Schlafen

Da ist es endlich mal Wochenende. Hauptverdienstzeit! Um 20 Uhr sitze ich im Taxi, der Feierabend ist für etwa 6 Uhr geplant. Hier und da mal eine Pause, aber volles Programm bis in die Morgenstunden. Und dann ein Kunde: Nett, anspruchslos, zufrieden. Und er verabschiedet sich um 22:30 Uhr mit folgenden Worten:

„Danke fürs Heimbringen! Schlaf gut!“

Äh…

Ausweise und Zufälle

Gestern schreibe ich noch groß in den Artikel über Ausweise als Pfand, dass bei mir auch gerade einer rumliegt. Manchmal aber ereilen einen Zufälle, die man kaum glaubt. Unmittelbar vor der Veröffentlichung des Artikels meldete sich der junge Mann bei mir…

Gut, was war eigentlich passiert?

Es ging um eine Tour von der schon so ziemlich versauten Silvesternacht dieses Jahr. Darüber hatte ich noch nichts geschrieben, weil der Ausgang ja noch offen war. Ich hatte damals am Unfallkrankenhaus Berlin eine junge Frau und ein kleines Mädchen aufgesammelt. Das Mädchen hatte sich offenbar an einem Feuerwerkskörper verletzt und die beiden sind ziemlich ziellos durch die Nacht geirrt und mussten nach Weißensee. Beim voraussichtlichen Fahrtpreis von 20 € musste die Mutter zwar schlucken, aber sie hatten keine große Wahl, de facto wussten sie quasi nicht einmal, wo sie gerade sind.
Sie haben sich von mir zu ihrem Freund (oder einem Freund) chauffieren lassen und mir rechtzeitig gesagt, dass das Geld nicht reichen würde, der Freund aber runterkommen würde. Kein Ding!

Dummerweise hatte jener auch nicht genug Geld…

Er hat allerdings gleich vorgeschlagen, mir seinen Ausweis im Tausch gegen meine Handynummer zu überlassen. Er würde sich melden, dann würden wir das mit dem noch übrigen Geld schon klären. Ein sympathischer junger Kerl, sichtlich in Nöten, die Ereignisse dieser Nacht irgendwie auf den Plan zu kriegen. Mal abgesehen davon, dass ich wenig auf Stress stehe, hatte ich in der Silvesterschicht auch keine Lust, mehr als eine Zigarettenlänge Pause für ein paar Euro einzulegen. Das hätte sich ja ausgerechnet finanziell eben nicht gelohnt…

Ab da war dann Ruhe. Ich hab zwischenzeitlich mit Christian im Büro darüber gesprochen, er hat allerdings bei der Erwähnung des Wortes Ausweis gleich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Soweit ich weiß, ist in der Firma seit Gründung eine beachtliche Sammlung unausgelöster Ausweise zustandegekommen. Und es sind eben nur selten Beträge dabei, die den Aufwand eines Rechtsstreits lohnen.

Ich hab den Ausweis wieder mitgenommen und mir überlegt, ob ich ihn mit einem nicht abzulösenden Aufkleber mit der Beschriftung „Danke du Arschloch“ einfach beim Bürgeramt einwerfe. Ich hab es gelassen. Wirklich Hoffnung hatte ich aber kaum. Bis gestern eben.

Just zu dem Zeitpunkt, als ich kurz mal aufgestanden war, um das große weiße Telefon im Bad zu benutzen, rief er an. Ich war zu spät am Handy, rief zurück:

„Hallo, ich hab den Anruf gerade verpasst…“
„Ja, äh hier ist Matthias Zwergenstengel (Name geändert). Sie haben doch meinen Personalausweis. Haben sie den immer noch?“
„Ja klar, was denn sonst?“
„Ja, ich war in U-Haft, ich konnte mich nicht melden!“

Also der Preis für die beste Ausrede des Jahres ist ihm schon mal sicher 😀

Kurz und knackig: Wir haben uns in der Stadt getroffen, Ausweis gegen Geld getauscht und gut ist! Damit ist meine Quote an Fahrten, über die ich mich im Nachhinein aufgeregt habe, wieder signifikant gesunken. Da ich einen guten Lauf zu haben scheine: Kann vielleicht nicht jetzt irgendwann in meinem Beisein einer der Klischeebestätiger von damals beim Kacken von einem Blitz getroffen werden oder so? Bitte? Dann wäre ich mit der Welt fast wieder im Reinen 🙂

Arschtritte

Zwei Frauen hatte ich an Bord, wie üblich eine angeschlagener als die andere. Also im wörtlichen Sinne: Die eine war etwas angeheitert, die andere völlig hinüber. Ich hatte kurze Bedenken, Magensäfte und so, aber die fittere warf gleich in den Raum:

„Mach dir kein‘ Kopf! Die kotzt nicht. Das kann die gar nicht!“

Aber: Betrunkene, Kinder, Wahrheit – diese Geschichten:

„Waaas? Klar kann ich kotzen!“

Aber sie war ohnehin am Einschlafen, ich hab dem Frieden erstmal getraut. Zu Recht: Während der ganzen Fahrt hat sich die Holde während meines Smalltalks mit ihrer Begleitung nicht nur zusammengerissen, sondern gar nichts gesagt. Sie hat geschlafen. Unser Ziel lag rund vier Kilometer entfernt, eine durchschnittliche Tour für einen Zehner. Dort angekommen meinte die wache der beiden Frauen:

„So! Eigentlich müsste sie hier ja noch weiter, aber ich nehm sie mal besser mit zu mir. Die kriegen sie ja nachher hier nicht raus.“

Ich hatte dazu noch keine ausgeprägte Meinung. Die Dame war zwar erstmal unauffällig, aber sie alleine noch länger herumfahren? Obwohl es natürlich von der Kohle her schon gut gewesen wäre. Ich war hin- und hergerissen, hab mich also nicht sonderlich für eine der beiden Optionen engagiert.

„Mausi komm, du pennst bei mir!“

„Nee!“

„Doch, dich kriegt man ja nicht mehr wach.“

„Looogoooo! Bin ich wach?“

„Ja, dann komm doch mal aus dem Taxi.“

„Nee!“

„Mausi, wenn ich dich nicht hier rauskriege, wie soll es dann nachher der Taxifahrer schaffen?“

Sie rappelte sich auf und meinte zu mir:

„Wenn ich nicht aussteigen will, dann geben sie mir ’nen Arschtritt!“

„Sowas mache ich aber ungern.“

„Alles andere können se vergessen. Gib mir’n Arschtritt!“

„Nein, das werde ich nicht tun. Wie sieht denn das aus?“

„Dann penn ich halt hier!“

Sprachs und verschwand mit der Freundin. Ihr Fazit des Ganzen:

„Pah! Männer…“

Nee, is klar. Jetzt bin ich der Bösewicht, weil ich sie nicht treten will. Respekt für die Logik!

Ausweise als Pfand…

Inzwischen gibt es ja nichts mehr daran zu deuteln:

Es ist nicht erlaubt, einen Fahrgast dazu zu zwingen/nötigen/überreden, seinen Personalausweis als Pfand für eine unbezahlte Fahrt zu hinterlegen – wie gestern noch einmal Rechtsanwalt Udo Vetter im Lawblog geschrieben hat.

Ebenso hat er aber auch beschrieben, dass es allerorten anders gehandhabt wird. Wir Taxifahrer wurden nur am Rande erwähnt, sein Interesse galt vor allem den Gefängnissen und den Kunstsammlungen in Düsseldorf. Aber klar ist es bei uns Gang und gäbe! Dabei mache ich mich noch nicht einmal im Wortlaut des Bundespersonalausweisgesetzes (ja, sowas gibt es wirklich!) §1 strafbar.

Denn: Ich habe noch nie verlangt, einen Ausweis zu erhalten!

Ein Perso(nalausweis) ist einfach ein bequemes Pfand. Er ist den Inhabern zumindest halbwegs wichtig – ein neuer kostet heutzutage ja auch ordentlich Geld – außerdem habe ich gleich Name und Adresse des potenziellen Zechprellers vorliegen. Natürlich ließe sich das alles umgehen, ich könnte ja auch nur einen Blick auf den Ausweis verlangen und als Pfand die Hose behalten, im allgemeinen Umgang hat sich der Perso als Pfand bewährt.

Ich hab auch derzeit noch einen rumliegen von einem Idioten, dem die um ein vielfaches höhere Gebühr es seit der Silvesternacht offenbar wert ist, 4,40 € übriggebliebene Taxikosten nicht zu zahlen…

Er – wie auch alle anderen – haben ihn immer freiwillig und ohne einer Bitte danach rausgekramt, um zu untermauern, dass sie es ernst damit meinen, jetzt noch kurz Geld holen zu wollen.

Wenn es rein nach meinem praktischen Empfinden als Taxifahrer gehen würde, würde ich sagen, dass das ein dummdreiste Ausgeburt der Bürokratie ist – was soll der Scheiß? Tatsächlich hat aber insbesondere der neue Personalausweis (vor allem, wenn die Online-Funktion freigeschaltet ist) prinzipiell eine enorme Missbrauchsqualität.

Also: Auch wenn derzeit Taxifahrer, Kneipiers, Gefängnisse und Museen gegen dieses Gesetz verstoßen: Führt doch irgendwas anderes mit, das ihr notfalls als Pfand nutzen könnt. Ein (ausgeschaltetes) Handy, Schmuck, whatever. Oder – kurioser Vorschlag, ich weiß! – nehmt doch einfach genug Geld fürs Taxi mit 😉

Zombie-Tour

Mein Chef würde sich ja freuen, wenn ich einen Thriller über Zombies in Berlin mit einem Taxifahrer als Helden schreiben würde. Ob ich ihm den Gefallen tun werde, weiß ich noch nicht. Ein Anfang könnte so in etwa aussehen:

Die eiskalte Nacht hatte Berlin in ihrem Griff. Die Spree war unter der Last der Minusgrade gefroren, auch auf den Straßen war jegliche Bewegung erstarrt. Kein Auto weit und breit, von Fußgängern ganz zu schweigen. Sash ärgerte sich. Es war Wochenende, die Stadt sollte eigentlich voll sein von Feierwütigen, von Betrunkenen und überhaupt: von Menschen! Stattdessen saß er in seinem Taxi und starrte die Ampel an der Jannowitzbrücke an. Diese zeigte ununterbrochen rot, die Heizung hielt mit Mühe und Not die Eisblumen davon ab, die Autoscheiben zu erobern. Ein paar einsame Schneeflocken tanzten im Sturz begriffen gen Erde, taumelten haltlos durcheinander, blieben regungslos liegen.
Der Motor des Erdgas-Opels stotterte leise vor sich hin. Von außen, in der unerbittlichen Stille, musste er dröhnen wie ein Düsentriebwerk. Sash entspannte sich mit der Zeit, das Radio dudelte leise vor sich hin und irgendwann schaltete die Ampel auf Grün.
Ein leichter Druck aufs Gaspedal ließ das Stottern des Motors zu einem Kreischen werden, ein leichter Schub versetzte die hellelfenbeinfarbene Festung gegen die Kälte ins Rollen. Sashs Blick versank in der Weite der mit puderzuckerfeinem Schnee überzogenen Holzmarktstraße, als ein dumpfer Schlag die Nacht zerreisst. Bamm! Noch einmal: Bamm!

Mit schreckerstarrtem Gesicht reisst der Taxifahrer sein Gesicht herum und blickt durch das rechte Seitenfenster in eine schmerzverzerrte Grimasse. Die furchtbar entgleisten Gesichtszüge eines jungen Mannes starren ihn panikerfüllt an, unwillkürlich tritt Sash auf die Bremse.

Ganz brauchbar, oder?

Die reale Fortsetzung ist weniger spannend. Der junge Mann nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und bittet um eine Fahrt ins Krankenhaus.

„Welches denn?“

„Egal! Das nächste!“

Er hat mir seine Hand präsentiert, die vor allem aus hervorquellendem Blut zu bestehen schien. Nein, ganz so wild war es nicht, aber ich hab schon etwas Sorgen um die Sauberkeit meines Taxis gehabt. Während ich wie ein Irrer in Richtung Friedrichshain gerast bin, meist ziemlich genau um die Punktegrenze herum, hab ich aus meiner Jackentasche eine Packung Taschentücher gekramt.

Irgendwie war er selbst ziemlich überfordert mit der Situation und hat meinen Hinweis, die Tücher doch wenigstens fest aufzudrücken, missachtet und vor sich hingejammert. Und geflucht. An einem Zaun war er hängengeblieben. Wie auch immer das nachts um 3 Uhr passiert… aber was interessiert es mich auch? Es war auf jeden Fall ein netter Kerl und ich hatte ihn binnen 5 Minuten in der Notaufnahme. Obwohl ich mir das Geld selbst heraussuchen durfte, blieb das Trinkgeld letzten Endes dünn – aber man ist ja froh, wenn man helfen kann, nicht wahr?

„Von Norden aus“

OK, zugegeben: Es war mein Fehler. Selbst in der Ecke, in der ich am häufigsten anzutreffen bin, kenne ich nicht alles. Bzw. ich vergesse auch manche Dinge irgendwann wieder.

So z.B. das Lovelite. Keine wirklich unbekannte Lokalität in Friedrichshain, aber da ich in 3 Jahren nur einmal direkt dahin gefahren bin und zudem nur seltenst durch die Simplonstraße fahre, hab ich es gedanklich unter all den anderen Clubs und Lokalitäten in der Ecke begraben. Nun wollte meine Kundschaft aber genau dahin.

Ich hätte jetzt ja flugs mein Robertha aufgeschlagen und dann wäre mir alles wieder eingefallen. Musste ich aber nicht. Hatte ja fachkundiges Publikum im Auto. Das hat mir dann gesagt, sie wüssten genau, wo das ist, ich müsste nur „von Norden aus“ ans Ostkreuz heranfahren. Sie haben mich wirklich problemlos hingelotst. Ich selbst hab mir allerdings an den Kopf gefasst, als mir wieder klar wurde, wo der Laden ist.

In Zukunft sehe ich einfach nach, egal was die Kundschaft sagt. Obwohl… mein Schaden war es eigentlich auch nicht…

Hier die Route vom Ostbahnhof über’n Norden zum Lovelite:

 

Größere Kartenansicht

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Super geklappt…

Manchmal läuft es. Die Kunden kraxelten ins Auto, dabei hatte ich nicht damit gerechnet, auf meinem kurzen Weg noch Fahrgäste für mein schnuckelig warmes Taxi zu finden.

„Das is ja toll. Sie sind ja genau pünktlich. Voll geil mit der App!“

„Ähm, sie haben also ein Taxi bestellt? Dann war ich das sicher nicht.“

„Doch, Mensch! Da stand: In 3 Minuten. Und genau 3 Minuten später biste hier. Geil!“

„Ja, aber ich nutze die App nicht. Ich bin also nicht ihr Taxi. Sehen sie doch mal nach. Können sie da nicht schauen, wo der Kollege gerade ist?“

„Ist doch egal, nu biste ja hier.“

„Nein, das ist nicht egal. Überlegen sie doch mal: Der Kollege fährt jetzt extra wegen ihnen hier her. Es ist unfair, wenn ich sie jetzt mitnehme. Er müsste ja gleich da sein, schauen sie doch noch mal auf ihr Handy. Dann warten wir eben kurz.“

„OK, aber… OH! Da steht: Der Fahrer kann die gewünschte Fahrt leider nicht…“

„Eine Absage?“

„Äh… ja!“

„Dann war es ja wirklich super, dass ich vorbeigekommen bin. Also: wo soll es hingehen?“

😀

Ich wollte aber mal bei den Kollegen mit Funk und App nachfragen, weswegen so viele Fahrten von Fahrerseite aus storniert werden. Nehmen manche tatsächlich unterwegs Winker mit, wenn sie welche finden?