Eigentlich war es ja eine strunzdumme Idee von mir. Es war nix los auf den Straßen rund um Ostern, die Aussicht auf Winker war also denkbar gering. Zumindest in Friedrichshain. Also bin ich einfach mal spontan die Danziger hoch bis nach Prenzlauer Berg gegurkt. Schön viele Leerkilometer ansammeln. Dort angekommen stellte ich natürlich fest, dass es hier genauso aussieht. Also hab ich mich kurz nach 0 Uhr als einziges Taxi an die Kulturbrauerei gestellt. Sogar auf die legale Halte!
Eine Zigarette und dann mit dem Gefühl abhauen, man hätte es ja versucht. Soweit mein eher wenig geschäftsorientierter Plan.
Aber wie immer kam es anders: Ein dickbäuchiger Rentenanwärter ließ sich in mein Taxi fallen, das umgehend auf der rechten Seite in die Knie ging. Sein kariertes Hemd wölbte sich bedrohlich unter dem grauen Jackett hervor und ich erwartete jeden Moment, dass ein oder zwei Knöpfe dem Druck nicht mehr standhielten und mir entgegenfliegen würden. Sein zerzaustes graues Haar umrahmte das knallrote Gesicht, er hatte zweifelsohne ein bisschen einen im Tee. Er würde gern nach Weißensee.
Kurz darauf begann er ein wenig zu meckern, über die Kneipenlandschaft und dass das ja alles nicht mehr so dolle sei:
„Ich mein, man kann sich nirgends mehr über Politik unterhalten. Da kommense alle an mit: Och nee, der schon wieder mit seiner Politik. Früher haben wir uns nur über Politik unterhalten!“
Insbesondere da ich nicht wusste, wessen Geistes Kind er nun genau ist, hab ich mich auf die Verteilung von Allgemeinplätzen beschränkt. Jaja, auch im Taxi nur Smalltalk… dazu ein bisschen nettes Zureden, dass es durchaus auch andere gibt. Und einen davon glaubte er (nicht ganz zu Unrecht) in mir gefunden zu haben. Er schnitt zunächst für vielleicht zwei Minuten das Thema Rechtsextremismus an, dann aber wanderte das Gespräch witzigerweise auf die Metaebene. Sprich: Anstatt nun die Möglichkeit zu nutzen, mit mir über Politik zu reden, begann er, darüber zu reden, über Politik zu reden.
Im Großen und Ganzen blieb es eine recht politikarme Fahrt, dafür wurde sie aber länger als geplant. Mindestens 2 € haben ihn letzten Endes die Umwege gekostet, die er mir aufzwang, um „noch ein bisschen über Politik zu reden.“
Ein seltsamer, aber netter Vogel, der sich am Ende herzlich bedankte und mir versicherte, er würde ja – wenn man sich nur darauf verlassen könnte, solche Fahrer wie mich zu treffen! – viel lieber den Abend im Taxi verbringen als in der Kneipe. Er gab am Ende auch gute drei Euro Trinkgeld, er meinte es offensichtlich ernst. Ich habe ihm vielmals gedankt, erwidert dass es ein tolles Gespräch war und wollte gerade mein Portemonnaie wegstecken. Da meinte er plötzlich mit einem Grinsen:
„Ha! Jetzt hätte ich ja fast vergessen, dass ich von ihnen noch 50 € verlangen könnte als Gebühr für die politische Bildung.“
Ich hab das Spielchen mitgespielt:
„Da haben Sie natürlich Recht. Bevor wir das ausdiskutieren, möchte ich aber darauf hinweisen, dass ich wortgewandt genug bin, um sie zu überzeugen, dass ICH ihnen diese Gebühr in Rechnung stellen müsste.“
Beidseitiges Lachen und Abgang.
Hab mich selten so nett „über Politik“ unterhalten 🙂
Bei dem Anfang „Ein dickbäuchiger Rentenanwärter ließ sich in mein Taxi fallen, das umgehend auf der rechten Seite in die Knie ging.“ hatte ich schon Schlimmstes befürchtet, finde es aber schön, dass sich Artikel (und Fahrt) in eine gänzlich unerwartete Richtung hin zu „angenehmes Gespräch, angenehme Tour“ entwickelt haben.
Tja, Taxifahrer sind halt die coolsten 🙂
Gewustwie… Die 50 Euro hast’e aber doch nciht bekommen, oder?
@Falcon030:
Ja, das Gefühl kenne ich. Hatte ich auch, als er anfing mit „über Politik reden“. 😉
@Weltreise-Bjoern:
Nee, leider nicht 😀