Stammkundschaft

Dank meiner ja doch eher, sagen wir: eingeschränkten Arbeitszeit bin ich ja nicht so der Held im Sammeln von Stammkundschaft. Hauptsächlich ein paar Leser, deren Ausflüge hier und da mal passen, rufen gelegentlich an. Ansonsten beschränken sich vermehrte Fahrten mit den selben Fahrgästen auf Leute, die am Ostbahnhof einfach durch Zufall mehrmals bei mir landen.

Bei dieser eigentlich nicht wirklich als Stammkundschaft zu bezeichnenden Fahrgastgruppe gibt es natürlich solche und solche:

Ein netter, schweigsamer, älterer Herr, der gerne bis Zehlendorf fährt,

einen ziemlich nervigen Meckerer, der bei der Bahn arbeitet

und eine Kollegin von ihm, die mir eine meiner liebsten Kunden ist.

Es gibt auch noch einen netten Kerl, der zwar nur eine kurze Strecke fährt, dafür aber gerne geräumige Autos nimmt und ebenfalls nicht sparsam beim Trinkgeld ist. Wahrscheinlich gibt es sogar noch weitere, aber ich bin mit einer Gesichtsblindheit gesegnet, die in dem Job nicht wirklich toll ist.

So hab ich auch dieses Mal ein wenig skeptisch geguckt. Der riesige Typ mit der Glatze stand schon ein paar Minuten rauchend mit einem Kumpel auf der anderen Straßenseite am Stand und ging dann auf mich zu. Der Kerl, ein Brecher sondersgleichen, mich in Größe und Umfang noch toppend, bleibt still und sagt nur sein Fahrtziel an. Tief im Südosten, gute 25€-Tour. Ein zwei Fragen zur Strecke, er ist ein angenehmer Fahrgast, was sein Äußeres so nicht unbedingt vermuten lässt. Aber das hab ich über mich als Fahrer auch schon gehört.

Wir waren am Schlesi, da meint er, er hätte gerade eine längere Tour durch die USA gehabt, woraufhin ich einfach mal unsicher aber frech gesagt habe, dass wir ja trotzdem nicht das erste Mal zusammen fahren würden. Die Kombination kam mir bekannt vor – und bingo:

„Ja, damals hab ich noch bei ‚Night of the Jumps‘ gearbeitet.“

Er freute sich, dass ich ihn wiedererkannte – und es gibt wirklich nichts schöneres als bei Leuten, bei denen man sich wegen irgendwas unsicher ist, ein Lächeln zu sehen. Damit aber war der Schalter sofort umgelegt. Als ob wir uns ewig kennen würden, haben wir uns geduzt und er hat angefangen, wieder mal von seinem Job zu erzählen. Er ist nämlich Kameramann, früher bei besagter „Night of the Jumps“-Veranstaltung, inzwischen für Red Bull direkt bei einem ähnlichen Zirkus weltweit. Abgesehen davon war er wohl auch beim Stratosphärensprung von Felix Baumgartner vor Ort.

Ist alles im Prinzip so überhaupt nicht meine Welt, aber mein Fahrgast hat eine wahnsinnig angenehme Art, über seine Arbeit zu reden, dass es auch mich immer wieder fesselt. Ich mag das ja, wenn Menschen so richtig in ihrer Arbeit aufgehen, und das scheint bei ihm definitiv der Fall zu sein. Ich hab zumindest sonst noch von niemandem lachend erzählt bekommen, dass er schon dreimal bei seiner Arbeit von einem Motorrad getroffen wurde.

Mit der Zeit erinnerte ich mich zumindest vage wieder an die Zieladresse, aber das sind ohnehin so Fahrten, die meinetwegen gerne ein bisschen länger dauern könnten. Der Fahrpreis wurde – daran hab ich mich dann schnell erinnert – wie jedes Mal großzügigst auf 30 € aufgerundet. Wenn es überhaupt irgendwas negatives benennen könnte, dann, dass man nachts kurz von der Stadtgrenze einfach zwingend noch ein paar Leerkilometer ansammelt. Aber in Anbetracht der ganzen Umstände: Wayne?

Und es ist schön, dass es umgekehrt wohl ähnlich sein muss. Denn wenn man wie ich jetzt auch noch auf der zehnten Halteplatzposition mit solchen Fahrten beglückt wird, dann muss man doch wohl auch irgendwas richtig machen. 🙂

19 Kommentare bis “Stammkundschaft”

  1. Tk sagt:

    Stammkundschaft fand ich nie so erstrebenswert. Rufen an wenn es auch so prima läuft,oder wenn man am anderen Ende der Stadt ist oder wollen dann irgendwann einen Festpreis. Gegen zufällige Stammkundschaft ist natürlich nichts einzuwenden. Übrigen das Problem mit dem „Gesichter wiedererkennen“ hab ich auch. Ich versuche immer, irgendwelche Besonderheiten des Gegenüber abzuspeichern.

  2. Opa Hans sagt:

    Ha, da outet sich noch einer als gesichtsblind! Ich könnte Stories erzählen … Vielleicht sollten wir Gesichtsblinden eine Selbsthilfegruppe gründen. Man müsste nur bei jedem Treffen aufs Neue eine Vorstellungsrunde machen …. 🙂

  3. Sash sagt:

    @Tk:
    Naja, das mit den Festpreisen erledigt sich bei mir dadurch, dass es in der Regel Leser sind. Die wissen ja, was erlaubt ist und was nicht. 😉
    Aber das mit den Zeitpunkten stimmt natürlich. Klassischerweise Samstags um 4 Uhr. Aber wenn es dann eben doch mal Montags um eins ist, freut man sich doppelt. Beim Gesichtererkennen lebe ich inzwischen davon, dass ich erkannt werde. Hat ja nicht nur Nachteile, sich selbst ein bisschen in die Öffentlichkeit zu stellen. 😉

    @Opa Hans:
    Ach, geoutet hab ich mich schon früher mal. Die Selbsthilfegruppe wäre allerdings wirklich geil: „Und Sie waren wer nochmal?“ 😀

  4. Aro sagt:

    Dieser Gruppe kann ich mich sofort anschließen! Echt peinlich, wenn einen der Fahrgast wiedererkennt, man sich aber sicher ist, den noch nie gesehen zu haben 🙂

  5. elder taxidriver sagt:

    Und dann gab es noch den Mann, der sein Gesicht morgens im Spiegel erblickte und sagte: Kenn ich nicht, rasier ich nicht.

  6. Taxi 123 sagt:

    Er hat einfach nur nach einem großen Fahrer gesucht – die anderen hätten sich erschreckt und Angst bekommen! 😉

  7. leserin sagt:

    elder taxidriver,

    solange man nur heiße setterhündinnen datet ist das ja auch unnötig, gegen deren behaarung stinkt man ohnehin nicht an.

  8. elder taxidriver sagt:

    Liebe Leserin, so einen lustigen Irrtum derart zu kommentieren, finde ich humorlos und geschmacklos.

  9. elder taxidriver sagt:

    Oder ist das jetzt auch lustig gemeint? Ich wees es nich..

  10. leserin sagt:

    klar wars lustig gemeint. deine beschreibung foltert mein zwerchfell IMMER noch. zuerst wollte ich strichliste führen wie oft ich es immernoch witzig finde, aber das hab ich schnell aufgegeben. blog doch auch mal, biiiiiitte. 🙂

  11. Sash sagt:

    @Aro:
    Dann immer reinspaziert! Wird aber langsam eng hier. 🙂

    @Taxi 123:
    Glaube ich nicht.

    @leserin:
    Der war gemein – aber ich konnte mir das Lachen auch nicht verkneifen. 😀

  12. elder taxidriver sagt:

    LESERIN und Sash und meine Frau sind alle einer Meinung : Da streich ich die Segel der Empfindlichkeit..

    Und selber bloggen?
    Da kann ich nur Anton Karas zitieren, der in dem Film ‚Der Dritte Mann‘ mit Orson Welles die berühmte Zither-Melodie gespielt hat. Gefragt warum er nicht nochmal ’ne Melodie komponiert, meinte:
    ‚ Was Bessres kann ich nicht und was Schlechtres mach ich nicht‘.
    Soll heißen : Einen besseren Blog als Sash kann ich nicht und einen schlechteren mach ich nicht. Dididim di dim di dim ..

  13. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Du solltest dein Licht nicht so unter’n Scheffel stellen. Deine Anekdoten sind wunderbar und dein Schreibstil ist gut. Selbst wenn Dir meiner besser gefällt, ist das kein Grund, es nicht anders auf andere Art gut – oder gar, ja: besser – zu machen.
    Und auch wenn ich fast täglich blogge – wir haben doch im Internet alle Maßstäbe neu gesetzt: Eine Anekdote pro Woche – dafür gut und wie üblich bei dir mit Zitaten und Verweisen angereichert – das reicht. Lies mal meine ersten Einträge – das lag weit unter deinen Kommentaren. Und man muss sich mit dem Bloggen ja nicht so einen Stress machen wie ich.
    Ich wäre wirklich sehr dafür, Du hast was zu erzählen und darauf kommt es in erster Linie an.
    (Alternativ biete ich natürlich auch gerne eine Gastkolumne hier bei GNIT an.)

  14. elder taxidriver sagt:

    Vielen Dank Sash, aber ich komme hier lieber reingeschneit, wenn’s geht. Ich brauche Deine Vorlagen, so nach dem Motto:
    ‚Das ist ja noch gar nichts..‘.

  15. Wahlberliner sagt:

    Ich schließe mich der Petition „für ein Blog des elder Taxidrivers“ höchst entschieden an!

  16. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Ich verstehe. Könnten ja auch einen Dialogblog führen … 🙂

  17. elder taxidriver sagt:

    Meine Frau schleppt mich jetzt in den Park ich muss Tischtennis spielen. Auf meine dezidierte Frage wozu das gut ist:
    ‚Für Alles‘. Tschühüüs.

  18. sb sagt:

    apropo Stammkunden: Gut, dass es gesten von dir aus nicht ging, mein Flug wurde annuliert und ich bin dadurch früher in Tegel gelandet. Ich musste zum Gate fast sprinten. Aber besser als ein späterer Flug, so früh war ich schon lange nicht mehr zu Hause

  19. Sash sagt:

    @sb:
    Manchmal ist selbst misslungenes Timing gelungen. Oder so. 🙂

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