Ich bin erst an ihm vorbeigefahren, denn er winkte kurzentschlossen und deutlich weg vom Straßenrand aus einer Gruppe heraus. Als er dann am Auto stand, fragte er kleinlaut, ob ich ihn für 40 € nach Strausberg bringen könnte, mehr hätte er wirklich nicht mehr.
Aus dem Stegreif war das nur so Pi mal Daumen zu entscheiden, aber da ich auf Verdacht hin ohnehin auch nur einen Fuffi verlangt hätte, hab ich zugesagt. Wir waren schon tief in Ostberlin, ich war dem Feierabend nahe und die Schicht war bisher so gut, dass mich die Fahrt auch kilometerschnittmäßig keineswegs aus dem Takt gebracht hat. Trotz der Leerkilometer zurück. Und dann so ein Abschluss!
Ich könnte jetzt rückblickend auch sauer sein. Hat er mir anschließend doch erzählt, er habe an dem Abend 500 € durchgebracht und die letzte Kohle vor der Taxifahrt einem Kumpel für den Puff geliehen. Ich könnte mich jetzt zu wenig wertgeschätzt fühlen und den Typen für seine Arroganz beschimpfen.
Aber wie so oft macht der Ton die Musik. Er hat sich entschuldigt und klargestellt, dass ihm das mehr als peinlich ist, weil ihm selbst als Handwerker die Preisdrückerei auf die Nerven geht und er sonst immer ein guter Trinkgeldgeber sei. Außerdem war’s auch nicht so, dass das sein wöchentliches Besäufnis war, nein: Er war mit ein paar ehemaligen Sportvereinskameraden auf dem einmal jährlich stattfindenden Veteranentreffen gewesen, ein durch und durch besonderer Anlass. Dass er seine großzügig geplanten Finanzen überschritten hatte, lag dann auch wirklich an den Kumpels, die ihn zum Puff überredet hätten, wo er als Verheirateter nur zwei Bier getrunken hätte, einem Kumpel mit knapperer Kasse aber eben noch mal ausgeholfen hat. Und zuletzt selbst überrascht war, dass er inklusive Kleingeld nur noch auf 40 € gekommen ist.
Ja, mein Lifestyle ist das sicher auch nicht, aber ich hab mich in letzter Zeit selten netter mit einem Typen unterhalten.
„Du hältst das jetzt sicher für ’ne Ausrede, wa? Kriegste wahrscheinlich dauernd zu hören, oder?“
„Ganz im Ernst: Das ist ok. Ich hab ja zugesagt. Der Preis ist am unteren Ende, ja. Aber die Anfragen zu denen ich nein sage, sind eher die, wo mir eine Gruppe von fünf Leuten 20 € für die Fahrt bietet, weil die Cocktails so teuer waren und ich mich mal nicht so anstellen sollte, weil’s ja immer noch besser wäre als gar nix.“
Er hat sich bis zuletzt entschuldigt und das Kunststück vollbracht, mir auf ernsthaft nette Art zu erlauben, die Uhr auszulassen, wie auch mich im Anschluss aus seiner Sicht als Firmenchef glaubhaft zu loben, dass ich es nicht machen wollte. Das schaffen wirklich nur die wenigsten.
Natürlich kann ich jetzt nur hoffen, dass er wirklich der nette Kerl ist, der er vorgegeben hat zu sein. Aber glaubt mir: Wenn Typen über 50 es schaffen, mir sympathisch zu sein, obwohl sie mir erzählen, dass sie gerade über 400 € fürs Saufen und im Puff ausgegeben haben – dann ist das wirklich nicht normal.
