Schon so manchem ist am Morgen nach einer Party nicht wirklich nach Aufstehen zumute gewesen. Je tiefer man ins Glas schaut, desto glasiger schaut man selbst am nächsten Morgen. Eine alte Weisheit, die leider manches Mal nicht bedacht wird. Als ich am vergangenen Wochenende meine Schicht leicht verspätet begonnen habe, lag der junge Kerl schon schlafend auf der Mauer am Taxistand meines Lieblingsbahnhofes. Sonderlich gefährlich schien mir das nicht zu sein, er hatte trotz angenehmer Temperaturen sogar eine Jacke an, die Wahrscheinlichkeit, dass ihn jemand anmalt, war größer als die, dass er erfriert.
Jedes Mal, wenn ich am Stand ankam, lag er in leicht veränderter Pose da, scheinbar wollte er tatsächlich seinen Rausch dort ausschlafen und nicht mitten in der Nacht erwachen. Naja, mit der Zeit ignorierte ich ihn. Irgendwann stand dann ein Kollege vor mir und meinte:
„Willste besser rufen Krankenwagen? Isse kaputt die Mann!“
Ich drehte mich um, und da lag er. Der Kollege klärte mich umgehend auf. Beim Versuch, aufzustehen, hat er die Balance verloren und ist stocksteif nach vorne umgefallen. Mit dem Gesicht aufs Pflaster. Na super!
Ich bin kurz zu ihm rüber, hab mich vergewissert, dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht. Er hatte einige Schrammen im Gesicht, hatte eingepinkelt und inzwischen war auch seine Jacke weg, er lag mit dem nackten Bauch auf dem Asphalt. Meine Ansprache quittierte er mit Grunzen. Er schien die Idee nicht so toll zu finden, jetzt schon aufzustehen. Also hab ich die 112 gewählt…
Minuten später waren sie da, sie hoben ihn auf, setzten ihn auf sein Mäuerchen, drohten mit der Polizei, wenn wieder einschlafen und nicht gehen würde. Dann sind sie weggefahren. Da hatte ich etwas mehr erwartet.
Und kaum dass ich von der nächsten Tour zurückkam, lag er wieder vor dem Mäuerchen, zusammengekauert unter seiner Jacke (wo auch immer die jetzt wieder herkam) und schlief. Ich hab mir mehrmals überlegt, nochmal Hilfe zu holen, es dann aber gelassen. Und tatsächlich: Irgendwann spät in der Nacht saß er dann etwas weiter weg und versuchte die Lage zu peilen. Sein Gesichtsausdruck war eine Steilvorlage für Leute, die nicht wissen, wie man Kopfschmerzen illustrieren könnte, aber immerhin waren seine Augen offen.
Und irgendwann war er dann weg. Nur seine Jacke, die lag noch da.
Der wird sich freuen, wenn er endgültig zu sich kommt, da bin ich sicher!