Oh, ein besonderes B!

Wir Taxifahrer fahren Kunden von A nach B. Sicher, beide Punkte haben für uns eine gewisse Bedeutung. Aber so wie beim folgenden Fahrgast?

„Guten Abend, wo darf’s hingehen?“

„Ich will nach …“

„Glaubste nie, Digger!“

Ich gebe zu, die Theorie ihres Freundes hat mich da schon eher überrascht.

„Ich will nach …“

„WIR woll’n nach!“

„Also WIR wollen nach Ahrensfelde.“

Wow. Ein Dorf nordöstlich von Berlin. Von einem Umsteigebahnhof im Nordosten Berlins.

Ich will nicht meckern, ein Zwanni war das durchaus, also keine kurze Strecke. Trotzdem jetzt halt auch nix, was mir große Verzweiflungsfurchen in die Stirn schrieb.

„Und Digga, und Digga, geil, wa?“

„Was jetzt?“

„Na! Nich‘ Berlin Digga, wo Du doch Berlin machst, Digga!“

OK, mal im Ernst: Vielleicht habe ich es übertrieben damit, in all den Jahren von GNIT immer zu erzählen, wie zum Beispiel die Taxitarife im Umland andere sein können oder dass wir nur in unserer Stadt/in unserem Kreis eine Beförderungspflicht haben. Aber ganz im Ernst, lieber aufgedrehter Ahrensfelder: Von einem Außenbezirk in ein Dorf zu fahren, ist nicht ganz so besonders, wie Du glaubst. Das mit der Stadtgrenze ist keine Taxifahrer-Magie, sondern allenfalls hier und dort eine Verwaltungssache, die uns nicht per se irgendwie erstarren lässt.

Ach, und by the way: Danke für die lukrative Tour! 😀

Leute gibt es …

Über Kundschaft freut man sich als Dienstleister. Über nicht so tolle Kundschaft freut man sich auch mal nicht so sonderlich. Und dann gibt’s Leute, bei denen man echt nicht weiterweiß.

Nein, um ehrlich zu sein: Eigentlich war der Kunde ein Arschloch, aber selbst unter der Prämisse kann ja eine Fahrt wenigstens noch ok sein. Man schwankt öfter mal während eines Auftrages hin und her, aber der hatte es (unwissend) zur Kunstform erhoben.

Es fing damit an, dass er mich nur sehr kurz nach dem Losfahren in der Marzahner Wildnis erwischt hat, wo ich noch lange niemanden erwartet hatte. Er winkte mich heran, wartete auch geduldig auf mein durch eine Ampel verzögertes Wenden und nannte mir so ganz grob ein Ziel in immerhin mittlerer Entfernung.

Nun war da die Tatsache, dass er gleich klarmachte, dass er nur einen Zwanni dabei hätte. Das war für die Fahrt ok, aber gleichzeitig sah er halt nicht sehr vertrauenserweckend aus und roch noch während er das sagte erkennbar nach Urin. Eine Fehlfahrt zu Beginn? C’mon, Karma! Dass er dann anfing zu erzählen, er sei ja hier und da mal Polizist gewesen und hätte sich nun nach dieser Gartenparty in Hellersdorf trotzdem so richtig verfahren, klang ernsthaft eins zu eins wie die Kunden, die ich am Ende wegen Demenz an die Blaulichtfraktion weitergeben musste.

Dann aber fragte er mich nach dem Geschäft, erklärte kurz, warum er nur noch einen Zwanni hätte, all das klang plötzlich völlig logisch und wie ein Zufall. Er erzählte dann davon, wie er eigentlich nur so semilegal in seinem Schrebergarten wohnte und bekam so langsam den Anschein von einem lustig-findigen Senioren, der dem nicht so guten Leben ein Schnippchen schlägt.

Danach kam der Teil, wo er ohne mehr als bisher den Stadtteil genannt zu haben, erklärte, dass ich fahren könne wie ich wolle, das alles egal sei und ihn nicht kümmere. Was in Anbetracht der Tatsache, dass ab zwei Kilometern Umweg der Zwanni doch nicht reichen würde, wieder meine ersten Bedenken auf den Plan rief.

Nun aber schwenkte er um und begann nett und interessiert über Kleinigkeiten auf dem Weg zu berichten. Er legte doch noch schnell eine verbindliche Route fest und überraschte mich mit geschichtlichen Details und der Tatsache, dass er die Gegend wohl wirklich gut kennt und hier nicht aufs Geratewohl ins Grüne fährt. Puh!

Und nun, kurz vor dem Ziel, da ich eigentlich zufrieden mit der Tour war, musste er noch anmerken, wie er seinen eigentlich illegalen Wohnsitz vor allem hat, weil er sowas wie eine Bürgerwehr für Arme betreibt, sprich: Rumschnüffelt, ob die Nachbarn irgendwas unerlaubtes machen. Außerdem fühlte er sich bemüßigt, mir zu erklären, dass er (natürlich!) „eigentlich nix gegen ausländische Mitbürger“ habe*, aber „diese Scheiße hier“ (also die örtliche Unterkunft für Geflüchtete) natürlich gar nicht gehe.

Und dann schwenkte er ohne eine Sekunde ruhig zu sein um auf den Hinweis, wie ich am Besten ohne stressiges Wenden wieder aus der Siedlung käme und gab mir den ganzen Zwanni mit dem Hinweis, das stimme so, obwohl das über 30% Trinkgeld bedeutete.

Aufs Taxifahren bezogen war das geradezu eine Achterbahnfahrt: Ist mal ganz lustig, muss aber nicht kurz nach dem Essen sein.

*Liebe Nazis, Rassisten und sonstige Menschenfeinde: Ihr solltet so langsam wissen, dass „Ich hab nix gegen Ausländer, aber …“ ungefähr so intelligent klingt wie „Normalerweise hole ich mir nicht auf dem Dach der Gedächtniskirche zu einem Livestream von RTL einen runter, aber …“.

Vorhersagen

„Oh, ich geb die Adresse besser mal ins Navi ein, bin mir gerade nicht sicher beim kürzesten Weg.“

„Sicher, gerne. Ach, was würde das denn etwa kosten? Kann man das irgendwie abschätzen?“

„Klar.“

Ich schiele auf’s Navi, vertue mich dreimal beim Kopfrechnen und sage dann:

„Also wenn Taxameter und Navi so genau funktionieren, wie sie sollen, werden das etwa 38€.“

Eine halbe Stunde später:

„Wow, das war ja, also das war ja SEHR GENAU!“

37,90€. So gut bin ich dann auch bei weitem nicht immer. 🙂

Nicht als einziger mitgedacht

Manchmal gerät man als Taxifahrer mitten ins sehr aufregende Leben seiner Kundschaft und ist darauf nur wenig vorbereitet. In diesem Fall war ich zum Beispiel von einer netten Tour zum Potsdamer Platz zurück zum Ostbahnhof unterwegs, als ich rangewunken wurde. Wohin es gehen sollte?

„Kinderklinik, kennen Sie? Westend?“

Jein. Tatsächlich müsste das Klinikum Westend in meinem Ortskundekatalog vor bald 10 Jahren aufgetaucht sein, seitdem ist es in meinem Gehirn allenfalls würdevoll verblasst. Fluch und Segen einer 900km²-Stadt: Wir haben hier zwar alles, aber es gibt halt auch niemanden, der über alles einen Überblick hat. Außer Google natürlich.

Allein der Stadtteil war entfernt genug, um einfach blitzschnell losfahren zu können und unterwegs die wichtigsten Infos (wie z.B. von welcher Seite aus man reinfahren kann/soll/muss) unterwegs an Ampeln ausfindig zu machen.

Und mir war sehr  unwohl bei der Sache, denn die „kleine“ Patientin (vielleicht 11 Jahre) zeigte zunächst genau die Symptome, die in meiner Familie beinahe mal für ein spontanes Ableben gesorgt haben: Schlimme Bauchschmerzen, nicht nur einfach „ein Aua“, irgendwas außerhalb der Komfort-Zone. Und  ja, auch beim mir bekannten Fall wurde das als „Hysterie“ und „Übertreibung“ abgetan, am Ende war’s halt ein akuter Blinddarmdurchbruch und der Grat zwischen Leben und Tod war eine Frage von Stunden. Ich weiß, dass Ärzte zu oft mit unbegründeter Panik* zu tun haben, aber seit dieser Erfahrung bin ich auch der Meinung, dass eine schnelle Meldung nur halb so viel Schaden anrichtet, wie eine unterlassene. Dass Defizite bei der ärztlichen Versorgung existieren, ist halt eben nur eine Seite der Medaille und weder den Patienten noch den Ärzten anzulasten.

Ich war also bei der Sache auch auf 180 und am Ende sehr froh, dass das Klinikum Westend mit seinen beachtlichen Ausmaßen dennoch mal jemanden zu Gast hatte, der über die Welt nachgedacht hat und die nicht eben leichte Zufahrt zur Notaufnahme mit einer Markierung auf der Straße markiert hat. Eine durchgängige rote Linie nebst Wegweisern, ein Garant für die schnelle Ankunft. I like.

Ich würde nach wie vor gerne sagen, dass wir Taxifahrer das auch wissen können sollten, aber wir reden hier halt nicht von der einen Kurklinik im Landkreis, sondern von einem Krankenhaus in einer Metropole. Und wie es schon allgemein bei Stadtteilen der Fall ist: Die einen kennt man besser, die anderen eher weniger.

Am Ende der roten Linie war alles gut. Mutter und Tochter  haben sich bedankt und ich hatte eine weitere sehr erfolgreiche Fahrt abgeschlossen. Und mal nebenbei: Ich bin auch immer ein Freund von weniger „Schilderwald“, von weniger Regulierung. Aber manchmal merkt man dann doch, wie einem sowas den Arsch retten kann …

*Hier eine sehr interessante Erkenntnis der Mutter: Ein Arzt soll auf ihre Bedenken hin, hysterisch zu erscheinen, gesagt haben:
„Ich liebe hysterische Mütter! Ganz ehrlich! Das ist super! Die kommen nie zu spät!“

Friedrich Irgendwas der zweite

Als ob die vielen doppelten Straßennamen in Berlin nicht genug Ärgernisse für Menschen wie zum Beispiel uns Taxifahrer bereithalten würden: Man stelle sich mal vor, wie es Touristen ergehen muss, wenn denen schon die deutsche Sprache für sich schwierig genug ist. Da ist dann schon sowas wie die Ähnlichkeit vieler Dinge ein Problem.

So bei den beiden Schotten gestern Abend. Ob ich sie zu ihrem Hotel am Bahnhof Friedrichstraße bringen könne, sie hätten sich wohl irgendwie verfahren. S-Bahnhof Friedrichsfelde-Ost, ich verstehe. 😉

Und mal abgesehen davon, dass ich auch jemand bin, der ständig mit all den alten Fürsten-, Königs- und Adelsnamen durcheinanderkommt: Ich kenne das ja auch schon von den vielen Leuten, die ich vom Ostbahnhof zum Ostkreuz gefahren habe.

Lustig gestern war, dass ich ein paar Stunden später wieder am Bahnhof stand und mich dann plötzlich zwei israelische Mädels fragten, ob ich sie ebenfalls zu einem (anderen) Hotel nahe des S-Bahnhofs Friedrichstraße bringen könnte. Selbes Problem: S-Bahn in die falsche Richtung genommen und „Ah, das hier ist es doch, oder?“.

Kleiner Trost: Vom S-Bahnhof Friedrichshagen aus, an den es einen so theoretisch auch verschlagen könnte, kostet die Taxifahrt beinahe das Doppelte.

Nur kurz in die City. Quasi.

Was für ein toter Schichtanfang! Ich bin von der Halte Bahnhof wieder weggefahren, weil ich fürchtete, es könne noch ewig dauern. Und während ich so vor mich hindachte, wie mies das bisher lief, winkte es plötzlich neben mir. Ich hab die Bremse durchgetreten und der Typ kam angewackelt. Älteres Semester, der Optik nach eher ohne festen Wohnsitz. Ich wollte schon wegen der angezündeten Kippe losjammern, die er einfach mal selbstverständlich mit ins Auto gebracht hat, hab das dann aber erst einmal gelassen, denn er hatte die Tür eh noch offen und wollte offenbar erst einmal was fragen. Und ich hab mit viel gerechnet, aber nicht damit:

„Sag mal, wie weit wär’s denn bis ins Zentrum? Zürich Zentrum?“

Und auch wenn man bei sowas als Taxifahrer versucht ist, Geldscheine herabregnen zu sehen: Dass das mit dem Typen nix wird, war klar. Nicht nur sah er nach kein Geld aus, er wusste augenscheinlich nicht so genau, in welcher Stadt er überhaupt war.  Er fragte noch kurz nach, ob denn dann Sofia näherliegen würde. Ich hab der Klarheit zuliebe tatsächlich kurz Google angeschmissen und ihm gesagt wie weit es wäre. Er strahlte:

„Nur 30 km?“

„Nein. Eintausendsechshundertdreißig!“

Er hat dann beschlossen, sich das nochmal zu überlegen.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

„Ich bin so fertig mit der Scheiße!“

Kurze Wartezeit am Sisyphos, eine Truppe abgelehnter Touris. Aus Bayern.

„Ich schnall‘ das nicht! Wir? WIR? Die hätten die Vollpfosten vor uns ablehnen sollen!“

Vielleicht hatten sie recht. Die „Vollpfosten vor uns“ hatte ich nicht im Auto; wie die so drauf waren, kann ich schlecht bewerten. Aber das Mädel hinten links brach in Tränen aus, der in der Mitte schwieg und der neben mir lebte in seinen Gedanken Tötungsfantasien aus, die glücklicherweise  nur hier und da artikuliert wurden. Und zudem natürlich, dass er fertig sei „mit der Scheiße“.

Ich will ehrlich sein: Abgesehen von der für mich nur mittelmäßigen Musik war das immer mein größter Hinderungsgrund, je Clubgänger zu werden: Türsteher. Ich war mit meinen paar Pfund zuviel auf den Rippen und meiner damit verbundenen Klamottenwahl nie irgendwo per se willkommen und ich hatte dementsprechend auch nie das Bedürfnis, einer Szene anzugehören, die mich allenfalls dulden würde. Wenn z.B. das Wetter gut ist oder die Auslastung des Clubs gerade genehm.

Aber gut, wir Menschen sind ja alle verschieden. Das Sisyphos soll gut sein und ich gönne auch den Menschen Spaß, die jetzt vielleicht nicht zu 100% auf meiner Linie liegen. Aber dass in den angesagtesten Clubs in Berlin willkürlich Leute abgelehnt werden, ist ja nunmehr auch weniger ein Geheimnis. Seit Anbeginn meiner Präsenz auf der Straße als Taxifahrer lege ich den Leuten ans Herz, wenigstens einen Plan B zu haben und das nicht persönlich zu nehmen. Das macht eine Ablehnung natürlich nicht unbedingt gut, aber seit spätestens dieser Tour weiß ich auch, dass Rumjammern nicht unbedingt glücklicher macht.

Aber klar: Extra von Augsburg nach Berlin fahren, um in einen besseren Club zu kommen, ist anscheinend nur ein Teil der Experience. Ohne reingekommen zu sein den Club als „dümmste Party von Welt“ zu beschimpfen, macht es natürlich besser.

Auf dem Weg zu ihrem Hostel hätten wir ungelogen an mindestens fünf Locations anhalten können. Und ich will hier nur die gezählt sehen, die elektronische Musik spielen. Aber wenn der Name des Clubs mehr zählt als die Party dort, dann ist das eben so und ich schätze, dass es auch f+ür alle Betreiber der potenziellen Kandidaten eher gut war, dass ich die Kundschaft – genervt wie sie war – „nach Hause“ gebracht habe.