Planungsdefizite

Ich mache mich nicht gerne über Kollegen lustig. Denn wenn wir ehrlich sind: wenn man die gleiche Arbeit macht und ein Missgeschick eines anderen mitbekommt, dann kann man in der Regel verstehen, wie es passiert ist, hat sowas vielleicht selber schon erlebt und leidet ein bisschen mit. Also zumindest mir geht das so. In diesem Fall hab ich allerdings nur noch staunen und kichern können.

Ich stand am Ostbahnhof an zweiter Position. Ich sehe eine Mutter mit ihrem Kind und viel Gepäck ankommen. Das Kind ist noch sehr klein, die Frau trägt es in einem Tuch an der Brust. Eine Fahrt für ein Taxi mit Babyschale. Nicht leicht zu bekommen, entsprechend immer schwierig. Ich hab mich gedanklich schon weit weggewünscht, weil das so Situationen sind, in denen man als Taxifahrer ohne Babyschale meist nichts rausholen kann. Man muss ablehnen, wenn man nicht das Risiko (immerhin den unnötigen Tod eines kleinen Menschen) in Kauf nehmen möchte und ist deswegen in vielen Fällen einfach ein Arschloch, das seinen Job nicht machen will. Da sind Eltern mitunter sehr konsequent in ihrer Auslegung, man will sich gar nicht ausmalen, was man an der Backe hat, wenn man sie fährt und es passiert wirklich was …

In dem Fall hätte man zwar die berühmte Ausnahme machen dürfen, weil Kinder bis 9 kg im Taxi nicht gesichert werden müssen – aber ich denke dabei immer an Georg Kreisler und sein wunderbares Lied „Als der Zirkus in Flammen stand„, wo der im Bezug auf einen Kindsmord die einleuchtenden und hier wohl anzuwendenden Worte gebraucht:

„… denn das Kind war höchstens sieben Jahr‘ alt, in dem Alter merkt man’s noch nicht so …“

Und ich weiß, dass dieses Lied ironisch gemeint ist.

(Ich hab das mit den Kindersitzen alles hier schon mal erläutert.)

Kurzum: ich wünschte, dass der Kelch an mir vorüberging. Und tatsächlich war ja nun erst mal der Kollege vor mir am Zug. Er redete kurz mit der Frau und begann dann, das Gepäck zu verstauen. Was eine ganze Menge war. Ich sah erleichtert zu, wie er sich abmühte, den Kinderwagen kleinzufalten und in den Kofferraum seiner Limousine zu packen, die Koffer zu drehen und zu wenden, bis am Ende nur noch Frau und Kind übrig waren. Mit der Mutter wechselte er noch zwei drei Worte, dann drehte er sich etwas irritiert guckend um und fragte mich:

„Sag mal, Du hast nicht zufällig einen Kindersitz für so ein kleines Kind?“

„Äh, nein …“

„Scheiße, was’n jetzt!?“

Dass ich da ein wenig innerlich grinsen musste, ist hoffentlich verständlich, oder? 😀

Dann hat er panisch völlig zufällig ein paar andere Kollegen angefragt und hat nach der Erkenntnis, dass das hoffnungslos ist, am Ende doch die Fahrt so angetreten. Natürlich hoffe ich (und bin mir ziemlich sicher), dass nix passiert ist. Das fände ich selbstverständlich kein bisschen lustig. Aber wie kann man bitte als Taxifahrer zwei Minuten damit zubringen, einen Kinderwagen zu falten, um am Ende von dem Kind überrascht zu werden, das die Mutter vor sich herträgt? Ich bin ernsthaft überfragt.

Aber gut, sowas passiert einem in der Regel kein zweites Mal … 😉

14 Kommentare bis “Planungsdefizite”

  1. ein Matthias sagt:

    Man könnte auch sagen: er hat alles richtig gemacht – schließlich hat er die Fahrt bekommen und damit das Geld einstecken können /böse/
    Bedenklich fnde ich eher, dass der Mutter die Sicherheit ihres Kindes scheinbar recht wenig wert war.

    Die einzige, mit viel Augenzudrücken einigermaßen als Sicherung zu bezeichnende Möglichkeit, ist in diesem Fall ja die Sicherung der Mutter nur mit dem Beckengurt auf einem Sitz ohne Airbag und hoffen, dass das Tragetuch im Fall eines Falles das Baby hält.

    Wie groß wäre denn Deiner Vermutung nach die Chance für die Mutter gewesen, unter all den wartenden Taxis eines mit Babyschale zu finden, bzw. wie lange hätte die Bestellung eines Taxis mit Schale gedauert.

  2. elder taxidriver sagt:

    Körper(chen)-Airbags für Babies.

  3. hrururur sagt:

    @Matthias:

    Warum nur Beckengurt? Dann lieber Dreipunktgurt und das Baby obendrauf. Dann zerquetscht Mommy ihr Baby auch nicht so, weil sie nicht ganz so sehr zusammenklappt wie bei der Klappmesser-Beckengurt-Variante

  4. Ach, nicht-mitdenken passiert manchmal einfach so. Ich habe auch schon einmal einer Frau mit dunkler Brille und einer Binde mit drei Punkten auf dem Arm im vollen ernst „Der Ausgang ist dort hinten. Gehen Sie um die Rolltreppe herum, dann sehen Sie ihn schon.“ entgegengebracht als sie nach dem Ausgang fragte. Hab mich aber auch einige Tage lang dafür geschämt.

  5. Taxi 123 sagt:

    Bin auch der Meinung, die Mutter mit dem 3-Punktgurt am Auto und das Kind mit dem Tragetuch an der Mutter befestigen ist die sicherste Variante. 🙂 Natürlich hinten = kein Airbag.

    @ ein Matthias: es gibt tatsächlich Menschen in Dt. die kein Auto haben und für eine einmalige Taxitour nicht extra einen Kindersitz passend für die ganz Kleinen kaufen.

  6. Jens sagt:

    Mein Klischee von jungen Eltern wäre übrigens eher den Erfahrungen von Sash entgegengesetzt gewesen. Ich hätte erwartet, dass die meisten jungen Mütter sich weigern würden, die Fahrt ohne Babyschale zu machen, unabhängig davon, ob das erlaubt ist oder nicht. Sieht man mal wieder, dass meine Bekanntschaft wohl keine repräsentative Stichprobe ist.

  7. ein Matthias sagt:

    @hrururur und @Taxi 123
    Wie realistisch und _praktikabel_ ist es wohl, dass die Mutter zuerst den Dreipunktgurt anlegt und _danach_ das Tragetuch mit dem Baby an sich richtig befestigt?
    Bei einem Tragegeschirr mag das mit viel Verrenkungen ja noch gehen, aber mit einem Tragetuch?

    Meine Überlegung war, dass man mit einem Beckengurt nicht komplett zusammenklappt und deshalb das Baby noch eine Chance hätte (wenn das Tragetuch über die Schultern des Kindes geht und hält). Gleichzeitig hoffe ich, dass der Kopf der Mutter nicht soweit nach vorn geschleudert wird, dass sie mit ihrem Kinn dem Baby den (noch weichen) Schädel eindrückt.

    @Taxi 123
    Deshalb ja auch meine Frage an Sash, ob eine Chance bestünde, unter den (wieviel?) wartenden Taxis eines mit Babyschale zu finden oder ob sich ein solches Taxi schnell bestellen ließe?

    In dem früheren Artikel hatte ich meine Gedanken zu Kindersitzdepots etc. bereits schon mal geäußert.
    —————–

    Da wäre eine Anschnallpflicht für Taxifahrer in meinen Augen wesentlich nachrangiger als eine Regelung für Kleinkinder. Der Taxifahrer hat selber einen Kopf zum Nachdenken und gefährdet bei einem Unfall keinen Insassen (eventuell bei einem Seitenaufprall) – Kinder sind aber auf Gedeih und Verderb der Fürsorge Erwachsener ausgeliefert.

  8. Gregor sagt:

    So eine ähnliche Erfahrung hatte ich heute auch; nur aus der anderen Perspektive:
    Ich war mit Frau, Kind und viel Gepäck in Berlin unterwegs. Habe gestern zufällig am Hbf einen Van bekommen; das war super! Kein Stress mit dem Gepäck und Kinderwagen. Wir hatten eine eigene Babyschale auf dem Kinderwagen. Also alles dabei.
    Heute dann der Rückweg: Weil es so super war, habe ich mir wieder ein Großraumtaxi bestellen lassen. Das kam nur nicht. Also bei uns am Büro in die Schlange geschaut, wo denn unser ganzer Kram reinpassen könnte. Steht ganz vorne in der Schlange ein Touran. Sollte passen, ist mein Gedanke. Ich habe nicht mal fragen können, wehrt sich der Fahrer mit Händen und Füßen gegen die Beförderung (Deutsch konnte er auch nicht..). Alle anderen Fahrer in der Schlange guckten bedröppelt in die andere Richtung. Bis der nette Fahrer von ganz hinten kam, fragte ob das alles an Gepäck wäre und sagte das passt… Er hat alles eingeladen, wir haben den Kleinen angeschnallt und sind zügig los (so wie es sein soll!). Gab für ihn ein dickes Trinkgeld und für die anderen eine verpasste, lukrative Tour…

    Wenn ich als Vater mit meinem Sohn unterwegs bin, bin allein ich für die Sicherheit verantwortlich. Und wenn ich keinen Sitz habe, dann fahre ich eben mit dem Bus. So einfach ist das.

  9. hrururur sagt:

    @Gregor: und im Bus fliegt das Kind nicht rum? Was habt ihr für magische Busse?! 0o

    @Matthias: das ist eigentlich ganz easy aber fummelig. Wie bei einem alten Kindersitz ohne easyfix

  10. Sash sagt:

    @ein Matthias:
    Ein Taxi mit Babyschale zu bekommen, kann schon schwer sein. Die Dinger nehmen viel Platz weg und werden einfach vergleichsweise selten gebraucht. Nachts noch dazu!
    Am Stand hätte sie sicher keines mehr gefunden, und ein bestelltes Taxi hätte auch vielleicht mal eben 15 Minuten brauchen können. Das ist alles nicht optimal, aber ich empfehle deswegen, die Fahrt im Voraus zu bestellen, wenn möglich. Sollte heutzutage ja auch aus dem Zug raus funktionieren und kostet nix extra.

    @Gregor:
    Schön dass es geklappt hat und Dir ein Lob für die Einstellung. Ich weiß, dass es für Eltern junger Kinder mit dem Taxifahren schwierig ist, aber ich hoffe, dass das Modell mit der im Kinderwagen integrierten Schale weiter Schule macht. Damit lassen sich so viele Probleme umgehen!
    Ich würde als Fahrer gerne mehr von meiner Seite aus tun, aber das geht nicht in halbwegs vernünftigem Rahmen. Ich bin jedenfalls immer heilfroh, wenn mir Eltern sagen, dass man die Schale abnehmen und anschnallen kann. 😀

  11. Gregor sagt:

    @hrururur
    Im Bus hatten wir nur entspannt Platz für das Gepäck und uns zweieinhalb Personen. In einem „normalen“ neuen Kombi wird das schon eng… Deswegen der Bus. Und wenn ich die Babyschale anschnalle, dann fliegt sie auch nirgends rum; egal was für ein Auto… 😉

    @sash
    Ich erwarte ja auch nicht, dass jeder Fahrer sich genau auskennt, welche Arten der Fixierung es so gibt. Das ist meine Aufgabe als Eltern. Aber zumindest mit einem reden sollte er…

  12. hrururur sagt:

    @Gregor:
    Ihr habt Gurte im Bus? Doch magisch…

  13. Gregor sagt:

    Jetzt stand ich aber ordentlich auf den Schlauch…
    Ja, wir haben auch in den Bussen des ÖPNV einen Platz mit Gurt (auch für Rollies). Ich sprach die ganze Zeit von nem Van…
    Mal gut, dass Wochenende ist 😉

  14. Sash sagt:

    @Gregor:
    Richtig, reden ist schon, nun ja, hilfreich. 😉

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