Retter in der Not ist man als Taxifahrer schon gelegentlich. Nett aber ist das nicht immer. Insbesondere, wenn es mal wieder „Kollegen“ waren, die den ganzen Scheiß erst ausgelöst haben.
Ich war eigentlich auf dem Weg nach Hause. Und damit fast erfolgreich, denn ich fuhr am Bahnhof Marzahn an die Ampel und die war sogar grün. Ich wollte schon in meine Heimatstraße abbiegen, da sah ich ein zaghaftes Winken 50 Meter geradeaus. Und so ist das Spiel eben: Die Fackel war noch an, also bin ich kurz rüber. Eine junge Frau, Party-Outfit und ziemlich durch den Wind. Sie stieg heulend ein und flehte mich an, sie zu einer Haltestelle in Hellersdorf zu bringen. Ich hab das selbstverständlich bejaht und der Tränen wegen nachgefragt, ob ich sonst irgendwie helfen könne.
Nein, nur nach Hause. Sie wiederholte den Haltestellennamen mehrfach und entschuldigte sich fürs Weinen.
„Bringen Sie mich bitte einfach nur nach Hause. Der andere Taxifahrer hat mich hier abgesetzt.“
BITTE WAS?
Aber ja, natürlich. Eine junge Frau will nach Hause und der Taxifahrer wusste angeblich den Weg. Einen trotz der ordentlichen Länge der Tour deutlich teureren. So zumindest meine Vermutung. Das Dumme war nur: Die Frau kannte sich aus und wusste den richtigen Weg. Auf ihre Frage, warum sie jetzt auf die Landsberger fahren, soll der Kollege irgendwas im Sinne von „Halt die Klappe, das passt schon so!“ gesagt haben.
Ich weiß, was jetzt kommt. Ich hätte auch spätestens da die Nummer notiert, vermutlich auch die Firmenadresse. Aber ich weiß auch wo die Daten stehen und außerdem hätte ich da keine Panikattacke bekommen wie die Kundin. Die im Übrigen auch nicht sprichwörtlich Panik hatte, sondern richtig. Also echt, nicht wegdiskutierbar. Sie sagte mir, sie sei schon mal überfallen worden und die Situation, dass der Typ jetzt nicht dahin fahren wollte, wo sie sagte und sie sich zunehmend weniger auskannte, hat sie überfordert. Erst am Eastgate hat sie ihn überhaupt überreden können, sie rauszulassen. Und da stand sie dann, nachdem der Fahrer „sich sein Geld genommen hat“ bei Minusgraden am menschenleeren Bahnhof in der Prärie.
Egal, wie sich dieses oder jenes Detail jetzt vielleicht genau gestaltet hat: Dass der „Kollege“ da völlig versagt hat, da steht meine Meinung fest. Selbst wenn Sie sich bei der Ansage der Route etwas vertan haben sollte: Seine war definitiv falsch! Im Sinne von Kilometerweit falsch! Außerdem: Wenn die Kunden einen Umweg wollen: Sie haben das Recht, den Weg zu wählen! Ob sein Tonfall nun nur so mittel unfreundlich oder arschlochmäßig war: Ich finde beides daneben! Mich haben meine vielen „Wenn ich hier lang und dann hinten bei XY durchfahre ist das etwas kürzer“ nie umgebracht und auch noch niemanden verängstigt. Und zum Thema verängstigt: Wenn sich wer sichtbar unwohl fühlt, fragt man verdammt nochmal nach und bietet Lösungen an!
Hier mal eine Formulierungshilfe:
„Ach, Sie wollten über die XY-Straße fahren? Ich dachte, diese Route wäre kürzer, aber wenn Sie wollen, dann fahre ich jetzt blablabla …“
Wir sind fucking Taxifahrer, wer wenn nicht wir kann drüber reden, warum wir wohin fahren?
Naja, am Ende hab ich die Gute „nur nach Hause“ gebracht. Es war in gewisser Weise anstrengend, weil sie noch sichtbar Angst hatte, aber auch das ist eigentlich eine echte Selbstverständlichkeit. Wenn ich im Folgenden kurz ein paar Dinge aufzähle, die ich gemacht habe, dann nicht, um mich selbst zu loben, sondern zum einen um das zur Diskussion zu stellen für Leute mit Angststörungen oder Traumata, zum anderen um unerfahrenen Kollegen, die sich nur nicht trauen, was an die Hand zu geben:
- Ich hab verständlich und in ihren Worten gesagt, dass ich sie selbstverständlich heimbringe.
- Ich habe zu verstehen gegeben, dass ich den Weg kenne, habe ihr Wegmarken genannt, die sie kennen müsste, um ihr zu erklären, warum ich wohin fahre. (An der Stelle kann man natürlich auch das Navi programmieren und keinesfalls vom Weg abweichen, egal wie blöd der ist!)
- Ich hab sie ernst genommen und gesagt, dass ich verstehe, warum es ihr gerade schlecht geht.
- Ich habe mich deutlich von solchen „Kollegen“ distanziert und zudem klar gemacht, dass ihr Anliegen heim gebracht zu werden, völlig normal ist und dass der Fehler nicht bei ihr lag.
- Ich hab selbstverständlich ruhig und gelassen reagiert und (obwohl ich zwischendrin Dinge erfragt habe) einfach konsequent mit „Das ist kein Problem“ o.ä. geantwortet.
- Mit meinem Blick für Kleinigkeiten hab ich z.B. am Ende, als sie mich noch bis vor die Tür gelotst hat, immer schnell ihre Anweisungen bestätigt, extra früh den Blinker gesetzt usw., um zu vermitteln, dass ich wirklich das mache, was sie ansagt.
Wir haben sogar, obwohl es ihr am Ende immer noch scheiße ging und sie zwei Minuten zitternd ihren Schlüssel gesucht hat, einiges geklärt. Von so Sachen wie der Bezahlung (Sie hätte ja kein Geld mehr haben können) über den „Kollegen“ (der leider wirklich nicht ermittelbar sein wird) bis hin zu Ideen, wie man das nächstes Mal anders machen könnte (Aber ganz ganz wichtig: Ich hab keinen lehrerhaften Vortrag wie jetzt hier gehalten, sondern klargestellt, dass das jetzt kein Vorwurf, sondern nur eine Idee für später ist).
Wie angedeutet: Ich hab da nix „fixen“ können. Panik ist eine ernste Sache, die nicht mit einem „Hab dich nicht so!“ geheilt werden kann. Ob mit oder ohne traumatischen Hintergrund. Und eigentlich war ich am Ende ohnehin nur ein anderer Taxifahrer, zum Glück wohl ein an diesem Abend eher überdurchschnittlicher. Trotzdem hat sie am Ende der Fahrt nach einer Viertelstunde immer noch geheult und ich wusste, dass mein Wunsch, sie möge noch eine wenigstens halbwegs gute Nacht haben, vermutlich für’n Arsch war.
Aber um nicht ganz so traurig zu enden und außerdem weil ich scheiße stolz darauf bin, möchte ich noch anfügen, wie sie sich verabschiedet hat:
„Danke! Du bist super! Bleib so, bitte. Bring Du die jungen Mädels heim, ok?“
Abgemacht. 🙂