läuft.

Ziemlich zeitgleich mit meinem Dienstantritt im Dezember 2008 wurde beschlossen, das „Hamburger Modell“ (im Wesentlichen mehr Aufzeichnungen und mehr Kontrolle) auch in Berlin durchzusetzen. Auch damals geisterten bereits Millionenbeträge durch die Medien, wenn es darum ging, was das Berliner Taxigewerbe wohl jährlich an Steuern hinterzieht. Trotzdem wurden die damals anberaumten sechs (!) zusätzlichen Kontrolleurstellen wegen der Kosten von 250.000 € nicht geschaffen. Ja, that’s Berlin: Ein paar sichere Millionen Euro (es werden bis zu 50 davon medial gehandelt) mehr Steuereinnahmen sind keine 250.000 Euro an Investitionen wert!

Ich bin ja nun wirklich kein Law-and-Order-Typ, aber: Was bitte soll man denn erwarten von einer gewinnträchtigen Branche, wenn keinerlei Kontrolle existiert? Natürlich findet sich da ein Haufen Arschmaden, der das zu nutzen weiss!

Aber klar: Ob Berlin 60 oder 60,1 Milliarden Euro Schulden hat, ist im Grunde nicht interessant. Und ob man Touristen mit zwielichtigen Taxifahrern abschrecken oder mit ehrlichen eher anlocken sollte: Darüber gehen die Meinungen sicher auch auseinander. Der Depp, dem die Einnahmen durch die unehrlichen Kollegen geschmälert werden, der ist ja nur so ein – wie hießen die doch gleich? – ach ja: Taxifahrer!

Also, lieber Berliner Senat: Gutachten in Auftrag geben und Pressemeldungen bewirken klappt schonmal ganz gut. Da kriegt Ihr alle eine Eins und meinetwegen ein Bienchen für besonderen Fleiß.
Darüber hinaus muss ich als ehrlicher und (begrenzt) ebenso fleißiger Taxifahrer aber mal sagen:

KRIEGT ENDLICH DEN ARSCH HOCH UND MACHT EURE ARBEIT!

Dann klappt’s auch mit den Steuereinnahmen. 😉

PS: Ja, vielleicht ist das Gutachten ja ein Schritt in die richtige Richtung. Aber seit der Hamburger-Modell-Geschichte bin ich da „etwas“ pessimistisch.

„Mein“ Taxi und ein netter Kollege

Als mich Jens bei Facebook angeschrieben hat und mir mitteilte, dass er mir unbedingt ein Taxi zeigen müsse, das er in Tiflis leider erst beim zweiten Mal ablichten hätte können, war ich gespannt und klickte auf das Foto. Hmm, ein Golf, ist zwar hier eher selten, aber ein neueres Modell hatte ich sogar in Berlin schon mal gesehen. Etwas später ist es mir dann auch aufgefallen …

Im Nachfolger dieses Modells hab ich den Führerschein gemacht! Quelle: Jens

Im Nachfolger dieses Modells hab ich den Führerschein gemacht! Quelle: Jens

Ich gebe zu, das hat Stil. 🙂

Da wir zufällig beide gerade online waren, hab ich im Chat von Jens erfahren, dass er tatsächlich ein Kollege ist – und zwar im besagten Tiflis! Und auch wenn das vielleicht etwas „Special Interest“ ist: Er hat dort ein Taxiunternehmen, das spezialisiert ist auf internationale, dank ihm also auch deutschsprachige Fahrgäste. Die Story dazu, wie er von der Schweiz nach Georgien ins Taxi gelangt ist, gibt es laut seiner Aussage zu jeder Fahrt gratis dazu. Also falls irgendwelche Leser oder Leserinnen in der Zukunft einen Trip nach Georgien planen: Ich kann nur empfehlen, im Vorfeld mal bei „Euro Taxi“ vorbeizuschauen oder anzurufen. Ich würde es jetzt jedenfalls machen!

Und wenn Ihr es wirklich macht, outet Euch als GNIT-Leser. Just for fun. 🙂

PS: Das hat sich wirklich so zugetragen und das ist kein Werbelink. Ich krieg nix dafür, auch das Foto hat Jens mir dankenswerterweise einfach geschenkt, ohne auf einen Link zu bestehen.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

„Besonders nett“

Auch wenn ich gestern noch einmal einen Rant loswerden musste: Ich bin ja im allgemeinen sehr dankbar über Kundschaft und entsprechend auch nett zu ihr. Manchmal hab ich die Vermutung, ich wäre sogar nett, auch wenn sie mir kein Geld bringen würde, aber schließt daraus bitte nicht auf psychologische Anomalien!

Nun also ein Kunde am Tierpark. Gott sei Dank! Ich war einen ziemlich weiten Weg in Richtung Heimat gefahren, in der steten Hoffnung, auf die verkorkste Schicht wenigstens noch ein kleines Winkerkrönchen setzen zu können. Der Kunde war zwar leicht angeschlagen, aber das wirklich nur in dem Sinne, dass man merkte, das er getrunken hatte. Gefahr durch Brockenlachen, Totalausfall oder völlige Enthemmung war nicht gegeben. Aber wir mussten umdrehen. Weil er seinen Schlüssel vergessen hatte.

„Kein Problem, kriegen wir hin!“

„Ehrlich jetzt? Na Du bist ja mal’n besonders netter Taxifahrer!“

„Wieso? Für sowas sind wir doch da.“

„Naja, aber manche Kollegen gucken immer gleich so und …“

„Kann sein. Das sind dann die, die meiner Meinung nach Pakete ausfahren sollten. Pakete quatschen nicht und haben keine Sonderwünsche.“

„Hihi. Naja, ick bin ja auch betrunken … aber nicht so, dass ich jetzt von mir aus irgendwie Stress mache oder so.“

„Dann wird das ok sein. Ich von meiner Seite aus hatte auch nicht vor, jetzt Streit anzufangen.“

Waren am Ende satte 30 €, Streit gab’s ebenso keinen. Und ich war nüchtern genug, ich hätte das bemerkt. 😉