Besser reden als fahren

Ich war wirklich zuversichtlich, als die fünf Mädels am Ostbahnhof auf mein Auto zukamen. Clubgängerinnen ohne Gepäck, alle nicht sonderlich groß, das passt! Ich hab sie kurz auf die Enge hinten hingewiesen, aber das hat sie gar nicht interessiert. Als die ganz hinten schon eingestiegen war, meinte eine andere dann:

„We want to go to Kater Blau.“

Nun hatte ich nicht lange gewartet und mir eigentlich nur gedacht, dass das ja fast rekordverdächtig vom Kilometerschnitt her wäre … aber dann hab ich doch besser mal nachgefragt, ob sie denn wüssten, wie weit das entfernt wäre. Und auch wenn ich als ständiger Kartennutzer das nicht nachvollziehen kann: So genau hatten sie natürlich nicht geguckt. Wirklich nur 400 Meter? Und dann natürlich, was das kosten würde.

„Well, the meter starts with 3,90€, for more than four persons, there’s a 5€-fee … so in the end we would be possibly over 10€.“

Und da sind sie dann doch gelaufen und fanden es nett von mir, dass ich ihnen das vorher gesagt hatte. Ich bin ja im Normalfall nicht so wie bei der „Mach ma billig“-Tour. Super für mich war das Ganze aber nur bedingt, denn ich hab am Ende dann noch 20 weitere Minuten warten müssen und trotzdem nur eine Fahrt im einstelligen Zahlenraum bekommen. Aber irgendwas ist ja immer.

Alltag und so

Und dann war da noch das Pariser Pärchen um die Fünfzig, die ich als Winker am schlesischen Tor eingesammelt und zum Hilton-Hotel gebracht habe, das Berlin so schön fand, dass es unbedingt wiederkommen will.

Ja, das ist irgendwie banal, ich weiß. Aber auch das gehört zu meinem Job: Ich hab da Leute drei Stufen über meiner Gehaltsklasse im Auto, die aus der angeblich schönsten Stadt der Welt kommen, sich eben in einer abgeratzten Touri-Ecke rumgetrieben haben, nun in ihr First-Class-Hotel gebracht werden wollen und einfach nur happy sind. Man muss wirklich nicht alles daran toll finden oder überbewerten, aber ich mag sowas, ganz ehrlich.

Ja, die vielen Touristen machen Berlin nebenbei auch zu schaffen. Keine Frage. Aber ich finde es toll, wenn Menschen sich hier wohlfühlen und ich am Ende einen kleinen Teil dazu beitragen kann. Das ist kitschig und schmalzig, ich gebe es ja zu, aber es spielt für meinen Job eben auch eine Rolle und ich bevorzuge es nach wie vor, das eher positiv anzugehen. 🙂

Beautiful 10 P

Sie fragte ordnungsgemäß beim Einstieg:

„Can we make this a short trip for 5 Euro?“

Klar ging das. Am Ende war das Ziel selbst mit Wenden und an der passenden Stelle halten nur ungefähr 600 Meter vom Startpunkt entfernt. Knapp über „Zum Normaltarif ist es aber billiger“. Wir haben uns dank einiger Ampeln dennoch kurz unterhalten und sie mochte offensichtlich, wie „cool“ ich war.

Aber – ach, o Schreck! – das Geldproblem blieb natürlich bestehen:

„Man, I’d like to give you a good tip, but I can’t! I’m running out of change. But please take this. It’s only a 10P, but it’s a real beautiful coin. Keep it and think of me, ok?“

Hach, wie soll man da nein sagen. Und ja, hübsch ist die Münze schon irgendwie. 🙂

Ten Pee – aber ich bezweifle, dass man dafür zehnmal pinkeln darf! Quelle: Sash

Ten Pee – aber ich bezweifle, dass man dafür zehnmal pinkeln darf! Quelle: Sash

Creepy Ansprachen

Ja, der Marvin war komisch. Das heißt aber noch lange nicht, das am letzten Wochenende die noch komischeren Leute in Berlin keinen Ausgang gehabt hätten.

So stand ich an meinem Lieblingsbahnhof bereits etwas ungeduldig herum, weil ich zwar Erster war, aber in den letzten 10 Minuten eine totale Anullierung des Publikumsinteresses an Taxen eingesetzt hatte. Ich stieg aus und zündete mir eine Kippe an. Dann hielt 20 Meter vor mir an der Bushaltestelle ein PKW, spuckte drei Leute aus, die zum McDonald’s wollten … kurzum: Alltag in einer Berliner Nacht.

Dachte ich.

Dann aber trat der Held der Nacht auf, ein schon leicht schwankender Mittzwanziger, dem offenbar nicht gefiel, dass vor ihm ein Auto stand. Ich hab kaum was verstanden, aber aufgrund seines Gestenreichtums war erkennbar, dass der junge Mann den Autofahrer wegscheuchen wollte. Er deutete penetrant auf das Bushaltestellenzeichen, gestikulierte wild und war sichtlich unzufrieden damit, dass der Typ am Steuer erkennbar nix machte.

Tatsächlich kam kurz darauf noch ein Nachtbus an, hat das Auto auf die andere Straßenseite (also den – zu der Zeit ungenutzten – Nachrückbereich des Taxistandes) verscheucht. Kurz darauf kamen auch die mit Fast-Food bewaffneten Freunde wieder und das Auto war weg. Eine vollkommen unspektakuläre Großstadtszene am Wochenende. Sollte man meinen.

Und dann kam Mister Law-and-Order zu mir. Eine außergewöhnlich adrette Föhnfrisur mit stechenden Augen. Ob ich das gesehen hätte! Der hätte sich da einfach an die Haltestelle gestellt. Dabei wären da SOOO große Schilder und überhaupt und sowieso!

Ich hab ihn ein bisschen auflaufen lassen und gesagt, dass er zwar recht hätte, aber bei den anderthalb Nachtbussen pro Stunde das Problem doch auch reichlich irrelevant sei.

Also hat er mich ins Visier genommen. Wir Taxifahrer hätten es ja auch nicht leicht. Und so gesetzesuntreue Typen wie der da eben würden uns ja auch ständig überfallen und er hätte sich ja auch schon mal überlegt, den Job zu machen, aber das war ihm dann zu heikel. Aber immerhin: Er wüsste schon, welche Kanone welchen Kalibers er wo genau im Auto verstauen würde, um selbst einem Typen, der ihm von hinten droht, so ordentlich – wäre ja nur Notwehr! – so richtig die Eingeweide wegblasen würde, bevor der blicken würde, was Sache ist.

O. My. Goodness.

Und das hat er nicht so nebenbei in einem Nebensatz erwähnt, sondern er hat sich das schon reichlich bildhaft ausgemalt. Als ob meine Arbeit im Wesentlichen darin bestehen würde, unliebsame Kunden umzulegen. Wort- und bildgewaltig hat er sich ins Zeug gelegt, mir die Dramatik auszumalen, die mein Job seiner Meinung nach mit sich bringt, wie schlimm das wäre, was er für waffenstrotzende Lösungen dafür hätte, und so weiter. Ich bin da kaum zu Wort gekommen. Und auf jeden Punkt einzugehen, wäre schlicht auch zu blöde gewesen. Aber er wollte nicht ablassen vom Thema und auch all meine kurzen Widersprüche haben einfach null Wirkung gehabt.

Und dann hab ich kurz ausgeholt und eine völlige Binsenweisheit von mir gegeben:

„Weißt Du, es ist die eine Sache, bei der einen von 20.000 Fahrten gut bewaffnet zu sein oder den Angreifer ausschalten zu können. Ja, das ist vielleicht im Fall aller Fälle hilfreich. Aber unterschätze nicht, dass es bei sicher 100 bis 200 Fahrten bis dahin schon reicht, potenziell gefährliche Leute zu erkennen, dabei zu deeskalieren und damit das Schlimmste von vornherein zu verhindern.“

Und was hat er gemacht?

Er hat mir einen guten Abend gewünscht und ist einfach weggegangen.

WTF?

Der Marvin

Das war so ein klassischer Fall von gutem Lauf. Ich hatte vom Stand weg eine nur kurze Tour bekommen, bin dann etwas bedröppelt drei Kilometer durch die Gegend gegurkt, hab Winker für einen Zwanni bekommen und als die aussteigen wollten, stand draußen schon der Marvin.

„Ist hier gleich frei, mal ehrlich, kann ich dann, ja, ja?“,

fragte er das unspektakuläre Pärchen, das ich in Niederschöneweide absetzen wollte und das erst mal das mit dem Zahlen hinkriegen wollte.

„Isser frei, frag ja nur, sagt doch! Ja? Ja?“

„Is‘ ja gut. Ja, er is‘ gleich frei – aber entscheiden muss der Fahrer das selber!“,

fauchte es von der Rückbank zurück. Marvin kümmerte der unleidliche Tonfall keine Spur:

„Super! Suuuper! Das‘ ja’n Ding! So ein Glück! Ich raste gleich aus!“

Die nächsten zehn Sekunden bemerkte er, dass er eine Bierflasche in der Hand hatte und fürchtete, deswegen nicht mitgenommen zu werden. Anstatt deswegen mal kurz mich zu fragen (und ein ok zu bekommen), versuchte er, das Bier meinem aussteigenden Fahrgast in die Hand zu drücken:

„Nimm doch. Mann, nimm jetzt. War teuer, muss weg, freu Dich!“

Wer jetzt glaubt, der Kerl hätte einen an der Klatsche gehabt, der hat das ganze Ausmaß noch nicht begriffen. Hatte ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht. Marvin nannte mir mal eben eine Zieladresse in Weißensee und beschloss, mir 100€ Vorschuss zu geben. Ich hab abgeklärt geantwortet, dass wir vermutlich leicht unter dem Betrag nach Weißensee kommen würden. Also eher so 30€.

„Is aber kein Problem. Ich kann Dir auch 100 Schweizer Franken geben. Oder ich geb Dir tausend. Oder einen Zwanni. Ganz wie Du willst, ganz wie Du willst … aber ich muss kurz pissen, is dringend. Halt mal hier an bitte!“

Da hatten wir gerade mal einhundert Meter Fahrt und 45 Sekunden hinter uns.

Ich hab an der nächsten Kneipe angehalten und er hat sich dort einen Klogang erbettelt. Ich will mir nicht einmal ausmalen, mit wie vielen Worten. Ein Zwanni lag inzwischen auf meinem Armaturenbrett, ich war also erstmal finanziell sicher. Auf die Idee, dass ich damit abhauen könnte, ist er sogar von selbst gekommen, anstatt aber auf mich zu hören und sich die Konzessionsnummer zu merken, wollte er meinen Vornamen wissen.

Als er wieder rauskam, war er höchst verzückt, dass ich immer noch da war:

„Ach je, ehrlich jetzt? Na Du bist mir ja ein ehrlicher Kerl. Christoph, oder?“

Im Folgenden haben wir eine knappe halbe Stunde zusammen verbracht und ich hab gelegentlich auch mal ja oder nein sagen können, ansonsten hat er durchgehend gequasselt. Und es hat absolut null Sinn ergeben. In Monologform würde sich das ungefähr (!) so lesen:

„Halt! Wir rauchen jetzt eine! Ach nee, lieber nicht. Aber danke für deine Ehrlichkeit! Mann, echt jetzt: Du bist ja ein dufter Typ. Glaubste jetzt nicht, was? Aber ich bin da so der Feeling-Typ, ich merk, was in deinem Herzen so abgeht. Warum machst Du das? Also hier, Taxifahren. Ist doch total bescheuert, Du könntest in der Schweiz so fett Kohle verdienen, aber bist halt seßhaft, was? Biste verheiratet? Ich hab ja auch Frau und Kind, kannste nix machen, und deine Frau, ist die auch scharf, ja? Zeig mal Foto! Glaub ich Dir nicht, dass Du keins hast! Egal, wichtig ist, dass es passt. Was hast Du für ein Sternzeichen? Ach, das hab ich gleich gewusst. Du bist echt so voll der super-relaxte Typ. Deine Oma war Waage, stimmt’s? Weil Du hast voll die Vibes von deiner Oma und deinem Opa, ganz ehrlich, ich spür das! Aber Sami, das ist blöd, Du sollst nicht so sein. Dann nützen dich die Menschen nur aus, im Ernst jetzt. Du bist einfach, deine Aura kribbelt mich echt die ganze Zeit, Alter! Du musst Dir das unbedingt bewahren, sowas gibt’s nicht oft. Willste Drogen? Kann ich dir geben. Koks? Amphetamine? Crack. Hab ich alles auf Tasche, sag ruhig. Ein Kilo, kein Problem! Haha, ich mach nur Spaß, haste gemerkt, oder? Also wenn Du jetzt ’ne Frau wärst, dann würde ich meine jetzt betrügen müssen, Du bist so’n dufte Typ. Aber puh, ist ja Gott sei Dank nicht so. Aber geiler Bart! Haste Kinder? Wusste ich. Aber deine Vibes! Du wirst eine Tochter bekommen, ich schwör’s, eine Tochter! Am 14. Mai! Versprich mir: Ruf mich an, wenn ich danebenliegen sollte, echt jetzt. Ist total wichtig! Hörst Du mir noch zu?“

Und das liest sich witziger als es war.

Unterwegs hat er dann noch einem Kumpel auf die Mailbox genölt, dass er gefälligst wach werden sollte, er habe sich schließlich extra heimlich von der Party seiner Frau geschlichen, um zu ihm zu kommen.

Bei der Bezahlung ist er immer kleinlauter geworden. Aus „jede Summe, die du willst“, wurden 50, 40 und schließlich der Fahrpreis plus ein paar in den Lüftungsschlitzen verteilte Münzen mit dem Gegenwert von 1,20€.

Meine Hoffnung, er hätte ohnehin beim Rumwedeln versehentlich einen Fuffi oder einen Hunni beim Aussteigen, hat sich leider auch als unbegründet erwiesen. Wo ist das Schmerzensgeld, wenn man es mal verdient!?

Am Ende war’s ja nur eine stinknormale Fahrt, lediglich mit übertrieben hohem Bullshit-Auswurf. Aber was willste machen, ist halt der Marvin, ne? N‘ dufte Typ, echt jetzt. 😉

Sicherheitsteam an Fahrgast: „Rechts alles sicher!“

Sie hat mich nur für eine Kurzstrecke rangewunken und nach dem schon schwierigen Einstieg beim Aussteigen um meine Hilfe gebeten. Was kein Act war. Sie brauchte eine Hand zum Festhalten und nach kurzer Abschätzung der vorliegenden Umstände war ich mir ziemlich sicher, die kleine gehbehinderte Frau notfalls am ausgestreckten Arm tragen zu können.

Hab ich natürlich nicht ausprobiert. Stattdesen hab ich sie einfach nur die 10 Meter bis zur Haustür geleitet und dort auf ihre Bitte hin abgewartet, bis sie diese hinter sich geschlossen hatte. Ohne dafür einen Grund zu haben, hab ich dann tatsächlich wie so ein Bodyguard mal eben rechts und links die Lage gecheckt. OK, war natürlich kein Mensch auf der Straße, es war in Niederschönhausen und nach 20 Uhr. Aber sicher ist sicher. Und die alte Dame hat ihre 50 Cent Trinkgeld damit zumindest gefühlt sichtbar gut angelegt. Ich hab ihren Dank mit einem ehrlichen „Die Minute hab ich immer, gute Frau!“ beantwortet – und nach vielleicht vier Minuten insgesamt war die komplette Tour erledigt.

Für die Kundin war’s offensichtlich eine wirkliche Hilfe – für mich eher ein kurzer Backflash in gleich zwei meiner alten Jobs: Behindertenfahr- und Sicherheitsdienst. Darauf, dass sich das mal in einer Tour ergibt, hätte ich ja keine Wetten abgeschlossen. 😉

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Neue seltsamste Startfrage

Kunden wollen ja gerne mal dies und das wissen. Die Kundin heute Nacht hat die Konversation eher seltsam begonnen:

„Bist Du ein normales Taxi?“

Ich will jetzt noch nicht einmal auf dem Unterschied zwischen mir und meinem Auto rumhacken; nein ich war einfach etwas erstaunt, was sie so unsicher gemacht hat. Ich meine, ich stand mit einem hellelfenbeinfarbenen Auto und leuchtendem Taxischild an einem Taxistand – was werde ich wohl sein? Ein Tintenfischzüchter?

Tatsächlich ist sie nur als erste mit dem Werbeschild auf dem Dach durcheinandergekommen. Da ist derzeit Werbung für einen Autovermieter drauf – und das hat sie irgendwie irritiert. Am Ende hat sie mir geglaubt und ich hab auch keinen Mietwagen aus dem Ärmel gezaubert, den ich ihr andrehen wollte. 😉