Christies

Ich kann nicht mehr bewerten, ob der junge Kerl wirklich schon blau angelaufen war. Das liegt zum einen daran, dass er tatsächlich blau war, als auch ein himmelblaues T-Shirt trug.

Ja, dies ist keine Geschichte aus dem Sommer! Der Kerl fragte mich tatsächlich am Ostbahnhof in einem himmelblauen T-Shirt bei 5 Grad unter Null, ob ich das Christies Hostel kenne. Wie zu erwarten friert er fürchterlich und sieht mich flehend an. Christies? Nie gehört! Ich frage bei einem Kollegen nach, der aber auch passen muss. Also befrage ich mein schlaues Buch. Nichts. Puh, das ist schlecht…

Ich frage ihn, ob er irgendeinen Anhaltspunkt hätte, wo das Hotel ist. Die ganze Konversation muss man sich übrigens auf Englisch mit einem echt derben Dialekt inkl. Lallen vorstellen. Also recht schwierig. Nach 3 Minuten weiss ich immerhin, dass man das Hostel mit einem wie auch immer gearteten Zug vom Alex aus erreicht. Prima, dann fallen schon mal ca 2,5% der Berliner Adressen weg 🙁

Aber es geht auch genauer. Es war nicht allzu weit und das Hostel liegt, und das muss ich im Original widergeben, „at a Place called ‚Platz‘ „

Wir suchen also ein Hostel das nirgends verzeichnet ist an einem Platz, den man vom Alexanderplatz mit S-Bahn, U-Bahn oder Zug erreicht. Ich hab ihm versucht zu erklären, dass „Platz“ keine ernstliche Ortsangabe ist und ihm ein paar Plätze aufgezählt, die ganz grob in der Innenstadt liegen.

So wirklich zusagen wollte ihm keiner, aber er fragte mich, ob ich ihn zum Potsdamer Platz bringen könnte. Klar kann ich, aber was passiert, wenn das Hostel da nicht ist?

Er meinte, er würde es sicher wiedererkennen und überhaupt und sowieso. Ihm war kalt. Also hab ich mich mit einem mehr als schlechten Gefühl und einem durchgefrorenen Australier auf den Weg zum Potsdamer Platz gemacht. Ich hab versucht, ihm zu erklären, wie es am Potsdamer Platz aussieht, aber es wurde immer klarer, dass das nicht richtig ist. Wer keine Hochhäuser gesehen hat, wohnt auch nicht am Potsdamer Platz…

Ich hab ihn permanent bitten müssen, langsam und deutlich zu sprechen, weil ich sonst nichts, aber auch gar nichts verstanden habe. Irgendwann sprach er dann vom „Christl’s Hostel“ und vom „Christ Hostel“ Da hab ich ihm dann nochmal etwas schärfer klargemacht, dass ich schon genau wissen müsste, wie das Hostel heisst. Und plötzlich glaubte ich ein „St. Christoph“ zu hören…

„St. Christoph? Do you mean St. Christopher’s Hostel?“

„Uh, yeah! St. Christopher’s!“

„Ok, no Problem, I’ll bring you there…“

Also hab ich mal spontan auf der Leipziger Str. gewendet (hab ich schon mal geschrieben, dass ich gerne nachts arbeite?) und bin zum Alex hochgegurkt. Das St. Christopher’s ist mir nun durch die ganzen Matrix-Gäste mehr als bekannt, und von der Beschreibung her passt es auch: Eine U-Bahn-Station vom Alex entfernt am Rosa-Luxemburg-Platz. Ich möchte übrigens anmerken, dass ich ihm den Platz in weiser Vorausahnung auch genannt hatte.

So viel Freude wie zu dem Punkt, als ich gegenüber des Hostels hielt und fragte:

„Is it that one?“

kann man sich kaum vorstellen. Und er hat die 11,40 € ganz artig mit 17 € bezahlt und ist in sein hoffentlich warmes Bett entfleucht. Glücklicherweise! Denn was hätte ich mit einem Australier in einem himmelblauen T-Shirt bei Minusgraden anfangen sollen?

22 Kommentare bis “Christies”

  1. Klaus sagt:

    Solche Fahrgäste hat man leider immer wieder. Dieses blinde Rumgegurke macht mich auch immer ganz kirre. Ich empfehle solchen Berlin Besuchern eindringlich sich vor dem nächsten Verlassen der Unterkunft eine Visitenkarte der Lokalität zu besorgen. Wie dämlich muss man denn sein um sich ins Berliner Nachtleben zu stürzen und keine Adresse zu haben, wo man zu „Hause“ ist.

  2. Sash sagt:

    @Klaus:
    Das ist mehr als nur bescheuert. Ich kann es auch kein bisschen verstehen. Und einen über den Durst trinken ist ja in Ordnung, aber de facto ging das stark Richtung Lebensgefahr, ganz ohne Beteiligung der Leber.
    Mich stressen solche Sachen enorm, muss ich auch zugeben. Mein Job ist es, die Kunden ans Ziel zu bringen und das mache ich nach wie vor gerne. Aber bei allem Hilfswillen hab ich mir inzwischen auch angewöhnt, es einfach nur scheiße zu finden, wenn die Leute nicht mal eine Addresse dabei haben.
    Ich meine, in einer Stadt mit der Größe von Berlin ist es schon ziemlich derb zu erwarten, dass man ein bestimmtes Hostel auch sicher kennt. Bei allem Dienstleistungsgedanken und allen Versuchen, mir alles zu merken. Aber nicht einmal den Namen des Hostels zu wissen – das schlägt dem Fass dann eigentlich doch die Krone aus.
    Aber gut, einmal mehr hat das alles schön funktioniert und alle Beteiligten waren glücklich. Sollte man ja auch mal nicht vergessen 😉

  3. Anise sagt:

    Wäre das ein Film würde ich mir eine erklärende Rückblende wünschen, wo er seine Klamotten verloren hat.

  4. Sash sagt:

    @Anise:
    Ich will nicht einmal ausschließen, dass er so das Haus verlassen hat. Taxi-Club-Taxi… wozu da an eine Jacke denken?

  5. Klaus sagt:

    @Sash
    Wenn es ein Australier aus den Outbacks war, vielleicht ist er es gewohnt, „am nächsten Busch rechts“ zu navigieren? Sorry, aber so ein bisschen Touri-Bashing kann schon mal sein. 😉

  6. Sash sagt:

    @Klaus:
    Das ist schon ok, keine Sorge 😉
    Aber wenn er wenigstens die Häuser (als Busch-Äquivalent der Großstaft) zum Navigieren hätte gebrauchen können..

  7. Anise sagt:

    Ok, als bekennende Frostbeule wäre mir DER Gedanke niemals gekommen. 😉

  8. Sash sagt:

    @Anise:
    Ich will ja auch nicht ausschließen, dass er seine Klamotten bei einer Wette verloren hat… aber manchmal sind Menschen einfach komisch 😀

  9. Matthias sagt:

    Vielleicht war ihm ja das Konzept der spiegelverkehrten Jahreszeiten je nach geographischer Halbkugellage unbekannt.

  10. debe sagt:

    @Matthias: Und das weisse Zeug auf den Bürgersteigen ist Koks? 🙂

  11. Matthias sagt:

    Schön wär’s. Würde mir jede Menge Geld sparen 😉

    Meine Vermutung war, dass er garnicht erst so etwas wie warme Klamotten mitgenommen hat. Wenn er Sonntag auch erst angekommen ist…

  12. Aro sagt:

    Ich wäre mit ihm wohl zum Nolli gefahren, denn mein erster Gedanken war das CVJM-Hostel, wegen dem christlichen.

  13. Sash sagt:

    @Matthias:
    Hmm, ob er soo doof war? Naja, kann schon sein 🙂

  14. Sash sagt:

    @Aro:
    Hmm, das hätte eine längere Tour werden können. Mist! 🙂

  15. Anise sagt:

    Hab mal ne Frage.
    Wenn ich in der Zentrale anrufe, mir ein Taxi für außerhalb bestelle, mein Fahrtziel angebe, mir dann aber ein Fahrer ohne Navi geschickt wird, der keine Ahnung hat wie er zu dem Ort kommen soll und deswegen dreimal im Kreis fährt, habe ich dann die Möglichkeit, mich zu „beschweren“?
    Ich erwarte nicht, dass jeder Taxifaher jedes Ziel kennt, aber genau deshalb sind wir nicht zum Taxistand gegangen, sondern haben telefonisch bestellt.
    Das wurde nämlich eine sehr teure Fahrt für mich.

  16. Sash sagt:

    @Anise:
    Im Grunde schon, denke ich. Die Frage ist nur, wer da genau Mist gebaut hat. Weisst du, ob die Zentrale dem Fahrer das Ziel mitgeteilt hat?
    Aber das ändert natürlich lediglich, über wen du dich beschweren solltest. Grundsätzlich hat eine Fahrt natürlich auf dem kürzesten Weg zu funktionieren – auch nach außerhalb. Das Problem könnte lediglich sein, dass es dem Fahrer nicht mitgeteilt wurde, und dass er sich außerhalb des Pflichtfahrgebietes auskennt, ist natürlich nicht zwingend zu erwarten. In dem Fall läge der Fehler eben eher bei der Zentrale selbst.

  17. Anise sagt:

    Der Fahrer wusste es nicht, was auch der Grund war warum ich nichts gesagt habe. Der Mann fuhr nach Karte, die er nicht lesen konnte, aber er kannte sich halt nicht aus.
    Es wurde für mich nur fast doppelt so teuer.
    Und mal eben 36,- für ne Taxifahrt habe ich auch nicht über.
    Normalpreis wären 22,- gewesen.

  18. Sash sagt:

    @Anise:
    Dann beschwere dich bei der Zentrale. Ich nehme zwar nicht an, dass es was nützt, aber einen Versuch ist es wert, oder?

  19. Anise sagt:

    Das ist jetzt schon zwei Wochen her, und an dem Tag war ich auch nicht in der Stimmung für Beschwerden, aber ich weiß es zumindest für das nächste Mal.

  20. Sash sagt:

    @Anise:
    OK, dann nächstes Mal.

  21. […] ist das Phänomen dann ja auch nicht. Meine liebsten Fahrten in der Art waren ja beispielsweise der Typ im himmelblauen Shirt, der andere, der sein Hostel auch nicht kannte und zu guter Letzt irgendwie auch die beiden […]

  22. […] die Leser meines Buches dürften sich auch heute noch an ihn erinnern: Den himmelblauen Australier. Der, der von seinem Hostel nur noch wusste, dass der Name mit C anfängt und „at a place […]

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