Tom Vanderbilt: Auto
Warum wir fahren, wie wir fahren und was das über uns sagt
Das Buch wurde mir irgendwann einmal hier bei GNIT in den Kommentaren empfohlen und mir letztlich auch über meine Wunschliste bei Amazon geschenkt. Ich hab die Empfehlung des Titels und des Titelbildes wegen nicht so sonderlich ernst genommen und mich auch nicht weiter informiert. Was soll das schon sein? Ein kleines Büchlein, in dem irgendwer Autofahrerklischees aufgreift und die BILD zitiert, wenn die auf die Idee kommt, Porschefahrern kleine primäre Geschlechtsorgane zu unterstellen?
Nein, weit gefehlt.
Also ja, das Buch ist ein populärwissenschaftliches Sachbuch übers Autofahren und gefällig geschrieben. Aber es ist umfangreich und vermutlich das Gegenteil dessen, was wir als durchschnittliche Autofahrer gerne lesen wollen. Und deswegen sollten.
Für überzeugte Autofahrer ist es beileibe nicht die leichteste Lektüre. Zum einen über 400 Seiten dick (+ über 50 Seiten Quellennachweise und Erläuterungen), zum anderen für wirklich jeden mindestens einmal ein Schlag ins Gesicht.
Übers Fahren machen so viele „Weisheiten“ die Runde, da kann jeder etwas beitragen – aber was davon ist wirklich haltbar?
Das Buch deckt eine Menge verkehrstechnische und verkehrspsychologische Gebiete ab. Natürlich – ich sagte schon: populärwissenschaftlich – immer nur in Teilen. Vanderbilt schreibt über Drängler, Staus, Aufmerksamkeit, selbstfahrende Autos, Gefahrenabwägungen, schilderfreie Städte, den Verkehr als kulturelles Phänomen … und all das nach zugegebenermaßen laienhafter Einschätzung sehr faktenbasiert. 5 Jahre hat das Buch auf dem Buckel, manche Überraschungen (z.B. dass Fahrradspuren auf der Straße sicherer sind als getrennte Fahrradwege) sind heute keine mehr, dennoch liefert diese Sammlung immer wieder Hinweise darauf, wie wir Autofahrer systematisch unterschätzen, was wir da machen. Und das sage ich jetzt als jemand, der trotz seines Fahrerjobs selten durch Autolobby-Kampfvokabular auffällt.
Ich gebe zu, dass ich die letzten Monate selten zum Lesen gekommen bin und damit auch dieses Buch nicht mal eben kurz durchgerockt habe. Ich hab also auch nur noch einen Teil des Inhaltes im Gedächtnis. Was mir aber nach jeder Lese-Etappe irgendwie im Kopf blieb, war der Gedanke, dass man dieses Buch eigentlich lesen sollte, bevor man den Führerschein macht. Nicht, weil man damit ein paar Leute abschrecken könnte (was man vermutlich kann), sondern weil es unterschwellig und leicht selbstironisch aus der Sicht eines Autofahrers mit erweitertem Wissen zeigt, wie unzulänglich wir eigentlich alle sind und wie leicht wir uns durch nicht immer sinnvolle Signale in die Irre führen lassen.
„Ja, dit war ja nur so Psychologen-Jelaber für Psychologen, dit hat ja nüscht mit hier auffer Straße zu tun …“
sagte mal ein Kollege nach einem entsprechenden Seminar bei uns in der Firma. Dieses Buch könnte bei einzelnen Leuten diese Lücke schließen, den Bezug zwischen ihrem Verhalten und ihrem normalen Umfeld herstellen. Und wenn es das nicht kann, dann vermutlich auch kaum ein anderes.
Natürlich ist das irgendwie ein Spartenbuch für Leute, die gerne über den Verkehr nachdenken. Und dann auch wieder nicht, weil wir ja alle irgendwie ständig im Verkehr unterwegs sind. Deswegen möchte ich es wirklich gerne für alle hier empfehlen. Und jenen, den ich jetzt Angst gemacht habe vor „schwerer Lektüre“ oder dem „Schlag ins Gesicht“, möchte ich sagen:
„Schwer zu lesen ist es nicht. Es ist leicht verständlich und unterhaltsam. Und der Schlag ins Gesicht tut nicht weh, so lange man sein Hirn sowieso gelegentlich nutzt. Ich hab auch Kritik an manchen Punkten und ich wünschte auch, dass einiges im Buch erfunden ist. Aber es hilft eben auch, Probleme erst einmal zu erfassen und sich weiter zu informieren.“
Alles in allem wirklich ein großartiges Buch, ganz ehrlich!
Tom Vanderbilt: Auto
(Amazon-Ref-Link)
