Kommst du mit?

Es gibt Fahrten, die sind für Taxifahrer entweder besonders stressig oder besonders nett. In meinem Universum sind die meisten davon einfach nett. Der Grund dafür ist simpel: Zum einen mache ich diesen Job mit fast all seinen Widrigkeiten gerne. Da bin ich ein Optimist. Ist kein Kunde da, freue ich mich, dass ich Zeit zum Lesen habe. Ist ein Kunde da, freue ich mich über das Geld. Ist die Fahrt nur kurz, freue ich mich, dass ich gleich wieder frei bin. Macht der Kunde Stress, freue ich mich, dass ich was zu bloggen habe…

Ich nehme nunmal gerne die Vorteile wahr und abgesehen davon, dass ich sicher nicht das finanzielle Maximum aus dem Job raushole, hat das erstmal keine negativen Auswirkungen. Eine Tour vom vergangenen Wochenende könnte als Vorzeigebeispiel dienen:

Ich stand in dritter Position am Ostbahnhof, als sich eine junge Frau durch mein Beifahrerfenster lehnt. Noch bevor ich irgendwas in die Richtung unternahm, war es mir erst einmal peinlich, dass ich in ihren Ausschnitt sehen würde. Selbsterfüllende Prophezeihung nennt man das wohl.

„Hi!“

„Hallo!“

„Ähm!“

„Oh, haben sie Gepäck?“

Ich saß immer noch im Wagen und schielte an Gesicht und Schultern vorbei auf ihren Rücken, konnte die Maße des Rucksacks aber nicht einschätzen.

„Nee, aber puh!“

Dass das kurios wird, lies sich unschwer erahnen.

„Fährste mich bis Ecke Grünberger?“

„Klar.“

OK, hätte eine der üblichen pseudopeinlichen Kurzstrecken-Anfragen werden können. Wurde es aber nicht. Sie schwang sich freudig und mit einem Übermaß an Energie ins Auto. Betrunken. Und zwar ziemlich!

„Das is, das is gut. Weil wenn weil ich hier… ich verkack das gerade alles!“

„Was denn?“

„Ich muss zur Ecke Grünberger und da wohn ich. Wie wir das mit deinem Geld machen, müssen wir mal sehen!“

Da greift oben genanntes: Nur eine kurze Strecke, also bin ich bald wieder frei. Sollte es Ärger geben, hab ich was zum Bloggen und zudem: Kurze Strecke, wenig Geld, wenig potenzieller Verlust! Also alles super! 🙂
Sie bemängelte es zwar, dass ich ihren Zustand komisch fand, verhedderte sich allerdings meist zwischen den Aussagen, dass sie mir für meine Hilfe „alles auf der Welt“ geben würde und dass „wir das mit dem Geld mal klären“ müssten.

An ihrer später und nach – für den kurzen Weg – relativ langer Diskussion ermittelten Adresse nannte ich dann den Fahrtpreis und sie bemerkte treffsicher:

„Ich bin in Taxi, oder? Scheiße ey, ist das krass!“

Das hat aber keine große Rolle gespielt, schließlich wollte sie mich ohnehin bezahlen 🙂
Geldbeutel war nicht vorhanden, folglich auch kein vernünftiges Pfand oder so. Aber die Lösung war offensichtlich:

„Kommst du mit?“

„Na klar.“

Ich parkte das Auto für eine Tour von 6,40 € mitten auf der Straße im Boxhagener Kiez, zweifelsohne locker 15 € Ordnungsgeld wert. Aber nee, das wollte ich jetzt sehen! Sie stolzierte voran, öffnete die Haustür mit einem beherzten Tritt und nach einem langen Flur, der Berlins umfangreichste Tag-Sammlung beinhaltete, gingen wir zum Hinterhaus, wo sie zunächst in einer dunklen Tür verschwand, um mir Sekunden später Licht anzumachen.

Den Weg die etwa 3 Stockwerke hoch verbrachte sie mit gelegentlichen Nachfragen, wer ich eigentlich sei und einem formschönen Flug auf die Schnauze. Tat ihr auch alles furchtbar leid und außerdem war sie dankbar, dass ich ja so nett sei. Na dann…

An ihrer Wohnung angekommen schloss sie erstaunlich fehlerfrei auf. Ich verharrte im Hausflur, bzw. auf der Türschwelle. Die Tatsache, dass sie mir Geld schuldete, hätte ich sicher als Berechtigung zum Eintritt in die Wohnung sehen können, aber ich weiss die Privatsphäre in meiner eigenen zu sehr zu schätzen, um ihr wegen 6,40 € auf die Pelle zu rücken. Unnötig.

„Komm rein!“

Ich betrat eine dieser typischen liebenswürdig chaotischen WG-Wohnungen. Abgeratzt bis zum Geht-nicht-mehr, aber auf urige Weise sehr gemütlich. Eine Wohnung, wie man sie vor den Eltern verstecken muss, vor den Freunden aber damit prahlt. Nun standen wir beide in ihrer Küche, ein paar Fliegen schwirrten um die 4 verlorenen Tomaten in einer Discounter-Pappbox auf dem Herd, und sie fragte mich abermals, wer ich eigentlich sei und vor allem, weswegen ich hier bin. Wahrscheinlich hätte ich sagen können, wir hätten uns im Club kennengelernt und wären zum Vögeln hier. Die drei Gründe, die dagegensprachen waren zweifelsohne: Meine Freundin, die mir auch nicht alles durchgehen lässt, mein Auto im Parkverbot und sowas ähnliches wie Moral.

Ich hab ihr also gesagt, dass ich der Taxifahrer bin und noch ein wenig Geld bekommen würde. Sie öffnete ihre Hand, legte dabei ein paar Münzen frei und fragte, wie viel es sei.

„6,40 €.“

„Und… und warum hab ich die dir nicht gleich gegeben?“

Wenn ich das mal wüsste 🙂

„Und was krieg ich jetzt von dir?“

„Leider nichts. Das Geld ist für die Fahrt hierher gewesen.“

Ein bisschen betrübt drückte sie mir 6,50 € in die Hand und umarmte mich.

„Weisst du, du bist ganz schön nett.“

„Ich versuche mein Bestes.“

Ein nettes Grinsen und dann schnell weg!

„Warte warte, ich mach dir das Licht an!“

Und so standen wir dann im Treppenhaus und sie forderte mich auf, sie nochmals zu umarmen. Ich hab ja auch Grenzen. Aber warum nicht? Ist ja dann doch ganz nett 🙂
Nach einer dritten Umarmung und einem Kuss hab ich mich dann aber gelöst und ihr von ein paar Stufen weiter unten noch eine gute Nacht gewünscht. Sie hatte sich noch nicht so recht mit unserer völlig überraschenden Trennung abgefunden, streckte sich theatralisch  mir hinterher und wiederholte, wie verdammt nett ich doch sei. Damit das nicht noch ausartet, bin ich aber wirklich los und hab mein Auto aus dem Parkverbot befreit, bevor die Cops es registriert hatten. Puh!

Aber auch wenn es nur 10 Cent Trinkgeld waren. Verkraftbar wäre das ja auch noch gewesen 🙂

8 Kommentare bis “Kommst du mit?”

  1. Petra sagt:

    Herr Bors, det hat hat mir jetze echt imprägniert, ihre Contenance. Sehr schöne Geschichte.

  2. Auf einmal ist es nur wieder die Freundin, nicht die Verlobte. 😀 Schöne Geschichte.

  3. TabulaRasa sagt:

    Schon niedlich, wenn betrunkene Frauen baggern ^^

  4. Sash sagt:

    @Petra:
    Danke! 🙂

    @Der Maskierte:
    Worauf ihr so achtet… alle Achtung! 😉

    @TabulaRasa:
    Ja, so ist es 🙂

  5. ednong sagt:

    War das vor deiner Verlobung? Oder wird jetzt aus der Heirat nix mehr?

    Und Hey – du bist wohl ein Netter 😀

  6. Wow, das kommt mir vor wie der Hemingway auf den Straßen Berlins … 😉 Ziemlich cool umgegangen mit der Situation. Respekt! Eigentlich müßte die Freundin das Verhalten zu schätzen wissen, aber der Kuss?!

  7. Aro sagt:

    „völlig überraschenden Trennung“ 😀
    Männer können ja so grausam sein.

  8. Sash sagt:

    @ednong:
    Klar bin ich nett! 😀

    @Alexander von Humboldt:
    Die kleinen aber feinen Vorzüge einer eifersuchtfreien Beziehung 🙂

    @Aro:
    Und wie! 😉

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