Der Marvin

Das war so ein klassischer Fall von gutem Lauf. Ich hatte vom Stand weg eine nur kurze Tour bekommen, bin dann etwas bedröppelt drei Kilometer durch die Gegend gegurkt, hab Winker für einen Zwanni bekommen und als die aussteigen wollten, stand draußen schon der Marvin.

„Ist hier gleich frei, mal ehrlich, kann ich dann, ja, ja?“,

fragte er das unspektakuläre Pärchen, das ich in Niederschöneweide absetzen wollte und das erst mal das mit dem Zahlen hinkriegen wollte.

„Isser frei, frag ja nur, sagt doch! Ja? Ja?“

„Is‘ ja gut. Ja, er is‘ gleich frei – aber entscheiden muss der Fahrer das selber!“,

fauchte es von der Rückbank zurück. Marvin kümmerte der unleidliche Tonfall keine Spur:

„Super! Suuuper! Das‘ ja’n Ding! So ein Glück! Ich raste gleich aus!“

Die nächsten zehn Sekunden bemerkte er, dass er eine Bierflasche in der Hand hatte und fürchtete, deswegen nicht mitgenommen zu werden. Anstatt deswegen mal kurz mich zu fragen (und ein ok zu bekommen), versuchte er, das Bier meinem aussteigenden Fahrgast in die Hand zu drücken:

„Nimm doch. Mann, nimm jetzt. War teuer, muss weg, freu Dich!“

Wer jetzt glaubt, der Kerl hätte einen an der Klatsche gehabt, der hat das ganze Ausmaß noch nicht begriffen. Hatte ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Marvin nannte mir mal eben eine Zieladresse in Weißensee und beschloss, mir 100€ Vorschuss zu geben. Ich hab abgeklärt geantwortet, dass wir vermutlich leicht unter dem Betrag nach Weißensee kommen würden. Also eher so 30€.

„Is aber kein Problem. Ich kann Dir auch 100 Schweizer Franken geben. Oder ich geb Dir tausend. Oder einen Zwanni. Ganz wie Du willst, ganz wie Du willst … aber ich muss kurz pissen, is dringend. Halt mal hier an bitte!“

Da hatten wir gerade mal einhundert Meter Fahrt und 45 Sekunden hinter uns.

Ich hab an der nächsten Kneipe angehalten und er hat sich dort einen Klogang erbettelt. Ich will mir nicht einmal ausmalen, mit wie vielen Worten. Ein Zwanni lag inzwischen auf meinem Armaturenbrett, ich war also erstmal finanziell sicher. Auf die Idee, dass ich damit abhauen könnte, ist er sogar von selbst gekommen, anstatt aber auf mich zu hören und sich die Konzessionsnummer zu merken, wollte er meinen Vornamen wissen.

Als er wieder rauskam, war er höchst verzückt, dass ich immer noch da war:

„Ach je, ehrlich jetzt? Na Du bist mir ja ein ehrlicher Kerl. Christoph, oder?“

Im Folgenden haben wir eine knappe halbe Stunde zusammen verbracht und ich hab gelegentlich auch mal ja oder nein sagen können, ansonsten hat er durchgehend gequasselt. Und es hat absolut null Sinn ergeben. In Monologform würde sich das ungefähr (!) so lesen:

„Halt! Wir rauchen jetzt eine! Ach nee, lieber nicht. Aber danke für deine Ehrlichkeit! Mann, echt jetzt: Du bist ja ein dufter Typ. Glaubste jetzt nicht, was? Aber ich bin da so der Feeling-Typ, ich merk, was in deinem Herzen so abgeht. Warum machst Du das? Also hier, Taxifahren. Ist doch total bescheuert, Du könntest in der Schweiz so fett Kohle verdienen, aber bist halt seßhaft, was? Biste verheiratet? Ich hab ja auch Frau und Kind, kannste nix machen, und deine Frau, ist die auch scharf, ja? Zeig mal Foto! Glaub ich Dir nicht, dass Du keins hast! Egal, wichtig ist, dass es passt. Was hast Du für ein Sternzeichen? Ach, das hab ich gleich gewusst. Du bist echt so voll der super-relaxte Typ. Deine Oma war Waage, stimmt’s? Weil Du hast voll die Vibes von deiner Oma und deinem Opa, ganz ehrlich, ich spür das! Aber Sami, das ist blöd, Du sollst nicht so sein. Dann nützen dich die Menschen nur aus, im Ernst jetzt. Du bist einfach, deine Aura kribbelt mich echt die ganze Zeit, Alter! Du musst Dir das unbedingt bewahren, sowas gibt’s nicht oft. Willste Drogen? Kann ich dir geben. Koks? Amphetamine? Crack. Hab ich alles auf Tasche, sag ruhig. Ein Kilo, kein Problem! Haha, ich mach nur Spaß, haste gemerkt, oder? Also wenn Du jetzt ’ne Frau wärst, dann würde ich meine jetzt betrügen müssen, Du bist so’n dufte Typ. Aber puh, ist ja Gott sei Dank nicht so. Aber geiler Bart! Haste Kinder? Wusste ich. Aber deine Vibes! Du wirst eine Tochter bekommen, ich schwör’s, eine Tochter! Am 14. Mai! Versprich mir: Ruf mich an, wenn ich danebenliegen sollte, echt jetzt. Ist total wichtig! Hörst Du mir noch zu?“

Und das liest sich witziger als es war.

Unterwegs hat er dann noch einem Kumpel auf die Mailbox genölt, dass er gefälligst wach werden sollte, er habe sich schließlich extra heimlich von der Party seiner Frau geschlichen, um zu ihm zu kommen.

Bei der Bezahlung ist er immer kleinlauter geworden. Aus „jede Summe, die du willst“, wurden 50, 40 und schließlich der Fahrpreis plus ein paar in den Lüftungsschlitzen verteilte Münzen mit dem Gegenwert von 1,20€.

Meine Hoffnung, er hätte ohnehin beim Rumwedeln versehentlich einen Fuffi oder einen Hunni beim Aussteigen, hat sich leider auch als unbegründet erwiesen. Wo ist das Schmerzensgeld, wenn man es mal verdient!?

Am Ende war’s ja nur eine stinknormale Fahrt, lediglich mit übertrieben hohem Bullshit-Auswurf. Aber was willste machen, ist halt der Marvin, ne? N‘ dufte Typ, echt jetzt. 😉

Sicherheitsteam an Fahrgast: „Rechts alles sicher!“

Sie hat mich nur für eine Kurzstrecke rangewunken und nach dem schon schwierigen Einstieg beim Aussteigen um meine Hilfe gebeten. Was kein Act war. Sie brauchte eine Hand zum Festhalten und nach kurzer Abschätzung der vorliegenden Umstände war ich mir ziemlich sicher, die kleine gehbehinderte Frau notfalls am ausgestreckten Arm tragen zu können.

Hab ich natürlich nicht ausprobiert. Stattdesen hab ich sie einfach nur die 10 Meter bis zur Haustür geleitet und dort auf ihre Bitte hin abgewartet, bis sie diese hinter sich geschlossen hatte. Ohne dafür einen Grund zu haben, hab ich dann tatsächlich wie so ein Bodyguard mal eben rechts und links die Lage gecheckt. OK, war natürlich kein Mensch auf der Straße, es war in Niederschönhausen und nach 20 Uhr. Aber sicher ist sicher. Und die alte Dame hat ihre 50 Cent Trinkgeld damit zumindest gefühlt sichtbar gut angelegt. Ich hab ihren Dank mit einem ehrlichen „Die Minute hab ich immer, gute Frau!“ beantwortet – und nach vielleicht vier Minuten insgesamt war die komplette Tour erledigt.

Für die Kundin war’s offensichtlich eine wirkliche Hilfe – für mich eher ein kurzer Backflash in gleich zwei meiner alten Jobs: Behindertenfahr- und Sicherheitsdienst. Darauf, dass sich das mal in einer Tour ergibt, hätte ich ja keine Wetten abgeschlossen. 😉

Neue seltsamste Startfrage

Kunden wollen ja gerne mal dies und das wissen. Die Kundin heute Nacht hat die Konversation eher seltsam begonnen:

„Bist Du ein normales Taxi?“

Ich will jetzt noch nicht einmal auf dem Unterschied zwischen mir und meinem Auto rumhacken; nein ich war einfach etwas erstaunt, was sie so unsicher gemacht hat. Ich meine, ich stand mit einem hellelfenbeinfarbenen Auto und leuchtendem Taxischild an einem Taxistand – was werde ich wohl sein? Ein Tintenfischzüchter?

Tatsächlich ist sie nur als erste mit dem Werbeschild auf dem Dach durcheinandergekommen. Da ist derzeit Werbung für einen Autovermieter drauf – und das hat sie irgendwie irritiert. Am Ende hat sie mir geglaubt und ich hab auch keinen Mietwagen aus dem Ärmel gezaubert, den ich ihr andrehen wollte. 😉

„Sie sind ein Hipster!“

„Äh … glaube nicht.“

„Sie fahren doch nicht ernsthaft Taxi, oder?“

„Naja, ich schreibe nebenbei, aber sonst schon.“

„Und wo wohnen Sie?“

„Ganz weit draußen im Osten. Marzahn.“

„Ja, aber aber …“

„Ist so. Da sind die Mieten noch niedrig.“

„Aber Sie würden doch nicht in Marzahn wohnen, wenn Sie nicht Hipster wären. Beweisführung abgeschlossen!“

Tja, sorry liebe Leserschaft, aber ich muss mir jetzt wohl eine hässliche Brille wachsen lassen.

Fundsachen: The next level

Da hab ich neulich erst eine Tendenz zu mehr Fundsachen zu erkennen geglaubt. Dann habe ich bei einem iPhone bereits darum gebettelt, dass das wieder vorübergeht. Und jetzt dann eine Strickjacke.

Textilien sind so ein Thema, wenn sie Fundsachen werden. Bei mir waren das bisher immer Schals und Handschuhe – und da hab ich die 10€-Ausnahmeregelung (bis 10 € muss man Fundsachen nicht melden) immer großzügig ausgelegt. Denn selbst wenn irgendwelche H&M-Faustschmeichler einen Zwanni gekostet haben mögen: Wenn ich den Aufwand von mir, dem Fundamt und am Ende dem erfreuten Zurückbekommer addiere, ergibt das nie einen Sinn. Zumal ich bezweifle, dass irgendwer sich wegen eines abgewetzten Schals ernsthaft ans Fundamt wendet. Man möge mich deswegen verurteilen, aber ich hab schon zwei oder drei Dinge einfach in die Tonne gekloppt.

Und jetzt kam diese fucking Strickjacke.

Lag nach der Schicht einfach auf der Rückbank. Ein schwarzes und offenbar mit Parfum imprägniertes Etwas mit erkennbar null Funktion. So ein Bauchfrei-Modell, im Wesentlichen also ein BH mit Ärmeln. Keine Taschen, erkennbar abgenutzt und in meinen Augen ein 1a-Kandidat für Germany’s next Top-Mülltonne. Aber ich bin da nicht vorschnell und hab einfach mal den Hersteller gegoogelt. Nicht, dass das am Ende … HOLY FUCKING SHIT!

Ja, da war ich dann. Auf der Website von Sonia Rykiel. Und hab festgestellt, dass die Oberbekleidung zu Preisen verticken, bei denen meine Peergroup an motorisierte Fahrzeuge denkt.

Ja ja, ok, sie haben auch Klamotten für dreistellige Beträge. Aber trotzdem!

Nun ist es halt so: Ich mag’s noch so obszön finden, dass jemand einen Monatslohn von mir für ein unförmiges Stofftaschentuch ausgibt – ich kann aber nicht in der einen Woche ein zerkratztes iPhone artig melden und in der nächsten ein Kleidungsstück mit demselben „Wert“ in die Tonne hauen. Der Gedanke, dass das jemandem fehlt, drängt sich halt doch auf.

Also hab ich das Ding heute Nacht abgegeben und einen Cop fünf Minuten lang davon abgehalten, sich vor dem PC zu langweilen.

Und Karma, falls Du hier mitliest: Dafür erwarte ich mindestens drei Zehner im Fußraum! 😉

Man kann immer noch was lernen …

Ich werde ja gerne mal für mein Englisch gelobt. Und natürlich gefällt mir das. Ich halte mich deswegen nicht für ein Englisch-Ass, aber besser als ständig korrigiert oder gefragt zu werden, was man überhaupt meint, ist es natürlich. 😉

Heute war dann eine auch etwas multinationale Truppe Teil meiner Arbeit und ein Fahrgast, auch er Deutscher, wurde von einer finnischen Bekannten gefragt:

„By the way: You speak such a good english! How do you do that?“

Und der Kerl hat eine Antwort gegeben, die ich jetzt auch mal ausprobieren muss:

„I fake it. I have no idea what I’m sayin‘. I just take it from the movies.“

Auf dem Level macht das doch erst richtig Spaß! 😀

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

„Zur Warschauer“

Mit den Worten fängt vom Ostbahnhof selten eine gute Tour an. Es ist halt eine Straße in ca. einem Kilometer Entfernung. Gut, Luftlinie klappt nicht, aber über zweie kriegt man auch nur sehr knapp zusammen. Im gestrigen Fall war das die lukrativste Tour des Abends. Denn es ging erst mal zum inzwischen wahrscheinlich deutschlandweit bekannten 24h-Kaiser’s – und dort kaufte meine Kundin erst einmal ein. Danach ging es noch an den Boxhagener Platz, einer Freundin was vorbeibringen.

Zu guter Letzt ging es wieder zurück zur Warschauer. Und da standen dann 18,90 € auf der Uhr. Bei vielleicht drei gefahrenen Kilometern. Und dass die gute Frau auf 22 € aufgerundet hat, hat die Sache dann endgültig zum lohnenden Stich gemacht und den Anfang der Schicht richtig gut gemacht.

Schade nur, dass es dabei nicht blieb. Im Verlauf des Abends hatte ich nicht nur eine gesalzene Wartezeit für eine Kurztour ohne Trinkgeld – nein, danach hatte ich mehrere Stunden das Vergnügen, stets hinter angeschalteten Taxifackeln herzutuckern. Es war nicht einmal so, dass es keine Winker gab – aber die haben fast alle die Kollegen vor mir gekriegt. Ihr dürft mir für heute Nacht die Daumen drücken, ich hab da was aufzuholen … 🙂