Vertrauen

„Ich muss kurz hoch, Geld holen. Kann ich ihnen meine Tasche dalassen, oder hauen Sie dann mit der ab?“

Zugegeben: Alleine dass sie in Erwägung gezogen hat, ich würde auf diese Frage ehrlich antworten, ist schon schmeichelhaft. Ich hab sie beruhigt; hab gesagt, dass ich selbst aussteigen würde und die Tasche nicht einmal ansehen, alles kein Thema. Und sie hat mir geglaubt. „Das mit dem Pfand“ ist eben schwierig. Aber auch dieses Mal hatte ich das wichtigste vergessen zu sagen. Ich hab das dann nachgeholt, als sie nach einer Minute wieder da war:

„Wenn Sie nur ungerne ein Pfand dalassen: wir haben eine Konzessionsnummer! Die ist hier hinten in der Heckscheibe und muss von innen und außen sichtbar sein. Die ist maximal vierstellig und damit einfacher zu merken als ein Kennzeichen. Darüber können Sie im Falle eines Falles das Taxi – und damit den Fahrer – zweifelsfrei ermitteln lassen. Schön, dass Sie mir auch so vertraut haben, aber Sie haben als Kundin selbst in diesem Fall noch eine Kontrollmöglichkeit.“

Der Uber-Uber-Artikel

Die aktuelle Debatte über den Fahrdienst-App-Anbieter Uber ist ein gutes Beispiel dafür, wie Vernunft im Keim erstickt werden kann, wenn die Ressourcen zu ihren Ungunsten ungleich verteilt sind. Und damit ist nicht einmal die gigantische Summe von 18 Mrd US-Dollar gemeint, die Uber angeblich wert sein soll. Obwohl die sicherlich hilfreich ist für die Firma. Denn damit kann sie den Hype am Leben erhalten, der dank PR die einzige wirkliche Stärke in ihrem Kampf ist. Nicht unähnlich einer Sekte, die mit absurden Heilsversprechen durch außerirdische Götter hausieren geht. Eigentlich nur eine App, ein schmuckes Design und viel Lust auf Grenzverletzungen. Im Grunde nichts, was nicht tausende Hinterhof-Schmieden im Koksrausch auch hätten machen können.

Die Anhänger rufen laut, man möge Innovationen nicht verbieten, dabei war Uber nur genau einmal in der Firmengeschichte tatsächlich kreativ: als sie in San Francisco einen Limousinendienst angeboten haben. In einer Stadt mit offenbar unzureichender Taxiflotte haben sie den jungen Hipstern ein neues Spielzeug geboten und haben vermutlich nicht zu Unrecht Erfolg damit gehabt. Die heute so bewunderte Expansion und das „innovative“ Konzept von UberPop sind indes nur ein Schatten ihrerselbst.

In den New Yorker Taximarkt wollte Uber eigentlich mit einer ganz normalen Taxi-App eindringen, wie sie dort GetTaxi einzuführen vorhatte. Statt das in der Eile sinnvoll zu planen, bot Uber die App den Yellow-Cabs an, die noch nie Bestellungen angenommen haben und dies auch nicht vorhatten. Dabei existieren in New York andere Fahrdienste, die so eine App vielleicht hätten gebrauchen können. Aber nicht mit Uber! Sie wollten die Yellow-Cabs und schoben ihr Scheitern auf eine innovationsfeindliche Branche. Sie brachen den Versuch ab und schmissen auch hier einfach ein paar UberBlack-Limousinen auf den Markt, beileibe kein neuartiger Dienst, schon gar nicht in NYC.

Dann stand Lyft kurz davor, eine lohnendere Variante einer Mitfahrzentrale auf den Weg zu bringen. Ubers Programmierer warfen einen offenbar nicht einmal sonderlich guten Abklatsch dieser Idee – vermutlich auch hier weil in Eile zusammengeschrieben – ein paar Wochen vor Lyft raus und nannten es UberX. Woraus in Europa dann UberPop werden sollte.

Natürlich verletzten sie mit einer App, die ungeschulten Fahrern ohne Lizenz oder Ausbildung die Personenbeförderung erlaubt, etliche Gesetze. Sie wurden hier und da verboten und überall wo sie auftauchten, haben sie auch Prozesse am Hals. Selbst die vermeintlichen Erfolge sehen bei gezielter Recherche schnell dünn aus. In NYC z.B. ist UberPop (also UberX) vertreten, allerdings müssen die Fahrer dort inzwischen auch eine Limousinen-Lizenz erwerben. Ein Kompromiss und ganz sicher kein waghalsiges Niederringen einer Branche, geschweige denn eine große Neuerung.

Ubers aggressive Expansionsstrategie brachte sie schnell nach Europa, wo ihre Innovation im Wesentlichen daraus bestand, mit Geldscheinen zu wedeln. Zwar wurden die Sprecher auch hier nicht müde, die Taxibranche zu beschimpfen und „verkrustete“ und „überholte“ Gesetze anzuprangern, wo immer man ein Mikrofon fand, allerdings ist auffällig dabei, dass sie nicht etwa tatsächlich an den vorhandenen Hürden ins Gewerbe gescheitert wären – sie haben es schlicht nie versucht. Die Gesetze in Deutschland sehen Ausnahmen für neue Technologien und Angebote vor. Kein Fall, für den man nicht eine Genehmigung beantragen hätte können. Was Uber aber soweit bekannt nie getan hat. Stattdessen haben sie sämtliche Arbeit in die PR gesteckt und irgendwelche Taxi-Kartelle erfunden, die die Taxifahrer in Deutschland heute noch vergeblich suchen. Aus dem erwartbaren Gegenwind der Branche und der Politik ließ sich dann das tolle Märchen weiterspinnen vom kleinen Startup, das an einer Politik scheitert, die ewiggestrig ist. Sicher hätten sie mit ihren Anträgen scheitern können, aber die Begründungen der Gerichte wären vermutlich inhaltlich zu kompliziert gewesen, um sie einfach in die Legende einzubauen.

Und überhaupt: die Taxifahrer! Während Uber vor geneigtem Publikum gerne verkündet, mit „einem Arschloch namens Taxi“ Krieg zu führen, ist das ein beim zweiten Hinsehen mehr als billiger Trick. Uber hat gar kein Interesse an einem deregulierten Taxigewerbe. Es müsste ihnen gut in den Kram passen, dass Taxen reglementiert sind, weil es Uber die Konkurrenz erleichtert. Wenn Uber in der gewerblichen Personenbeförderung eine Rolle spielen will, dann als Mietwagendienst. Der unterliegt weit weniger strengen Bestimmungen, aber das macht sich schlecht als Feindbild, denn wer kennt denn bitte überhaupt Mietwagen oder hatte in einem solchen mal eine schlechte Erfahrung, die Uber nun für sich verwenden könnte? (Und wie viele davon wären UberBlacks gewesen, mit denen Uber seit Anfang 2013 in Berlin erfolglos ist?)

Taxifahrer kennt jeder – und da das Gewerbe immer schon auch Schattenseiten hatte, hält es als Sündenbock halt gut her.
Was auch auf andere Weise kurios ist, denn Uber kämpft PR-mäßig an vielen, sich widersprechenden Fronten. Zum einen der Krieg gegen Taxis, der Kampf gegen die Taxi- und Mietwagenregulierungen und nicht zuletzt behaupten sie zusätzlich (!), dass sie ja gar nichts mit diesem Gewerbe zu tun haben, weil sie nur eine Art Mitfahrzentrale sind. Was zwar dreist gelogen ist wie vieles andere, aber darauf kommt’s nicht mehr an. Selbst manche Berichte über ihre Einnahmen sind bestenfalls ein wenig unglaubwürdig, wenn man mal ein bisschen nachrechnet.

Eine Mitfahrzentrale ist man, wenn die Fahrer Leute mitnehmen, die sowieso in die selbe Richtung wollen und sich dafür ein wenig Spritgeld zahlen lassen. UberPop verspricht seinen Fahrern ein Einkommen von 100 € am Tag und vermittelt entsprechende Aufträge. Und wenn man sich wie ich als Taxifahrer ein bisschen näher mit dem Thema auskennt, dann weiß man, dass 100 € in der Personenbeförderung ein ansehnlicher Betrag ist, für den man ein ganzes Weilchen arbeiten muss; nix, was man mit 2 oder 3 Fahrten in einer Stunde mal locker nebenbei einfährt.

Aber da ist das nächste Problem: das Wissen. Das ist recht nutzlos, wenn es dem Glauben gegenüber steht. Jeder, der schon mal eine (in welcher Art auch immer) schlechte Taxifahrt hatte, jubelt Uber nun zu und wünscht den Siegeszug jener „innovativen“ App. Wie sich das damit vertragen soll, dass Uber die Qualität im Gewerbe ausgerechnet dadurch verbessern soll, dass die paar qualitätssichernden Regularien abgeschafft werden, interessiert Gläubige nicht. Und meine Meinung als Taxifahrer mit entsprechendem Wissen zählt natürlich ebensowenig, weil ich ja der Feind von Uber und damit per se unglaubwürdig bin. Hier kommen Argumentationsmuster zum Vorschein, die denen von Verschwörungstheoretikern nicht unähnlich sind.

Faktenresistent wird dabei darüber hinweggesehen, dass UberPop – angeblich ja nette Mitfahrzentrale eines kleinen lieben und von Kartellen bedrohten Startups – beileibe nicht billiger ist als ein Taxi. Sicher, hier und da mal 20% – was jedoch nix ist gegen das „Surge Pricing“, das bei hoher Nachfrage die Fahrer auf die Straße locken soll, weil der Preis vervielfacht wird. Vervielfacht, nicht etwa moderat erhöht! Die Frage, wieso knuffiges Ressourcenteilen so viel kosten muss wie professionelle Personenbeförderung, geht im „Armes Uber, böse Taxifahrer!“-Geschrei natürlich unter. Da wird der Raubtierkapitalismus plötzlich zum Schmusetier, weil irgendwann mal einer der letzten Taxifahrer ein Arschloch war. Dass Uber, würden sie alle Gesetze zu Gunsten UberPops einreissen, auch Mitbewerbern Tür und Tor öffnen würde, denen dann wirklich alles scheißegal ist, ist natürlich auch nur eine düstere Dystopie, die ich als Taxifahrer ungerechtfertigt aus Angst um mein Geld in die Welt setze und nicht etwa, weil das zum einen auf jedem komplett deregulierten Markt passiert und ich zum anderen aus mehrjähriger Erfahrung weiß, wie schwer es in diesem Gewerbe ist, irgendwelche qualitätssichernden Regeln auch nur durchzusetzen.

Und als ob das nicht schon ein viel zu langer Text wäre, den kaum jemand bis hierhin durchlesen wollte, ist der wichtigste Punkt noch überhaupt nicht angeschnitten: dass das Kernkonzept von UberPop darin besteht, Menschen auf die Straße zu schicken, die weder ein Gewerbe angemeldet haben, noch bei Uber beschäftigt sind. Die Fahrer werden abgespeist mit einem allem Anschein nach sittenwidrigen Vertrag, der ihnen quasi alle Rechte nimmt, und sind damit nicht einmal Angestellte. Wer es versäumt, oder – was wahrscheinlicher ist – sich absichtlich dagegen entscheidet, ein Gewerbe anzumelden und dort die Gewinne seiner Tätigkeit abzurechnen, arbeitet schwarz. Nicht dunkelgrau oder ein bisschen schwarz – sondern zweifelsfrei.
Und tatsächlich wird aber nicht etwa darüber diskutiert, dass sich da einige im Grunde bedauernswerte Gesellen fremde Leute ins eigene Auto laden, damit oft ihre Versicherung riskieren und am Ende im kargen Niedriglohnbereich (Tja, keine Angestellten, kein Mindestlohn!) Sklaven ohne Rechte spielen, ohne dabei ihr Einkommen zu versteuern oder wenigstens in die Sozialkassen einzuzahlen. Nein, die Profis unter den Gläubigen sagen, dass das „vielleicht schon etwas schlecht“ sei, „aber mit Mindestlohn und Steuern“ wäre es voll dufte. Klar, ein Banküberfall mit Bankkarte statt Pistole und Zugriff nur aufs eigene Konto ist auch voll in Ordnung. Aber bei UberPop ist diese lockere Anbindung das Konzept, darum geht’s hier! Nicht darum, was UberPop vielleicht sein könnte, wenn es anders wäre. Etwas, das überall geächtet und als gesellschaftliches Problem anerkannt ist, wird bei Uber ruck-zuck zu einer leider unterdrückten Innovation erklärt.
Etwas, das vermutlich wirklich nur mit einer Milliarden-Propagandakasse erklärt werden kann.

Natürlich bin ich in meiner Position als Taxifahrer befangen. Man wird mir zumindest immer vorwerfen können, dass es mir eigentlich nur um meine eigene Kohle geht bei der Sache. Nichtsdestotrotz habe ich auch einfach Ahnung vom Geschäft:

Ich weiß, dass es zumindest hier in Berlin kein Taxi-Kartell gibt. Hier bekriegen sich 5 oder 6 Gewerbevertretungen gegenseitig und liegen zudem im Clinch mit dem LABO und dem Gewerbe in den umliegenden Gemeinden. Und in den Gewerbevertretungen sind tausende (ja, tausende – in Berlin alleine!) Unternehmen unterschiedlichster Meinung organisiert.

Ich weiß, dass wir Taxifahrer nie ohne Konkurrenz waren – egal ob seitens der Mietwagen, dem Carsharing, Bus und Bahn, dem Privat-PKW oder am Ende durch uns selbst.

Ich hab schon schwer schlucken müssen, als ich gelesen hab, dass Uber für die Vermittlung 20% Provision kassiert, weil ich weiß, dass man nach so einem Abzug einfach beschissen wenig Geld verdient, so lange man es wenigstens legal meldet. Die anderen Abzüge, die Uber hier und da darüber hinaus einführt, mal gar nicht einberechnet.

Auch über die uns vorgeworfenen festen Preise wüsste ich zu referieren, dass sie zum einen dafür sorgen, dass Taxifahren nicht noch teurer ist als ohnehin. Und noch dazu, dass Uber das gar nicht stören muss, weil sie ja sowieso keine Taxis im Sinne öffentlicher Verkehrsmittel (wie wir es sind) anbieten will und damit natürlich auch nicht der Tarifpflicht nicht unterliegt. Wir sind die, die weiter für 15 € fahren müssen, wenn bei Uber 120 € angesagt sind. Und laut Uber-Kunden sind wir dafür immerhin auch gut genug. Messen mit zweierlei Maß made bei Uber-Fans.

Und mir fallen ebenso für all die Gerüchte über unsere Einnahmen, unsere Auslastung und das, was Uber da reissen könnte, zig Gegenargumente ein, warum genau dieses oder jenes nicht oder nur teilweise stimmt. Einfach weil das seit 5 Jahren als Taxifahrer und Taxiblogger mein Leben ist.

Aber das alles hat ein großes Problem: es beschreibt eine komplizierte rechtliche und gesellschaftliche Situation, die nicht ganz so sexy wie die David-gegen-Goliath-Geschichte ist, die Uber frei erfindet und unter den Gläubigen streut.

Wie bei anderen Religionen scheint es ein Kampf gegen Windmühlen zu sein. Ich kann nur immer wieder sagen, dass man sich selbst informieren sollte, bevor man die einfachste Lösung akzeptiert. Aber das ist halt kompliziert und der große Schwarm der Leute, der weder Zeit noch Lust hat, einen Mythos zu entzaubern, weil es ja immerhin eine Flasche Wasser gratis gibt, schwimmt halt mit im Strom der 18 Milliarden Argumente. Da strampelt man sich mit einem Zehner Stundenlohn ziemlich ab um dagegenzuhalten. Wohl dem, der keine Ahnung hat; denn das ist weit weniger anstrengend …


Nachtrag: Seht Euch die USA an, schaut in die Foren der Fahrer! Lest mal, wie die abgezockt und ignoriert werden! Obwohl Selbstausbeutung via selbständigem Drittjob dort viel akzeptierter ist als hier. Und auch wie die Fahrer dort über Kunden und ihren Service denken. Wo ist das gehypte Kuschel-Startup mit den ach so viel besseren Bedingungen? Zuschläge für hinterlistig konzipierte und beinahe nutzlose Versicherungen, willkürliche Preissenkungen, jetzt dann Miete für ein nur für die App nutzbares Telefon usw. usf. … da bleibt kein lustiges Shareconomie-Märchen am Ende. Die ziehen Geld aus jedem Cent von jedem, der ihnen über den Weg läuft. Moral hingegen kostet Geld, ist also unnötig. Wenn wir Taxifahrer schon Monopole und ein Kartell haben, was baut Uber da gerade auf? Gibt’s dafür schon einen Namen?

Anschnallpflicht für Taxifahrer

Ich bin von mehreren Seiten gestern darauf hingewiesen worden, dass die Anschnallpflicht für Taxifahrer demnächst kommen soll. Zum Beispiel hat Spiegel Online das hier berichtet. Das überrascht mich zwar zugegebenermaßen, ich hätte nicht gedacht, dass diese Regelung noch irgendwer auf dem Schirm hat, aber es gibt auch nichts, was mir egaler sein könnte.

Bisher ist es uns Taxifahrern erlaubt, während der Personenbeförderung – also so lange Kundschaft an Bord ist – keinen Sicherheitsgurt anzulegen. Der Hintergedanke ist, dass wir im Falle eines Überfall schnell das Fahrzeug verlassen können.

Nun ist das natürlich eine nette Sonderregelung, allerdings ist sie – o Wunder – statistisch nicht so recht sinnig. Der BZP führt in seinem Statement zugunsten der Einführung der Anschnallpflicht zwar an, dass es auch letztes Jahr wieder zu 244 Verletzungen bei Überfällen* kam, die Zahl der Verletzungen durch Unfälle jedoch wesentlich höher liege und die „heutige Sicherheitstechnik“ (ich bin sicher, sie meinen Airbags) geradezu ein Anschnallen erfordere, um nicht ihrerseits zu Verletzungen zu führen.

Und ich wüsste nicht, was sich an der Erkenntnis ändern sollte. Ich bin davon bisher schon ausgegangen und schnalle mich dementsprechend an, auch wenn ich es nicht müsste. Sicher, wahrscheinlich gibt es unter Taxifahrern weit mehr Gurtmuffel als sonstwo – eben weil man sich daran gewöhnt, sich halt nicht anzuschnallen. Und die dürfen sich meinetwegen gerne über die Bevormundung beschweren. Mir persönlich isses wie gesagt halt völlig egal, da ich mich sowieso anschnalle.

Danke an all die Hinweisgeber!

*Spiegel Online macht im verlinkten Artikel aus den 244 Überfällen mit Verletzungsfolge im letzten Jahr insgesamt „genau 244 Überfälle“, was natürlich Quatsch ist und vermutlich nicht einmal Berlin abdecken würde. Die weitergehenden Schlussfolgerungen sind jedoch zufälligerweise richtig, und das ist ja immerhin schon mal was.

Das Wichtigste im Blick …

Die Leute einzuschätzen ist ja immer so eine Sache.

Sie standen am Weißenseer Weg und haben gewunken. Also „gewunken“. Beide rotzevoll und dementsprechend dabei, das zu praktizieren, was ich gerne als „Ganzkörperwinken“ bezeichne: Den Arm hochhalten und dabei mit dem ganzen Körper wackeln – eine Art verschäfte Gleichgewichtsübung mit unsichtbarem Haltegriff.

Als ich näherkam, sorgten Sie sich wohl darum, dass ich nicht anhalte und haben ihr Treiben auf die rechte Spur verlegt, wobei einer der beiden auch noch ziemlich ins Straucheln kam und beinahe als erster Fahrgast liegenderweise vor meinem Auto posiert hätte. Entsprechend begeistert war ich. Nach wie vor hab ich nix gegen Betrunkene, aber man macht sich schon so seine Sorgen.

Beides Männer um die 30, dem Akzent nach vielleicht Russen. Der eine grinste mich gleich nett an und fragte den Umständen entsprechend höflich:

„Tschuuuljunk! Du fährst uuuuns Friechshaaaain?“

„Na logo, steigt ein!“

Sekunden später saßen beide im Auto. Ich wollte gerade losfahren, da brüllte der eine dazwischen:

„CHAAAAALT! STOOOOP!“

Ich dachte schon, ich wäre im Begriff, jemanden zu überfahren. Tatsächlich ging es um die Sicherheit: Seinem Kumpel war offenbar das Anschnallen zu kompliziert. Also musste ihm erst mal eine Standpauke darüber gehalten werden, wie wichtig es ist, sich anzuschnallen, wenn man im Auto sitzt. Geradezu vorbildlich. Wie, äh, offenbar auch die restliche Lebensführung:

„Fährst Duu uns Bank, dann Tanke! Müssen trinken weil wir gewonnen fette Schlägerei! Trinkst Du Wodka mit uns, oder?“

Ja nee, is‘ klar! -.-

Kleiner Funfact: Sie haben an der selben Bank Geld geholt wie der frisch aus dem Gefängnis entlassene Kerl, der sich ebenfalls ums Anschnallen gesorgt hat. Darüber hinaus war es für mich eine sehr angenehme Fahrt. Beide waren total nett, auch wenn der eine wirklich pausenlos einen Monolog über Unfallsicherheit hielt. Am Ende gab es ein gar nicht so schlechtes Trinkgeld und gut war. Selbst den Wodka habe ich ihnen ausreden können. Also den für mich …

Unfall des Jahres

Aber mindestens!

Um ehrlich zu sein: ich selbst habe gar nix davon gesehen. Aber der Kollege, mit dem ich mich unterhalten habe. Ich hatte ein bisschen Standzeit am Ostbahnhof, nichts ungewöhnliches soweit. Besagter Kollege fragte mich, wie das genau hier sei mit dem Vorrücken, er sei noch neu. Ich mag solche Unterhaltungen, einfach weil man sein doch nur begrenzt nutzbares Wissen als Taxifahrer mal an die weitergeben kann, die es wirklich interessiert. Ich hoffe dabei immer, vielleicht einer der Kollegen zu sein, der dafür sorgt, dass Neuanfänger das nicht als einen Ich-gegen-alle-anderen-Job kennenlernen.

Aber gut, bleiben wir realistisch: wir haben uns ein bisschen über die Halte und ein paar sonstige Kleinigkeiten unterhalten. Und da zuckte er auf einmal zusammen und fragte mich, ob ich das gesehen hätte. Hatte ich nicht, nur ein Knirschen hatte ich vernommen. Ist wohl wieder mal einer über Glasscherben gefahren … etwas, das in schöner Regelmäßigkeit am Ostbahnhof vorkommt, da der Platz unter anderem von vielen Vollhonks frequentiert wird, die die Bierflaschen nach dem Austrinken lieber auf der Straße zerdeppern, anstatt sie zum Wohle der unzähligen Flaschensammler irgendwo stehenzulassen.

Mit meiner Einschätzung lag ich auch richtig: es ist tatsächlich jemand über eine Flasche gefahren. Allerdings so ungünstig, dass das Glas unter dem Reifen derart unschön splitterte, dass ein zufällig vorbeigehender Passant eine Scherbe irgendwo mitten ins Gesicht geschleudert bekam.

Meine Fresse, die Gefahren der Großstadt lauern ja an Ecken, die selbst mir noch absolut unbekannt waren!

Ich hab die Szene nicht lange verfolgen können. Scheinbar lief da auch alles gesittet ab. Der Autofahrer, der von des Passanten Begleitern informiert wurde, eilte zu Hilfe, der Szenerie nach stand kein Streit im Raum. Wozu auch? Wer würde so eine groteske Situation auch als Absicht werten können?

Aber ich hab mir am Ende dann doch die Frage gestellt, wie das denn jetzt wohl juristisch aussieht. Soweit ich weiß, bin ich als Autofahrer durchaus dran, wenn ich jemandes Klamotten verunreinige, weil ich durch eine Pfütze heize. Und prinzipiell müsste das hier das selbe sein, oder? Und WTF?

Also falls da ein paar Kenner mitlesen, wäre ich wirklich sehr interessiert. Schon alleine, weil ich da ja auch täglich rumfahre …

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

Abonniert doch den RSS-Feed von GNIT. Mehr von Sash gibt es außerdem bei Facebook und bei Twitter.

Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Kompetenzgefälle

Zwei Uhr, regennasse Fahrbahn, die Kreuzung Stralauer Allee/Markgrafendamm. Die Ampelschaltung, um geradeaus nach Stralau zu kommen, ist wie immer zu kurz. Aber es müsste noch reichen. Die beiden Wagen vor mir fahren flott an, ich drücke mich bei Dunkelgelb noch durch. Plötzlich setzt der erste den linken Blinker und bremst wegen Gegenverkehr. Notgedrungen bremst der hinter ihm und hinter selbigem auch ich. Ich stehe mitten auf der Kreuzung und inzwischen bekommt der Querverkehr grün. Mir bleibt nichts anderes übrig, ich rolle ein Stück zurück, muss ich halt aufs nächste eigene Grün warten.

Da das reichlich aprupte Bremsen, das Im-Weg-Stehen auf der Kreuzung und schließlich das Zurückfahren in meinen Augen nicht so wirklich professionell aussieht, entschuldige ich mich bei meinen Fahrgästen:

„Sorry, das war so nicht geplant.“

„Ach, war doch nicht dein Fehler! Oder doch? Ich hab keine Ahnung, ich fahr‘ ja nicht Auto …“

🙂