Im wahren Leben…

Nicht jede Tour ist angenehm. Ebenso wenig wie jede unangenehm ist. Und bei einigen, die zwischen beidem liegen, lassen sich noch genügend Punkte in beide Richtungen finden. Wie bei der mit den beiden Winkern an der Mühlenstr.

Sie wollten zur Fischerinsel. Meine Nachfrage nach der Hausnummer brachte mir die durchaus akzeptable Antwort

„Zeig ich ihnen“

und der Frau auf der Rückbank ein Gespräch darüber, weswegen Sie jetzt den Taxifahrer so aggressiv angehen würde. War nicht aggressiv, war schnell geklärt, alles kein Thema. Wie ich denn fahren wolle?

„Na auf jeden Fall nachher links!“

pfiff der sportive Begleiter der Dame in den Raum, bevor ich eine Chance zum Antworten erhielt. Ich bestätigte in Ermangelung wirklicher Alternativen. Auch wenn das nichts aussagte, da ich je nach gewünschter Länge der Fahrt alleine 4 Möglichkeiten sehen würde, über den Fluß zu kommen. Na gut, als seriöser Fahrer 3!

Vor der Schillingbrücke ordnete ich mich links ein, setzte artig den Blinker und kassierte (nicht ganz wortwörtlich) den Satz:

„Jetzt kiek dir det Schlitzohr an.“

Was ist jetzt kaputt?

„Da stellt der sich hier bei de Ampel, weil er Jeld verdienen will.“

Erstaunlicherweise war das nicht wirklich bösartig gemeint, er erklärte seiner Begleiterin nun aber eloquent, dass er die Jannowitzbrücke nehmen würde wegen der grünen Welle bis dahin. Das ist gar keine allzu dumme Idee, schenkt sich aber sonst nix gegenüber der Schillingbrücke. Als er mir dann auch noch einreden wollte, ich hätte jetzt aber wenigstens hinten ums ver.di-Haus fahren müssen wegen der teuren Ampeln, hab ich die beiden mit der größten mir eigenen Gutmütigkeit darüber aufgeklärt, dass sie nicht etwa einem ominösen Augenfehler anheimfallen, sondern sich das Taxameter an der Ampel tatsächlich nicht bewegt. Und zwar durchaus berechenbar, weil nach wie vor eine Minute Wartezeit umsonst ist.

Aber da sie mir das Geld (welches, bitte?) ja auch durchaus gönnten, war mein Leben schnell das Gesprächsthema Nummer eins. Was ich denn im wirklichen Leben sei…

Ich hab das Spielchen mitgespielt und etwas geheimnisvoll getan, als ich geantwortet habe:

„Ob sie es glauben oder nicht: Ich bin Taxifahrer…“

Aber das konnte ich derart klugen Passagieren natürlich nicht weismachen. Meine Statur, mein Bartwuchs… also eigentlich spricht alles dagegen, dass ich Taxifahrer bin. Meine Meinung, dass ich mit mangelnder Lust zum Rasieren und Wohlstandsplauze dank Arbeit im Sitzen ja wohl der Vorzeige-Fahrer bin, habe ich ihnen gar nicht mehr zu erklären versucht.

Insbesondere er begann nun das wenig angenehme Spielchen, Aussagen in meinem Beisein über mich zu machen.

„Nee, also der kann mir erzählen, was er will: Die Arbeit ist aufgezwungen!“

Dass er selber nicht Taxifahrer werden würde, weil er ja schließlich 1800 € verdient, wusste er auch noch gekonnt in den lautstarken Gesprächen mit seiner Partnerin unterzubringen und sah das wohl als einen weiteren Beweis an, dass man die Arbeit ja kaum ernsthaft mögen könne.

Auch wenn ich es nicht so rübergebracht hab, es war einfach der pure Trotz, als ich kurz vor dem Ziel gemeint hab:

„Das ist einfach ein Trugschluss. Gehen sie auf gestern-nacht-im-taxi.de, lesen sie die 600 von mir selbst geschriebenen Texte und dann reden wir nochmal drüber, ob ich den Job mag oder nicht!“

Es war wahrscheinlich Angst ob der Wahrheit, die sich Bahn brach, als er antwortete:

„Oh je, wer will denn sowas?“

Ich hab die beiden entlassen in dem Glauben, sie hätten mich gerade auf äußerst witzige Art unterhalten. Immerhin gab es Trinkgeld und einen Eintrag im Blog. Das war es wert 🙂

14 Kommentare bis “Im wahren Leben…”

  1. Nils sagt:

    Ich wüsste irgendwie gar nicht, wie ich mit so einem Fahrgast umgehen sollte. Respekt dafür, dass Du da so gelassen bleibst.

  2. Hendrik sagt:

    Das ginge mir wohl ähnlich wie Nils, aber es ging mir bisher bei vielen der Einträge so, das ich geplatzt wäre – ich wäre ein schlechter Taxifahrer (Oder, was das angeht: Ein schlechter Servicedienstleister im allgemeinen). Hut ab.

  3. Aro sagt:

    Dass er selber nicht Taxifahrer werden würde, weil er ja schließlich 1800 € verdient
    Pah, das verdienen wir Taxidriver doch in einer Woche…

  4. Sash sagt:

    @Nils und Hendrik:
    Das Schlimme daran war – das kann ich kaum beschreiben – dass er mir nicht die ganze Zeit auf den Wecker gegangen ist. Er war bisweilen wirklich nett und in Ansätzen lustig und definitiv nicht schlecht drauf. Es hat bloß einfach nicht in sein Weltbild gepasst, dass man den Job auch gerne machen kann. Wenn mich einer einfach bloß die ganze Zeit blöd von der Seite anmachen würde, würde ich ihn heute wohl auch rausschmeißen, oder es wenigstens freundlich anbieten, damit Ruhe ist.

    @Aro:
    Allein an Trinkgeld, oder? 😀

  5. Karpatenhund sagt:

    @Aro: Das böse erwachen kommt dann bestimmt, wenn der Chef den Unterschied zwischen „Umsatz“ und „Gewinn“ erklärt, oder? 😛

  6. Aro sagt:

    Es ist jetzt mein erster Monat. Meinste, er will davon was ab? 😉

  7. Sash sagt:

    @Karpatenhund &Aro:
    Also ich versteh das so: Meine 45% heissen, dass mein Chef noch mal 55% drauflegt, und sich daraus mein Bruttolohn berechnet. 😉

  8. Wolfram sagt:

    Ich würd den Kunden freundlich darüber aufklären, daß seine 1800 € ein Witz im Vergleich zu meinen durchschnittlichen 3500 € sind, und daß er sich vielleicht lieber nen anständigen Job hätte suchen sollen – so wie Taxifahrer 😛

  9. Sash sagt:

    @Wolfram:
    Abgesehen davon, dass es so oder so nicht gerade feines Benehmen war, fand ich den Lohn dann auch ein wenig zu niedrig, um damit ernsthaft für Neid zu sorgen. Wenn er 4500 netto gesagt hätte, dann klingt das wenigstens wie ein Argument.

  10. Wolfram sagt:

    Aber ich hätte trotzdem gern das blöde Gesicht gesehen 😛

  11. Sash sagt:

    @Wolfram:
    Das ist allerdings wahr 😀

  12. Der Maskierte sagt:

    Da hilft nur ein gerütteltes Maß an Contenance. Solange er nicht zu persönlich wird, bekommt der Kunde von mir als Dienstleister ein perfekt einstudiertes Lächeln. Was hinter meiner Stirn jedoch vorgeht, davon hat er besser gar keine Ahnung.

    Und solche Leute gibt es überall, die sich für was besseres halten.

  13. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Genau, knuffich gucken und winken 🙂

  14. Der Maskierte sagt:

    @Sash

    Die Muschi steht auf Sushi! 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: