Die gute Tat für heute

Manche Dinge sind für Taxifahrer unschön, aber besonders unschön werden sie dann, wenn sie in der falschen Reihenfolge erzählt werden. So war ich nicht wirklich begeistert von meinem Fahrgast, der um die 60 war, stank wie ein Gullideckel im Hochsommer und sich gleich attestierte, er sei „viel zu besoffen“.

Auf meine Nachfrage, wohin es gehen sollte, presste er neben vielen unverständlichen Satzteilen die Worte „Wohnheim“ und „um die Ecke“ heraus.

„Sie meinen das Wohnheim in der Otto-Rosenberg-Straße?“

„Ja, sicher.“

Na denn. Eine kurze Tour, also bringen wir den armen Kauz mal nach Hause!

Er hat sich dann beim Einsteigen noch sehr schwer getan, über dies und jenes gejammert und am Ende hab ich dann doch gefragt, was ich mir zu fragen eigentlich lange abgewöhnt hatte:

„Aber nur mal so: Den Zehner für die Fahrt haben Sie noch, oder?“

„Sicher doch!“

Im Grunde war es mir egal. Für die paar Meter. Als ob ich in dem Moment derjenige war, der ernsthaft Probleme hatte. Dennoch schön, so schnell eine Bestätigung zu bekommen. Aber dann waren wir drei Minuten später am Wohnheim und mein Fahrgast meinte nur, dass das falsch sei. Dass ich ihn explizit nach der Straße gefragt hatte, hab ich mal ignoriert, irgendwo musste ich ihn ja nun abliefern. Aber er verblieb mit völlig untauglichen Hinweisen wie „gleich da hinten“ oder „an der Kreuzung rechts“. Wir standen ja nun in einer Sackgasse, von der aus Kreuzungen und Abzweigungen eher wenig erwartbar waren.

Und dann kam der zweite Hinweis, den ich gerne schon vorher gehört hätte:

„Tut mir ja auch leid, aber weisste, ich hab ja Alzheimer.“

Ich meine, da kann er ja nix für, aber es ist für mich halt auch unschön, wenn ich erst am Ziel erfahre, dass der Kunde keine Ahnung hat, wo er hin muss. Er gab dann eine weitere Straße als Anhaltspunkt, wo ich dann hingefahren bin, als er dort nicht weiter wusste, hab ich die Uhr gestoppt und ihn mal gefragt, wie er sich das eigentlich jetzt vorstellen würde.

„Weiß ich auch nicht. Lass mich doch hier einfach raus.“

„Hier? Mal ganz im Ernst: Würde ich gerne tun. Aber dann? Hier in der Prärie? Wie kommen Sie denn dann heim?“

„Keine Ahnung.“

„Eben. Und jetzt mal ‚besoffen‘ und ‚tut mir leid‘ beiseite: Haben Sie einen Ausweis mit Adresse dabei?“

„Naja, glaube schon.“

„Dann her damit!“

Natürlich dauerte das alles. Er musste zigmal alle Taschen von neuem durchsuchen und das schöne gepflegte Auto roch von Sekunde zu Sekunde mehr wie eine Gemischtwarenabteilung von Tabak und Urin. Aber so wenig ich in dem Moment Bock drauf hatte, so sehr hab ich mich am Riemen gerissen. Erstens wollte ich, dass das wenigstens für den Kauz gut endet, zweitens hatte ich keine Lust auf die Polizei und noch eine verschwendete Stunde.

Ich hab die Adresse aus dem Ausweis ins Navi eingegeben und mir mit viel Mühe verkniffen, ihm an den Kopf zu werfen, wie viel Schmerzensgeld ich eigentlich für die Aktion gerne haben würde. Ich meine, ich trauerte da maximal einem Zehner hinterher und der Typ im Gegenzug konnte in einer Minute kaum 20 Meter Weg zurücklegen.

Ja, am Ende hätte ich mir den Mehrbetrag, der mir eigentlich zugestanden hätte, sogar nehmen können. Er hatte wirklich noch einen heiligen Fuffi in der Tasche und ich war ja sogar drei bis vier Kilometer für umme gefahren. Aber abgesehen vom netten Trinkgeld auf den Betrag, den ich zuletzt auf der Uhr stehen hatte: Mir ist schon klar, dass er die paar Euro eher brauchen können wird als ich. Schlechtes Taxi-Wochenende hin oder her. Und er hat sich auch tausendfach entschuldigt und bedankt und selbst das Auto roch nach drei Minuten auslüften wieder ok.

Und ja, es fühlt sich im Nachhinein völlig ok an, dass es so gelaufen ist.

8 Kommentare bis “Die gute Tat für heute”

  1. Aro sagt:

    Äääh, echt? Wir haben schöne gepflegte Autos in der Firma…?
    Ansonsten hast du aber mein Mitleid. Aber nun biste wenigstens wieder richtig zurück im Job 😀

  2. Torsten sagt:

    Das geht ja alles noch. Ich hatte letztes Wochenende zwei besoffene die beim aussteigen an der Zieladresse ( 4.60€) gleich auf der Strasse lagen. Der eine kam mit meiner Hilfe ja schon einigermaßen wieder hoch und schaffte es noch zu Haustür, aber der andere Technischer K. O. Konnte mir auch vor Start nach 3x nachfragen nicht sagen wo er genau wohnt. Während meine Zentrale schon trommelte ( ja wir haben noch den alten Sprechfunk und nichts anderes) warum das alles so lange dauert hatte ich mir den Kollegen schon unter die Arme gepackt und in die Richtung getragen die er mir zeigte laufen war ja nicht mehr, seine Frau hatte schon ein Anruf bekommen von den anderen. Wollte gerade klingeln schon ging die Tür auf „Wo kommst du denn her.?“ war dann die logische Frage. Entgegen meiner Schweigepflicht sagte ich mit lauter wütender Stimme “ Aus der Kneipe, woher denn sonst…?!“ Gleich ins Bett gebracht 4.60 Kassiert und über Funk wieder Frei gemeldet.Nachdem ich mir noch was von der Zentralistin anhören konnte warum das alles solange gedauert hat durfte ich dann zum Kollegen fahren und noch nen platten reifen wechseln….

  3. Joe sagt:

    Das waren dann wieder mal ein paar Karmapunkte. 😉

  4. Sash sagt:

    @Aro:
    Lästere du nur! Das Auto hat bei 150.000 km auf der Uhr noch nicht mal leichte Streifen dort, wo die Fensterscheiben ins Gummi übergehen!

    @Torsten:
    Oh je, schöne Momente des Taxler-Lebens …
    Mich hat deine Story an die meines Kollegen erinnert: http://gestern-nacht-im-taxi.de/wordpress/2017/02/20/aufs-maul/

    @Joe:
    Sicher. Und ich danke allen, die das auch so sehen. 🙂

  5. Aro sagt:

    Wir haben unseren Wagen schon mit diversen Beulen und Kratzern bekommen.
    Vielleicht haste ja noch nen Promi-Bonus 😀

  6. Sash sagt:

    @Aro:
    Definitiv nicht. Das Problem ist ja eben eher, dass es den Fahrern mehr oder weniger alleine überlassen wird, wie sie mit der Kiste umgehen.

  7. thorstenv sagt:

    Shen Te weilt wieder unter uns.

  8. […] rein aus Sentimentalitätsgründen, nochmal ein paar Tage zurückgelesen und festgestellt, dass ich ausgerechnet diesen Kerl vor ein paar Wochen ein zweites Mal im Auto hatte: Einen sehr runtergekommenen Wohnheimbewohner, […]

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