Unfall des Jahres

Aber mindestens!

Um ehrlich zu sein: ich selbst habe gar nix davon gesehen. Aber der Kollege, mit dem ich mich unterhalten habe. Ich hatte ein bisschen Standzeit am Ostbahnhof, nichts ungewöhnliches soweit. Besagter Kollege fragte mich, wie das genau hier sei mit dem Vorrücken, er sei noch neu. Ich mag solche Unterhaltungen, einfach weil man sein doch nur begrenzt nutzbares Wissen als Taxifahrer mal an die weitergeben kann, die es wirklich interessiert. Ich hoffe dabei immer, vielleicht einer der Kollegen zu sein, der dafür sorgt, dass Neuanfänger das nicht als einen Ich-gegen-alle-anderen-Job kennenlernen.

Aber gut, bleiben wir realistisch: wir haben uns ein bisschen über die Halte und ein paar sonstige Kleinigkeiten unterhalten. Und da zuckte er auf einmal zusammen und fragte mich, ob ich das gesehen hätte. Hatte ich nicht, nur ein Knirschen hatte ich vernommen. Ist wohl wieder mal einer über Glasscherben gefahren … etwas, das in schöner Regelmäßigkeit am Ostbahnhof vorkommt, da der Platz unter anderem von vielen Vollhonks frequentiert wird, die die Bierflaschen nach dem Austrinken lieber auf der Straße zerdeppern, anstatt sie zum Wohle der unzähligen Flaschensammler irgendwo stehenzulassen.

Mit meiner Einschätzung lag ich auch richtig: es ist tatsächlich jemand über eine Flasche gefahren. Allerdings so ungünstig, dass das Glas unter dem Reifen derart unschön splitterte, dass ein zufällig vorbeigehender Passant eine Scherbe irgendwo mitten ins Gesicht geschleudert bekam.

Meine Fresse, die Gefahren der Großstadt lauern ja an Ecken, die selbst mir noch absolut unbekannt waren!

Ich hab die Szene nicht lange verfolgen können. Scheinbar lief da auch alles gesittet ab. Der Autofahrer, der von des Passanten Begleitern informiert wurde, eilte zu Hilfe, der Szenerie nach stand kein Streit im Raum. Wozu auch? Wer würde so eine groteske Situation auch als Absicht werten können?

Aber ich hab mir am Ende dann doch die Frage gestellt, wie das denn jetzt wohl juristisch aussieht. Soweit ich weiß, bin ich als Autofahrer durchaus dran, wenn ich jemandes Klamotten verunreinige, weil ich durch eine Pfütze heize. Und prinzipiell müsste das hier das selbe sein, oder? Und WTF?

Also falls da ein paar Kenner mitlesen, wäre ich wirklich sehr interessiert. Schon alleine, weil ich da ja auch täglich rumfahre …

16 Kommentare bis “Unfall des Jahres”

  1. Matt von P sagt:

    Juristisch bin ich zwar eher interessierter Laie, aber als solcher würde ich schätzen, dass der Autofahrer strafrechtlich eher nichts zu erwarten hat. Es war vermutlich dunkel, ich denke nicht, dass man da noch Fahrlässigkeit unterstellen kann. Mutwilligkeit sowieso nicht, ich kenne keinen Autofahrer, der freiwillig durch eine Glasflasche fahren würde. Zivilrechtlich wäre der Autofahrer aber als Verursacher (gewollt oder nicht) wohl zumindest Schadenersatzpflichtig. Dafür gibt es aber die Versicherung.

    So sollte es zumindest nach meinem Rechtsverständnis sein. Juristen dürfen mich da gern korrigieren, man lernt ja immer gern dazu….

  2. Thomas sagt:

    Strafrechtlich steht da durchaus eine Fahrlässigkeit im Raum, mein Tipp wäre ein Strafbefehl mit einer überschaubaren Geldstrafe und einem Satzfragment wie „(…) erhebliche Verletzungen, die bei umsichtigerer Fahrweise hätten vermieden werden könnten (…)“ (oder so ähnlich). Soll heißen: Wenn du nicht rechtzeitig sehen kannst, was vor dir ist, dann darfst du halt nicht so schnell fahren. Dass das häufig eher realtitätsfern ist (insbesondere wenn es um eine in weiten Teilen transparente Glasflasche geht) kann man ruhig mal so dahinstellen. Ob es Sinn macht dagegen anzugehen, muss dann aber im Einzelfall der hoffentlich hinzugezogene Anwalt entscheiden.

  3. ELP sagt:

    Die zivilrechtliche Seite ist klar:

    Straßenverkehrsgesetz § 7 Abs. 1
    Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

    Das gilt absolut unabhängig von einem Verschulden, man nennt dies auch Gefährdungshaftung, die allein durch den Betrieb des Kraftfahrzeuges entsteht.

    Strafrechtlich wird wohl eher nichts folgen, es sei denn, die Fahrweise war irgendwie unangemessen.

  4. Will Sagen sagt:

    Bei Körperverletzung wird – wenn die Polizei davon Kenntnis erlangt – normalerweise immer ein Verfahren eröffnet, hier wegen fahrlässiger Körperverletzung. Wie das dann endet (Einstellung des Verfahrens, Strafbefehl, Urteil) ist ne andere Frage. Man könnte z. B. mit Fahren auf Sicht argumentieren, wie Thomas (#2) schon schrob.

    Zivilrechtlich ist die Haftpflichtversicherung des Pkw „dran“.

  5. Marco sagt:

    Volle Zustimmung zu den bisherigen Rednern, zivilrechtlich besteht Haftung, die aber durch die Haftpflichtversicherung gedeckt wird.
    Strafrechtlich ist in der Tat von Einstellung des Verfahrens wegen fehlenden Tatverdachts bis zu einer Geldstrafe (theoretisch auch Freiheitsstrafe, realistischerweise aber nicht) alles drin. Hängt aber auch von den Umständen ab, wie schnell unterwegs, wie gut ist alles beleuchtet, wie schwer sind die Verletzungen, war der Fahrer evtl. sogar betrunken etc.
    Ich habe eine vorsichtige Tendenz zur Einstellung des Verfahrens.

  6. Ich habe zwar keine Ahnung, aber eine Meinung ^^
    Der Fahrer hat angehalten, also keine unterlassene Hilfeleistung oder Fahrerflucht. Eine Körperverletzung bedarf meines Wissens eines Vorsatzes. Einen Vorsatz zu konstruieren, einen Unbekannten durch zerdrücken einer Glasflasche per Reifen zu verletzen… das nimmt einem kein Richter ab.
    Strafrechtlich ist er damit raus.
    Bei einem KFZ geht man von einem allgemeinen Betriebsrisiko aus und ich denke hier kommt er in die Haftung, zumindest als Teilschuldiger, denn man kann die Schuld natürlich auch an den Fussgänger weiterleiten als allgemeines Lebensrisiko. Ich vermute strafrechtlich passiert da gar nichts, zivilrechtlich kann es zu einer Teilschuld kommen.

  7. Sash sagt:

    @all:
    Danke! 🙂

  8. Will Sagen sagt:

    > Eine Körperverletzung bedarf meines Wissens eines Vorsatzes.

    Ne. Dafür gibt es den Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung. Da geht man davon aus, dass die Tat aus einem Augenblicksversagen heraus, also ungeplant, geschieht, im Gegensatz zum Vorsatz. Vorsatz wird deutlich höher bestraft.

  9. highwayfloh sagt:

    Ich würde in dem Fall sagen: „Unabwendbares Ereignis“ , sprich „Unfall“, da nichtd vorhersehbar für den KFZ-Führer. Wenn dann ist die eigentliche Ursache ja, die „nicht ordnungsgemäß entsorgte Bierflasche“ und der _eigentliche_ Unfall-Verursacher ist derjenige, der diese auf der Straße zerdeppert hat. Narürlich wird der in der Praxis nicht ermittelt werden können… . Andererseits fallen solche Dinge auch unter das „allgemeine Lebensrisiko“ … oder wer will nen Taubenzüchter verklagen, weil zufällig ne x-beliebiger Taube, die grade am Himmel fliegt nen „Schiss“ ablässt und dieser das Designer-Abendkleid der Tanzpartnerin trifft?

  10. highwayfloh sagt:

    Nachtrag:

    Anders wäre es, wenn der KFZ-Führer bewusst eine Phalanx von Flaschen gesehen hat und diese bewusst überfahren hat und _dann_ aufgrund der Splitterwirkung andere verletzt worden wären…

  11. Will Sagen sagt:

    Nicht jeder Unfall ist ein unabwendbares Ereignis (wobei es den Begriff der Unabwendbarkeit eigentlich nicht mehr gibt, die Juristen ihn aber trotzdem weiter fleißig benutzen). Bei einem unvermeidbaren Unfall geht man davon aus, dass der sog. „Idealfahrer“, also jemand, der sich optimal verhält und an die Regeln hält, den Unfall nicht verhindern konnte.
    Bsp: 30 km/h sind erlaubt, und bei 30 km/h hätte die Entfernung, in der man die Flasche erkennen konnte, wenn man optimal aufmerksam war, gereicht, um auszuweichen oder anzuhalten. Tatsächlich mag der Fahrer aber 40 km/h gefahren sein und konnte deswegen nicht anhalten: Vermeidbar bei Einhaltung der zul. Höchstgeschwindigkeit. Trotzdem ist das Resultat, dass die Flasche getroffen wird, keine Vorsatztat, sondern fahrlässig.

  12. Marco sagt:

    Zivilrechtlich ist er (genauer: der Halter des Autos) in der Haftung, gerade auch, wenn ihn (den Fahrer) kein Verschulden trifft. Gerade dafür gibt es den § 7 StVG. Der Gesetzgeber hält Kfz generell für so gefährlich, dass er da eine Gefährdungshaftung festgelegt hat – und gleichzeitig auch die Pflicht des Halters, sich gegen diese Haftung zu versichern.
    Hier ist keinerlei (Mit-)Verschulden des Fußgängers ersichtlich und „allgemeines Lebensrisiko“ mindert die Haftung gerade nicht. Und Höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG liegt sicherlich auch nicht vor.

    Strafrechtlich dürfte recht klar sein, dass es keine vorsätzliche Körperverletzung war, deshalb war ja auch die ganze Zeit von der fahrlässigen Körperverletzung die Rede. Die hat im Übrigen nichts mit „Augenblicksversagen“ zu tun, sondern liegt auch dann vor, wenn man sich immer und grundsätzlich leichtfertig und sorglos verhält – so lange man eben nicht mindestens mit dem Eintritt des Schadens rechnet und ihn „billigend in Kauf nimmt“.
    Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung und die Vorhersehbarkeit des Schadens, also eine Erkennbarkeit des Risikos, voraus. Eine Sorgfaltspflichtverletzung könnte man noch darin sehen, dass er nicht so gefahren ist, dass er die Flasche gesehen hat. Aber spätestens bei der Vorhersehbarkeit, dass da eine Scherbe derart durch die Luft fliegt, hätte ich meine Zweifel, weshalb ich, wie oben geschrieben, eher dazu tendiere, dass das Strafverfahren eingestellt wird.

  13. Will Sagen sagt:

    >Die hat im Übrigen nichts mit „Augenblicksversagen“ zu tun,

    Dafür kam das aber in den Verhandlungen, bei denen ich dabei war, ziemlich oft an der entsprechenden Stelle vor. 😉

  14. Marco sagt:

    Auch wenn wir so langsam richtig OffTopic werden:

    @Will Sagen: Ich weiß ja nicht, was das für Verhandlungen waren. Das Augenblicksversagen kann natürlich auch rechtliche Relevanz haben. Im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung zum Beispiel kann eigentlich grob fahrlässiges Verhalten doch noch unter einfache Fahrlässigkeit fallen, wenn es sich um Augenblicksversagen handelt. Das kann dann ggf. relevant dafür sein, ob die Vollkaskoversicherung den Schaden voll trägt oder wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls die Leistung kürzen darf.

    Auch in einem Strafverfahren kann es zwar nicht auf den Tatbestand, aber sicherlich auf das Strafmaß auswirken. Wenn eine fahrlässige Körperverletzung vorliegt, dann kommt jemand, der (bei sonst unveränderten Umständen) nie aufpasst seinen Sorgfaltspflichten genügt sicherlich nicht so „billig“ weg wie wenn es sich um ein Augenblicksversagen handelt.

    Zusammengefasst kommt es für die Frage ob Fahrlässigkeit vorliegt, nicht darauf an, ob es Augenblicksversagen oder eine grundsätzliche Verhaltensweise ist. Für den Grad der Fahrlässigkeit kann dies aber durchaus relevant sein, was in bestimmten Konstellationen auch unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen kann.

  15. Schütteltier sagt:

    Praktisch wirds bei solchen Sachen der Kategorie „dumm gelaufen“ auf ein Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung hinauslaufen, was aber gegen Bußgeld + Punkte eingestellt wird.

  16. Will Sagen sagt:

    @Marco, zahlreiche Straf- und Zivilsachen. Ich will mich auch gar nicht streiten. Juristisch-theoretisch hast Du sicherlich recht. Allerdings pflegen die Damen und Herren Anwälte in der Praxis auch mal Begriffsverschiebungen zu bemühen. Auch wenn der Begriff per definitionem nicht korrekt sein mag, finde ich ihn doch recht plastisch, eine Vorstellung vermittelnd. 🙂

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