Begeistert

Ein Brite. Vielleicht 45 Jahre alt, seit seinem letzten Berlin-Besuch waren wohl mehr als 15 Jahre vergangen. Aber alles nicht so wild, er kam sowieso viel rum: Letzter Stopp war Kassel, bald dann wieder London, danach Australien, ansonsten aber viel in Afrika. Und wenn jemand über Kassel so begeistert spricht wie über Australien …

Nein, der Kerl war spitze, wir hatten ein super Gespräch. Über Weltmetropolen, Berlin im Speziellen, Gentrifizierung und und und. Ach ja: Ein guter Freund von ihm sei Taxifahrer und der hätte ihn gelehrt, Orte am besten danach zu bewerten, wie die Taxifahrer dort wären. Und das mit mir sei ja mal hilarious!

Als ich auf dem Weg nach Tiergarten mal kurz nachgefragt habe, ob sein Zug nicht auch am Hauptbahnhof gehalten hätte, weil das doch deutlich näher gewesen wäre, antwortete er, dass das schon sein könne, er aber einfach bis zur Endstation gefahren sei. Und außerdem: Wenn er das nicht gemacht hätte, hätten wir uns ja nie kennengelernt, insofern wäre das eine großartige Entscheidung gewesen.

Uff. Das ging natürlich runter wie Öl, aber ein bisschen hatte ich schon die Befürchtung, ihn bremsen zu müssen. Naja, vor seinem Ziel hielt ich dann, die Einfahrt bis vor die Türe war leider (soweit ich sehen konnte) gesperrt. Er hat zur Sicherheit nochmal sein Handy angeschmissen, Google Maps geöffnet und mir mit geradezu obszöner Begeisterung kundgetan, dass ich ihn ja wirklich ganz in echt bis auf ungefähr 20 Meter an sein Ziel herangebracht hätte. O Wunder!

Keine Ahnung, was der sonst so im Taxi erlebt hat.

Wie gesagt: Es war wirklich nett und die Fahrt hat auch mir Spaß gemacht – aber bis zuletzt war ich mir nicht sicher, ob ich seine Begeisterung irgendwie ernstnehmen sollte. Es wirkte wirklich etwas übertrieben.

Dann aber hat er’s in die eine Sprache übersetzt, die wirklich weltweit zweifelsfrei verstanden wird:

„OK, now we are at 18,50 €.“

„Then let’s say it’s 25.“

Vielleicht mache ich ja doch manches richtig. 😀

100% Daten. Oder so.

„Sie müssen den Taxikunden einfach 100% Daten liefern. Also sie müssen sich soweit auskennen, dass es ihnen immer möglich ist, auch bei unzureichenden Informationen genau das zu machen, was die Kundschaft will. Das ist entscheidend! Alles wissen kann man nicht, natürlich, aber sie werden sehen – auch im Hinblick auf ihre nebenberufliche … Lektüre – dass das sehr entscheidend ist. So kriegen Sie dann auch einfach mal 10 Euro extra und haben einen Stundenlohn von sagen wir mal … naja, Sie wissen ja …“

Ich will echt nicht behaupten, dass er besonders stressig war. Aber bei der ganzen Fahrt hing so eine „Ich erkläre Ihnen mal, wie’s läuft“-Stimmung in der Luft. Und bei aller Liebe für gute Tipps: Das kommt einfach arrogant rüber. Oder wie ich es einem anderen und wesentlich lockeren Kunden heute Nacht erklärt habe:

„Das Problem ist: Es fahren so viel unterschiedliche Leute Taxi – da kann man nie alles immer richtig und es allen recht machen.“

Beim zweiten ging es darum, dass er mich für die sehr gute frische Luft im Taxi gelobt hat, aber persönlich noch mehr auf einen Wunderbaum abgefahren wäre. Was ersterer mir zu erklären versucht hat, versuche ich bis dato noch zu erörtern.

OK, meinetwegen.

Drei Leute sind mir winkend vors Auto gelaufen, sie haben mir ein bekanntes Hotel in anderthalb Kilometern Entfernung genannt und ich hab sie hingefahren. Ein kurzes Vergewissern, ob ich wüsste wo es ist – und von mir eigentlich nur eine Gegenfrage: Ob ich auch auf der anderen Straßenseite halten könnte. Dazwischen war kaum Zeit, denn die Straßen waren leer und die Ampeln grün. Mir wäre zu der Fahrt absolut nix erwähnenswertes eingefallen.

Und dann überraschen mich die Fahrgäste – schon wieder! Ich weiß, das passiert derzeit oft – damit, dass sie die 6,90 € mit einem Zehner begleichen und kein Rückgeld haben wollen. Dieses Mal, weil:

„We’d like to thank you for your excellent service.“

Ähm, ok. Wenn ihr meint …

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Trinkgeld braucht keine Begründung und Lob ist auch was tolles. Aber Lob plus Trinkgeld zu bekommen, wenn man sich selbst eigentlich nur „Laaaaaangweilig!“ denkt und es danach schon vorbei ist, das ist schon irgendwie komisch.

Hoch gepokert

Das Drama mit den Straßennamen in Berlin! Da landet man selbst mit dem richtigen schnell mal ganz woanders als man hinwollte – und dann gibt es noch die alltäglichen Verwechslungen …

„To the Berwelsrase in Kreissber.“

„The Baerwaldstraße in Kreuzberg?“

„Yes. Number 30. It’s a restaurant.“

Sagte mir nix. Aber ok, Straße mitsamt Stadtteil und Hausnummer. Da sollte ja nix schiefgehen! Ich hab die Nummer gleich ins Navi geklöppelt, damit ich nicht auf irgendwelche abenteuerlichen Restaurantschilder achten muss. Nun ist es nicht nur so, dass man vor Ort feststellt, dass es eine Nummer 30 gar nicht gibt. Viel deprimiender ist, dass der Block, wo die Nummer 30 hätte sein können, im Gegensatz zum Rest der Straße völlig dunkel und frei von allen Lokalitäten ist. Und während ich da ein betont dummes Gesicht zur sehr unschönen Situation gemacht habe, flötet es vom Beifahrersitz in diesmal fast perfekter Aussprache:

„You’re sure this is the bermannstrase?“

„The Bergmannstraße? Really? You said Baerwaldstraße.“

„Haha, I mispronounced it maybe …“

Selbst mir war in dem Moment noch etwas nach Haareraufen, aber dann war der Stadtplan im Kopf wieder komplett und ich bin weitergefahren. Die Bergmannstraße ist nämlich bereits die nächste Querstraße. Leider halt das unbelebte kurze Ende, das in einer Sackgasse mündet, bevor man auf den belebten Teil mit all den Kneipen und Restaurants kommt. Aber sieh mal einer an:

Was zu tun blieb. Quelle: osrm.at

Was zu tun blieb. Quelle: osrm.at

Ja, das Austria liegt noch genau in dem Teil, mit Mühe 100 Meter entfernt von der Ecke, in die mich die falsche Baerwaldfährte gelotst hatte. Und da ich mich immer so ärgere, wenn Ziele völlig falsch oder unklar sind, musste ich das erwähnen: Ich bin in eine nur zufällig ähnlich klingende Straße gefahren und war am Ende quasi genau richtig! Schätze, das passiert mir die nächsten 10 Jahre nicht noch einmal.

Und dann war da noch …

der Kollege, der am Ostbahnhof an vierter Position stand. Zwei offenbar potenzielle Kunden klapperten die drei Taxis vor ihm ab, immer enttäuschter, und landeten am Ende bei ihm. Was denn das Problem wäre, fragte er sie.

„Wir wollen nach Werder. Würdste uns fahren? Und was kostet das?“

Der Kollege nannte 80 € als Preis und schob eine Frage nach:

„Und wieso fährt der erste nicht?“

„Na, der erste sagte, dass er irgendwie ‚auf Abruf‘ hier stehe. Der zweite wollte sein Pflichtfahrgebiet nicht verlassen und der dritte hat gesagt, er hat keinen Bock auf so eine lange Fahrt.“

Also hat der Kollege mit großen Augen diese Hammertour gemacht. Nicht zu seinen Ungunsten:

„80 haste gesagt? Na hier, weil Du uns fährst: Mach 90!“

PS: Liebe potenzielle Fahrgäste: „Auf Abruf“ kenne ich nicht, ich verlasse sehr gerne das Pflichtfahrgebiet und Bock auf so Touren hab ich mal sowas von, das erahnt Ihr gar nicht! 😉

Fahrten, die nur Taxifahrerkinder machen

Sie winkte mich am Yaam raus. Durchgefroren, sofort nach der Sitzheizung fragend, als Ziel den Ostbahnhof angebend. Während ich versuchte, in sozialverträgliche Worte zu packen, dass die Sitzheizung sich auf der Fahrt bis zum Ostbahnhof allenfalls würde entscheiden können, ob sie das On-Signal überhaupt akzeptiert, warf meine Kundin bereits ein, dass es danach auch wieder zurückgehen sollte. Nur kurz Geld abheben. Am Westausgang.

Holy Shit! Von 300 Metern einfacher Fahrtstrecke entfielen also nochmal 150.

Aber Kundin ist Kundin.

Vor dem Bahnhof hab ich’s geschafft, schnell eine komplette Zigarette (jaja, Entzug und so …) zu rauchen, am Ende der kompletten Tour aber standen trotz 3,90€ Startpreis nur 6,90€ auf der Uhr.

„Machen Sie mal 10.“

Ui.

„… und danke vielmals! Dann wünsche ich ihnen eine gesegnete Nacht. Ich wünsche ihnen beste Gesundheit, einen schönen Abend, immer nette Fahrgäste und natürlich eine gute Kasse!“

W.T.F.?

„Das wünsche ich meinem Vater immer. Der fährt auch Taxi.“

Das erklärt einiges. Oder besser gesagt: Alles. 😀

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

Abonniert doch den RSS-Feed von GNIT. Mehr von Sash gibt es außerdem bei Facebook und bei Twitter.

Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Besorgte Bürger

Nein, einen Ich-bin-kein-Nazi-aber-Nazi hatte ich nicht an Bord. Aber einen Typen, auf den die Beschreibung „Besorgter Bürger“ nebst inzwischen allgegenwärtiger Interpretation vollkommen zutreffen würde. Seine Freundin und er stiegen am Ostbahnhof ein und haben mal eben schnell die kürzeste Tour vom Stand in diesem Jahr unterboten. 5,30€. Ich hab wie üblich gar nicht rumgemacht, sondern mich einfach dem Fahren gewidmet. Dennoch erklärte mir der junge Kerl – 22 Jahre höchstens! – warum sie für diese lächerlich kurze Strecke ein Taxi genommen hatten:

„Um die Uhrzeit isses ja schon stressig: Überall besoffene Leute. Und dann triffste einen von denen, es gibt eine Konfrontation und Du musst ihm eine aufs Maul hauen. Dann noch mehr Ärger: Polizei, Zeugenaussage und so weiter. Am Ende heißt es vielleicht sogar, dass Du Schuld hast – und dann: Gerichtsverfahren. Und am Ende verlierst Du und kannst nicht bezahlen. Dann biste im Knast nur wegen sowas. Nee nee, da fahren wir lieber mit dem Taxi!“

Ich will ja nicht paranoid klingen: Aber die Detailtreue dieser Schilderung hat mich schwer davon überzeugt, dass ihm das mehr als einmal passiert ist. 0.0