Geduldprobe (3)

Da stand ich also. Betont lässig an eine Hauswand gelehnt, nicht direkt vor der Türe. Den Leuten – wer immer sie sein mochten – die mein Fahrgast da um 2 Uhr morgens aus dem Bett klingelte, wollte ich nicht erschrecken. Andererseits freute ich mich aber auch. Wenn sich diese Türe öffnen würde, könnte ich mich endlich mit jemandem austauschen. Dass ich in Anbetracht des zerstörten Individuums Trinkgeld bekommen würde, war für mich ausgemachte Sache. Nicht, dass sich jemand freuen würde, so jemanden in Empfang zu nehmen – die Wertschätzung für meine Geduld jedoch müsste jedem Menschen quasi in die Wiege gelegt worden sein. Ganz sicher!

Is‘ natürlich Quatsch gewesen. Hat ja niemand aufgemacht. Auch nicht nach dem dritten oder vierten Klingeln.

Einen Stock höher wollte er noch gehen. Anderer „Kollege“. Der jedoch war ähnlich taub.

Mein Fahrgast – wie ich indessen bemerkt hatte: bereits vorzeitig mit offenem Hosenladen zu allem bereit – versicherte, an der unteren Türe wäre ja auch wirklich sein Zimmer. „Kollege“, ja. Aber sein Zimmer, sein Internet, seine Straße (er verwendete das Wort offensichtlich für jede Art von Ort/Platz/Behausung, selbst für Polen).

Also gingen wir wieder ein Stockwerk runter. Er fragte mich, ob ich eine Kreditkarte hätte, um die Türe zu öffnen. Früher hätte ich zwar ein nutzloses Plastikkärtchen für grobe Arbeiten gehabt, nun war ich froh, keines mehr zu besitzen. Denn: Nach dem etwa drölften Klingeln (das nebenher unentwegt erfolgte), öffnete sich die Türe doch.
Ein Mann, mitte fünfzig vielleicht, und sichtlich verstört ob des nächtlichen Terrors, blickte uns an und fragte uns dann – auf Deutsch, juhu! – was wir wollen würden. Nachdem mein Fahrgast ein paar recht unverständliche Sätze geäußert hatte, bin ich eingesprungen, hab mich entschuldigt und versucht, die Situation in wenigen Sätzen zu erläutern. Hat natürlich nicht geklappt. 🙁

Grob vereinfacht gesagt standen wir nun in einem Plattenbau vor einem Beinahe-Rentner, der uns nahelegte, doch gefälligst nicht an seiner Wohnung, sondern an der des Mannes neben mir zu klingeln. Ja, danke …

Von der Tatsache, dass in seiner Wohnung ein offenbar wildfremder Mann hauste, war mein Fahrgast recht wenig beeindruckt. Nachdem die Türe wieder zu war, fluchte er zwar ein wenig, aber das war sichtlich gegenstandslos.

Für mich war die Sache gelaufen. Natürlich.

Sicher hätte ich noch eine Weile mit meinem neuen Freund durch die Gegend tingeln können, immer in der Hoffnung, jemand gibt mir mal einen Zehner Entschädigung – auf der anderen Seite hing ich mit diesem Suffkopp inzwischen bereits mehr als eine dreiviertel Stunde rum, in der Zeit hätte ich in der Nacht wahrscheinlich 20 € Umsatz gemacht. Drei Haustüren weiter versuchte mein genialer Fang dann noch einmal reinzukommen – und hatte abermals Erfolg.

(Das sollte man sich merken, falls man mal obdachlos wird!)

Meine Laune, ihm zu folgen, war jedoch mäßig. Als er die Türe hinter sich schloss, habe ich bereits beschlossen gehabt, jetzt einfach zum Auto zu laufen. Herber Verlust in einer sonst guten Nacht, klar. Aber besser, als hier aussichtslos weiter mit dem Typen abzuhängen, der mehr und mehr schockiert darüber war, dass er mich nicht bezahlen konnte. Und das bezog sich nur auf die offiziellen 11 €.

Ich habe also nicht gewartet. Genug Zeit verschwendet. Ich hab zwar keine Ahnung, ob der Typ dort wirklich gewohnt hat, aber als ich gegangen bin, hat es sich so angehört, als würde er sich zumindest einmal das Treppenhaus durch Vollkotzen zu eigen machen. Wohl bekomm’s!

Vielleicht hätte ich ihn nicht mitnehmen sollen. Dann wären das nicht nur drei Blogeinträge und eine Erfahrung weniger, es wäre vermutlich auch ganz anders gelaufen in der Nacht.

Vielleicht war er ein Netter. Dann hätte er nicht saufen sollen, bis er zu Taxifahrers Alptraum wird!

Vielleicht hätte ich die Kohle irgendwann gekriegt, wenn ich die Polizei gerufen hätte. Dann wäre die Schicht noch nachhaltiger verschissen gewesen!

Ich glaube nicht, dass ich was falsch gemacht habe. Und trotzdem isses passiert. So ist das halt manchmal. 🙁

8 Kommentare bis “Geduldprobe (3)”

  1. Marco sagt:

    Tja, in der Tat dumm gelaufen. Und es wurde auch Zeit, die Notbremse zu ziehen, bevor du mit diesem Typen noch mehr Zeit (und damit Umsatz) vergeudest. Ich teile deine Einschätzung: Mit Polizeieinsatz hättest du dein Geld für diese Tour (vielleicht) bekommen, aber weiterer Umsatz für diese Schicht wäre unwahrscheinlich gewesen.

  2. Nobelix sagt:

    Wie sagt man so schön: Mal bist du Taube, mal bist du Denkmal…
    Und manchmal macht man halt alles richtig und es geht doch schief. Aber es hätte schlimmer kommen können! 😉

  3. leserin sagt:

    man hat fast schon ein schlechtes gewissen dass man bei einigen textstellen lachen muss…

  4. nickel sagt:

    Es gibt Tage, da verliert man und es gibt Tage, da gewinnen die anderen.

    Nicht unterkriegen lassen! 🙂

  5. Sash sagt:

    @Marco:
    Ja, irgendwann ist Schluss. Ich hatte davor auch schon drüber nachgedacht, aber man will ja auch nicht verfrüht aufgeben.

    @Nobelix:
    Das hätte es. Und es ging ja nun auch nicht um einen imensen Betrag.

    @leserin:
    Ach was! Nachdem ich den Text runtergetippt hatte, war erst einmal wieder alles ok. 🙂

    @nickel:
    Keine Sorge. 😀

  6. Marco sagt:

    @Sash: Ist ja auch richtig, man hofft ja, immer, dass doch noch was draus wird. Und den richtigen Moment für den Absprung zu finden ist sicher nicht einfach. Ich denke aber, du hast es geschafft.

  7. Norma sagt:

    Mann, Glückwunsch zu deiner Endlos-Geduld! 🙂

    So’n Taxler wie dich wünscht sich wohl jeder, dann hoffentlich zahlungsfähige, Über-Alkoholisierte… ;D
    Na, ernsthaft: deine Geduld und Nächstenliebe ist lobenswert und ich schätze, das wird der liebe Gott wieder ausgleichen mit ner überraschend gewinnbringenden Fahrt! Hättste dir verdient… 😉

  8. Sash sagt:

    @Norma:
    Das witzige ist: es gleicht sich immer aus. In dem Fall war das leider eher so, dass diese Fahrt die vorangegangenen guten Stunden ausgeglichen hat. 😀

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: