Die Guten mal wieder …

Wie jedem Menschen, der online irgendwas schreibt, sitzen auch mir ständig die Leute im Nacken, die alles besser wissen und mir geradezu erzählen müssen, weswegen nun genau das falsch ist, was ich gerade gesagt habe. Oder gemacht habe. Mal abgesehen von all den Rassisten sind da z.B. die Leute, die mir einreden wollen, nie betrunkene Leute mitzunehmen. Meist sind das Kollegen, die bei diesem Job, den man auf zigtausend Arten machen kann, eine der zigtausend anderen Arten nutzen, um ihr Geld machen. Wenn das nicht illegal ist, ist das auch ok und ich gönne wirklich jedem seinen Weg, aber bei allzu offensichtlicher Ignoranz lehne ich Lebensweisheiten anderer auch gerne ab.

Ich glaube gerne, dass Kollegen wesentlich mehr Stress mit Besoffenen haben als ich. Nur liegt das meiner Erfahrung nach nur zu einem (eher kleinen) Teil an der betrunkenen Kundschaft. Ein nicht ganz unwesentlicher Faktor ist halt auch, wie man den Menschen begegnet. Sorry, dass ich den Text hier so belehrend einleite, aber es ist die fucking Wahrheit! Denn wenn ich an meine Arbeit mit der Überzeugung rangehen würde, dass alle Männer oder alle Weißen, alle Deutschen und alle Arbeiter scheiße sind, dann wäre ich halt nix anderes als ein Nazi mit einigen Orientierungsproblemen. So wie eben die eher orientierten Nazis Frauen, Schwarze, Ausländer und Akademiker scheiße finden.

Aber ja: Auch ich hab gezuckt, als mich zwei besoffene Typen in Marzahn direkt beim Überholen eines Autos gestoppt haben, nahezu lebensmüde beim Überqueren der Fahrbahn. Nur einer der beiden sprach Deutsch und beide kamen offenbar aus Litauen (dieses Wissen verdanke ich witzigerweise dem, der kein Deutsch sprach).

Kurzstrecke zu einer mir bekannten Straße in Marzahn. Ist ok, reicht. Da der neben mir sitzende Kandidat gleich das Kleingeld zählte, war ich etwas unsicher, als er dann doch eine Tanke ansteuern wollte, um noch Bier zu holen. Aber ich bin Dienstleister, deswegen hab ich meine Sorgen kurz in eine brauchbare Ansage übersetzt:

„Die Jet? Ist ok. Aber dann werden es mehr als 5€, ist das ok?“

„Da. Ja, OK.“

Ich will nicht verneinen, dass man da Vorkasse verlangen kann. Mir war das nur so mittel genehm, aber die Welt ist ja nicht schwarz-weiß. Mal abgesehen davon, dass mich z.B. 5 bis 10 € nicht in der Existenz bedrohen, wusste ich nun ja z.B. auch, dass ich den Typen bei einem Fluchtversuch hätte hinterherrufen können, dass sie auf dem Video der Tanke erkennbar sind. Und all die Neunmalklugen können sich nun gerne mal überlegen, welchen Effekt sowas haben könnte …

Nun aber stand ich alsbald an der Tanke und der Tanz der Betrunkenen sorgte bereits bei der Bediensteten dort für dezentes Augenrollen. Obwohl nur zwei Bier geordert wurden.

Der im Fond verbleibende Typ textete mich inzwischen in einer Sprache zu, die ich nicht verstand. Aber er schien nett zu sein. 🙂

Dann also der „Rückweg“ zur Wohnung. Und zur Bestätigung: Wie erwartet: Marzahn, Plattenbau, Osteuropäer, nur Münzgeld, besoffen, mit Umweg! Sowas nehmen ja manche, die sich hier „Kollegen“ nennen, gar nicht an.

Ich stoppte also vor einem der acht Eingänge des Zwölfgeschossers, mache das Licht an, und … der Typ neben mir kramt vier Münzen aus seiner Hosentasche. Sechsfuffzig.

„Was machen genau?“

„Wir sind jetzt insgesamt bei 11,50€.“

„Aber chab’ch seechs.“

OK, die Arschlöcher hatten recht, ich bin ein Idiot, ich hätte es ja wissen müssen! Oder?

„Daan soorry! Chmuss kurz in Wohnung, Geeld! Kuussin blejbn! OK?“

Na klar. Wie so oft: Da ist noch Geld in der Wohnung gewesen und neben dem Rucksack blieb mir auch der litauische Cousin als Pfand. Am Ende eine Allerweltsgeschichte, die ich so auch zigfach bei nicht besoffenen Deutschen hatte. Überraschung! Ich werde sie hier trotzdem mit „zahlungsunfähig“ taggen, weil da alle Geschichten reinkommen, bei denen es ums Geld geht. Egal, ob zu viel, zu wenig, Trinkgeld oder  Tourumsatz, ob überraschend absurd passend oder weil mein Fahrgast Mario Draghi war … ich bleibe dabei: Meist läuft es am Ende gut.

🙂

9 Kommentare bis “Die Guten mal wieder …”

  1. Joe sagt:

    Du darfst deine Körpergröße nicht vergessen. Ich, 1,68 groß(klein?) habe da als Nachtfahrer ganz andere Dinge erlebt. Z.B. ‚Spiel dich hier nicht so auf, Zwerg‘ oder ‚Mach hier nicht einen auf erwachsen Kleiner‘ und ähnliches. Im Laufe der Jahre wurde ich dann immer intoleranter gegenüber Betrunkenen, was die Streitereien nicht unbedingt minderte. Ich konnte nie bei Beschimpfungen oder Beleidigungen auf Durchzug schalten , denn zwischen dem rechten und dem linken Ohr sitzt nicht nur mein Verstand, sondern dort ist auch irgendwo mein Selbstwertgefühl verstaut. Seit vielen Jahren fahre ich deswegen nur noch tagsüber und wenn dann Volltrunkene ankommen(was tagsüber wirklich sehr selten vorkommt) dann verzichte ich vorsichtshalber auf die Tour. Seitdem bin ich wesentlich entspannter geworden(sagt meine bessere Hälfte). 🙂

  2. Sash sagt:

    @Joe:
    Das ist ja auch völlig klar. Ich bin mir dieses Vorteils bewusst und ich ärgere mich nicht wirklich über Kollegen wie dich, die es einfach anders machen. Ich ärgere mich, die mich der Lüge bezichtigen, nur weil sie andere Erfahrungen gemacht haben.

  3. Nietnagel sagt:

    Das was Joe schreibt, kann ich zu 100 % unterschreiben. Als studentischer Nachtfahrer mit viel Enthusiasmus im Ländlichen begonnen, im Laufe der Zeit kotzte es mich nur noch an. Dauernd diese Feilscherei, Anpöbeleien und und und. Wahrscheinlich waren 90% aller Fahrten in Ordnung, aber die 10%, die bescheiden waren, blieben halt hängen.

    Nachdem mein Chef dann zweimal einen größeren Kotzschaden hatte, den er nur mit Mühe ersetzt bekommen hat, hat er dann den Wochenendnachtbetrieb irgendwann eingestellt, weil (auch seelischer) Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis mehr zueinander standen. Irgendwann später erzählte mir mal seine Frau, dass das die beste Entscheidung war, die ihr Mann je getroffen hat.

    Aber jeder soll es so machen, wie er es für richtig hält.

  4. Mic ha sagt:

    Versteh deine Intention für den Text nicht. Es gibt doch ganz klar Gründe dafür, Besoffene nicht mitzunehmen. Kotzen, Pöbeln, Abhauen, Ärger und Vieles, Vieles mehr. Und dann ist doch dieser Text ein Beispiel dafür. Du hattest viel mehr Ärger (Sorgen ums Geld, Abhauen und die Warterei), als wenn die Litauer nüchtern gewesen wären. Angenommen er hätte nicht egomäßig seine Bier noch kaufen müssen, hätts locker gereicht. Typischer „1 Bier brauch ich dringend noch!“ Suff Gedanke.
    Auch wenn ich selbst immer mal wieder besoffen mitfahre, ich kanns keinem Taxifahrer verdenken, falls er keinen Bock auf mich hat und ablehnt. Ihr seid ja keine Barkeeper/innen, ihr fahrt uns im Auto sicher durch die Stadt.

  5. Mic ha sagt:

    Ah, diese verdammte Selbstvervollständigung des Textfeldes. Sorry. Könntest du, bitte, den Elbestr. Post wieder löschen, Sash, und diesen gleich mit? Danke im voraus.

  6. Jakob sagt:

    Ja das leidige Thema mit Betrunkenen. Am Anfang meiner Zeit als Taxifahrer hat mal jemand zu mir gesagt „wenn du keine Betrunkenen fahren willst, dann fahr lieber gar nicht Taxi“. Ich fahre in Bamberg, also einer Kleinstadt mit ca 70.000 Einwohnern, vielen Studenten und einer ziemlich angenehmen Partymeile (Sandstraße). Ich muss Joe in einigen Punkten zustimmen, denn vor allem die Feilscherei geht mir dermaßen auf den Keks. Jedoch begegne ich in meiner mittlerweile größtenteils stattfindenden Tagschicht trotzdem einer Menge betrunkenen. Die beste Art ist jedoch immer: Verständnis
    Wenn du deinem Gegenüber unbewusst spüren lässt wie beschissen du es findest das er mittags hackedicht ist und das Taxi auch nur da ist um neuen Alk zu besorgen, dann wird das definitv keine entspannte Fahrt 😉

  7. Sash sagt:

    @Nioetnagel:
    Mehr will ich im Grunde auch nicht sagen.

    @Mic ha:
    Jein. Natürlich wäre die Taxifahrer-Welt eine bessere ganz ohne Besoffene. Aber „Menschen wie Du und ich“ (im besten Sinne) betrinken sich gerne und würden dann gerne ein Taxi heim nehmen. Ich hab nicht die Wahl, ob die Kunden trinken, ich hab die Wahl, ob ich sie mitnehme. Und an dem Punkt lege ich mein Bekenntnis zum „Ja!“ ab. Und nicht, weil ich verneinen will, dass es die negativen Begleiterscheinungen gibt, sondern weil ich gerne die positiven Fälle heraushebe und zudem weil ich die schlechten Sachen nicht verschweige, keinen Bock darauf habe, dass mir irgendwelche Einfaltspinsel die Existenz dieser zerreden wollen, obwohl sie sehr zahlreich da sind.

    @Jakob:
    Meine Rede! Betrunkene kommen vor, sind manchmal nervig und natürlich gibt es auch ganz schlimme Kandidaten. Will ich nicht verschweigen, will ich nicht kleinreden und ich verstehe, wenn Kollegen oder Kolleginnen deswegen die Schnauze voll haben. Ich will nur anmerken, dass am Ende auch viele von diesen Kunden es nicht verdient haben, alleine am Promillepegel bewertet zu werden. Und natürlich hacke ich darauf auch nicht euch an einer Diskussion interessiert seienden Kollegen wegen rum, sondern wegen denen, die wie immer alles besser wissen und in ihrer einfachen Welt halt schnell ihr Feindbild gefunden haben.

  8. Mic ha sagt:

    Ok, dann müssen wir trinkfesten Wochenendfeierer dir irgendwann einen Schrein an des Ostbahnhof stellen. Wo du doch so religiös auch bist.

  9. Sash sagt:

    @Mic ha:
    Hey, das waren einfach ein paar schöne Metaphern, die sich angeboten haben …

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