„Nicht so clever“

„Und? Länger weg gewesen?“

„4 Wochen Nordsee. Bohrinsel.“

„Oha, war sicher hart.“

„7 Tage, 12 Stunden.“

„Na dann Glückwunsch zur Freizeit jetzt! Hoffe, es hat sich wenigstens gelohnt.“

„Sonst würd‘ ich’s nicht machen. Weißte, ich bin halt nicht so clever. Ich hab keine andere Wahl. Ich muss halt so ’nen Scheißjob machen, um mein Geld heimzuholen. Andere sind schlauer, die verdienen die Kohle dann halt von Zuhause aus, ich muss eben raus. Aber so ist das: jeder so wie er kann …“

Er war nicht einmal sonderlich sympathisch. Und ich halte auch nicht viel vom Arbeiterklassenethos. Aber ich hab zu schätzen gewusst, dass da da einer die Größe hatte um zuzugeben, dass er nicht die Geisteskraft hat, am Schreibtisch produktiv zu sein. Das macht ihn in meinen Augen besser als viele, die sich von oben herab für schlauer halten als der Rest, obwohl sie eigentlich nur Glück hatten.

Seine zwei Wochen Freizeit, die er (inzwischen vor ein paar Tagen) angetreten hat, will er hauptsächlich mit seiner Freundin im Bett verbringen. Was ich bei so langen Außeneinsätzen nachvollziehbar finde. 🙂

Wir sollten nicht vergessen, dass es auch diese Leute sind, die unseren Wohlstand hierzulande mitgestalten, ganz ehrlich.

Meinen übrigens auch: Er hat über 20% Trinkgeld gegeben.

12 Kommentare bis “„Nicht so clever“”

  1. hrururur sagt:

    Weil auf den Bohrinseln ja auch die unterkommen, die es sonst zu nix bringen würden. Ist richtig -.-‚ selbst wenn er da der letzte Franz ist, verdient er in der Woche mehr als du im Monat -.-‚

    Ein Studienkollege von mir, also fertiger Maschbauingeneur, ist auch auf der Bohrinsel und schraubt da Bohrköpfe ab und wieder an. Also die ganz dreckige Arbeit. Der ist in der Bohrinselhierarchie irgendwo auf Höhe des Putzeimers. Er hat vorher bei Audi gearbeitet(die ihre Ingenieure auch schon gut bezahlen…), aber das hier war lukrativer. Aber klar, die werden sicher auch jemanden nehmen, der zu blöd ist sich die Schuhe zu binden, die Stiefel haben eh Klett^^

    Aber eins musst du mir erklären: was hat Geisteskraft mit Schreibtischtauglichkeit zu tun?

  2. ichso sagt:

    Leute, die in der Lage sind, ihre eigene Situation so reflektiert und kritisch zu sehen und das auch noch so zu äußern, sind selten dumm. Ich denke eher, dass der Mensch – aus welchen Gründen auch immer – eine seinen Fähigkeiten angemessene (Schul)-Ausbildung verpasst hat.

  3. Sash sagt:

    @hrhrurur:
    Das klingt ja fast schon genervt, dabei hab ich im wesentlichen nur wiedergegeben, was mir der Fahrgast gesagt hat. Und dass der sicher mehr verdient als ich, ist mir auch klar. Dazu muss man auch nicht auf eine Bohrinsel. 😉
    Den Schreibtischvergleich hat er selbst gezogen. Er hat gemeint, er hätte es nicht so mit Schreibtischarbeit, er sei eher einer, der die groben Dinge anpackt. Ob er mit der Einschätzung richtig lag (und was er überdies unter Schreibtischarbeit verstand), weiß ich auch nicht einzuschätzen. Er hat das bloß für sich konsequent ausgeschlossen.

    @ichso:
    Das kann gut sein, ein bisschen den Eindruck hatte ich durchaus auch. Aber wie so oft war die Fahrt zu kurz, das weiter zu vertiefen …

  4. Sam sagt:

    Ich kenne jemanden, der mit entsprechender Schulbildung sicher viele Berufe ausüben könnte, jetzt aber nur Aushilfstätigkeiten bekommt. Leider wurde ihr von ihrer Umwelt immer erklärt, dass sie dumm sei und ihre Mutter hat ihr beigebracht, dass sie eh zu Hause zu bleiben hat, sobald sie einen gut verdienenden Mann gefunden hat. Ich arbeite hart dran, ihr etwas Selbstbewusstsein einzutrichtern, aber alles was denkende Tätigkeit ist wird oft sofort mit „das kann ich nicht“ abgewiegelt. Dabei zeigt sich in Gesprächen immer, dass sie mit etwas Unterstützung und Ausprobieren viel hinbekommt.

  5. hrururur sagt:

    @Sash: das ist auch etwas genervt. Nicht von dir genervt, sondern von deinem Gast.

    Aber bei der Schreibtischsache versteh ich deine Sicht(oder was auch immer) gerade nicht.

  6. El Nico sagt:

    @Sam: Solcherlei Personen gibt’s leider viel zu viele – also insbesondere solche, die „das Umfeld“ darstellen und dem Nachwuchs derlei Humbug eintrichtern; und solche, die dadurch beeinflusst wurden und werden, und damit Chancen verbaut bekommen.

    Kniffliges Thema. Einerseits könnte man natürlich argumentieren: „Mensch, probier doch einfach mal aus! Selbst schuld, wenn du alles mit ‚Kann ich eh nicht‘ abwiegelst!“ Andererseits sitzt dieses „Kann ich eh nicht“ wahrscheinlich aufgrund des Einflusses anderer Leute so tief verwurzelt, dass nicht genügend Willenskraft da ist, es einmal aufzubrechen.

    Mit vielen Geschlechterklischees ist es wohl ähnlich: Ich vertrete ja die These, dass viele junge und alte Frauen vor allem deshalb nicht einparken können, weil sie seit jeher gehört haben, dass Frauen das nicht können, und es daher gar nicht erst ambitioniert zu lernen versuchen bzw. den dritten Fehlversuch dann als Bestätigung der allgemeinen Meinung sehen und aufgeben. Und wenn dann auch noch Evolutionspsychologen ankommen und sagen, das hinge ja damit zusammen, dass Frauen generell eine schlechte räumliche Wahrnehmung hätten, könnt ich im Kreis kotzen. Ich hab aufgrund einer Hornhautverkrümmung auf einem Auge exakt gar keine räumliche Wahrnehmung und parke trotzdem ein wie ein junger Gott (seichte Übertreibung beabsichtigt :). Man muss sich nur zu helfen wissen, und ein mangelndes räumliches Wahrnehmungsvermögen kann man wunderbar mit einem geometrischen Vorstellungsvermögen ausgleichen, das man sich mit einer derartigen Einschränkung sowieso in den ersten 18 Lebensjahren angeeignet hat. Bullshit alles, ganz großer Bullshit.

    Sorry für den langen Rant. Jedenfalls: Wenn jemand eine realistische Sicht auf sich und seine Fähigkeiten hat, und sich anhand derer seinen Platz zu suchen versucht, finde ich das auch toll und groß. Aber das derart negativ zu formulieren wie Sashs Gast…das ist schade. Schöner wäre eine Attitüde à la „Meine Schul-/Allgemein-/Whateverbildung ist nicht so groß, dafür kann ich echt gut schwere Dinge anpacken.“ Und schon hätte der Mensch mal mindestens meinen Respekt, weil sich mein Talent mit „schweren Dingen“ auf die Bedienung eines Schlagbohrers beschränkt.
    Jeder Bus-, jeder Zug-, jeder Taxifahrer trägt mehr Verantwortung als ich, der ich eine IT-Abteilung leite – zumindest bzw. auf jeden Fall dahingehend, dass er unmittelbar die Verantwortung dafür trägt, dass seine Fahrgäste unbeschadet an ihr Ziel kommen. Und wenn jemand dies und das und jenes ausprobiert hat, und dann gemerkt hat, dass ihm Zug-/Bus-/Taxifahren/schwere Geräte auf der Ölbohrplattform zu bedienen taugt, dass er das kann und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, dann ist das doch prima.

    Ein Kommilitone von mir hat drei Studien angefangen: Mathematik, Informatik, Technikjournalismus. Er ist ein hochintelligenter Kerl mit einem wahnsinnigen Ausdrucksvermögen und einem wunderbaren Sinn für Humor sowie einem phänomenalen Allgemeinwissen im technischen Bereich (sei’s Maschinenbau, Computerei, Elektrotechnik, alles). Letztendlich ist er nun Lokführer und absolut glücklich mit seinem Job, weil’s eigentlich schon immer sein Traum war, große, schwere Geräte von A nach B zu bewegen, und es für den Piloten leider nicht gereicht hat.

    Ist doch super, sowas. Aber nein: Man bekommt eingetrichtert, dass nur hochdotierte Büroberufe „was Richtiges“ sind, wobei sich die Frage stellt, wieso eben wesentlich verantwortungsvollere Berufe teils viel schlechter bezahlt werden. Ich weiß es nicht.

    Puh. Dabei wollte ich doch nur kurz anmerken, dass ich Sam beipflichten möchte. 🙂

    Schönes Wochenende allerseits!

    Und wer Spaß dran hat: Besagter Kommilitone hat zeitweise auch mal gebloggt, und es macht immer noch viel Spaß, das ab und an mal zu lesen: http://hermannwillie.blogspot.de/

  7. Sash sagt:

    @Sam:
    Ja, das ist natürlich unschön. Und wie El Nico ja auch ausgeführt hat, ist das leider nicht selten. Ich kann natürlich bezüglich meines Fahrgastes schlecht mal eben aufgrund von 5 Minuten einschätzen, wie es jetzt um seine Selbsteinschätzung gestanden hat. So tief ins Leben anderer will ich bei der Arbeit eigentlich auch nicht immer eindringen.

    @hrhrurur:
    Welche Sicht denn? Er hat den Schreibtisch als Symbol für nicht-körperliche Arbeit gewählt. Nicht mehr und nicht weniger. Und sah seine Stärken in der körperlichen Arbeit. Das ist doch an und für sich jetzt keine irgendwie weit hergeholte Unterscheidung, oder?

    @Sam:
    Ach, niedergeschrieben klingt das viel negativer als es war. Er machte den Eindruck, als wäre das ok für ihn.

  8. MsTaxi sagt:

    Die seit Kaisers Zeiten angenommene vermeintliche Überlegenheit des white-collar-workers gegenüber dem blue-collar-worker (eine Unterscheidung, die ich übrigens viel weniger bildungsdünkelgeprägt finde) in Sachen Status und Ansehen ist halt leider immer noch noch nicht vollends überwunden. Wobei traditionell gerade wir Taxifahrer lt. Klischee ja eigentlich das beste Beispiel dafür sind, wie Geistesarbeiter vor die Hunde gehen *smile* Oder sind wir nicht alles gescheiterte Geisteswissenschaftler, die nur dank einer Alkolholabneigung keine Gastronomen geworden sind?

    Dass eine berufliche Tätigkeit gleich welcher Art nicht nur den Lebensunterhalt ermöglichen soll, sondern einem idealer Weise auch noch Spaß bereitet, ist leider immer noch nicht ausreichend im Mittelpunkt gesellschaftlichen Denkens angelangt. Dass das jemals passiert, ist vielleicht auch nur eine Utopie, der ich gerne anhänge, wer weiß.

    Mich fragte mal ein Fahrgast, ob ich meinen Job als Taxifahrerin gerne machen würde. Ich bejahte seine Frage ehrlich. Auf seine Antwort hin, er habe einen Job, den er hassen würde, der aber bannig viel Kohle brächte, an die er sich halt auch gewöhnt habe und den er deshalb nicht aufgäbe, konnte ich nur erwidern, dass er mir dann wirklich furchtbar leid täte. Tat er mir und tut er mir heute noch.

  9. Wahlberliner sagt:

    Ich hätte ja sovieletausend Sachen zu dem Thema zu sagen. Zunächst: Gerade bei Menschen, die im Osten (oder später in Gegenden östlicher Prägung) groß geworden sind, wo die „Arbeiterklasse“ ideologisch glorifiziert wurde (und die „white collars“ praktisch dort integriert wurden) ist es oft so, dass sie sich in unserer westlich geprägten Welt abgewertet fühlen, und fehlende Bildung wird ja leider oft mit Dummheit gleichgesetzt, was dann dazu führt, dass manche Leute damit kokettieren. So klang das für mich zumindest beim Lesen.

    Ansonsten ist es wie immer die große Frage danach, den „Sinn des Lebens“ (was jeder für sich für die Erfüllung hält) entweder in einer Arbeit zu finden, oder nicht – deshalb bin ich schon lange der Meinung, dass das Modell des „Arbeitslohns“ für den Lebensunterhalt auf die Müllhalde der Geschichte gehört. Interessant dazu auch der Text „On the Phenomenon of Bullshit-Jobs“ von David Graeber: http://strikemag.org/bullshit-jobs und das Interview, was er daraufhin gegeben hat: http://www.salon.com/2014/06/01/help_us_thomas_piketty_the_1s_sick_and_twisted_new_scheme/

    Sowie im Zusammenhang damit das epische Video „Humans Need Not Apply“ von CGP Grey: https://www.youtube.com/watch?v=7Pq-S557XQU

  10. Mausflaus sagt:

    ich musste bei „die verdienen die Kohle dann halt von Zuhause aus,“ als erstes an telefonsex denken, und da ist ja auch nicht unbedingt der höchste iq erforderlich ^^

  11. hrururur sagt:

    Weil es doch nichts mit Gehirnschmalz zu tun hat, ob man gerne am Schreibtisch arbeitet

  12. Taxi 123 sagt:

    Problem ist derzeit nur, daß Kopfarbeit besser als Handarbeit bezahlt wird. (ja, ich kenne auch Ausnahmen) Wobei man über den realen Wert und die Notwendigkeit der jeweiligen Arbeit sicher trefflich streiten kann: Bäcker, Fleischer, Taxifahrer vs. Sekretärin, Sachbearbeter, Manager

    Außerdem wird immer wieder von Karriere gesprochen, die können aber sicherlich auch nur ein paar Prozent machen und alle anderen die denken das muß sein fühlen sich frustriert. Zum Beispiel bei der Stadtreinigung ist für die wirklichen Arbeitskräfte die „Karriereleiter“ doch sehr kurz und trotzdem möchte ich Menschen die dort arbeiten nicht missen.

    Meiner Meinung nach muß ein Umdenken stattfinden, wie und wofür und in welcher Höhe Bezahlung erfolgen sollte.

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