Sozialistisches Gewissen

Bei der amerikanischen Familie hatte ich ja zunächst gedacht, dass die nächste Tour sicher besser werden würde. Dieser Gedanke war natürlich umgehend verflogen nach dem Trinkgeld von 4,50 € auf eine 6,50€-Tour.

Hätte ich gewusst, was für eine Tour mir bevorsteht, hätte ich den Gedanken aufrecht erhalten. Aber gut, vom A&O-Hostel bin ich gleich zum Bahnhof zurückgegurkt. Auf den Straßen schien nichts los zu sein und so richtig Lust auf Cruisen hatte ich auch nicht. Also hab ich mich etwas uninspiriert ans Ende der Schlange gepackt und wieder eine Dreiviertelstunde vor mich hin gewartet.

Mein nächster Fahrgast ereilte mich erst an der Spitzenposition, während ich mit zwei meiner Kollegen ein bisschen am Quasseln war. Der Gestalt nach war er das, was meine Kollegen einen „jungschen Kerl“ nennen, sprich: ein Mensch in meinem Alter. Seine Zieladresse lag zwar gerade mal 6 Euro weit entfernt, aber noch vor dem ersten Loch in der East Side Gallery waren wir dabei, uns gegenseitig unsere Herkunft zu nennen und ich erfuhr somit, dass er „Dunkeldeutscher, aus’m Osten, Sozialismus und so“ war.

Glücklicherweise verband er das nicht mit Wessi-Bashing, was übrigens noch erstaunlich oft passiert in dieser Stadt. Er plauderte darüber, dass er inzwischen selbst nicht mehr hier wohne, „Arbeit und so“, aber immer wieder froh sei, wenn er mal zu Besuch wäre. Bei der Anfahrt seiner Adresse hab ich mich ein wenig vertan und bin einen ziemlich unsinnigen Bogen gefahren. Einmal um den Block, im 40-Cent-Bereich. Er hat das nicht mal für erwähnenswert gehalten und meine Entschuldigung nur mit Verwunderung zur Kenntnis genommen:

„Na hör mal, musst ja auch von was leben!“

„Sicher, aber dazu brauch ich ja hier nicht mit der Kirche ums Dorf…“

„Nu is ja keen Problem!“

„Ja, dann wären wir bei 6,60 €“

„Nu hab ich aber och ’n schlechtes Jewissen!“

„Wieso denn das?“

„Naja, wenn ich in Bayern Taxi fahr, dann immer mindestens für 15 €, nich hier so…“

„Mein Gott, kurze Strecken gehören auch zum Geschäft!“

„Ja nee, machste auf jeden Fall mal 15. Für mein Gewissen!“

„Äh, oh! Wow! Danke! Das wäre aber nicht nötig gewesen!“

„Ach Quatsch, hier Sozialismus und so. Das Soziale zählt! Du musst schließlich gleich wieder rumstehen, während ich hier in der warmen Bude hocke!“

Manchmal gibt es einfach keine passenden Antworten, sondern einfach nur seliges Grinsen…

6 Kommentare bis “Sozialistisches Gewissen”

  1. Wenn es läuft, dann läuft es eben. 🙂

  2. oni sagt:

    Ich fahre hier in Lüneburg ab und zu vom Bahnhof nach Hause. Das ist auch nur einmal durch die Fußgängerzone, fünf bis sechs Euro je nach Ampellage. Normalerweise gehe ich zu Fuß, aber wenn ich schweres Gepäck oder nen langen Tag habe nehme ich halt das Taxi.

    Bis jetzt habe ich da gerne mit nem Zehner bezahlt, wenn der Fahrer besonders nett war auch mehr. Bei den letzten Fahrten bin ich aber auch an Leute geraten, die mich wohl gar nicht erst einsteigen lassen hätten, wenn ich das Ziel schon vorher genannt hätte. Jeder Versuch meinerseits ein Gespräch anzufangen wurde entweder komplett ignoriert oder höchstens durch ein Brummen quittiert, auch sonst war den Fahrern ihr Missmut deutlich anzusehen. Da hab ich dann auch nur aufgerundet, bei einem sogar gar kein Trinkgeld gegeben. Sie müssen sich zwar nicht über eine so kurze Strecke unheimlich freuen, aber die schlechte Laune derart an mir auszulassen konnte ich nicht ignorieren.

  3. Kommentar sagt:

    Ein Trinkgeld der gehobenen Klasse, garniert mit einem Statement zum Genießen – Dein Fahrgast hat nun – zurecht! zurecht! – einen eigenen Blogeintrag bei GNIT, was mindestens soviel „online credibility“ wie ein eigener Wikipediaeintrag bringt! (Sollte ich jetzt noch „1!!11!“ schreiben? 🙂 )

  4. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    So sieht es aus und da sollte man einfach schweigen und genießen 😀

    @oni:
    Verstehe ich. Und ganz ehrlich: Ich finde es gut! Da freue ich mich nämlich als netter Fahrer doppelt, wenn dann für mich mal 2 Euro mehr drin sind 🙂
    Und da brauchen die „Kollegen“ auch gar nicht anfangen zu toben. Ich hatte auch schon schlechte Tage und Tage, an denen mein Geld nicht gereicht hat. Ist alles eine dumme Geschichte! Aber so viel Professionalität kann man von uns erwarten. Im Übrigen hab ich mich mit Fahrgästen, die das nicht verstanden haben, auch schon ganz sachlich und nett über das Thema mit den kurzen Fahrten unterhalten. Das lief meist ganz gut, manchmal ist es auch schlicht Unwissen…

    @Kommentar:
    Naja, ich hoffe – und das meine ich ernst! – dass GNIT niemals so wichtig wie die Wikipedia wird. Mit der Last könnte ich nicht leben 😀

  5. Daniel sagt:

    Ist zwar leicht OT, weil es nicht nur Taxis betrifft, aber seitdem ich deinen Blog lese, bin ich dazu übergegangen beim Trinkgeld extremer zu werden. Sprich: Bei ner unfreundlichen Bedienung, Pizzaboten, etc. gibt es halt auch mal gar kein Trinkgeld, wenn einer besonders freundlich und nett ist, gibt es auch mehr.
    Hatte letztens einen extremen Fall, wir waren mittags in nem Restaurant, total unfreundliche Bedienung, die absolut 0-Bock Mentalität ausgestrahlt hat. Abends einen wirklich superfreundlichen und aufmerksamen Kellner. Totaler Kontras eben. Da gab es einmal nichts, und einmal dann um die 4 Euro (hab auf den nächsten 5er aufgerundet).
    Früher hab ich immer gleichmäßig aufgerundet. Wenn einer einen besonders guten Job macht muß das halt auch belohnt werden, und dann spar ich lieber an denen die es nicht verdient haben.

  6. Sash sagt:

    @Daniel:
    Ich mag mir hier und da Feinde damit machen, aber das freut mich ungemein 😀

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