Zu ehrlich zum Bescheißen

Manche Dinge passieren selten, manche sehr selten – und bei manchen fragt man sich echt, wann das das letzte Mal passiert ist.

Ich hatte Fahrgäste vom Sisyphos im Auto, fuhr gerade auf die Elsenbrücke, und plötzlich war da dieses tiefschwarze Loch in meinem Gehirn.  Wo zur Hölle wollten die beiden? Wir unterhielten uns die ganze Zeit, ich hatte es offenbar einfach vergess …

„Fuck! Did you say Wilde Renate?“

„Yeah.“

Sehr schön. Ich war also eben vorbeigefahren. Mal abgesehen von den 40 Cent: Immerhin arbeite ich in einem Job, in dem ein Fehler schnell ausgeglichen werden kann. Ich hatte nicht eben einen Anzug zu eng genäht, auf den falschen Burger Currysauce geschüttet oder versehentlich eine halbe Milliarde Euro am Börsenmarkt verloren. Immerhin. Also Uhr aus und zurück.

Ich hab mich entschuldigt und versichert, dass das kein Versuch war, die beiden abzuzocken. Was sie recht schnell verstanden:

„Of course not. I mean: Why would you have told us?“

Um ehrlich zu sein: Taxifahrer-Krankheit! Natürlich rechne ich damit, dass jemand merkt, dass ich dreimal in dieselbe Richtung abbiege und das (abgesehen von wenigen Ausnahmen) nicht der kürzeste Weg sein kann. Was natürlich albern ist, Touristen wären oft so leicht zu verarschen.

An der Renate hab ich dann immerhin gesehen, warum ich vorbeigefahren war: Es war zu, alles dunkel, keine Schlange. Das erleichtert der Verpeilung ihren Zugriff enorm.

Am Ende hab ich die Kundschaft dann ohne Uhr noch zum about:blank gebracht. Auf dem kürzesten Weg dorthin wären ohnehin anderthalb Euro weniger angefallen. Mal ganz abgesehen von Wiedergutmachung und so: Das war eh der kürzeste Weg zurück zum Sisyphos. Und was soll ich sagen: Wenn man das nun angefallene Trinkgeld mit einberechnet, hatte ich am Ende dann doch wieder alles richtig gemacht. Sowas braucht’s auch hin und wieder. 🙂

Dinge überhören (wollen)

Nach wie vor ist beim Taxifahren die Kommunikation mit den Kunden oder die der Kunden untereinander eine der angenehmeren Seiten. Ich mag die Personenbeförderung immer noch genau wegen dem Personen-Teil. Jaja, manchmal isses zu laut und manchmal kommen zu viele Ausdrücke drin vor, aber Pakete würden mich im Gegenzug echt langweilen. Heute allerdings war einer der wenigen Momente, von denen ich im Nachhinein dachte, dass ich vielleicht besser nicht hingehört hätte.

Sicher, falls mich zufällig interessieren würde, inwiefern die Schwere der erektilen Dysfunktion von Marlon aus Charlottenburg (unter Einbeziehung verschiedener Partnerinnen!) mit dem Tod seines Vaters korrespondiert, wäre es eine lehrreiche Fahrt gewesen. Aber ich muss hier doch (schon alleine, weil ich Marlon nicht kenne und meine Wahrscheinlichkeit, seine Partnerin zu werden eher im unteren Promillebereich rangiert) sagen:

Nö. Wollte ich nicht wissen.

„Nur“ der Fahrer

Jetzt eine Location zu nennen geht leider nicht. Aber es war ein Club, einer von den besseren in Berlin, einer von denen, bei denen man eine Weile anstehen muss. Nicht einer meiner üblichen Verdächtigen, aber man hält als Taxifahrer eben mal hier und mal dort, halt da, wo was los ist. Es dauerte etwas, bis ich erster war, aber dann stand neben mir ein Pärchen, das sich innigst verabschiedete. Am Ende stieg von den beiden die junge Frau ins Auto und nannte mir einen wirklich nie gehörten Straßennamen.

„Oh, da haben Sie mich erwischt, ich gebe das mal besser ins Navi ein. Haben Sie vielleicht vorerst wenigstens den Stadtteil?“

„Klar: Grünau!“

Wow!

Nicht nur wegen der knapp 40€-Strecke blieb es nicht beim Smalltalk. Ich fragte wie immer nach, ob nach der Feier wenigstens Ausschlafen drin wäre, als Antwort bekam ich die Info, dass das nicht so sei, wegen einer Beerdigung. Uff. Scheiß-Thema. Andererseits ist ein „Uff“ bei Smalltalk doch immer auch ein Zeichen, dass man dazu WIRKLICH was zu sagen hat. Ob ihr das passte, wusste ich freilich nicht, aber ich hab mein Glück versucht. Nachgefragt, wer gestorben ist, persönliche Parallelen angebracht und selbstverständlich auch ehrliches Mitleid angefügt.

Nicht zuletzt mit der wichtigsten persönlichen Erkenntnis, die ich jetzt auch hier mal wirklich teilen muss:

Wenn man in diese verfickte Scheiß-Situation gerät, dass ein enger Freund oder Angehöriger stirbt: Man kann und darf sich dabei um vieles Gedanken machen, aber man sollte sich gefälligst von niemandem reinreden lassen, inwieweit man gerade „richtig“ trauert und ob das eigene Verhalten angemessen ist. Das rechtfertigt natürlich nicht, andere Menschen zu verletzen, aber ob man selbst gerne 4 Jahre schwarz trägt, zur Ablenkung feiern geht, sich einigelt oder sich privat einen Altar für den oder die Verstorbene einrichtet: Das ist ok! Sicher, alles davon kann ins Pathologische kippen, aber erst einmal ist das alles in Ordnung, jeder hat da seinen eigenen Weg.

Und ohne einen der Wege irgendwie zu glorifizieren, hab ich der Kundin eben gesagt, dass es schon ok wäre, jetzt am Abend vorher auf Ablenkung zu setzen. Wenn’s ihr gut tut …

Die Fahrt war trotz des traurigen Grundtenors grandios. Ihr ging es im Verlauf derselben besser, mir infolgedessen auch. Wäre die Gesellschaft ein bisschen menschlicher, könnte man selbst das vermutlich als Smalltalk abspeichern. Natürlich war ich nur der Fahrer und sie war nur eine Kundin und wir haben uns halt ein wenig ausgetauscht über unsere Erfahrungen.

Sie hat mir am Ende ihre Nummer gegeben. Nicht, was Ihr jetzt denkt! Nein, sie arbeitet an der Bar in dem Club und kann hier und da Gästelisteplätze vergeben. Reinkommen ohne anzustehen, und ich solle einfach mal anrufen, wenn auch ich Nicht-Clubber vielleicht mal will. Einfach weil’s geht, weil eine Hand die andere wäscht und weil das jetzt einfach mal verdammt gut getan hat, dass jemand sie versteht.

Wäre ich „nur der Fahrer“, würde ich bereits googeln, wie ich das zu Geld machen könnte. Hey, manch Touri reist für den Club ein paar tausend Kilometer an! Stattdessen werd‘ ich’s vermutlich nicht einmal selbst nutzen. Aber das Wissen, es zu können, adelt. So belanglos es in einer Party-Metropole erscheinen mag.

Zur rechten Zeit

Meine Laune ist derzeit ungebrochen, das Geschäft allerdings ist dafür nur so mittel verantwortlich. Die alte Weiheit „Zwischen Ostern und Pfingsten ist der Verdienst am geringsten“ scheint sich zu bewahrheiten, was nach erwartungsgemäßen Osterferien und einem vorzeigbar schlechten Januar nun echt nicht noch hätte sein müssen fürs erste Halbjahr 2017. Aber egal, ich hab’s durchgezogen und kann wenigstens behaupten, es versucht zu haben. Und etwas mehr als gar nix kommt dann ja doch zusammen.

Bezeichnend  für dieses Wochenende war aber, dass beide Wochenendschichten ungefähr zur Mitte hin von unerwartet langen Touren aufgehübscht wurden. Am Freitag torkelte ein Betrunkener rund 10 Minuten kreuz und quer um mein Taxi in Friedrichsfelde herum, um am Ende wie nebenbei eine Fahrt nach Erkner zu ordern. Am Samstag dann winkte es nach hundsmiserablen vier Stunden auf der Warschauer Brücke und ich durfte von dort nach Ludwigsfelde fahren.

Schätze, das ist dieses „Glück im Unglück“. Oder selbiges, das angeblich mit den Tüchtigen ist. 😉

Über den Berg

In letzter Zeit gab es einige längere Pausen hier bei GNIT und wie bei so ziemlich allem, was hier passiert, war das meine Schuld. Teils habe ich wenig gearbeitet, teils aber war ich auch einfach nur frustriert und hatte keinen Bock, mir während einer miesen Schicht auch noch Dinge aufzuschreiben, die irgendwer versehentlich positiv hätte verstehen können. Ich hätte zwar eigentlich zu kaum einem Zeitpunkt gesagt, dass ich meinen Job nicht mag, aber ich fürchte, in irgendsowas wie eine Winterdepression oder dergleichen bin ich durchaus reingeraten, denn es betraf Taxifahren, Schreiben und eigentlich alles gleichermaßen. Ich hab zwar noch nie wie eine Maschine funktioniert, aber dass mich auch Dinge dauerhaft stressen, die ich mir selbst ausgesucht habe … das passiert halt auch nicht alle Tage.

In den letzten Wochen allerdings ist es vermehrt wieder da: dieses „Ich will!“-Gefühl. Mit neuen Schreibprojekten wird das vielleicht noch dauern, aber der innere Taxifahrer ist schon mal zurück. Ich hab wieder Bock auf Club-Kundschaft, ich will nicht mehr nur, dass die nächsten acht Stunden einfach vorbeigehen. Und dabei darf es meinetwegen gerne ein paar Jahre bleiben!

Letztes Wochenende hatte ich z.B. eine Italienerin an Bord, mit der ich eine fabelhafte 30€-Tour hatte, die am Ende aber eben nicht des Geldes wegen toll war, sondern weil wir uns eine halbe Stunde lang gut unterhalten haben. Welchen Bullshit wir schon gemacht, welche Drogen wir schon genommen hätten, und wie langweilig wir trotz alledem wären.

Oder der Typ mit dem falschen Schnurrbart, der sich darüber kaputtgelacht hat, dass er sowas trägt und ihn bereits im Taxi wieder abzunehmen versucht.

Und dann der offenbar vor einer Beförderung stehende Typ im mittleren Management, der mir die besten Parkbänke nannte, um Nachts mit Blick aufs Wasser in Berlin noch einen Joint zu rauchen.

So viel Spaß in so kurzer Zeit!

Tatsächlich habe ich trotzdem gerade meine Arbeitstage reduziert. Ich hab Freitag bis Sonntag ein Auto quasi vor der Tür, ich will für eine vielleicht nur bescheidene Donnerstagsschicht gerade nicht extra zur Firma fahren. Ob’s mit arg viel mehr GNIT-Artikeln was werden wird, ist also eigentlich fraglich. Aber ich will die verbleibende Zeit besser nutzen als bisher und meine Augen und Ohren sind definitiv offener als in den letzten Monaten. Ich hoffe, dass auch die enttäuschten Dauerleser mir da eine zweite Chance geben.

Und ja, heute Abend geht’s wieder auf die Piste. Let’s rock! 🙂

Dieses Wochenende! <3

Vorweg: Es gab genügend Gründe, dieses Wochenende nicht zu lieben! Die Umsätze waren unterdurchschnittlich und zu den Zeiten, an denen man mal drei Touren hintereinander bekommen hat, lagen meine fast durchweg im 8€-Bereich. Ich bin zweimal alleine als erster von der Halte weggefahren. Darüber hinaus hatte ich etliche Telefongespräche mit Kollegen und Chefs zu führen, musste einen Zwischenstopp in der Firma einlegen, hatte zweimal eine nichttaugliche Fackel und das kann alles weg!

Dennoch sitze ich jetzt hier und bin zufrieden, ja fast schon glücklich. 🙂

Zunächst einmal: Die Osterferien haben begonnen, da ist das Geschäft halt mies. Es fällt nicht leicht, aber manchmal kann sogar ich das akzeptieren. Und dann das Größte und wichtigste:

Ich habe ein neues Auto!

Die 72 im 2017er-Gewand. Quelle: Sash

Und: Keine Sorge, der guten 2223 geht es blendend, die hat noch ein paar Jährchen vor sich und es kann durchaus sein, dass ich sie noch öfter fahren werde. Das Auto da oben aber soll von nun an mein Stammwagen zumindest für die Tage Freitag bis Sonntag werden. Dieser überraschenden Wende zuvor ging eine werkstattbedingte Autoknappheit, wegen der ich kürzlich öfter das Auto an der Firma abstellen musste. Logisch, wenn ein Kollege tagsüber sonst ohne Fahrzeug wäre. Dieses Wochenende allerdings hätte ich es jeden einzelnen Tag abstellen müssen, was in meinem Fall halt jeden Tag zwei Stunden An- und Abreise bedeutet. Und eine Art kleinere Kommunikationsschwierigkeit würde ich der Situation auch attestieren, denn dass ich überhaupt ein Auto an der Firma holte, war ja ursprünglich nur eine Übergangslösung nach dem überraschenden Tod meines Tagfahrers Harald, aber es hat sich halt als Standard etabliert und so hat halt niemand nach einer anderen Lösung gesucht. Als ich jetzt mal angeklopft hab, hat sich schnell rausgestellt, dass abgesehen von meiner Donnerstagsschicht die Kiste da oben einfach perfekt ist: Nicht nur ist sie mit bisher schon zwei Fahrern besetzt und trotzdem das ganze Wochenende frei: Nein, sie wohnt auch noch schlappe anderthalb Kilometer entfernt von mir. Also selbst wenn ich sie mal abstellen muss, ist das überhaupt nicht schlimm für mich.

Und davon abgesehen ist das Auto sehr gepflegt und zumindest der Tagfahrer, den ich schon kennenlernen durfte, ein furchtbar netter und hilfsbereiter Kollege. Abgesehen von der Frage, ob ich künftig wirklich nur für den Donnerstag die 2223 hole, ist das erst einmal ein perfektes Arrangement, die beste Lösung seit Harald jedenfalls.

An so manches im neuen Auto muss ich mich erst einmal gewöhnen, aber im Großen und Ganzen ist es ein Traum. Man merkt, dass es eine Generation neuer ist als die B-Zafiras, er fährt sich traumhaft und alles, was mir derzeit noch auf den Sack geht, sind Dinge, die ich schlicht noch nicht verstehe. Dafür fährt es sich ultra-angenehm, obwohl es kilometermäßig der 2223 in kaum was nachsteht.

Einziges Manko war dann halt die Fackel. An der waren tatsächlich zahlreiche Lampen kaputt, weswegen ich am Freitag erst dachte, es wäre Eröffnung der Arschlochsaison, tatsächlich aber sind all die Kollegen nur an mir vorbeigezogen, weil ich nicht als frei erkennbar war. Bei der spätabendlichen Not-OP an der Firma hab ich wohl eine Schraube doch zu fest oder schief angezogen, so dass das Plastik die Waschanlage am nächsten Tag nicht überlebt hat. Die obige Übergangslösung mit Gaffa-Tape geht also auf meine Kappe und wird so mit Sicherheit nicht lange existieren. Mein neuer Tagfahrer hat gegrinst und gemeint, dass uns das wenigstens unverwechselbar macht. 😉

Besonders gefreut habe ich mich dann heute auf den Heimweg. Ich mag’s ja ohnehin, nachts durch die Stadt zu laufen, aber dann auch noch durch eine mir sonst weitgehend unbekannte Ecke des eigenen Stadtteils in der ersten frühlingsgrünen Nacht des Jahres … da werd‘ ich ja zum kitschigen Rentner. Ich hab in den letzten Monaten selten was so genossen wie die paar Minuten Heimweg heute.

Das Geschäft wird nächstes Wochenende sicher auch nochmal allenfalls so mittel werden, den Donnerstag mache vermutlich gleich präventiv frei. Aber ansonsten freue ich mich einfach, es sind einfach genau die richtigen kleinen Veränderungen, die mir plötzlich dieses angenehme Gefühl vermitteln, ich würde irgendwas tolles neues machen, obwohl der Job derselbe ist wie in den letzten achteinhalb Jahren. I like!

😀 (obszön ehrlicher Smiley!)

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Einfach nur nice!

Was für eine Schicht!

Und nein, das ist kein verspäteter April-Scherz. Der gestrige Abend und heutige Morgen waren einfach prima. Dabei hatte ich nicht einmal immer Glück und von einem ernsthaften Umsatzrekord war ich weit entfernt. Es war noch nicht einmal so, dass alle Fahrgäste irgendwie super waren. Aber aus irgendeinem Grund hatte ich einfach die Extra-Portion gute Laune, die ich lange nicht mehr hatte. Nicht dass ich in den letzten Monaten irgendwie schlechte Laune  gehabt hätte, aber vorher hab ich das erste Mal seit langem bei Erreichen aller Zeit- und Geldziele trotz gerade vor dem Abstellplatz vollgetankten Auto beschlossen, nochmal eine weitere Runde zu drehen. Einfach weil’s geht. Und auch als ich dann wirklich Feierabend gemacht hab, habe ich ernsthaft noch auf Winker gehofft und war nicht einfach froh, dass die Schicht rum ist.

Und zum krönenden Abschluss hab ich die Heimfahrt in der Bahn auch noch zur Hälfte mit einem der Kollegen verbringen dürfen, die ich WIRKLICH mag. So darf der Monat gerne weitergehen.

Morgen allerdings hab ich dann trotzdem unerwartet frei, weil das Auto andersweitig vergeben ist. Egal, ist auch schön. 🙂