Die unter einem

Ich hab dieses Wochenende übergangsweise ein Auto von der Firma abholen müssen. Noch hat man mich nach der Elternzeit nicht in ein festes Team einsortieren können, das sich ein Auto teilt, weil das vorherige aufgrund der Krankheit eines Kollegen nicht mehr existiert. Wie immer war es die Hölle, nach der Sonntagsschicht einen Parkplatz zu finden, ansonsten war es ok. Ich hab am Übergangsauto mal wieder ein paar lustige Geräusche neu kennenlernen dürfen, die Zafiras jenseits der 300.000 km machen und ansonsten war die Arbeit mittelprächtig bis gut.

Was das Nehmen von Autos an der Firma speziell macht, ist die Rückfahrt. Dank klug gewählter Wohn- und Firmenadresse komme ich auch nachts  mit der Straßenbahn gut heim, es dauert halt nur eine Stunde. Plus ggf. 25 Minuten Wartezeit. Und es ist wirklich nicht selten, dass während dieser Heimfahrt irgendwas passiert. Also Menschen.

Die fragen nach lustigen Routen und Orten oder es entwickelt sich einfach so ein Gespräch – und wenn ich als Taxifahrer was gut kann, dann Gespräche zu führen, während ich ohnehin anwesend sein muss.

Dieses Mal fragte mich ein Mittvierziger, ob ich ihm sagen könne, wie er nach Friedrichshain komme und da das erst im späten Verlauf der Fahrt passierte, blieb für mich nur, ihm zu sagen, er solle mal mit mir aussteigen und dann in die Bahn steigen, in die ich nicht steigen würde.

Als ich sah, dass er Flaschen sammelte, hab ich ihm meine Eistee-Flasche vermacht und wir hatten dann ungefähr 10 Minuten, uns ein bisschen zu unterhalten. Er war ein Obdachloser aus Prag, der versuchte, sich seine Fahrt zurück zu verdienen. Er sagte, dass er Berlin möge, dass es aber eben bei weitem nicht das sei, was ihm Freunde erzählt hätten: Wie leicht man hier an Geld kommen könnte, dass Berlin eine Art Schlaraffenland sei. Er hat das auch echt sehr liebenswert leicht selbstironisch erzählt, wie doof es eigentlich gewesen sei, dass er sowas geglaubt hätte:

„Is – wie sagen? – bescheuert, zu glauben, hier plöötzlich alles ok!“

Er fragte mich, wie es sei, hier Taxi zu fahren, wir bemängelten gemeinsam die Wohnsituation hier; es war ein zwar notgedrungen eher mit negativen Aspekten gespicktes Gespräch mit dafür wenigstens sehr positiver Atmosphäre.

Ich hab ihm kurz bevor meine Bahn kam, dann einfach etwas mehr als mein heutiges Trinkgeld gegeben. War irgendwie doof, weil ich’s mir hart verdient habe und jetzt mit Kind auch eher mal darauf achten muss, ein bisschen mehr Taler auf die hohe Kante zu schaufeln – andererseits haben ja auch mich hier schon so viele Leute freiwillig unterstützt und ich hab’s auch noch nie erlebt, dass es mir am Ende falsch vorgekommen ist, jemandem irgendwie zu helfen, dem es offensichtlich noch deutlich schlechter geht als mir. Auch ohne das zu schreiben (und ja, dann auch nettes Feedback zu kriegen) ist es immer schön, jemandem helfen zu können, dem der Zehner mehr gutes tut als es mir schadet. Ich hab schon mal irgendwo geschrieben, dass da bei mir wohl was falsch verdrahtet ist und dass ich mich da wirklich freue.

Aber ist auch egal. Unsere Wege haben sich wieder getrennt, wir werden uns wohl nie wieder sehen und das hat meine Heimfahrt angenehm kurzweilig gemacht.

Und weil diese „kritischen“ Stimmen sicher auch kommen werden: Es ist mir völlig egal, ob der Kerl sich davon einen halben Kasten Bier kauft oder auf die Fahrkarte nach Prag spart! Mich hat es gefreut, dass er so überrascht und glücklich war. 🙂

8 Kommentare bis “Die unter einem”

  1. Joe sagt:

    Lieber ‚ falsch‘ verdrahtet als garnicht.

  2. Judi sagt:

    Ich find dich genau richtig verdrahtet.
    Erst wenn man keine Freude mehr daran hat, jemandem eine Freude zu machen ist da wohl ein Draht kaputt 😉

  3. the passenger sagt:

    Wenn mir ein Obdachloser sympathisch ist, geb ich auch gern mal was. Zwar nicht unbedingt ’nen Zehner, aber auch nicht nur Kupfer. Und ich hab auch kein Problem damit, wenn er sich ein Bier dafür kauft.

  4. Martin sagt:

    Wo wir bei dem Thema sind: Dein Amazon-Wunschzettel ist leer.

  5. Kraven sagt:

    @Martin: Er hat einen Säugling. Bei Amazon gibt es Windeln! Größe 2 müsste passen. Pampers Baby Dry sind aus eigener Erfahrung zwar teuer, aber auch gut.

  6. Sash sagt:

    @Joe:
    Na gut, das sicher! 🙂

    @Judi:
    Finde ich auch, aber es ist erschreckend, wie viele andere Meinungen es dazu gibt.

    @the passenger:
    Finde ich rein menschlich einfach völlig ok. Sowas wie da jetzt mache ich auch selten, aber hey, besser als nie. 🙂

    @Martin:
    Eine der vielen Baustellen, die gerade offen sind. Sorry und danke gleichermaßen! 😀

    @Kraven:
    Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir nicht nur großartige (hoffe ich zumindest), sondern auch große Eltern sind. Und der Wurm hat entsprechend trotz erst 4,5 Monaten bereits Größe 3 bis 4.
    Aber was die Sache mit den Pampers angeht, stimme ich zu. 🙂

  7. Michel sagt:

    Top, deine Aktion.

  8. Nico sagt:

    Ich teile Sashs Sicht da vollkommen, und mich wundert gerade etwas, dass die befürchteten Gegenmeinungen hier bisher gänzlich ausgeblieben sind.

    Wie häufig hat man schon gehört: „Ich geb Pennern nichts, die kaufen sich dafür eh nur Alk/Drogen.“ Ich frage mich dann regelmäßig: Ja und? Ich werde mit meinem kleinen Obolus sicher nicht bewirken, dass der Mensch sein Leben umkrempelt, aber wenn dafür der Rausch ein paar Stunden im Leben der Person angenehmer macht, dann hat es doch seinen Zweck erfüllt. Wer wäre ich denn, irgendwelchen Menschen meine (eh kaum ausgeprägte) Anti-Drogen-Doktrin aufzuoktroyieren?

    Dieses Oberlehrerhafte Gehabe find ich doof. Insofern: Alles richtig gemacht und definitiv richtig verdrahtet, Sash! 🙂

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