DIE Tour heute Nacht…

Die Schicht ist soweit ganz normal verlaufen. Ein bisschen mies zwar, weil Montag, dafür mit guten Trinkgeldern. Um 4 Uhr stand ich bei fast exakt 100 €, und 13 Trinkgeld lagen auch schon bereit. So gegen 5 Uhr wollte ich Feierabend machen. Ich stand vor dem Matrix.

Mein Kunde ist schon einige Zeit vor Fahrtantritt mehr oder minder negativ aufgefallen. Er war ziemlich heftig alkoholisiert, und das äußerte sich nicht nur im Schwanken, sondern auch dadurch, dass er z.B. ständig seine Jacke fallen ließ, und nicht zuletzt dadurch, dass er – offenbar mit seiner Freundin telefonierend – ins Handy schrie, dass er das Handy verloren hätte. Naja. Es gab viele Momente, in denen es aussah, als ginge der Kelch an mir vorrüber, aber nach kurzer Abwesenheit seinerseits war er plötzlich wieder da, etwas nüchterner, und befähigt, die Autotür ohne Beschädigung oder Inanspruchnahme fremder Hilfe zu öffnen.

Er telefonierte ohne Unterlass, ließ sich nur zu einem kurzen

„Stresemannstr. xy“

herab und turtelte und stritt munter weiter. Es war schon einmal beruhigend, dass er seiner Freundin versicherte, er habe genug Geld dabei. Irgendwann war das Telefonat beendet, es waren noch runde anderthalb Kilometer bis zum Ziel, da steckt er mir von hinten einen Fünfer zu und meint, ich solle das nehmen, er steige hier aus. Ich habe abgelehnt, weil

a) ich die Finanzen nicht während des Fahrens klären will

b) wir eh bald da waren

c) das Taxameter bereits 9,00 € anzeigte.

Ich hab ihm gesagt, dass die Fahrt insgesamt so um die 10 bis 11 € kosten würde, und wir dass dann am Ziel klären könnten. Er bestätigte, dass das eine gute Idee ist, und begann, sein Geld zu zählen. Am Ziel angelangt hat er natürlich festgestellt, dass er doch 3 € zu wenig hat. Seine Idee war naheliegend:#

„Ich ruf meine Freundin an.“

Was dann folgte, war etwas absurd. Vor seiner Freundin druckste er etwas herum, was etwa so klang:

„Schaatz, du komm mal runter. Weil die mich nicht gehen lassen wollen. Weil das… das ist wegen, weil ich das nicht zahlen kann!“

Wie auch immer: Freundin weigerte sich, blieb also nur noch eines:

„Dann heben wir was ab!“

Es folgte eine Art Diskussion darüber, wo die nächste Bank wäre, und so weiter. Er versprach mir ständig, zu zahlen, und ich wies ihn darauf hin, dass das Ding (Taxameter) natürlich weiterlaufen würde, wenn wir zur Bank fahren. Inzwischen haben wir immerhin schon 5 Minuten gewartet, ohne dass ich es wieder eingeschaltet hatte. Daraufhin ist er erstmal sauer geworden und hat gemeint:

„Mit so einem Scheiß fang ich gar nicht an. Hier! Dann mit Karte!“

Ich habe ihn kurz und deutlich darüber aufgeklärt, dass ich keinen Kartenleser an Bord habe, wir also wohl oder übel eine Bank suchen müssten. Erstaunlicherweise fand er die Idee dann plötzlich auch wieder total toll. Wo denn jetzt eine Bank sei? Keine Ahnung! Lösung:

„Ich ruf meine Freundin an!“

Dann sagte er mir, ich solle zur Möckernbrücke fahren, zur Post, da wäre die Postbank. OK, ich kann es noch als „meinen Fehler“ abtun, dass ich nicht wusste, wo an der Brücke die Post ist. Einmal über die Brücke gefahren, nach gelben Schildern und so gesucht… nix.

„Ich ruf meine Freundin an!“

Im Verlauf des folgenden Gesprächs durfte ich dann sogar mit der Freundin selbst sprechen, die mir den – vielleicht peinlich unnötigen Tipp „Hochhaus“ gab, an dem das Logo der Postbank (ein paar Meter über Sichthöhe) prangt. Ist ok, ich fahre rüber.

Auf dem Weg meinte mein neuer Lieblingskunde dann:

„Des ist jetzt schon ziemlich arschlochmäßig!“

„Von mir???“

„Ja. Aber macht nix. Von mir auch…“

Aha. Na gut. Die direkte Einfahrt zur Bank habe ich verpasst, ich hab also etwa 50 Meter vom Eingang entfernt parken müssen und wartete darauf, dass er ausstieg. Tat er aber nicht. Er wollte heimgebracht werden. Geld hätte er auch genug. Also habe ich ihm erstmal erklärt, wie wir eigentlich in die derzeitige Situation gekommen sind. Er hat das dann auch verstanden, wollte aber nicht wirklich zur Bank. Also:

„Ich ruf meine Freundin an!“

Die hat jetzt natürlich die Welt gar nicht mehr verstanden, weil er nur sagte, dass er vorbeikommt etc. Er hat sie wieder an mich weitergereicht, und so durfte ich der guten Frau erklären, dass es eigentlich gar kein Problem gibt. Ihr Freund ist einfach nur voll und weiss nicht mehr, was er in der Bank machen soll.

„Der will mich verarschen!“

entfuhr es ihr, aber ich versicherte, dass er einfach nur zu betrunken ist. Dann kam von hinten:

„Ich hab meine Karte nicht dabei!“

„Du hast deine Karte – du hast sie mir vorher zum Bezahlen geben wollen!“

„Hier in diesem Auto?“

„Hier in diesem Auto!“

Also entbrannte auch noch eine Suche nach der Karte – eine vermutlich schwer an vergangenen Entscheidungen zweifelnde Freundin am Telefon inklusive. Immerhin lief das Taxameter dieses Mal weiter. Aber die Karte wurde gefunden, er hatte sich einfach mal spontan draufgesetzt. Und dann torkelte er zur Bank. Natürlich nicht, ohne mir vorher sein gesamtes Hab und Gut als Pfand auszuhändigen. Nicht, dass ich glaubte, er würde mich verarschen wollen – aber ich sah die Möglichkeit als gegeben an, dass er in der Bank vergisst, dass ein Taxi draussen wartet.

Nach ein paar Minuten kam er dann angerannt, und ich dachte mir bei einem Blick aufs Taxameter, er hat hoffentlich nicht nur 10 € geholt, sonst reicht die Kohle wieder nicht…

„Und? Geld bekommen?“

„Ja, zuviel!“

OK, Treffer. Mit der Antwort konnte selbst er noch überraschen. Beim Rückweg bemängelte er noch kurz, ich hätte auch anders fahren können (entgegen einer Einbahnstr. also), aber das war nicht aggressiv. Dann meinte er kurz vor dem Ziel:

„Ich geb dir das jetzt schonmal, ok!?“

Er drückte mir 50 € in die Hand und meinte:

„Das reicht, oder?“

„Ja. Mehr noch!“

„Ich hab dir was richtig krasses gegeben, oder?“

„Ja, allerdings!“

„50 € – des ist gut, oder?“

„Ja…“

„Stopp, ich steig hier aus! Passt doch, oder? 50 € sind gut, oder?“

„Ja…“

32,10 € Trinkgeld bei einer einzigen Tour. Ich habe innerlich schwer mit mir ringen müssen – aber obwohl ich ihm nicht gerade böse bin wegen der ganzen Geschichte: DEN Anschiss von seiner Freundin, warum er nach der Tour auch noch einem Taxifahrer 30 € schenkt – DEN muss er jetzt eben aushalten!

7 Kommentare bis “DIE Tour heute Nacht…”

  1. Marcus sagt:

    ich will dir ja nicht zu nahe treten sash, aber hat man als taxifahrer keine moralische pflicht, dem fahrgast klar zumachen…….das 50€ nicht der zu zahlende betrag ist. oder warst du dir sicher, das er sich in dem moment bewusst war, das er dir über 30€ trinkgeld gibt? ( dann wiederum, gibt es daran ja wenig auszusetzen ).

    also als ich letztes mal etwas essen war, und 10€ zahlen sollte……hab ich dem kellner spasseshalber ( ok schon unter besonderen umständen ), auch 15€ bzw. 5€ trinkgeld gegeben. dieser dann daraufhin meinte, ob dies nicht etwas viel sei. nachdem ich ihm dann recht zügig klar machte, das ich es auch selbst behalten kann, verschwand er dann mit der kohle.

    über den eigentlich sinn müssen wir ja wohl nicht reden. ansonsten war die story, aber extremst amüsant und lesenswert…..weida so.

  2. Sash sagt:

    Keine Sorge, du trittst mir damit nicht zu nahe. Die von dir angesprochene moralische Pflicht fühle ich wahrscheinlich mehr als der Großteil meiner Kollegen.
    Das Gespräch oben ist auch extrem verkürzt wiedergegeben. Er hat drei oder viermal den Betrag wiederholt und gefragt: „Des is cool, oder?“ Er wusste, dass es „zuviel“ ist und kannte den Betrag auf dem Taxameter. Keine Frage: Ohne Alkohol hätte ich wahrscheinlich keine 2 € von ihm bekommen. Insofern hab ich natürlich gesondert von der Situation profitiert. Ich hatte es heute auch mit Kollegen über die Geschichte. Etwas anderes gewesen wäre es natürlich, wenn er einfach gefragt hätte: „Stimmt das?“ Aber er hat gesagt, dass es so stimmt und sich sichtlich darüber amüsiert, dass er jetzt so blöd ist, und dem Taxifahrer 50 € gibt.
    Zudem hatte ich nicht das Gefühl, dass mir hier ein armer Student den letzten Schein fürs nächste Semester schenkt. Die Rechnung im Matrix war sicher höher!
    Aber nochmal klargestellt: Ich nutze es nicht aus, wenn jemand betrunken ist. Mich freut die Geschichte auch wirklich deshalb, weil er mir das echt „aufgedrückt“ hat. Obwohl es bekloppt war. Denn – so ehrlich will ich sein – selbst der ganze Stress war natürlich eigentlich keinen Fuffi wert.

  3. Marcus sagt:

    Nur mal kurz als klarstellung……ich bin sicher einer der letzten, der dir das Trinkgeld nicht gönnen würde. Aber es soll ja schon des öfteren vorgekommen sein, das besoffene nicht mehr, herr ihrer Sinne sind.

  4. Sash sagt:

    Das ist wohl wahr. Ich halt’s wie gesagt mit den Worten meines Chefs: „Betrunken bedeutet nicht nur nervig. Betrunken bedeutet auch hilflos“
    Ich weiss ob der Problematik Bescheid, und werde des öfteren abzuwägen haben: Kann ich das jetzt machen oder muss ich den Fahrgast vor sich selbst schützen?
    In dem Fall bin ich mir aber sicher, dennoch angemessen reagiert zu haben. Ich werde bestimmt das ein oder andere Mal eine Fehlentscheidung treffen – insbesondere beim Geld fällt das natürlich nicht leicht, denn wer verzichtet gern auf Geschenke? – und ich hoffe nur, dass es keine bedenklichen Ausmaße annimmt.
    Vielleicht war es ja auch dringend nötige pädagogische Arbeit gestern 🙂

  5. […] Woche jetzt war – wenn man mal von dem Mörder-Trinkgeld absieht – nicht so… naja, ihr habt die Überschrift gelesen. Hab jetzt drei Tage gearbeitet, […]

  6. Uwe sagt:

    Saftige Trinkgelder freuen natürlich jeder Taxler.
    Mein Rekord (jeweils bei einer einzigen Tour) lag zu DM-Zeiten bei 120 Euro und zu €-Zeiten bei 80 Euro.

    Die erste Fahrt ein Mädel zum Freier, mit Wartezeit.
    Die zweite ein Freier zum Puff – erst im dritten war er zufrieden 🙂

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