„Eine Leiche gibt’s immer…“
lächelte die junge Dame gequält, als sie einen massiven Typen auf die Rückbank schiebt. Der ist nicht mehr in allerbestem Zustand, grenzwertig auf jeden Fall. Aber lasse ich die Kunden jetzt stehen? Verzichte ich auf das Geld? Vertraue ich den Aussagen, er würde es sicher packen? In diesem – wie in den meisten Fällen – hab ich mich zum Transport entschieden, mit einer Mischung aus Verantwortungsbewusstsein und Geldgeilheit. Wie das beim Taxifahren wohl immer der Fall ist.
„Dann ist es aber nicht so gut, wenn er ganz links sitzt – da geht die Tür nämlich nicht auf!“
„Ach, im Notfall sagen wir Bescheid.“
Jetzt springen sicher gleich ein paar Kollegen auf und meinen, dass ich ja hier schon hätte abbrechen können. Gewiss, eine konkrete Gefahr bestand. Aber ich führe diese Dialoge so oft – und es passiert fast nie was. Ich hab mit solchen Truppen schon lustigste Fahrten und beste Trinkgelder gehabt – meist schafft man im Ernstfall ja noch so eine ganz eigene Art „Gefahrenbremsung“.
In diesem Fall war es ein Fehler. Als ich auf Bitten eines Mitreisenden angehalten habe, hatte „die Leiche“ schon lautlos aus dem Fenster gekotzt und eine ansehnliche Spur auf der Außenseite des Wagens hinterlassen. Es folgte eine kurze Pause, einiges an Abwischerei, und ich war immerhin froh, dass kaum etwas im Auto zu finden war. Die Truppe war zudem recht nett, sie kümmerten sich um ihren Freund und ich bekam auch schon den ersten Zehner „fürs Anhalten“ zugesteckt.
Ich hab das mit einem Verweis auf die laufende Uhr abgetan und gesagt, dass wir mal sehen würden, wie wir das hinkriegen. Bisher sah es zudem wirklich so aus, als ob die Geschichte mit einmal Waschanlage erledigt sein würde.
Den nächsten Kilometer verbrachte die Leiche dann auf der rechten Seite, wo die Türe auch von innen zu öffnen ist. Die Bitte zum abermaligen Anhalten kam auch dieses Mal kurz nach Entleerung des Magens aus dem Fenster. Na danke!
Damit waren das Auto, die Laune und absehbar die Schicht im Arsch. Warum hätte ich sie nicht noch eben bis nach Hause mitnehmen sollen?
„Ist nur um die Ecke.“
Diese Ecke maß etwa 3 Kilometer Fahrtweg. Dann standen wir da, und nachdem der Typ sich – trotz einiger Beherrschung in den letzten Minuten – gleich auf der Straße wieder erbrochen hat, ging es ans Bezahlen. Dem netten Beifahrer hab ich nach dem Herumreichen von Tüchern, kurzem Wischen hier und dort Herumgucken dann auch gesagt, dass jetzt natürlich der unangenehme Teil kommt. Ruhig und sachlich, wie das meine Art ist.
Was denn jetzt auf der Uhr stehen würde?
„15,90 €. Aber es ist wohl klar, dass das nicht der Preis ist, über den wir jetzt verhandeln.“
Völlig entgeistert wurde ich von hier und dort angeschaut. Ob ich etwa mehr haben wollte? Außerdem hätte ich ja schon einen Zehner…
Ich hab meinem Beifahrer mit angemessenem Bedauern erklärt, dass mir klar ist, dass das ein unschönes Ende für einen Partyabend ist, aber dass ich auch mein Geld verdienen muss. Dass ich das Auto jetzt erst einmal sauberzumachen hätte, und das – natürlich ausgerechnet – zu quasi der besten Zeit der Woche, zu der ich an jeder Ecke Kunden mitnehmen könnte. Und bei allem Verständnis für ihre missliche Lage: Ich würde nicht auf mein Geld verzichten, nur weil ihr Kumpel einen über den Durst getrunken hätte.
Etwas zögernd reichte er mir einen Zwanziger und erwartete so etwas wie ein
„Alles klar, schönen Abend noch!“
Das hat er natürlich nicht bekommen. Inzwischen wurden die Stimmen ums Auto herum lauter. Vom unangenehm drohenden
„Meister, du hast jetzt 30 €!“
bis hin zu
„Ey, 15 €! Auf dem Hinweg haben wir 5 € bezahlt! 5!“
war alles dabei. Noch viel besser: Ich hätte sie vorher darüber aufklären müssen, was es kostet, ins Auto zu kotzen. Außerdem sei ich selber schuld, weil ich die Kindersicherung links drin hätte. Im Umkehrschluß – als ich erwähnte, dass die Kindersicherung extra dazu da ist, dass Betrunkene nicht einfach auf die Straße springen, war ich dann selber schuld, weil die Kindersicherung ja schon beweisen würde, dass ich Betrunkene mitnehmen würde. Wir erinnern uns daran, wie froh die Truppe vor einer halben Stunde war, dass sie jemand mitgenommen hat, und dass ich auf die Kindersicherung hingewiesen habe.
Der Vorwurf mit den Kosten für die Fahrt ist auch extrem lustig, da sie mir nie ein Fahrtziel genannt, sondern die Strecke unterwegs angesagt haben. Und etwa 5 km Fahrtweg mit 5 Personen zuzüglich etwa 10 Minuten Wartezeit… kommt mir ziemlich tarifgerecht vor.
Aber gut, während der Großteil der Gruppe entweder kotzte oder mir vorwarf, ich wolle sie übelst über den Tisch ziehen, saß mein Beifahrer möchtegerngelassen da und wähnte sich in einer total guten Position. Die 14,10 €, die er mir nun quasi freiwillig obenauf überlassen hat, waren in seinen Augen unanfechtbarer Beweis, dass die Sache nun geklärt ist. Mit einem süffisanten Lächeln wollte er hören, was ich denn nun noch haben wolle. Ob ich etwa glauben würde, er solle mir nun 50 – oder gar 100! – Euro geben.
„Und ob ich das glaube.“
Die Antworten darauf könnte man als Beleidigung auffassen, aber da bin ich hart im Nehmen. Ich hab ihm nochmal erklärt, dass das nicht einmal sonderlich hochgegriffen ist, und ich wenn es nach meinem Chef ginge, die Kiste jetzt sowieso erst einmal professionell reinigen lassen müsste. Dass das wiederum noch mehr Zeit kostet und schnell mal bei mehreren hundert Euro liegt.
Sein Kumpel meldete sich wieder von der Seite und meinte, das eine Mal Waschanlage sei ja wohl von den 30 € locker mitbezahlt.
„Ach ja? Mit den übrigen 14,10 € komme ich auf Uhr gerade mal bis zur Waschanlage. Ohne zusätzliche Kosten und die Zeit, die das dauert!“
„Hör mal, bevor ich hier 100 € zahle, nehm ich dir dein ganzes Auto auseinander!“
„Gerne. Das ist auch eine Möglichkeit! Dann bleibt nur mein Verdienstausfall…“
Aber natürlich spinne ich total, bin unverschämt, ein Arschloch und dergleichen. Er stellte klar, dass er nicht zahlen werde, und ich, dass ich diesbezüglich nicht einverstanden bin und die Polizei rufen werde. Relativ friedlich eigentlich. Auf die Frage, ob ich irgendeinen Namen bekommen würde, bekam ich die Antwort
„Nimm Karl-Heinz oder so.“
Alles klar. Ich stand vor ihrem Haus, ihr Fenster war als einziges beleuchtet und die Haustüre haben sie gnädigerweise geöffnet gelassen, was die beiden angeforderten Streifenpolizisten auch dankbar nutzten, um zu ihrer Wohnung zu gelangen. Und was soll ich sagen? Selten habe ich zufriedener in ein WTF-Gesicht gesehen als heute morgen um 5 Uhr. 😀
Die Personalien sind also ausgetauscht, und zack – keine halbe Stunde später (etwa der Gegenwert der 14,10 €) – konnte ich mich also ans Putzen machen. Ich hab die Uhr angemacht, mir Putzutensilien von der Tanke und von zu Hause besorgt und die Kiste nach allen Regeln der Kunst bearbeitet und pünktlich zum Schichtbeginn meines Tagfahrers flecken- und geruchsfrei am Abstellort bereitgestellt. 70,60 € standen auf der Uhr, und in Anbetracht der Tatsache, dass ich ihnen eine teure Reinigung und (übers Wochenende!) gleich mehrere Tage Verdienstausfall erspart habe, ist eine Pauschale von 100 € fürs Putzen auch nicht unangemessen. Sind dann also irgendwas um die 170 €. Ich bin ja gespannt, ob darüber ein Gericht entscheiden muss, oder an welchem Punkt sie beschließen, es besser sein zu lassen. Beim netten Brief von mir, bei dem vom Anwalt, beim Mahnbescheid?
Mir soll es egal sein, ich hab Zeit.