Reiseunlustiger Papagei

Und da stand er dann vor mir. Rote Hose, gelbes Hemd, blaue Jacke. Ein Papagei vielleicht.

„Sahsemal, brimsemimal Friessein!?“

„Ich bringe Sie gerne nach Friedrichshain, aber etwas genauer sollte es schon sein, immerhin sind wir bereits im entsprechenden Stadtteil.“

„Boah, figgdich, du Schreber!“

Und das war’s dann mit der Geschäftsbeziehung. Es hat ja niemand gesagt, dass es einfach ist …

-.-

Qualitätsmerkmal Bodenwelle

„Hier müssen Sie dann gleich links!“

„Ich weiß. Und sofort danach nochmal.“

„Ja, das stimmt. Ach, Sie kennen sich ja aus. Das hab ich schon vorher gemerkt, als sie da so abgebremst haben, als da diese Bodenwelle war. Da dachte ich gleich: Der junge Mann weiß Bescheid!“

Sash, 34. Weiß immerhin, dass er vor Bodenwellen besser bremst. 😉

Orr, Leben – echt jetzt!

Da bin ich gestern pünktlich um 19 Uhr gestartet, hab das Auto brav gewaschen und getankt … ähm ok, schon beim Tanken lief es eigentlich schief, denn die Säule hatte nicht genug Druck. Aber egal! Da war ich also nach einer unerwartet guten Donnerstagsschicht und einer wegen Schlafmangel leider extrem kurzen Freitagsschicht für den Samstag gut gerüstet mit frisch geputztem Auto auf der Pist … WTF?

Und ja, da leuchtete es dann, das Batteriesymbol, das mir schon einmal an Silvester den Ausfall der Lichtmaschine eingeläutet hatte und laut Handbuch unter anderem zu einem Ausbleiben der Motorkühlung führen kann.

Ich bin echt nicht mehr so sensibel wie vor 6 Jahren. Ich  ignoriere dieses und jenes Geräusch, weiß, dass die Abgasleuchte ab 200.000 km immer brennt und ich lebe seit drei Monaten mit einem Kleber über der Öllampe, auf dem steht, dass sie defekt ist und man den Meßstab verwenden solle. Aber eine Warnleuchte, die das letzte Mal eine gesamte Silvesterschicht verkackt hat? Nee, ich will am Ende echt nicht in Fredersdorf im Grünen stehen und mir überlegen, wie ich nun am frühen Ostersonntag heimkomme. Am Besten noch mit Kunden.

In der Firma war – Ostern, olé olé! – auch niemand zu erreichen. Tolle Wurst. Also hab ich jetzt ein halbes Wochenende ungeplant frei. Ist für mich leider nicht so schön wie für die Angestellten mit Festgehalt, aber ich hab ja noch GTA IV.

(Ja, das war ein Amazon-Link, ich bin halt verzweifelt. 😉 )

Besser reden als fahren

Ich war wirklich zuversichtlich, als die fünf Mädels am Ostbahnhof auf mein Auto zukamen. Clubgängerinnen ohne Gepäck, alle nicht sonderlich groß, das passt! Ich hab sie kurz auf die Enge hinten hingewiesen, aber das hat sie gar nicht interessiert. Als die ganz hinten schon eingestiegen war, meinte eine andere dann:

„We want to go to Kater Blau.“

Nun hatte ich nicht lange gewartet und mir eigentlich nur gedacht, dass das ja fast rekordverdächtig vom Kilometerschnitt her wäre … aber dann hab ich doch besser mal nachgefragt, ob sie denn wüssten, wie weit das entfernt wäre. Und auch wenn ich als ständiger Kartennutzer das nicht nachvollziehen kann: So genau hatten sie natürlich nicht geguckt. Wirklich nur 400 Meter? Und dann natürlich, was das kosten würde.

„Well, the meter starts with 3,90€, for more than four persons, there’s a 5€-fee … so in the end we would be possibly over 10€.“

Und da sind sie dann doch gelaufen und fanden es nett von mir, dass ich ihnen das vorher gesagt hatte. Ich bin ja im Normalfall nicht so wie bei der „Mach ma billig“-Tour. Super für mich war das Ganze aber nur bedingt, denn ich hab am Ende dann noch 20 weitere Minuten warten müssen und trotzdem nur eine Fahrt im einstelligen Zahlenraum bekommen. Aber irgendwas ist ja immer.

Alltag und so

Und dann war da noch das Pariser Pärchen um die Fünfzig, die ich als Winker am schlesischen Tor eingesammelt und zum Hilton-Hotel gebracht habe, das Berlin so schön fand, dass es unbedingt wiederkommen will.

Ja, das ist irgendwie banal, ich weiß. Aber auch das gehört zu meinem Job: Ich hab da Leute drei Stufen über meiner Gehaltsklasse im Auto, die aus der angeblich schönsten Stadt der Welt kommen, sich eben in einer abgeratzten Touri-Ecke rumgetrieben haben, nun in ihr First-Class-Hotel gebracht werden wollen und einfach nur happy sind. Man muss wirklich nicht alles daran toll finden oder überbewerten, aber ich mag sowas, ganz ehrlich.

Ja, die vielen Touristen machen Berlin nebenbei auch zu schaffen. Keine Frage. Aber ich finde es toll, wenn Menschen sich hier wohlfühlen und ich am Ende einen kleinen Teil dazu beitragen kann. Das ist kitschig und schmalzig, ich gebe es ja zu, aber es spielt für meinen Job eben auch eine Rolle und ich bevorzuge es nach wie vor, das eher positiv anzugehen. 🙂

Beautiful 10 P

Sie fragte ordnungsgemäß beim Einstieg:

„Can we make this a short trip for 5 Euro?“

Klar ging das. Am Ende war das Ziel selbst mit Wenden und an der passenden Stelle halten nur ungefähr 600 Meter vom Startpunkt entfernt. Knapp über „Zum Normaltarif ist es aber billiger“. Wir haben uns dank einiger Ampeln dennoch kurz unterhalten und sie mochte offensichtlich, wie „cool“ ich war.

Aber – ach, o Schreck! – das Geldproblem blieb natürlich bestehen:

„Man, I’d like to give you a good tip, but I can’t! I’m running out of change. But please take this. It’s only a 10P, but it’s a real beautiful coin. Keep it and think of me, ok?“

Hach, wie soll man da nein sagen. Und ja, hübsch ist die Münze schon irgendwie. 🙂

Ten Pee – aber ich bezweifle, dass man dafür zehnmal pinkeln darf! Quelle: Sash

Ten Pee – aber ich bezweifle, dass man dafür zehnmal pinkeln darf! Quelle: Sash

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

Abonniert doch den RSS-Feed von GNIT. Mehr von Sash gibt es außerdem bei Facebook und bei Twitter.

Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Creepy Ansprachen

Ja, der Marvin war komisch. Das heißt aber noch lange nicht, das am letzten Wochenende die noch komischeren Leute in Berlin keinen Ausgang gehabt hätten.

So stand ich an meinem Lieblingsbahnhof bereits etwas ungeduldig herum, weil ich zwar Erster war, aber in den letzten 10 Minuten eine totale Anullierung des Publikumsinteresses an Taxen eingesetzt hatte. Ich stieg aus und zündete mir eine Kippe an. Dann hielt 20 Meter vor mir an der Bushaltestelle ein PKW, spuckte drei Leute aus, die zum McDonald’s wollten … kurzum: Alltag in einer Berliner Nacht.

Dachte ich.

Dann aber trat der Held der Nacht auf, ein schon leicht schwankender Mittzwanziger, dem offenbar nicht gefiel, dass vor ihm ein Auto stand. Ich hab kaum was verstanden, aber aufgrund seines Gestenreichtums war erkennbar, dass der junge Mann den Autofahrer wegscheuchen wollte. Er deutete penetrant auf das Bushaltestellenzeichen, gestikulierte wild und war sichtlich unzufrieden damit, dass der Typ am Steuer erkennbar nix machte.

Tatsächlich kam kurz darauf noch ein Nachtbus an, hat das Auto auf die andere Straßenseite (also den – zu der Zeit ungenutzten – Nachrückbereich des Taxistandes) verscheucht. Kurz darauf kamen auch die mit Fast-Food bewaffneten Freunde wieder und das Auto war weg. Eine vollkommen unspektakuläre Großstadtszene am Wochenende. Sollte man meinen.

Und dann kam Mister Law-and-Order zu mir. Eine außergewöhnlich adrette Föhnfrisur mit stechenden Augen. Ob ich das gesehen hätte! Der hätte sich da einfach an die Haltestelle gestellt. Dabei wären da SOOO große Schilder und überhaupt und sowieso!

Ich hab ihn ein bisschen auflaufen lassen und gesagt, dass er zwar recht hätte, aber bei den anderthalb Nachtbussen pro Stunde das Problem doch auch reichlich irrelevant sei.

Also hat er mich ins Visier genommen. Wir Taxifahrer hätten es ja auch nicht leicht. Und so gesetzesuntreue Typen wie der da eben würden uns ja auch ständig überfallen und er hätte sich ja auch schon mal überlegt, den Job zu machen, aber das war ihm dann zu heikel. Aber immerhin: Er wüsste schon, welche Kanone welchen Kalibers er wo genau im Auto verstauen würde, um selbst einem Typen, der ihm von hinten droht, so ordentlich – wäre ja nur Notwehr! – so richtig die Eingeweide wegblasen würde, bevor der blicken würde, was Sache ist.

O. My. Goodness.

Und das hat er nicht so nebenbei in einem Nebensatz erwähnt, sondern er hat sich das schon reichlich bildhaft ausgemalt. Als ob meine Arbeit im Wesentlichen darin bestehen würde, unliebsame Kunden umzulegen. Wort- und bildgewaltig hat er sich ins Zeug gelegt, mir die Dramatik auszumalen, die mein Job seiner Meinung nach mit sich bringt, wie schlimm das wäre, was er für waffenstrotzende Lösungen dafür hätte, und so weiter. Ich bin da kaum zu Wort gekommen. Und auf jeden Punkt einzugehen, wäre schlicht auch zu blöde gewesen. Aber er wollte nicht ablassen vom Thema und auch all meine kurzen Widersprüche haben einfach null Wirkung gehabt.

Und dann hab ich kurz ausgeholt und eine völlige Binsenweisheit von mir gegeben:

„Weißt Du, es ist die eine Sache, bei der einen von 20.000 Fahrten gut bewaffnet zu sein oder den Angreifer ausschalten zu können. Ja, das ist vielleicht im Fall aller Fälle hilfreich. Aber unterschätze nicht, dass es bei sicher 100 bis 200 Fahrten bis dahin schon reicht, potenziell gefährliche Leute zu erkennen, dabei zu deeskalieren und damit das Schlimmste von vornherein zu verhindern.“

Und was hat er gemacht?

Er hat mir einen guten Abend gewünscht und ist einfach weggegangen.

WTF?