„Wie ist das denn so normal?“
„Normal stell‘ ich mir das ganz locker vor.“
„Ist das normal für Sie?“
Normalität ist etwas seltsames, wenn man sie im Taxi zu ergründen sucht. Insbesondere in einer Berliner Nachtschicht. Natürlich ist Taxifahren in vielen Belangen ein normaler Job. In manchen Dingen ist die Normalität da halt etwas stapazierbarer als jetzt vielleicht die eines Fließbandarbeiters.
Und die Frage wird immer wieder gestellt. Angefangen von den Leuten, die gerade irgend was „total verrücktes“ machen und selbstverständlich absolut NICHT normal sein wollen; bis hin zu jenen, die sich versichern wollen, dass ihre Tour jetzt aber hoffentlich nicht zu sehr aus dem Raster fällt. Ob das jetzt die Länge der Fahrt, die Uhrzeit, die Themen der Gespräche oder das Fahrtziel angeht – überall die Angst oder Hoffnung, normal zu sein.
Aber auch im Gewerbe, beim Bloggen – selbst jetzt bei der unseligen Uber-Diskussion – überall wird erzählt, wie was jetzt „normalerweise“ ist. Und keine Frage: ich verwende den Begriff auch oft. Ist ja normal. 😉
Meistens ist das ja egal, weil es nur ein dahergesagtes Wort für häufig ist. Traurig finde ich halt, wenn sich eine Rentnerin fürchtet, mir die Schicht zu verderben, weil ich sie vom Ostbahnhof mit einem Stapel Gepäck bis nach Mahlsdorf bringen muss. Das passiert zwar viel zu selten, ist aber abgesehen vom überdurchschnittlichen Verdienst eine ganz normale Fahrt für mich. Ebenso wie um 5 Uhr morgens zwei verknallte Kerle vom Berghain zu Tom’s Bar zu fahren eine ganz normale Fahrt ist. Die Auslöser für diesen Eintrag waren zwei Jungs, Anfang dreißig, hackedicht aber lieb. Wegen eines Junggesellenabschieds in Berlin und auf dem Weg in ihr Hotel. Für mich völlig normal, hätte ich den beiden aber nicht sagen dürfen. Für sie war es nämlich der geilste Abend der letzten Jahre.
Trinkgeld ist von 0,00 bis vielleicht 5,00 € völlig normal. Was aber – und da kommen wir der Sache näher – nicht heißt, dass es deswegen uneingeschränkt selbstverständlich ist. Oder für mich kein Grund, mich zu freuen.
Ich glaube, im Dienstleistungsbereich geht die Spanne des „Normalen“ im Vergleich zu vielen anderen Jobs bis weit vom Durchschnittswert weg. Weil Dienstleister eben auf sehr unterschiedliche Kundschaft stoßen und zumindest im Taxi beispielsweise auch unsere Arbeitsweise stark ändern können. Mag die Durchschnittsfahrt im Gewerbe 12 € bringen, wird ein Flughafenfahrer noch Touren für 40 € völlig normal finden, während mein Tagfahrer vielleicht nicht mehr ganz so normal findet, was sich betrunkene Mädels auf dem Heimweg über ihre Freunde erzählen. Ich selbst bekomme schon Probleme, wenn Kunden mich fragen, wie lange ich normal arbeite.
Ich habe einen Facebooktroll, der mich seit Monaten fragt, wie viel man „normal“ im Taxi verdient, wann man „normal“ arbeitet, was einem „normal“ erlaubt ist und nebenbei natürlich, warum ich ihm darauf nach dreimaligem Klarstellen, warum das schwierig ist, nicht mehr antworte.
Deswegen sind die meisten Jobblogs meiner Meinung nach Dienstleistungsblogs. Weil unser „Normal“ manchmal weit in den „Skurril-Bereich“ der Leser reinragt.
Das Ganze hat aber eine weitere Dimension. Nämlich die, dass es genau das ist, was uns Dienstleistern den Job so schwer macht und unsere eigentliche Qualifikation sein sollte: dass wir Dinge irgendwie „normal“ handhaben können, obwohl viele Menschen da draußen das nicht finden. Ich weiß – und bin stolz drauf – dass mich als Dienstleister auszeichnet, dass ich mit betrunkenen Jugendlichen, knausrigen Oberlehrern, wehleidigen Rentnern und streitenden Pärchen umgehen kann. Ohne immer nur das Schlechte zu sehen, ohne die Leute für Dinge verantwortlich zu machen, für die sie nichts können. Und letzten Endes auch ohne daran selbst kaputtzugehen.
Auch das ist ein Grund – und der Hinweis muss immer und immer wieder sein – warum ich mich hier so in diesen an sich lächerlichen Kampf mit Uber stürze, obwohl ich selbst immer öfter lachen muss, wenn ich den Namen höre. Im Taxi- und Mietwagen-, aber auch in jedem anderen Dienstleistungsgewerbe hat man zu kämpfen. Damit, dass nicht alles normal und geregelt ist. Diese Firma – oder zumindest ihr Diplomatiegenie an der Spitze – stuft, was ich und viele Kollegen machen, als überflüssig ein. Weil das ja auch ohne Regeln hobbymäßig für noch weniger Geld erledigt werden könnte. Wie immer an den meist schwammigen und anzweifelbaren Aussagen aus dem Hause Uber ist auch daran zumindest mal so viel richtig, dass man es schlecht als komplett falsch verwerfen kann. Abends an seiner Lieblingsbar die Stammkunden einsacken und heimfahren kann jeder. Seinen Lebensunterhalt mit dem Heimbringen derer zu bestreiten, die in Läden rumliegen, die aus Gründen niemandes Stammkneipen sind, kann halt nicht jeder. Genauso wie beispielsweise nicht jeder in der Lage ist, mir meine Wut über einen unnötigen Internetausfall durch Pfusch an der Hotline zu nehmen und das Problem sachlich und schnell zu lösen.
Normal in der Personenbeförderung jeder Art ist es, auch mal auf Fahrten warten zu müssen. Oder unliebsame, weil schwierige Fahrten für wenig Geld zu machen. Nicht nur, dass niemand einem die nervigen Kunden ewig vom Hals halten kann. Nein, am Ende brauchen wir die auch noch, um unser Geld zusammenzukriegen. Die Belohnung sind dann Fahrten wie diese:
Winker am Mariannenplatz (halbwegs normal). Sechs Leute, die zufällig ein Großraumtaxi angetroffen haben (schon eher glücklich). Meine dritte Winkertour in Folge (Wahnsinn!).
Die Größe der Passagiere passte perfekt zu den komplizierten Platzverhältnissen (sehr selten!) und nach etwas Eisbrechen gelang uns eine flüssige Konversation (normal) in englisch (ebenso normal).
Die Familie kam aus Israel (normal), war allerdings hier, weil die Mutter in der letzten Sitzreihe hier in Berlin geboren war (in der Kombination eher selten) und sie nun mal auf den Spuren der Vergangenheit wandeln und entfernte Verwandte besuchen wollten. Die eine Hälfte der Leute war still (normal), der Vater war nach allen vorbereitenden Gesprächen ein geradezu anstrengender Berlin-Enthusiast, der bei jedem Haus wissen wollte, was da drin ist und dauernd schwer zu beantwortende Fragen stellte wie „Wo kann man hier abends noch weggehen?“ (grenzwertig normal). Am Ende kamen wir auf gute 15,80 € Umsatz (normal), alle waren bester Laune (normal), aber die Mutter gab mir keinen Cent Trinkgeld (bei so einer Tour eher selten). Während mich der Vater beim Zusammenklappen der Zusatz-Sitze weiter mit Fragen löcherte (nicht mehr wirklich normal), kam einer der Söhne an und steckte mir die 4,20 € Wechselgeld zu, bei der die Mutter sich offenbar nicht getraut hatte, sie mir zu geben (normal. Quatsch, war so unerwartet natürlich extrem geil!).
Was lernen wir daraus? Nur weil das Wort „normal“ gefühlte hundert Mal in einem Blogeintrag vorkommt, muss der noch lange nicht normal sein. 😉
