Ja, der Marvin war komisch. Das heißt aber noch lange nicht, das am letzten Wochenende die noch komischeren Leute in Berlin keinen Ausgang gehabt hätten.
So stand ich an meinem Lieblingsbahnhof bereits etwas ungeduldig herum, weil ich zwar Erster war, aber in den letzten 10 Minuten eine totale Anullierung des Publikumsinteresses an Taxen eingesetzt hatte. Ich stieg aus und zündete mir eine Kippe an. Dann hielt 20 Meter vor mir an der Bushaltestelle ein PKW, spuckte drei Leute aus, die zum McDonald’s wollten … kurzum: Alltag in einer Berliner Nacht.
Dachte ich.
Dann aber trat der Held der Nacht auf, ein schon leicht schwankender Mittzwanziger, dem offenbar nicht gefiel, dass vor ihm ein Auto stand. Ich hab kaum was verstanden, aber aufgrund seines Gestenreichtums war erkennbar, dass der junge Mann den Autofahrer wegscheuchen wollte. Er deutete penetrant auf das Bushaltestellenzeichen, gestikulierte wild und war sichtlich unzufrieden damit, dass der Typ am Steuer erkennbar nix machte.
Tatsächlich kam kurz darauf noch ein Nachtbus an, hat das Auto auf die andere Straßenseite (also den – zu der Zeit ungenutzten – Nachrückbereich des Taxistandes) verscheucht. Kurz darauf kamen auch die mit Fast-Food bewaffneten Freunde wieder und das Auto war weg. Eine vollkommen unspektakuläre Großstadtszene am Wochenende. Sollte man meinen.
Und dann kam Mister Law-and-Order zu mir. Eine außergewöhnlich adrette Föhnfrisur mit stechenden Augen. Ob ich das gesehen hätte! Der hätte sich da einfach an die Haltestelle gestellt. Dabei wären da SOOO große Schilder und überhaupt und sowieso!
Ich hab ihn ein bisschen auflaufen lassen und gesagt, dass er zwar recht hätte, aber bei den anderthalb Nachtbussen pro Stunde das Problem doch auch reichlich irrelevant sei.
Also hat er mich ins Visier genommen. Wir Taxifahrer hätten es ja auch nicht leicht. Und so gesetzesuntreue Typen wie der da eben würden uns ja auch ständig überfallen und er hätte sich ja auch schon mal überlegt, den Job zu machen, aber das war ihm dann zu heikel. Aber immerhin: Er wüsste schon, welche Kanone welchen Kalibers er wo genau im Auto verstauen würde, um selbst einem Typen, der ihm von hinten droht, so ordentlich – wäre ja nur Notwehr! – so richtig die Eingeweide wegblasen würde, bevor der blicken würde, was Sache ist.
O. My. Goodness.
Und das hat er nicht so nebenbei in einem Nebensatz erwähnt, sondern er hat sich das schon reichlich bildhaft ausgemalt. Als ob meine Arbeit im Wesentlichen darin bestehen würde, unliebsame Kunden umzulegen. Wort- und bildgewaltig hat er sich ins Zeug gelegt, mir die Dramatik auszumalen, die mein Job seiner Meinung nach mit sich bringt, wie schlimm das wäre, was er für waffenstrotzende Lösungen dafür hätte, und so weiter. Ich bin da kaum zu Wort gekommen. Und auf jeden Punkt einzugehen, wäre schlicht auch zu blöde gewesen. Aber er wollte nicht ablassen vom Thema und auch all meine kurzen Widersprüche haben einfach null Wirkung gehabt.
Und dann hab ich kurz ausgeholt und eine völlige Binsenweisheit von mir gegeben:
„Weißt Du, es ist die eine Sache, bei der einen von 20.000 Fahrten gut bewaffnet zu sein oder den Angreifer ausschalten zu können. Ja, das ist vielleicht im Fall aller Fälle hilfreich. Aber unterschätze nicht, dass es bei sicher 100 bis 200 Fahrten bis dahin schon reicht, potenziell gefährliche Leute zu erkennen, dabei zu deeskalieren und damit das Schlimmste von vornherein zu verhindern.“
Und was hat er gemacht?
Er hat mir einen guten Abend gewünscht und ist einfach weggegangen.
WTF?